Beherzt über die Lücke springen

Sandra Geissler hat begriffen, dass man nicht alles wissen und planen kann. Sie plädiert daher für den Mut zur Lücke.

Meine liebe Freundin B. zeigte mir vor einigen Jahren bei der Führung durch ihr neues Haus alle Räume. Ich bestaunte gebührend das neue Daheim, aber der Keller raubte mir die Sprache. Er beherbergt eine Art Minimarkt: Duschgel-Flaschen fein säuberlich aufgereiht neben Pesto-Gläsern und Tomatenmark, Stapel von Toilettenpapier und Zahnpastatuben neben Nudeln aller Art, Olivenölflaschen und Müslipackungen.

„Ich bin eben gern auf alles vorbereitet,“ meinte sie lapidar auf mein entgeistertes Gesicht. B. hat die Dinge gern im Griff, berücksichtigt in ihrer Tages-, Wochen- und Lebensplanung möglichst viele Wahrscheinlichkeiten und hasst nichts mehr als Überraschungen. Kaum etwas macht ihr mehr Angst als die Lücke. Auch meine liebe Freundin P. ist in ständiger Habachtstellung vor der Lücke. Und deshalb verbringt sie unheimlich viel Lebenszeit mit dem Warten auf den richtigen Zeitpunkt, auf das perfekte Angebot, die ultimative Lösung. Aus diesem Grund hat sie kein zweites Kind bekommen, wechselt sie die ungeliebte Arbeitsstelle nicht und schafft es selten, einen Urlaub zu buchen und nicht nur gedanklich zu planen.

Gesundes Zwei-Drittel-Wissen

Obwohl sonst nicht unter den Mutigen zu Hause, unterscheide ich mich in dieser Hinsicht grundlegend von meinen beiden Freundinnen. Mein Herz schlägt für die Lücke. Schon sehr früh in meinem Leben habe ich begriffen, dass man nie alles wissen, planen, absichern kann. Als Folge habe ich mir eine Haltung angewöhnt, die ich mir seither behalten habe. In den meisten Situationen denke ich: „Wird schon schiefgehen, mit Gottes Hilfe und gesundem Zwei-Drittel-Wissen.“

So habe ich meine erste Arbeitsstelle angetreten, mit Neugier und Wissensdurst, aber mit Lücken. Nur so konnten wir fünf Kinder bekommen, Arbeitsstellen wechseln, ein Haus kaufen und in fragwürdige Urlaubsquartiere reisen. Wir sind die Familie, die bei einer Wanderung über die Allwetterausrüstung der anderen staunt, über Trekkingschuhe und Trinkschläuche, die aus Rucksäcken hängen. Müsste ich solch eine Ausrüstung für die ganze Familie besorgen, dann würden wir nie loslaufen.

Es ist erleichternd zu begreifen und anzunehmen, dass wir nicht allen Unwägbarkeiten des Lebens aus dem Weg gehen können. Ich kann nur mein Bestes geben und all meinen Mut zusammensammeln. Bisher war mein Gewinn immer größer als mein Verlust, hat sich der beherzte Sprung über die Lücke gelohnt, auch wenn die Landung etwas rumpelig war. Ich rede nicht von Leichtsinn, nicht von Verantwortungslosigkeit. Ich rede vom Mut, beherzt über die Lücke zu springen, von Gottvertrauen und Lebenslust. Auch wenn nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen, wenn du nicht genau weißt, ob alles klappen wird, wenn du nicht bis auf den Grund der Lücke schauen kannst.

Die Lücke als Geschenk erleben

Wäre es nicht schade, wenn wir hinter unseren Möglichkeiten, Bestimmungen und Berufungen zurückblieben – aus Angst vor der Lücke? Mir kommt eine Szene aus Ronja Räubertochter in den Sinn: Ronja und Birk stehen sich gegenüber, zwischen ihnen die tiefe Wolfsklamm, eine von allen gefürchtete Lücke. Die beiden Kinder fassen sich ein Herz und springen. Dabei entdecken sie die Freundschaft zueinander und eine neue Lebenswelt auf der jeweils anderen Seite.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitzen wir in Quarantäne. Das Coronavirus hat uns hinter verschlossene Türen verbannt. Unser Vorratskeller ist nicht prall gefüllt, schon gar nicht für zwei Wochen. Diese Lücke war im ersten Moment erschreckend, erweist sich aber immer mehr auch als Geschenk. Wir erfahren viel Hilfsbereitschaft, finden morgens frische Brötchen vor der Haustür, und Freunde kaufen für uns ein. Wir tun unsere zwei Drittel und vertrauen immer darauf, dass Gott uns über die Lücke trägt.

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin und zurzeit Familienfrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Nierstein am Rhein und bloggt unter 7geisslein.com.

Lügt mein Kind?

„Meine Tochter (5) sagt häufig Dinge, die nicht stimmen. Warum tut sie das? Und wann sollte ich eingreifen und sie darauf hinweisen, dass es falsch ist zu lügen?“

Wie groß ist die Freude bei Eltern über das erste Wort, die ersten Sätze und die ersten Geschichten, die ihr Kind erzählt. Doch wenn es irgendwann anfängt, an unwahren Erzählungen festzuhalten, sind sie irritiert, wenn nicht sogar erschrocken. Schnell fallen Eltern dann Sprüche wie „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, „Lügen habe kurze Beine“ oder das biblische Gebot „Du sollst nicht lügen“ ein. Doch sind die Fantasie-Erzählungen der Kinder wirklich Lügen, die man dem Kind ausreden, verbieten oder die man gar bestrafen sollte?

Nicht jede „Lüge“ ist eine Lüge

Lügen bedeutet, bewusst und vorsätzlich die Unwahrheit zu sagen, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Was Kinder im Alter bis etwa sieben Jahre als verfälschte Realität äußern, ist jedoch selten wirklich eine Lüge. Bis etwa zur Einschulung befinden sie sich auf der Entwicklungsstufe des „magischen Denkens“. In dieser Stufe wird oft Traum und Wirklichkeit, Fantasie und Wahrheit vertauscht. Kinder können noch schwer unterscheiden zwischen dem, was sie in der Wirklichkeit sehen und hören, und dem, was sie sich darunter vorstellen und sich dazu ausdenken.

Sie erfinden Geschichten und erleben Tagträume als echt. Figuren in Bilderbüchern und Filmen existieren für sie in der Wirklichkeit, und so manche Geschichte wird in der Kinderfantasie noch weiter ausgeschmückt und in die Realität geholt. Das zeigt übrigens auch, welch große Verantwortung Eltern gerade in dieser Zeit für die Medienauswahl ihrer Kinder haben. Auch das Zeitgefühl ist in diesem Alter noch nicht ausgeprägt, sodass Kinder Erlebnisse durcheinanderbringen oder ausschmücken.
Mit zunehmendem Alter fangen Kinder an, realitätsbezogen und sachlich logisch zu denken und sich auch dementsprechend zu äußern. Ungefähr ab dem achten Lebensjahr wird Ihr Kind zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Vorstellung und Wahrnehmung unterscheiden können. Dann braucht es durchaus Hinweise und Ermahnungen, wenn es die Unwahrheit erzählt. Um sich mit seiner Umwelt erfolgreich auseinanderzusetzen, muss ein Kind mit der Zeit also lernen, diese so wahrzunehmen, wie sie in Wirklichkeit ist, und nicht so, wie es sie für sich haben möchte.

Atmosphäre der Ehrlichkeit

Die wichtigste Lernhilfe sind dabei die Eltern. Von klein auf orientieren sich Kinder an ihrem Vorbild. Deshalb versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können. Seien Sie ehrlich und offen zu Ihrem Kind und anderen Familienmitgliedern. Beantworten Sie Fragen Ihres Kindes wahrheitsgemäß. Spielen Sie eigene Notlügen nicht herunter. Entschuldigen Sie sich im Beisein des Kindes für Lügen. Sprechen Sie mit dem Kind über die negativen Auswirkungen von Lügen. Greifen Sie ein, wenn Ihr Kind vorsätzlich um des eigenen Vorteils willen lügt.

Wenn Ihr Kind in einer Atmosphäre der Offenheit und Ehrlichkeit aufwächst, wird es auch nach der Phase des magischen Denkens offen und ehrlich sein und lernen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Margrit Dietze ist Erzieherin und Autorin für pädagogische Bücher und Artikel, Kinderlieder und Musicals.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Wie Kinder zu ihren Rechten kommen

In Deutschland gibt es seit Jahren eine Diskussion darüber, ob die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen. Die Befürworter sehen darin unter anderem die Chance, das Kindeswohl zu stärken und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen rechtlich abzusichern. Die Kritiker befürchten vor allem, dass die Rechte der Eltern zugunsten des Staates eingeschränkt werden. Wir haben zwei Menschen, die sich für Kinder und Familien engagieren, gefragt, welche Haltung sie vertreten.

Die Hintergründe

Vor gut 30 Jahren, im November 1989, wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. In den Jahren darauf haben – bis auf die USA – alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen diese Konvention für sich ratifiziert.

Zu den Kinderrechten gehören: das Recht auf Gleichheit, auf Gesundheit, Bildung, Spiel und Freizeit, freie Meinungsäußerung und Beteiligung, Schutz vor Gewalt, Zugang zu Medien, Schutz der Privatsphäre und Würde, Schutz im Krieg und auf der Flucht sowie besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung.

Seit Jahren gibt es nun in Deutschland das konkrete Bestreben, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Dafür engagieren sich besonders Organisationen wie UNICEF Deutschland, der Deutsche Kinderschutzbund, das Deutsche Kinderhilfswerk und die Deutsche Liga für das Kind.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die aktuelle Legislaturperiode enthält im Kapitel „Familie“ die Formulierung: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“

Diese Arbeitsgruppe hat bis Oktober 2019 verschiedene Optionen erarbeitet, wie die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden können. Dabei geht es im Wesentlichen um eine Ergänzung des Artikels 6. Darin heißt es bisher: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat daraufhin einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, folgenden Absatz im Artikel 6 zu ergänzen: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Dieser Entwurf geht den Befürwortern nicht weit genug, den Kritikern geht er zu weit. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis hier eine Lösung gefunden wird.

Bettina Wendland

 

„NICHT ABSCHÄTZBARE FOLGEN“

Rebekka Hofmann sorgt sich, dass eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz Folgen für die Freiheit und Verantwortung der Eltern haben könnte.

Kinderrechte ins Grundgesetz – könnte dies ein Türöffner sein, das bisher ausgewogene Verhältnis zwischen der grundlegenden Verantwortung von Eltern und der Wächterfunktion des Staates zulasten der Familien zu verändern?

Verantwortung der Eltern

Als Mutter von drei Kindern, geht es mir – hier spreche ich stellvertretend für viele Eltern – um die Pflicht und Verantwortung zur Erziehung meiner Kinder, der ich mit meinem Mann persönlich nachkommen möchte. Meines Erachtens gibt mir der Artikel 6 in unserem Grundgesetz die Freiheit und auch die Rechtsgrundlage dazu, und so hinterfrage ich die Notwendigkeit zur Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz. Auch Experten einzelner Juristenverbände weisen eindringlich darauf hin, dass die Wächterfunktion des Staates gegenüber Eltern, die ihre Pflichten und ihre Verantwortung – aus welchen Gründen auch immer – nicht wahrnehmen können oder wollen, bereits jetzt verfassungsrechtlich abgesichert ist. Deren Umsetzung muss eher durch Veränderungen von Rahmenbedingungen verbessert werden als durch eine Ergänzung von Kinderrechten. Deutschland sollte auch nicht aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 mit Ländern verglichen werden, in denen bisher nicht einmal Menschenrechte geachtet werden und Kinder aus diesem Grund ganz offensichtlich dringend erweiterten, rechtlichen Schutz benötigen.

Die Forderung, „die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern“, die Olaf Scholz 2002 angesichts des Ausbaus der Kinderbetreuung geäußert hat, lässt mich aufhorchen und ahnen, dass es beim Thema Kinderrechte um weit mehr geht als darum, ein gefährdetes Kindeswohl demnächst zuverlässiger abwenden zu können. Ein Beispiel: Wir haben unsere Kinder aus Überzeugung in den ersten drei Lebensjahren zu Hause betreut und sehen diese Freiheit in Zukunft gefährdet. Denn ein so genanntes Kinderrecht auf Bildung könnte die Einführung einer KiTa- oder sogar Krippenpflicht zur Folge haben. Werden wir Eltern uns dann als „Bildungsverweigerer“ unserer Kinder verantworten müssen? Wie viel Freiheit und Mündigkeit werden uns in den Entscheidungen für die Belange unserer Kinder noch zugestanden? Welche Erziehungsfehler sind noch tolerierbar und als rein menschlich begründet anzusehen? An welchem Punkt gelten Eltern als verantwortungslos, und wer entscheidet darüber?

Einfluss des Staates

In Norwegen sind Kinderrechte schon länger gesetzlich verankert. Neben den positiven Folgen resultiert daraus leider auch die Zunahme von Inobhutnahmen durch die Kinderschutzbehörde Barnevernet, und es wird vermehrt in Familien eingegriffen und Kinder aufgrund nicht oder kaum nachvollziehbarer Gründe von ihren Eltern getrennt.

Hier geht es nicht um die von der UN geforderten Grundrechte für Kinder, die bereits in unserem Grundgesetz verankert sind, sondern um die zum jetzigen Zeitpunkt für uns nicht abschätzbaren Folgen, die ein weiter verstärkter Einfluss des Staates mithilfe der Kinderrechte auf das Familienleben in unserem Land haben könnte. Dass dann auch intakte Familien durch ein gezieltes Aushebeln der Elternrechte betroffen sein könnten, ist nicht auszuschließen. Das sehe ich problematisch.
Schon mehrfach wurde diese Thematik in unseren Regierungen debattiert. Und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein. Deshalb möchte ich ermutigen, wachsam zu bleiben und genau hinzuschauen, welche Bestrebungen den Familien und damit auch den Kindern in unserem Land wirklich dienen.

Rebekka Hofmann hat mit ihrem Mann drei Kinder. Sie ist Mitgründerin von Nestbau e.V.. Der Chemnitzer Verein informiert, berät und unterstützt Eltern, die ihre Kinder in den ersten drei Jahren gern selbst betreuen wollen. www.nestbau-familie.de

 

„KINDER MÜSSEN IN DEN FOKUS GESTELLT WERDEN“

Bernd Siggelkow plädiert dafür, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, damit vor allem benachteiligte Kinder stärker gehört werden.

Kinderrechte gehören ins Grundgesetz, denn die dortige Verankerung macht daraus eine moderne, zukunftsorientierte Verfassung und setzt gleichzeitig ein Zeichen, welche Bedeutung Kindern und Jugendlichen und deren Belangen in Deutschland beigemessen wird. Natürlich möchte ich als Gründer und auch Leiter einer Kinder- und Jugendeinrichtung die Rechte der Eltern innerhalb ihrer Familie nicht beschneiden. Unsere Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen, und deswegen sollten und müssen ihre Rechte gestärkt werden.

Ein immer wiederkehrendes Gegenargument ist der Hinweis, dass Kinder bereits durch ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 im Grundgesetz geschützt seien. Dieser Passus reicht aber bei weitem nicht aus. Das hat auch damit etwas zu tun, dass hier nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, welche spezifischen Rechte Kinder in Deutschland haben, etwa dass ihr Wohl bei sämtlichen Maßnahmen, die sie betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist und dass Kinder in solchen Fällen beteiligt werden müssen. Es besteht daher ein enormer Bedarf, die bereits bestehenden Kinderrechte im Grundgesetz zu stärken.

Keine Lobby

Kinder müssen in unserem Land endlich in den Fokus gestellt werden, denn die einzigen Ressourcen, die wir in Deutschland haben, sind unsere Kinder. Wir in den Archen treffen täglich auf Kinder und Jugendliche, die in fast allen Belangen benachteiligt werden. Das sind Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen, denn sie kommen zumeist aus prekären Familienverhältnissen. Viele unserer Kinder sind nicht einmal mehr in der Lage, ihre Schulaufgaben zu machen, denn es fehlt an Tablets und Laptops. In den Schulen ohne einflussreiche Förderkreise gibt es zudem kein Geld für zeitgemäße Technik. Die Kinder lernen wie zu Omas Zeiten.

Keiner beschwert sich darüber, denn diese Kinder haben keine Lobby. Auch scheitern viele Kinder in den Schulen schon an einfachen Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Lesen und Schreiben. Der Lehrkörper richtet sich nach den Schülerinnen und Schülern, die ohne Probleme dem Lehrstoff folgen können. So haben wir es später mit hunderttausenden jungen, funktionalen Analphabeten zu tun. Menschen also, die nicht wirklich lesen und schreiben können.

Außerhalb der Gesellschaft

Würden Kinderrechte im Grundgesetz verankert sein, könnten Eltern und Kinder den Staat verklagen, weil der seiner Ausbildungspflicht nicht nachkommt. Ich könnte jetzt zahlreiche weitere Punkte aufzählen, aber dafür reicht bei weitem der Platz nicht. Doch eine weitere Sache brennt mir noch auf der Seele. Viele unserer Arche-Besucher, auch die älteren Jugendlichen, waren noch nie in einem Restaurant, noch nie in einem Theater oder Kino. Urlaub, zum Beispiel eine Auslandsreise – davon dürfen unsere Kinder nur träumen. Und so wachsen sie Jahr für Jahr außerhalb unserer Gesellschaft auf.

Vor einige Wochen schenkte ein langjähriger Arche-Unterstützer einem 17-jährigen Mädchen für deren Familie einen Gutschein für einen Restaurantbesuch. Das Mädchen war sehr verunsichert und fragte mich: „Du Bernd, was muss ich damit machen, muss ich das jetzt irgendwo anmelden?“ Sie war noch nie in einem Restaurant. Das Mädchen kann übrigens sehr gut lernen und macht gerade Abitur, eine Ausnahme unter den Kindern der Arche. Aber sie wusste nicht, wie man außerhalb ihrer vier Wände essen geht. So etwas macht mich sehr traurig. Wenn ich könnte, würde ich rechtliche Schritte gegen den Staat einleiten, weil er hunderttausende Jugendliche einfach vergisst. Kämpfen wir gemeinsam für mehr Rechte unserer Kinder!

Bernd Siggelkow ist Vater von sechs Kindern. Er ist Gründer und Leiter des Kinderhilfswerks Arche, das in Deutschland, Polen und der Schweiz an 28 Standorten Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen fördert und unterstützt, www.kinderprojekt-arche.de.

Freies Spiel macht kreativ

„Macht es Sinn, bei meinem zweijährigen Kind freies Spiel zu fördern? Wie stelle ich es an? Und warum ist es so wichtig, wie alle immer sagen?“

Freies Spiel – also vom Kind selbst initiiert und unbeeinflusst vom Erwachsenen – ist sehr wichtig für die kindliche Entwicklung. Denn dabei eignet es sich Wissen über seine Umwelt mit Hilfe eigener Fähigkeiten und in seinem eigenen Tempo an. Beim freien Spiel ist das Kind kreativ, findet Lösungen für Probleme, übt sich in Ausdauer und Geduld und macht vielfältige Sinnes- und Materialerfahrungen.

Man kann nicht früh genug damit beginnen, sein Kind diesbezüglich zu fördern. Schließlich helfen ihm diese Fähigkeiten sein ganzes Leben lang. Wer gelernt hat, selbst Lösungen zu finden und sich allein mit etwas zu beschäftigen, ist unabhängiger und entwickelt durch die vielfältigen Erfahrungen ein stabiles Selbstbewusstsein.

Zeit zum Nichtstun

Wir haben bestimmt schon alle erlebt, dass wir unseren Kleinen Spielzeuge angeboten haben, im Glauben, dass sie genau das gerade bräuchten. Aber sie haben es keines Blickes gewürdigt. Das Spielzeug, welches wir als gut befunden haben, passte in diesem Moment nicht in den Entwicklungsplan des Kindes. Es ging sozusagen an seinem Thema vorbei. Genauso ist es mit durchgeplanten „Frei-Zeit“-Aktivitäten. Wir wollen unseren Kindern das Beste bieten, vergessen aber oft, dass die Kinder nicht primär Unterhaltung, sondern Zeit brauchen, um Gesehenes zu verarbeiten, einzuüben und schließlich zu verfestigen. Übung macht bekanntlich den Meister. Also planen Sie öfter Zeit ein, in der Ihr Kind einfach „nichts“ tut.

Der Erwachsene sollte in solchen Zeiten nur die Beobachterrolle einnehmen und nur dann Hilfestellung leisten, wenn das Kind es ausdrücklich wünscht. In solchen Situationen beschäftigen sich Kinder mit dem, was sie gerade bewegt. Sie handeln intuitiv und arbeiten höchst motiviert an ihren Entwicklungsthemen.

„Wichtiges“ verschieben

Achten Sie darauf, welche Materialien das Kind wirklich interessieren. Was hat es immer wieder in der Hand? Welche Tätigkeiten übt es immer wieder aus? Ist es ihm möglich, sich mit diesen Materialien allein zu beschäftigen? Oder müssen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden? Oft interessieren Kinder die Materialien, die auch wir ständig in der Hand haben, zum Beispiel beim Kochen, Putzen, Arbeiten oder bei der Gartenarbeit. Stellen Sie Ihrem Kind ein sicheres Paket zusammen und lassen Sie es damit herumexperimentieren. Im Alter von zwei Jahren ist beispielweise schütten, werfen, klettern, rennen oder Fahrzeuge fahren oft sehr beliebt.

Wenn freies Spiel geschieht, verlangt es von uns Erwachsenen ein gewisses Maß an Spontanität. Fragen Sie sich deshalb: Ist das, was Sie eigentlich vorhatten, wirklich wert, den Lernprozess des Kindes zu unterbrechen? Ist es jetzt, wo das Kind gerade so schön spielt und lernt, wirklich nötig, einkaufen zu gehen? Zeit können Sie nicht einkaufen oder herunterladen. Zeit muss man sich noch ganz altmodisch nehmen.

Anika Schunke ist Erzieherin, bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an und lebt mit ihrer Familie in Eggenstein bei Karlsruhe.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Freundschaft in Wüstenzeiten

Jennifer Zimmermann hatte immer mit einem Idealbild von der christlichen Ehe zu kämpfen. Mittlerweile hat sie gemerkt: Eine Ehe lässt sich nicht so leicht optimieren und die Freundschaft zu ihrem Mann trägt auch durch Wüstenzeiten.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheandachtsbuch vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit, wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder, endeten in abwechselndem Gebetsgestotter. Die letzten zehn Andachten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Ohne Gebetsaufforderungen. Das Andachtsbuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Ehe legen wollten.

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

BEDIENUNGSANLEITUNG FALSCH VERSTANDEN

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen, die wohlgepflegten Rituale und die gemeinsamen Gebete durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

IMMER NOCH EIN TEAM

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem „guten christlichen Paar“ entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

DER PRINZ AUF DEM WEISSEN PFERD

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

GEGEN DEN OPTIMIERUNGSWAHN

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Gotteskinder mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht. Wenn irgendwer vor Selbstoptimierung Halt machen sollte – sei sie körperlicher, psychischer oder geistiger Natur – dann sollten wir Christen es sein, die wir an einen Gott glauben, der die Machtverhältnisse der Welt einfach auf den Kopf stellt und die Letzten zu Ersten erklärt. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der mit mir so geduldig ist wie er. Und wenn es Ecken und Kanten in unserer Beziehung gibt, dann hat er Zeit genug, sie rund zu lieben. Oder uns beizubringen, wie wir sie lieben lernen.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Andachtsbücher zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Ist mein Kind bereit fürs Handy?

„Unsere Tochter (11) will unbedingt ein eigenes Smartphone. Wir sind unsicher. Wie können wir wissen, ob sie schon so weit ist? Und welche Regeln sollten wir im Umgang mit dem Handy aufstellen?“

Messenger, Games, Videos und Musik: Mit dem Smartphone öffnet sich für Heranwachsende das Tor zur großen Online-Welt. So ist der Wunsch Ihrer Tochter mehr als verständlich. Wie Medienstudien zum Gerätebesitz von Heranwachsenden zeigen, ist sie damit nicht allein: Das Smartphone ist ein präsenter Bestandteil in der Lebenswelt von Heranwachsenden. Aufgabe der Eltern ist es, zu verlässlichen Begleitern für einen guten Einstieg in die Smartphone-Welt zu werden.

RISIKEN KENNEN

Es ist nicht untypisch, in diesem Alter ein Smartphone zu besitzen. Laut der KIM-Studie aus dem Jahr 2018 besitzen 51 Prozent der 6- bis 13-Jährigen ein eigenes Smartphone. 42 Prozent von ihnen nutzen es täglich und 56 Prozent von ihnen sind damit regelmäßig online. Doch nicht allein das Alter ist bei der Entscheidung für ein eigenes Smartphone wichtig. Vielmehr müssen Sie sicher sein, dass Ihr Kind bereits erfahren im Umgang mit dem Internet ist und auch weiß, wie es einen Computer sicher nutzt.

Wenn Elfjährige bereits mögliche Risiken kennen, die ihnen begegnen, spricht nichts gegen ein eigenes Smartphone. Zu den Risiken zählen ungeeignete Inhalte wie Gewalt oder Pornografie, hohe Kosten durch In-App-Käufe, Beleidigungen und grobe Sprache in Chats sowie der ungewollte Kontakt zu Fremden.Wichtig ist, dass Sie vor dem Smartphone-Kauf gemeinsam mit Ihrer Tochter besprechen, wie sie sich in solchen Situationen verhalten sollte.

SICHERHEIT AN ERSTER STELLE

Besonders zu Beginn ist es wichtig, dass Sie die Sicherheitseinstellungen am Gerät und in Apps im Blick haben. Ihre Tochter sollte jedoch von Anfang an über die Einstellungen informiert sein. So lernt sie gleichzeitig, welche Einstellungen sinnvoll und wichtig sind, zum Beispiel Profile bei Messengern oder Sozialen Netzwerken so einzurichten, dass die Privatsphäre so gut wie möglich geschützt ist. Zum Basiswissen für Smartphone-Nutzer und Nutzerinnen zählt, welche privaten Daten oder Bilder am besten nicht online verschickt oder gepostet werden. Wenn private Fotos ungefragt weiterverbreitet werden, verletzt das zusätzlich die Privatsphäre der Betroffenen.

Apps sollten zu Beginn nur gemeinsam heruntergeladen und In-App-Käufe gesperrt werden. Später können Eltern durch Altersgrenzen den App Store sicherer machen und für In-App-Käufe eventuell ein Budget festlegen. Am besten leben Sie Ihrem Kind vor: „Es geht auch ohne.“ Regelmäßige Handypausen, um mit anderen etwas zu erleben, Aufgaben zu erledigen oder zu schlafen, sind wichtig. Für den Einstieg vereinbaren Sie mit Ihrer Tochter ein Zeitlimit für digitale Medien.

Kristin Langer ist Mediencoach bei der Initiative „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ Sie berät Familien bei allen Fragen der Mediennutzung in der Familie.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

Fasziniert von Büchern

7 Ideen, wie man Kindern die Freude am Lesen vermitteln kann

1. VORLESEN

Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, fällt das Lesenlernen leichter. Außerdem kann man mit dem Vorlesen schon früh Rituale schaffen, die auch später, wenn das Kind selbst lesen kann, weitergeführt werden können. Und: Auch wenn Kinder schon selbst lesen können, lieben sie es trotzdem noch, wenn Mama oder Papa ihnen vorliest.

2. GEMEINSAM LESEN

Gerade für Leseanfänger sind spezielle Bücher toll, in denen das Kind den hervorgehobenen Text liest und Mama oder Papa den Rest, wie beispielsweise bei der Reihe „Lies mit mir!“ (SCM Verlag). Später kann man sich dann abwechseln: Eine Seite liest Mama oder Papa, eine Seite das Kind. Ein guter „Trick“ ist es auch, wenn der Vorleser an einer besonders spannenden Stelle aufhört – dann ist das Kind besonders motiviert, selbst weiterzulesen.

3. RITUALE SCHAFFEN

Kinder lieben Rituale. Der Klassiker ist sicher die Gute-Nacht-Geschichte. Aber wie wäre es mit 20 Minuten lesen nach dem Mittagessen? Schön ist es, wenn es zum Lesen einen besonderen Ort gibt – vielleicht einen Sitzsack oder Opas Ohrensessel. Wichtig ist es, dass Lesen nicht unter Druck geschieht, sondern mit einer schönen, gemütlichen Atmosphäre verbunden ist.

4. BÜCHER ENTDECKEN

Entscheidend für die Motivation zum Lesen ist das richtige Buch. Hier muss man vielleicht ein bisschen ausprobieren. Mag das Kind lieber kurze Geschichten? Oder doch längere Erzählungen oder vielleicht Sachbücher? Welche Themen begeistern das Kind: Tiere, Maschinen, Entdecker, Fußball … Zu (fast) allem findet man das passende Buch. Für Kinder mit Lern- und Leseschwierigkeiten gibt es Bücher in einfacher Sprache, zum Beispiel die Reihe „Die Tigerbande“ (Neufeld Verlag) oder „leichter lesen“ (Ravensburger).

5. BÜCHEREI ERFORSCHEN

In Büchereien können Kinder nach Belieben stöbern und in Bücher reinlesen. Vielleicht entdecken sie ein Thema oder eine bestimmte Art von Buch, die sie bisher nicht kannten? Viele Büchereien bieten auch Vorlesestunden oder andere Aktionen an, die die Lust am Lesen wecken.

6. MIT BÜCHERN SPIELEN

Bücher sind nicht nur zum Lesen da. Warum nicht mal eine eigene Bücherei im Kinderzimmer aufmachen? Oder ausprobieren, wer den höheren Bücherstapel baut? Vielleicht können Bücher auch in die Lego- oder Schleichtierwelt integriert werden …

7. COMICS UND ZEITSCHRIFTEN WERTSCHÄTZEN

Nicht nur Bücher sind wertvoller Lesestoff. Gerade Kinder, denen das Lesen schwer fällt, finden vielleicht leichter Zugang zu Comics oder Zeitschriften, wie zum Beispiel FamilyFIPS oder KLÄX. Da die Texte fast „nebenbei“ gelesen werden, ist die Hürde niedriger. So können Kinder gut ans Lesen herangeführt werden.

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Bochum.

„Ohne den Glauben könnte die Ehe für uns nicht funktionieren“

„Frag den Pastor“ heißt der YouTube-Kanal, auf dem Gunnar Engel aus seinem Alltag als Dorfpastor einer kleinen Gemeinde an der Grenze zu Dänemark erzählt. Seine Frau postet auf Instagram („Segensbringer“) gestaltete Bibelverse und verkauft mittlerweile auch ihre Werke. Kennengelernt haben sich die beiden ganz standesgemäß über Facebook. Christof Klenk hat sich mit ihnen via Skype unterhalten.

Ihr habt vor einigen Monaten Nachwuchs bekommen. Wie hat sich denn euer Leben dadurch verändert?
Gunnar:
Man hat sich so viele Gedanken gemacht, so viele Gespräche mit Freunden geführt, aber wenn es dann soweit ist, dann ist alles ganz anders. Es ist wie ein riesiges Abenteuer und ein Riesengeschenk.
Anni: Es hat meine ganze Welt einmal grundlegend erschüttert. Es musste sich alles erst einmal neu sortieren. Man wird auf einmal ins kalte Wasser geschmissen und fängt an zu schwimmen.

Und musstet ihr euch als Paar neu finden?
Gunnar:
Da tauchen auf einmal eine Menge Fragen auf, die wir uns vorher nie gestellt haben. Wenn einer von uns abends weggehen will, ist jetzt mehr Absprache notwendig. Da müssen wir uns neu zusammenfinden.
Anni: Ich würde sagen, dass wir dadurch noch mehr zusammenwachsen. In der Wochenbettsituation war ich total auf Gunnar angewiesen. Mir ist sehr bewusst geworden, dass wir einander brauchen, um dieser Aufgabe gerecht werden zu können. Dazu kommt, dass man sich auch in der neuen Rolle als Papa und Mama sortieren muss. Diese Rollen kommen ja einfach mit dazu. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich eben nicht nur als Mama und Papa sieht, sondern dass man sich auch immer wieder als Paar wahrnimmt. Ich glaube, man muss sich die Zeit als Paar echt einfordern, sonst bleibt das schnell mal auf der Strecke.

Ihr habt euch über Facebook kennengelernt und dann neun Monate später schon geheiratet. Wie konntet ihr so schnell wissen, dass das passt?
Gunnar: Ich war auf Facebook nicht aktiv auf der Suche nach einer möglichen Ehefrau. Wir haben uns zufällig in einer christlichen Facebook-Gruppe kennengelernt. Die ersten vier Wochen haben wir uns nur geschrieben. Als ich Anni das erste Mal in echt gesehen habe, hatte ich das Gefühl, ich kenne sie schon. Wir hatten uns schon ganz viel unterhalten, vor allem über viele Glaubensdinge. Da hatte ich schon den Eindruck: Auf der Ebene würde es auf jeden Fall passen. Meine Beziehung zu Gott ist das Grundlegende in meinem Leben. Wenn ich einen Partner habe, der sagt: „Das ist bei mir genauso!“, dann ist schon mal eine gute Basis da. Der Rest findet sich dann irgendwie.
Anni: Bei mir war das ziemlich anders. In der Zeit, bevor wir uns kennengelernt haben, war ich ganz bewusst Single. Ich habe sehr viel gebetet und auch sehr viel darüber nachgedacht, was mir an meinem zukünftigen Partner wichtig ist. Da kam eine ganze Latte von Punkten zusammen. Freunde und Familie haben schon zu mir gesagt, dass diese Liste ziemlich unrealistisch sei. Und dann kam Gunnar und tatsächlich: Alle Dinge, die mir grundsätzlich wichtig waren, hat er total erfüllt. Ich war selber erstaunt. Dann kam aber auch im Gebet eine ganz übernatürliche Sicherheit und ein Frieden, den ich vorher nicht kannte. Da wusste ich: Das ist es jetzt.

Der Schritt vom virtuellen Kennenlernen ins wirkliche Leben fällt manchen gar nicht so leicht.
Gunnar:
Ich war zuerst am Treffpunkt, stand da vor der Tür des Cafés und habe auf sie gewartet. Ich war ganz schön nervös, aber als sie mir dann entgegenkam, hatte sie gleich so eine fröhliche, freundliche Ausstrahlung, dass ich dachte: Das wird gut.
Anni: Ich glaube, das kann sehr unterschiedlich laufen. Ich bin nicht mit der Erwartung hingegangen, dass da gleich die Funken sprühen. Wir hatten zwar viel über theologische Fragen diskutiert, aber ich habe mir gedacht, die Chance, dass auch die ganze Chemie stimmt, um sich zu verlieben, ist eher gering. Aber dann war es tatsächlich mit dem ersten Treffen um mich geschehen.

Was hat euch aneinander überrascht?
Anni:
Da gab es nicht die große Enthüllung. Es sind eher kleine Überraschungen im Alltag, dass man neue Facetten vom anderen kennenlernt.
Gunnar: Als wir Eltern geworden sind, war ich richtig geflasht, mit welcher Sicherheit und Stärke Anni das alles angegangen ist. Also von: Wir fahren ins Krankenhaus, es geht los. Bis: Wir nehmen den Kleinen jetzt mit nach Hause und das kriegen wir hin.

Ihr habt zusammen ein YouTube-Video zu Ehefragen gemacht. Ihr kommt als Paar offensichtlich sehr gut rüber. Die Kommentare darunter sind überwältigend positiv. Alle finden euch total sympathisch, obwohl eure Ansichten gar nicht so Mainstream sind. Ihr sagt zum Beispiel, dass ihr es nicht für schlau haltet, wenn Christen Nichtchristen heiraten.
Gunnar:
Also mich wundert das nicht nur bei dem Video, sondern auch bei den anderen, die ich gemacht habe. Es ist ja schon eine starke Position, die ich vertrete.
Anni: Ich habe auch mit viel mehr Gegenwind gerechnet. Das Internet kann grausam sein, aber ich denke, dass Authentizität ganz entscheidend ist. Wir zwingen ja niemandem etwas auf. Wir vertreten Standpunkte, von denen wir von tiefstem Herzen überzeugt sind. Wir erzählen von dem, was für unsere Ehe wichtig ist, um sie glücklich zu führen. Für uns ist der Glaube sehr zentral. Ohne den Glauben könnte die Ehe für uns nicht funktionieren.

Ihr sagt in dem Video auch, dass das Gebet ein großer Faktor ist, wenn ihr Streit habt. Inwiefern ist das so?
Gunnar:
Wenn ich mich über etwas aufrege, ist das oft der Standardspruch von Anni: „Komm, geh jetzt was essen und dann gehst du beten.“ Da muss es gar nicht mal um Streit zwischen uns beiden gehen. Sich mit dem zu unterhalten, der es in der Hand hat, ist tatsächlich der erste Schritt. Dabei kann ich über mich selbst reflektieren und darüber, was mein Anteil an dem Streit ist. Wenn wir beide Streit haben, dann liegt es in den allerseltensten Fällen nur an einer Seite, meistens sind wir beide beteiligt. Da ist es nicht verkehrt, jemand anderes hinzuzuholen.
Anni: Das Gebet verändert die Perspektive. Es zwingt uns, eine Haltung der Demut einzunehmen und den eigenen Balken zu identifizieren. Das Gebet verbindet unglaublich. Gott ist der, der uns beide verbindet. Das ist auch der Rahmen, wo Vergebung geschehen kann. Im Streit zu beten, kostet immer viel Überwindung und trotzdem ist es sehr heilbar.

Könnt ihr miteinander beten, wenn ihr miteinander im Clinch seid?
Anni:
Ja, man muss sich wirklich überwinden, aber wenn das dann geschehen ist …
Gunnar:
Oft beten wir erst alleine … Das Ding ist ja auch: Ich kann schwer auf jemanden böse sein, für den ich bete.

Wie habt ihr für euch entdeckt, dass ihr für YouTube und Co. geeignet seid?
Gunnar:
YouTube ist das, was ich eher mache. Anni ist im künstlerischen Bereich unterwegs. Das finde ich viel krasser. Ich habe schon immer viel fotografiert und konnte mich für Bild und Technik begeistern. Wir sind gerade im größten kommunikativen Umschwung seit 500 Jahren, seit Luther und dem Buchdruck. Als ich Pastor wurde, habe ich überlegt: Wie könnte ich das nutzen? Ich bin ja Dorfpastor kurz vor Dänemark. Wie kann ich Leute mit der besten Botschaft der Welt erreichen? Und da habe ich Möglichkeiten, die es vor 20 Jahren noch nicht so gegeben hat.
Anni:
Ich habe schon immer gemalt und war künstlerisch aktiv, aber dann hatte mir Gunnar zum Geburtstag eine Art-Journaling-Bibel geschenkt, also eine Bibel mit viel Platz zum Gestalten. Da kam ich auf die Idee, beides zu verbinden: das Wort Gottes und die Kunst, beziehungsweise die Kalligraphie. Als Gunnar meine Werke gesehen hat, meinte er: „Das ist schade, wenn die in der Schublade verstauben, lad deine Sachen doch einfach mal bei Instagram hoch.“ Ich habe das ausprobiert und gemerkt, auf wie viel positive Rückmeldung die Sachen stoßen. Ich merke, dass ich Menschen damit ermutige, selbst mit der Bibel künstlerisch aktiv zu werden. Daraus ist mit „Segensbringer“ ein eigener Shop entstanden. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, dass ich Bibelverse „lettere“.
Gunnar:
Wir ermutigen uns da gegenseitig. Als ich die Idee mit den Videos hatte, bin ich erst mal drei Monate schwanger damit gegangen. Mit meinen ersten Videos war ich nicht glücklich. Irgendwie hat das nicht gepasst. Bis Anni mir sagte: „Das nächste, das du drehst, das veröffentlichst du auch.“ Anni sieht mehr in mir als ich in mir selbst, und manchmal auch andersherum.
Anni:
Wir haben einfach mal losgelegt und gemerkt, dass Menschen das interessiert. Das gibt einem enormen Rückenwind. Ich glaube auch, dass Gott uns nutzen möchte.

Wen erreicht ihr mit euren Internetgeschichten? Geht das über die christliche Blase hinaus?
Anni:
Ich würde sagen, man erreicht echt viele Menschen, die enttäuscht von Gott sind, sich aber weiterhin auf die Suche machen. Beim „Segensbringer-Kanal“ erreiche ich sicherlich vor allem Christen.
Gunnar: Ich glaube, das hängt stark von den Inhalten ab. Wenn ich ein Video zum Markieren von Bibelversen mache, dann ist das schon eher eins für die christliche Blase. Aber ich mache auch Geschichten aus meinem Gemeindealltag. Da schreiben mir Leute dann: „Finde ich voll toll, was du da machst. So habe ich Kirche noch nie gesehen!“ Bei manchen entsteht da ein neues Interesse an der Kirche.

Kommen Leute sonntags bei dir in den Gottesdienst, die dich über deinen YouTube-Kanal kennen?
Gunnar:
Ja, das passiert. Es ist eigentlich in jedem Gottesdienst so, dass Menschen vorbeischauen, der eine oder andere bleibt dann hängen.

Wann wird es denn ein neues Video zu Ehefragen geben?
Gunnar:
Das wollen wir bald angehen, aber man merkt das auch bei diesem Gespräch, dass es da noch jemand gibt, der Aufmerksamkeit braucht. Wenn wir zwei vor der Kamera sitzen, müssen wir schauen, wie das geht. Sonst laden wir meine Mutter ein, dass sie ihn dann eine Runde mit dem Kinderwagen fährt und wir drehen Ehe Video Teil 2. Wir wollen das machen, weil das ein superwichtiges Thema ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kindern eine Sprache geben

Viele Eltern wünschten sich, ihr Baby oder Kleinkind besser verstehen zu können. Mit Zeichensprache kann das gelingen. Wie funktioniert es und warum ist es sinnvoll? Eunike Mass erzählt.

Du bist Mutter von drei Kindern und hast jedem von ihnen die Babyzeichensprache beigebracht. Wie kam es dazu?
Ich habe von einer Freundin, die es praktiziert hat, davon erfahren und fand es faszinierend. Sie hat mir daraufhin ein Buch ausgeliehen. Als ich darin blätterte und die Bilder sah, auf denen die Rückantworten der Kinder zu sehen waren, war ich schnell Feuer und Flamme dafür und wollte es unbedingt ausprobieren.

Wie hast du dir die Sprache angeeignet?
Die Zeichen sind sehr logisch, deshalb ist es sehr einfach zu lernen. Ich habe schon während der ersten Schwangerschaft geübt, aber man kann es sich auch aneignen, wenn das Kind schon da ist. Im Prinzip geht es darum, dass man in dem Moment, in dem man spricht, ein Zeichen macht. So lernt das Kind, Wörter mit Zeichen zu verbinden. Meine Kinder haben es sehr schnell gelernt.

Was waren die ersten Zeichen deiner Kinder?
Bei meinen Kindern waren am Anfang „Licht“ oder auch „Vogel“ ganz typische Zeichen. Im Alltag traten dann schnell die Zeichen für „mehr“ und „bitte“ auf, also zum Beispiel: „Kann ich bitte noch mehr haben?“ Und dann im Anschluss „satt“, was das gleiche Zeichen wie für „fertig“ ist. Man kann es generell benutzen, wenn man mit einer Sache fertig ist. „Weg“ kam auch bald – eine Sache ist verschwunden.

Konntet ihr durch die Zeichensprache auch schon Gespräche miteinander führen?
Natürlich konnten wir uns nicht fließend miteinander unterhalten, aber eben kindliche Konversation über alltägliche Dinge führen. Über die Vögel im Garten oder das Essen, über das, was die Kinder wahrgenommen haben. Wir als Eltern hatten so schon früh die Möglichkeit, darauf einzugehen und nachzuhaken. Es war einfach schön zu sehen, wie stolz und glücklich die Kinder darüber wirkten, dass sie von uns verstanden wurden.

Wo siehst du Schwachstellen dieses Konzeptes?
Es gibt Zeichen, die zwei Bedeutungen haben oder sehr ähnlich sind. Da Babys und Kleinkinder mit der Motorik noch nicht so weit sind, kann es zu Verwechslungen kommen oder man muss manchmal raten. Aber normalerweise geht die Bedeutung aus dem Kontext hervor.

Manche Eltern befürchten, dass ihr Kind durch das Erlernen der Zeichensprache später sprechen lernen könnte. Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Unsere Kinder haben mit etwa zehn Monaten die ersten Zeichen gemacht, die dann bei jedem mit spätestens eineinhalb Jahren immer mehr durch Wörter verdrängt wurden. Sie werden zudem zweisprachig erzogen, weshalb wir eigentlich erwartet hätten, dass sie später sprechen lernen würden. Haben sie aber nicht. Ich kann diese Befürchtung also nicht bestätigen und kenne auch keine Familie, die Zeichensprache anwenden, auf die das zutrifft. Aus der Sprachentwicklung weiß man, dass man schon früh mit Kindern über Alltägliches sprechen soll. Genau das tun wir mit der Zeichensprache. Mit den Zeichen geben wir ihnen ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie viel von sich preisgeben können, noch bevor sie sprechen können. Es ist wie eine Brücke zur Sprache.

Interview: Ruth Korte

„Warum sind da nackte Frauen?“

„Auf dem Rummel ist unseren Kindern (7 und 9) aufgefallen, dass an vielen Fahrgeschäften halbnackte Frauen abgebildet waren. Sie fragten, wieso die Frauen so wenig anhaben und warum es keine Männer gäbe? Wie erkläre ich das altersgerecht?“

Es ist super, dass Ihre Kinder ansprechen können, was sie irritiert und ihnen komisch erscheint. Das Schöne an dieser Frage ist, dass Sie dadurch mit Ihren Kindern ganz natürlich über die Sexualisierung unserer Gesellschaft sprechen können – ein Thema, mit dem Kinder schon früh konfrontiert werden.

Häufig kommen Kinder im jungen Teenageralter über das Smartphone ungewollt in den direkten Erstkontakt mit Nacktbildern und pornografischen Inhalten. Deswegen ist es ein wertvoller Schutz, wenn Eltern schon im Grundschulalter thematisieren, dass es solche Bilder und auch Filme gibt, wie sie darüber denken und wie Kinder damit umgehen können.

EIN GESPRÄCH IN RUHIGER MINUTE

Falls ein Kind eine solche Frage mitten im Trubel der Kirmes ausspricht, können Eltern ruhig um etwas Aufschub bitten, damit sie diese – vielleicht auch etwas überfordernde – Frage nicht in Anwesenheit anderer Zuhörer beantworten müssen. „Das ist eine wirklich gute Frage, über die ich noch etwas nachdenken möchte. Wenn wir zu Hause sind, können wir darüber reden.“ Dann sollte man das Versprechen aber auch einhalten.

In einer ruhigen Minute können Sie dann kindgemäß und möglichst sachlich erklären, dass Nacktheit für Aufmerksamkeit sorgt. Männern fällt es schnell ins Auge, wenn Frauen wenig anhaben oder aufreizend gekleidet sind. Diese Vorliebe nutzen manche Menschen, um Geld zu verdienen. „Sex sells“ ist ein Motto, das in der Werbung sehr effektiv ist, auch im Kirmesgeschäft. Die Zielgruppe dieser Art der Werbung sind vor allem Männer. Und weil Frauen sich durch Nacktbilder eher weniger ansprechen lassen, befinden sich auf den Fahrgeschäften vermutlich auch keine Bilder von Männern. Hier können Sie hinzufügen, dass es ähnliche Bilder auch auf Plakaten, in Zeitschriften oder im Internet gibt.

WERTE WEITERGEBEN

Je nach Offenheit Ihrer Kinder könnten Sie nachfragen, was sie darüber denken und wie sie diese Bilder empfinden. Überlegen Sie auch, ob Sie mit beiden Kindern gleichzeitig oder lieber einzeln sprechen wollen. Unter Umständen öffnet sich eines Ihrer Kinder mehr, wenn Bruder oder Schwester nicht mithören. Ich halte es für sehr wichtig, zu betonen, dass Nacktheit grundlegend nichts Negatives ist. Gott hat Männer und Frauen in ihrer Männlichkeit und Weiblichkeit geschaffen. Und es war seine Idee, dass sich erwachsene Menschen anziehend finden. Gleichzeitig ist Nacktheit aber auch etwas sehr Persönliches und Schützenswertes. Sie könnten Ihre Kinder fragen, ob sie es gut fänden, wenn sie jeder nackt sehen würde. So kann man gut thematisieren, dass Nacktheit in manchen Situationen normal oder sogar wichtig ist, zum Beispiel im vertrauten Zuhause oder beim Arzt, in anderen aber eben auch nicht. Nutzen Sie diese Gelegenheit, und erzählen Sie in einem geschützten Rahmen, wie Sie das empfinden und geben Sie Ihre Werte kurz und knackig mit, ohne lange Vorträge zu halten.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. www.sonja-brocksieper.de
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com