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Einfach mal offline: Warum wir digitalfreie Zeiten brauchen

Die digitale Technologie durchdringt unseren Alltag und bringt viele Vorteile mit sich – aber auch große Herausforderungen. Eine Expertin erklärt, warum regelmäßige digitale Pausen nötig sind.

Frau Miller, sie sind Expertin für digitale Achtsamkeit. In ihrem Buch „Verbunden“ schreiben sie, dass digitale Achtsamkeit eine der großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts ist. Was meinen sie damit?

Es geht nicht rein um die Frage der Technologie, sondern darum, wie wir als Menschen mit immer digitaleren Prozessen und dem Eindringen vom Digitalen in all unsere Lebens- und Beziehungsbereiche umgehen wollen. Ich glaube, dass es eine sehr große Herausforderung sein wird, da moralische und ethische Grenzen und Möglichkeiten herauszuarbeiten. Wie wollen wir leben, wie wollen wir Beziehungen führen und wie wollen wir die Digitalisierung wieder so aktiv in die Hand nehmen, dass sie uns in unseren menschlichen Herausforderungen nützt, statt uns zu schaden?

Mittlerweile ist es bei vielen Menschen normal, dass sie morgens als Erstes und abends als Letztes zum Handy greifen. Wieso ist das problematisch?

Es ist nicht nur problematisch: Wenn wir morgens ans Handy gehen, sind wir ja viel schneller wach. Das hat auch damit zu tun, dass die vielen Informationen unser Nervensystem aktivieren und uns dann leichter wecken. Gleichzeitig ist genau das das Problem: Statt uns erst einmal im Dämmerzustand zu sammeln und zu überlegen, was ich mit diesem Tag machen will, statt sich Zeit und Raum für sich und andere zu lassen, wird man mit vielen Dingen konfrontiert, die nicht im unmittelbaren Lebensbereich stattfinden. Das ist eine der Hauptschwierigkeiten der Digitalisierung: Dass wir überall immer Zugriff auf die ganze Welt haben und viele Informationen in unsere Lebensrealität, in unsere Körper, in unsere Seelen eindringen. Das macht etwas mit unserem Nervensystem, mit unserem Selbstwert, mit unseren emotionalen, seelischen und geistigen Ressourcen. Wir müssen einen Sinn für die eigene Kompetenz haben, für einen gewissen Radius der Kontrolle. Das digitale Dauerrauschen führt zu einer emotionalen und seelischen Nervosität. Wenn dann noch eine 50-Stunden-Woche dazukommt und zwei Kinder und man noch einkaufen muss und schlecht geschlafen hat, ist es eine weitere Dauerstressquelle.

Das heißt, wir brauchen grundsätzlich Pausen von digitalen Reizen?

Ja. Wir brauchen nach einer Aktivierung des Nervensystems auch wieder eine Beruhigung, sonst sind wir in einem chronischen Stresszustand. Das macht uns krank und anfällig für psychische Krankheiten.

Und wie verändern sich Beziehungen durch digitale Medien?

Auf der einen Seite sind sie für viele Menschen ein Tor zur Welt und zu anderen Menschen. Beziehungsherstellung im digitalen Raum kann sehr inspirierend sein. Wichtig ist aber, dass es nicht beim Digitalen bleibt. Der Mensch ist ein körperliches Wesen und braucht den dreidimensionalen Raum, um Beziehungen auf allen Ebenen und mit allen Sinnen zu erfahren. Für zwischenmenschliche tiefe Beziehungen ist Präsenz wichtig, das Vermitteln: Ich bin jetzt ganz bei dir und emotional verfügbar für dich. Das spürt das Gegenüber. Das digitale Dauerrauschen reißt viele im Minutentakt aus der Situation und aus der Beziehung heraus. Man kann digitale Kontakte pflegen, aber es ist auch wichtig, immer wieder in sich hineinzuhören: Ist das jetzt befriedigend? Reicht mir dieser digitale Kontakt? Wie möchte ich überhaupt mit Menschen interagieren?

Sollte man Social Media also insgesamt wohldosiert verwenden?

Es gibt ein paar Elemente von Bildschirmkonsum, auf die man achten kann, zum Beispiel Qualität versus Quantität: Wie qualitativ hochwertig ist das, was ich digital konsumiere? Wie lange konsumiere ich das? Und wie oft lasse ich mich unterbrechen? Es ist etwas anderes, wenn ich einmal am Tag eine halbe Stunde auf Instagram gehe oder wenn ich alle Push-Notifications anhabe und alle fünf Minuten nachschaue, ob ich noch ein Like gekriegt hab. Die andere Frage ist ja: Was haben wir in dieser Zeit nicht gemacht? Man ist jetzt im Schnitt mittlerweile fünf Jahre seines Lebens auf Social Media. Wenn du die Antwort für dich finden kannst, dass du eine aktive, beteiligte Person warst, Sachen gepostet und das gemäß deinen Werten und Wünschen für dich gemacht hast, dann wäre das kein Thema. Aber viele Menschen merken ja: Da ist so ein Zwang dahinter. Ich bin viel länger online, als ich will. Und irgendwann bist du müde und hast wenig Energie und Ressourcen übrig für andere Dinge, die dir wichtig wären.

Eine aktuelle Postbank-Studie hat ergeben, dass 41 Prozent der 18- bis 39-jährigen Deutschen weniger Zeit auf Social Media verbringen wollen. Was würden sie ihnen raten?

Überlege dir: Was mache ich stattdessen? Wenn ich abends nach Hause komme und mir vorher schon überlegt habe, dass ich ein Buch lesen möchte oder zusammen mit Freunden kochen will, dann habe ich eine proaktive Antwort darauf, was ich mit meiner Zeit eigentlich anfangen möchte. Aber: Das Digitale übt oft einen viel stärkeren Sog aus. Lesen zum Beispiel stimuliert das Nervensystem und das Gehirn viel weniger als ein YouTube-Video. Das sollte man sich bewusst machen: Die „langweiligeren“ Aktivitäten, die mir aber guttun, weil sie mein Nervensystem beruhigen, sind schwieriger, wenn wir schon total aufgeputscht nach Hause kommen. Deswegen lohnt es sich, diese Aktivitäten auf den Morgen zu verschieben. Damit anzufangen: weniger digitale Inputs, die erste Stunde des Tages digitalfrei, einen analogen Wecker kaufen und in Ruhe starten und sich daran gewöhnen, dass die Welt sich weiterdreht, auch wenn ich den Flugmodus erst um 8:30 Uhr rausnehme. Und diese Zeiträume, wo wir panisch online immer wieder checken, was passiert ist, nach und nach wieder ausdehnen und ohne Handy einkaufen oder spazieren gehen und mal fühlen, dass das wahnsinnig entlastend ist. Also: Handy vom Körper weg. Handy aus den Räumen weg. Ein weiterer Punkt: Viele Leute gehen zum Beispiel abends mit Freunden essen, aber im Büro war noch nicht klar, ob da noch eine Deadline ist, und mit dem Partner hat man noch nicht vereinbart, ob man sich morgen sieht. Da sind noch viele offene Punkte. Natürlich kann ich mich digital nicht abgrenzen, wenn ich Leerbereiche habe, weil das emotional verunsichernd ist.

Eltern machen mit dem Smartphone gern Fotos und Videos von ihren Kindern. Warum sollten sie vorsichtig damit sein?

Weil das Kind lernt, dass es auf diese Weise Lob und Anerkennung kriegt. Das ist das Problem unserer Zeit, wir konditionieren uns ja als Erwachsene auch dazu. Das Kind hat ein Recht auf Privatsphäre und darauf, nicht in einem öffentlichen Zusammenhang Dinge zu erleben. Deswegen finde ich auch Videos von Kleinkindern im Netz problematisch.

Wieso sollten Kinder lieber analog als digital spielen?

Weil das echte Leben ein bisschen dreckiger und chaotischer ist. Im echten Leben funktionieren Leute nicht wie Roboter. Beim Spielen kann es sein, dass der Lukas dir an deinen Haaren rumzieht und du dann ein ganz anderes Problem zu lösen hast. Das ist das, was das Leben ausmacht und dir soziale und emotionale Kompetenz und Emotionsregulation beibringt. Das Kind erfährt im dreidimensionalen Raum und über den Körper, über Lernen am Modell der Eltern und Erziehungsberechtigten. Das ist ein viel komplexeres Ding, als vorm Bildschirm zu sitzen und fünf Knöpfe zu drücken. Das heißt nicht, dass man das nicht auch mal machen kann, aber das sollte nicht tägliche Routine sein.

Was würden sie Eltern sagen, die Angst haben, dass ihre Kinder später digital abgehängt werden?

Das stimmt einfach nicht. Auf einem iPad drückt ein Siebenjähriger eine halbe Stunde rum, dann hat er das begriffen! Das ist nicht das gleiche wie laufen lernen, wo man anderthalb Jahre üben muss. Die Welt ist so digital, da kommt man sowieso nicht dran vorbei, da muss keine Frühförderung betrieben werden. Es ist viel wichtiger, die digitalen Prozesse proaktiv zu begleiten. Da geht es um emotionale und soziale Kompetenz, um Fragen wie: Wo kann dieses Foto hin? Wie gehe ich im digitalen Raum mit Menschen um? Das hat nicht nur mit den Kindern zu tun, da müssen sich auch viele Eltern und die Schule regulieren.

Welche Anregungen würden sie Eltern mitgeben, um ihren Kindern digitale Achtsamkeit zu ermöglichen?

Erstens: gemeinsame, digitalfreie Zeiten. Zweitens: Wie kann ich proaktiv vormachen, dass das Handy nicht meinen Alltag bestimmt? Zum Beispiel, indem man als Familie einen Ort definiert, wo die digitalen Geräte liegen bleiben können. Und das Dritte ist, sich dafür zu engagieren, dass sich das System ändert. Die 365 Nachrichten im Klassenchat über Mittag belasten das Kind. Es ist völlig logisch, dass ein 8-Jähriger oder ein 12-Jähriger genau das Gleiche machen will wie seine Peers – der hat keinen Bock, der Einzige ohne Handy zu sein. Da kann man mit der Schule und politisch und gesellschaftlich das Gespräch suchen, einen Schüler- oder Elternrat gründen und sich da engagieren.

Was wünschen sie sich für unsere digitalisierte Gesellschaft in der Zukunft?

Ich wünsche mir als Allererstes, dass die Leute merken: Die Digitalisierung hat mit jedem Einzelnen was zu tun! Das ist eine Bürgerfrage und eine politische Frage, nämlich, welche menschlichen Werte in Zukunft überhaupt noch geschützt werden und von wem und wie. Da muss man auch nichts verstehen von Digitalisierung, sondern davon, wie man leben will. Wir müssen uns alle für nachhaltige Digitalisierung engagieren, um tatsächlich die Menschenwürde aufrechtzuerhalten. Das ist nicht einfach ein bisschen Candy Crush. Das ist wie der Klimawandel und Gleichstellung! Wir müssen anfangen, den digitalen Raum würdevoll zu gestalten, Menschen zu schützen und das Positive zu stärken. Da braucht es jeden – nicht einfach ein paar Leute, die nicht ins Internet gehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Diana Heidemann.

Anna Miller hat einen Master-Abschluss in Positiver Psychologie und ist Autorin und Expertin für digitale Achtsamkeit.

Stress vor Weihnachten: Wenn im Advent der Burnout brennt

Der „besinnliche“ Advent ist die stressigste Zeit des Jahres. Das belastet auch die Paarbeziehung. Paartherapeutin Ira Schneider erklärt, was die Adventszeit retten kann.

Der Dezember ist angebrochen: Hiermit heiße ich euch Herzlich Willkommen in dem wohl stressigsten Monat des Jahres! Gleichzeitig ist es ein Monat, der besinnlich, kuschelig, ruhig und gemütlich sein soll. So richtig passt dieses Bild eines entschleunigten Ruhemomentes nicht zu dem von außen geforderten Marathon. Nicht zuletzt ist der Dezember der Monat, der gesellschaftlich den höchsten Anspruch hat, „perfekt“ zu werden. Ein Monat, der voller Erwartungen steckt. So können wir in diesem Sinne alle ein altbekanntes Lied umdichten: Statt „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt“ heißt es dann „Advent, Advent, unsere Energie brennt aus!“ Es ist ein Monat, der nicht nur Energie bindet, sondern diese auch Paaren regelrecht raubt.

Nicht mit mir!

Eigentlich soll der Monat doch besinnlich und fast schon magisch sein. Das Essen muss schmecken. Die Deko muss stehen. Die Geschenke sollen gefälligst gefallen. Kein Wunder, dass sich viele Paare im Dezember zerreißen. Im Job müssen sie Jahresabschlüsse durchpeitschen, für die Kinder werden Adventskalender gebastelt, Festlichkeiten werden organisiert, Päckchen verschickt, Wohltätigkeitsorganisationen unterstützt und Termine und Adventsfeiern werden auch noch im Wochenkalender untergebracht.

Es gäbe sicherlich zahlreiche Tipps, was Paare tun oder lassen könnten. Ganze Listen darüber ließen sich niederschreiben. Am besten schreibe ich eine neue Liste: mit Not-To-Dos, also, was man alles lassen sollte. Wenn das eure Hoffnung war, kurze und schnelle Tipps für den Advent zu erhalten, dann muss ich euch leider enttäuschen. Aber was ich euch entgegenwerfen kann, ist hoffentlich eine warme Woge der Entlastung. Zwei Dinge sind während des Dezembers wahr: Egal, wie ihr den Dezember dreht und wendet. Er bleibt wohl oder übel immer etwas knackig. Was aber auch wahr ist: Ihr dürft neue Grenzen setzen.

Tradition im Advent: Stress

Starten wir mit dem ersten Teil der Wahrheit. Es ist in Ordnung, wenn euch dieser Monat stresst. Ihr dürft gestresst sein. Ihr müsst nicht auch noch das nicht-gestresst sein leisten. Es ist ok, wenn ihr euch zwischen Stille und Eile nicht entscheiden könnt. Es ist ok, wenn ihr euch rastlos und überfordert fühlt. Euer Zeitmanagement ist nicht schuld daran. Euer Abwägen, euer Zusagen und euer Absagen sind nicht der Knackpunkt. Wie wir Weihnachten feiern, ist ein strukturelles Problem. Eins, das sich zutiefst in unsere Gesellschaft hineintradiert hat. In diesem Monat zahlt nicht nur unser Portemonnaie einen hohen Preis, auch unser Nervenkostüm wird auf die Probe gestellt.

Wenn Paare sich diesen Ist-Zustand gewähren, weicht der der Druck möglichst, „entspannt sein zu müssen“. Ohne Druck möchte ich euch behutsam zusprechen, dass es kein „Ihr müsst kürzertreten“ sein muss. Es ist vielmehr ein „Ihr dürft kürzertreten“. Wie oft verwehren Paare sich selbst ihre eigentlichen Bedürfnisse, weil der Druck von außen so hoch ist. Ihnen fehlt nachvollziehbarerweise eine gewisse innere Erlaubnis.

Zuviel

Der zweite Teil der Wahrheit, verkennt den ersten Teil nicht, aber er macht euch Mut eigene Wege zu gestalten und Grenzen zu setzen. Daher dürft ihr beides: Zum einem vollkommen gestresst sein und euch der Akzeptanz hingeben, dass der Dezember ein besonderer Monat ist und bleibt. Ende. Ihr dürft aber auch das Nein-Sagen und Absagen ausprobieren, wenn ihr beispielsweise bestimmte Konstellationen bei Zusammenkünften vermeidet, weil sie euch zu viel sind. Oder ihr dürft Feierlichkeiten früher verlassen. Ihr dürft kürzertreten, wenn es um Weihnachtsgeschenke geht. Ihr dürft Weihnachtspost weglassen, wenn sie euch zu viel wird. Ihr dürft all das, was euch zu viel ist wahrnehmen und dürft euch selbst begrenzen.

Auch wenn die Harmonie rund um die Festlichkeiten euch hoch oben auf der Agenda schweigend anschreit, ist es okay, wenn ihr für euch als Paar sorgt. Not-To-Do-Listen umzusetzen oder grundsätzlich Grenzen rundum die Feiertage zu setzen, kann im ersten Moment eine unliebsame Aufgabe sein. Abgrenzung kann durch Unverständnis im Außen Spannungen erzeugen. Das heißt: Es müssen die Folgen der eigenen Grenzen ausgehalten werden oder sie müssen zumindest aushaltbar sein. Es ist eine besondere Herausforderung für Paare, für sich selbst und für sich als Familie zu entscheiden und folglich auszuhalten, dass Erwartungen enttäuscht werden. Doch nur enttäuschte Erwartung haben die Chance in gedämpfter und weniger fordernder Kleidung im kommenden Jahr wieder anzuklopfen. Es hilft. Denn dann werden aus überhöhten Anforderungen vielleicht realistische Erwartungen. Das kann entlasten!

Ira Schneider ist Paartherapeutin und Autorin. Mehr unter: @ira.schneider_

„Sie reißt sich die Haare aus“

„Unsere Tochter (3) rupft sich, schon seit sie ein Jahr alt ist, die Haare. Wir haben gehofft, dass es mit der Zeit verschwindet, und ihr immer wieder die Haare geschnitten, aber es hilft nichts. Wir sind verzweifelt. Was können wir tun?“

Ihre Verzweiflung und Sorgen um Ihre Tochter sind sehr verständlich – gut, dass Sie sich hierbei nun Rat und Unterstützung holen! Das Verhalten zeigt sich bereits eine Weile und deutet auf ein gefestigtes Muster hin, das sich trotz Ihrer Bemühungen nicht auflöst.

Was ist Trichotillomanie?

Möglicherweise handelt es sich um Trichotillomanie, das zwanghafte Ausreißen von Haaren. Es kann sich bei Erwachsenen und auch bereits im Kindesalter entwickeln und chronifizieren. Betroffene können dem Impuls des Haarereißens nicht widerstehen. Häufig besteht ein Zusammenhang mit Anspannung und innerer Unruhe. Dem Haarereißen folgt ein Gefühl von Spannungsabbau. Es wird als lustvoll und entspannend erlebt und führt zu kurzfristiger Beruhigung, bis es bei erneuter Anspannung zu einem wiederholten Impuls kommt.

Stress kann eine Ursache sein

Bei Babys und Kleinkindern ist das Motiv für ihr Verhalten schwerer zu ergründen, da wir sie nicht fragen können. Was vielleicht anfangs als beruhigende Geste (wie Daumenlutschen) begann, kann sich zu einer festen Strategie entwickelt haben, die allein nur schwer zu durchbrechen ist. Vielleicht hilft sie unbewusst im Umgang mit besonderen Herausforderungen (Stress, Veränderungen, Konflikte). Sie kann für den Moment zwar ihren individuellen Zweck erfüllen, jedoch langfristig zu einem erheblichen Leidensdruck führen.

Wir Erwachsenen werden dadurch für diese Herausforderungen sensibilisiert, und es bietet sich die Chance, darauf zu reagieren. Wertvoll kann dann die Überlegung sein: Was könnte mein Kind mir sagen wollen? Spürt es etwas und bringt es zum Ausdruck, was ich noch nicht bemerkt habe? Diese Fragen sind manchmal unangenehm bis schmerzhaft, sollten uns aber nicht vergessen lassen: Konflikte oder Probleme finden immer ihre Wege. Es hilft, bewusst mit ihnen umzugehen und ihre Wege mitzugestalten.

Die gesamte Familie im Blick behalten

In Ihrem Fall bedarf es einer sorgfältigen medizinischen und psychologischen Abklärung durch Spezialisten für das jeweilige Kindesalter. Wenden Sie sich offen an Ihren Kinderarzt hinsichtlich kindertherapeutischer Unterstützung. Tauschen Sie sich mit anderen Eltern bezüglich Ihrer Sorgen aus. Diese haben eventuell ähnliche Erfahrungen und können Empfehlungen aussprechen.

Beobachten Sie wertschätzend, was die Situation mit Ihnen selbst macht und was Sie daraus lernen können. Richten Sie den Fokus auch auf das Familiensystem und die aktuelle Lebenssituation: Gibt es Zusammenhänge mit anderen Familienmitgliedern? Gab es in der Familienhistorie schon eine ähnliche Thematik? Wie hoch ist das Stresslevel in der Familie? Sind ausreichende Entspannungszeiten für alle Mitglieder vorhanden? Und wichtig, neben der Unterstützung von außen: Vertrauen Sie bei all den Herausforderungen in Ihre Kompetenz als Eltern für Ihre Tochter, auf Ihr Gespür für die Zeichen und Bedürfnisse Ihres Kindes!

Mara Pelt ist Psychologin M.Sc., Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin i.A., Systemische Beraterin und Familientherapeutin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. 

Psychologe warnt vor Bullerbü-Komplex: „Eltern scheitern grandios an einem Idealbild“

Viele Familien sehnen sich nach einer heilen Welt wie der in Astrid Lindgrens Kinderbuch „Wir Kinder aus Bullerbü“. Psychologe und Buchautor Lars Mandelkow sieht darin eine Gefahr.

Was ist so schlimm an Bullerbü?
An Bullerbü ist erst mal gar nichts schlimm. Das ist ein wunderbares Kinderbuch. Ich habe es geliebt und meinen eigenen Kindern vorgelesen. Bedenklich ist allerdings, dass dieses Bullerbü-Bild bei vielen jungen Familien ein Idealbild geworden ist, dem manche hinterherstreben und dann grandios daran scheitern. Denn in unserer wirklichen Welt kann es nie so sein wie in Bullerbü. Ich kenne viele Familien, die versuchen, so einen pastellfarbenen Alltag hinzukriegen. Im rauen Alltag mit Schulterminen, Leistungsdruck etc. schaffen sie es aber nicht. Und meinen dann, sie hätten etwas falsch gemacht. Das ist schlimm an Bullerbü. Also nicht Bullerbü selbst, sondern die Art, wie es mehr oder weniger unbewusst instrumentalisiert wird.

Was sind denn Aspekte von Bullerbü, die Eltern gern in ihren Alltag integrieren würden?
Bullerbü ist die klassische heile Welt – diese drei Höfe, die in unberührter Natur in Schweden liegen. Es gibt keinen Arbeitsplatz, der weit entfernt ist. Alles ist zu Fuß zu erreichen. Die Kinder haben nichts weiter zu tun, als den ganzen Tag zu spielen. Und die Eltern bilden eine sanft lächelnde Kulisse. Alles ist ruhig und übersichtlich. Es gibt ein paar schöne Familienrituale, aber keine großen Konflikte. Es gibt nur wenig Beispiele von echten Problemen. Selbst der Tod und das Alter werden friedlich beschrieben. Es ist eine heile Welt. Auf ganz vielen Ebenen ist sie heil. Und das macht diese große Sehnsucht aus. Deshalb ist das so ein starkes Bild, weil sich viele Leute nach einer heilen Welt sehnen, sie aber nicht erleben.

Kinder brauchen entspannte Eltern

Sie fordern in Ihrem Buch „Der Bullerbü-Komplex“ Eltern auf, es „gut sein zu lassen“, und betonen, dass es reicht, „gut genug“ zu sein. Aber woher weiß ich, wann dieser Punkt erreicht ist?
Wenn man sich an dem Besten orientiert, ist es klar: Dann geht es immer aufwärts, immer das nächstbeste ist das Ziel. Sich an dem zu orientieren, das gut genug ist, ist eine Kunst. Sich mit etwas Durchschnittlichem nicht nur zu arrangieren, sondern es sogar besser zu finden als das ständige Streben nach dem Besseren – das ist eher ein Lebensraum als ein Zielpunkt. Wann kann ich beginnen, zufrieden zu sein? Wann habe ich das letzte Mal meine Kinder dafür gefeiert, dass sie eine Drei nach Hause gebracht haben? Wann habe ich mich selbst dafür gefeiert, dass mir eine Aufgabe „ganz gut“ gelungen ist? Und nicht „ganz großartig“? Es ist eine Haltungsübungssache, nicht immer nach oben zu gucken.

Was ist das Allerwichtigste in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern?
Wenn ich meine Kinder angucke und sie in meinem Blick Entspannung sehen, dann ist ganz viel erreicht. Wenn Kinder Eltern erleben, die entspannt sind mit sich selbst, mit der Familie, mit den Erwartungen, dann ist das etwas Zentrales. Wenn nicht dauernd die Unzufriedenheit im Vordergrund steht: „Hast du schon …? Bist du sicher, dass du nicht noch …?“ Wenn Unzufriedenheit und Unvollkommenheit immer im Fokus sind, kann das ein Gift sein in der Beziehung. Entspannte Eltern – das ist das, was Kinder am meisten brauchen.

Ist die Liebe sichtbar?

Es passiert aber wohl allen Eltern, dass sie mal die Beherrschung verlieren und ihr Kind anschreien.
Natürlich passiert es, dass Eltern ihre Kinder anschreien. Da muss man sich fragen, ob es das Grundmuster der Beziehung ist oder die Ausnahme. In den meisten Fällen ist es die Ausnahme, und Kinder können das durchaus wechseln. Es ist sogar gesund, wenn Kinder erleben, dass Mama oder Papa mal einen schlechten Tag haben. Wenn man sich fragt: Erleben meine Kinder eigentlich grundsätzlich, dass sie geliebt sind? Nicht 100 Prozent jeden Tag, aber regelmäßig, immer wieder an den meisten Tagen. Wenn man sie fragen würde: Lieben Papa und Mama dich? Und sie würden sagen: Ja. – Dann ist das gut genug. Es kommt auf den Grundton an. Ausnahmen sind normal. Wenn man sich diese Ausnahmen nicht gestattet als Eltern, kommt man schnell in die Überforderung. Ich habe den Eindruck, dass manche Eltern glauben, dass das nicht gestattet ist, weil sofort die psychische Krankheit der Kinder folgt oder ein Entwicklungsschaden.

Eltern haben in der Tat Angst, ihre Kinder könnten psychische Schäden davontragen, wenn sie etwas falsch machen oder dem Kind zu wenig Zuwendung geben. Sie schreiben in Ihrem Buch: „Es ist nicht der Mangel an Zuwendung, der Kinder krank macht. Es ist der absolute Mangel.“ Aber wie kommt es dann, dass Jugendliche psychisch krank werden, die aus Familien kommen, in denen es eine gute Beziehung und Zuwendung gibt?
Ich finde diese Frage ganz wunderbar – nur falsch gestellt. Wenn Sie die Frage so stellen, klingt es so, als wäre die Ursache für psychische Schwierigkeiten von Kindern als Allererstes in der Familie zu suchen. Die Frage, so wie Sie sie stellen, stellen sich viele Eltern auch und denken sofort: „Ich bin schuld. Ich habe irgendwas nicht gut genug gemacht.“ Meistens gibt es aber eine gute Beziehung zwischen Kindern und Eltern. Also kann es nicht daran liegen. Psychische Schwierigkeiten treten mit normalen Schwankungen überall auf, ganz unabhängig von der Familie. Vor allem aber glaube ich, dass viel mehr Ursachen für psychisches Ungleichgewicht aus der Umgebung der Kinder kommen: aus den Medien, aus der Schule, aus anderen Erwartungen, die um die Familie herum zu suchen sind. Und die Eltern, die eigentlich eine gute Beziehung zu den Kindern haben, könnten viel Gutes tun, wenn sie diese gute Beziehung selbstbewusst leben und in den Vordergrund stellen: „Wir haben es gut zusammen, bei mir kannst du einen sicheren Hafen finden.“

Gnade ist das Zentrum

Im dritten Teil Ihres Buches stellen Sie den Begriff der Gnade in den Mittelpunkt. Warum?
Zum einen ist der Begriff Gnade das Zentrum meines christlichen Glaubens. Es ist eine Aufgabe, mit mir selbst gnädig zu sein. Die Aufgabe, miteinander gnädig zu sein. Je mehr Gnade, desto besser. Und nicht: Je mehr Bullerbü, desto besser. Wir brauchen keine heile Welt, sondern in der Welt, in der wir leben, brauchen wir die Gnade als tragenden Grund. Und der ist uns geschenkt. Der andere Grund, warum mir das wichtig war in meinem Buch: Ich dachte, es ist zu wenig, nur das Problem zu beschreiben und zu versuchen, eine Lösung zu skizzieren. Denn es braucht ja auch einen Grund, auf dem das Ganze steht. Man braucht einen Ausgangspunkt für diese ganzen Gedanken.

Wie kann Gnade in der Familie praktisch gelebt werden?
Gerade in Momenten, wo der Druck steigt oder sich das Leben schwierig anfühlt, kann man sich angucken, was Gnade bedeutet: Wenn die Kinder mir als Gnadengabe geschenkt sind, was bedeutet das für meine Beziehung zu ihnen? Wie wäre ich als Vater, wenn ich ein gnädiger Vater wäre? Wie wäre ich als Ehemann, wenn ich Gnade wichtig finden würde? Oft hat das mit Geduld, mit Vergebung und mit Humor zu tun. Wenn ich merke, ich schaffe es nicht, alle Erwartungen zu erfüllen, dann kann ich mich in schlechtem Gewissen versenken oder ich kann die Gnade greifen und sagen: Ich bin, wie ich bin. Gnade bedeutet, dass ich so sein darf. Das ist ein Ausgangspunkt dafür, den nächsten Tag anders zu gestalten, ein bisschen freundlicher mit mir selbst und anderen zu sein.

Das Interview führte Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT.

Deutsche Familie in Südafrika: Treffen waren im Lockdown nur im Geheimen möglich

Familie Nellessen gehört in Afrika zu den Privilegierten. Der Lockdown bedeutete für sie trotzdem einen Einschnitt. Mutter Britta erzählt von heimlichen Kaffeekränzchen – und der Armut vor der Haustüre.

Die afrikanische Sonne scheint mir ins Gesicht, während ich mit meiner Freundin Andi auf dem Parkplatz vor dem großen Shoppingcenter stehe. Heimlich natürlich, versteckt zwischen unseren beiden Autos, am Rand des großen Parkplatzes. Private Treffen sind in Südafrika immer noch verboten [Stand Mai, Anm. d. Red.], wir zählen Woche sieben des nationalen Lockdowns, der hier deutlich strenger ausfällt als etwa in Deutschland. Die ersten fünf Wochen durften wir noch nicht einmal unser Grundstück verlassen, außer zum gelegentlichen Einkaufen mit Maske. Keine Freunde treffen, nicht einmal zu zweit spazieren gehen, ach was … gar nicht spazieren gehen!

Alles spielt sich nur in und um die eigenen vier Wände ab. Immer mit den gleichen Menschen, der lieben Familie, den wohlerzogenen Kindern und dem perfekten Ehemann. Full House. Großes Haus, großer Garten, beheizter Pool, was will man mehr. Ach ja, und ein volles Portemonnaie natürlich, wenn die Vorräte ausgehen, kauft man halt was nach. Alles kein Problem. Für uns.

Nicht für die Isolation gemacht

So, und da bin ich also, auf dem Parkplatz mit meiner Freundin, schlürfe meinen Kaffee und drücke mich schön unauffällig gegen meine Fahrertür. Heute musste ich eigentlich gar nichts einkaufen. Bin aber trotzdem hier. Ich musste einfach mal raus zu Hause, raus aus den vier Wänden, mal jemanden live und in Farbe sehen, auch mal jemanden in den Arm nehmen. Habe ich gestern übrigens auch schon gemacht mit meiner Freundin Sue. Sue lässt einen Tag später dann, trotz Corona-Krise, ihre Hüfte operieren und ist innerlich unruhig. Meine Güte, der Mensch braucht das doch, dass ihn mal jemand in den Arm nimmt, mal die Tränen abwischt und man sich mal ohne Maske ins Gesicht schaut. Das zweite Mal flossen die Tränen, als wir zusammen gebetet haben, da auf dem Parkplatz zwischen den Autos, als wir gemeinsam diese OP in einer total verrückten Zeit Gott anbefohlen haben. Ich bin nicht für die Isolation gemacht, schluchzte Sabine bereits letzte Woche, am selben Ort.

Eine sechsköpfige Familie lächelt in die Kamera.

Familie Nellessen, Foto: Privat

Ich frage mich, ob die Parkplatzwächter mich unterdessen wiedererkennen. Sagen tun sie nichts … Ich gebe immer ordentlich Trinkgeld, vielleicht liegt es daran. Parkplatzwächter? Ja, die gibt es hier überall in Südafrika vor den Supermärkten. Sie bewachen nicht nur aus Sicherheitsgründen den Parkplatz, sondern helfen mir auch beim Einkaufswagenschieben, beim Einladen ins Auto und beim Ausparken, selbst wenn links und rechts alles frei ist. Sie sind ausgesprochen höflich, grüßen mich mit „Hello Mami“ und ernähren ihre Familie mit dem Trinkgeld, dass ich ihnen dann gebe.

Kein Homeschooling in Blechhütten

Seit dem Lockdown vor sieben Wochen ist das natürlich komplett weggefallen. Genauso wie für sämtliche Straßenverkäufer, die Obst, Telefonkabel oder Sonnenbrillen an der Ampel anbieten. Die Damen, die Maiskolben über einem Feuer in der Blechtonne rösten, die Jungs, die an der Ampel meine Windschutzscheibe putzen wollen oder mit einer großen Mülltüte bewaffnet die Hände aneinanderlegen und darum betteln, mir gegen Kleingeld meinen Müll aus dem Auto abnehmen zu dürfen – sie alle haben seit nunmehr sieben Wochen so gut wie nichts, kein Einkommen, nichts von der Hand in den Mund, nichts für ihre Kinder, nichts für sich selbst. In den Townships kontrolliert das Militär die Ausgangssperre und greift mit Härte und Gewalt durch, damit die große Masse versteht, dass es ernst ist. Menschen sterben an der Gewalt. Das Elend wächst. Kein Sozialstaat fängt hier auf. In den vollen Blechhütten findet auch kein Homeschooling statt – wie auch, wenn man keinen Internetzugang hat. Und wo das Essen knapp wird, da bleibt für Datenpakete kein Geld übrig …

Der Mensch lebt auch vom Brot

So langsam füllen sich Johannesburgs Straßen wieder, nicht, weil es große Lockerungen gegeben hätte, nein. Die Menschen können nicht mehr. Der Präsident hat zwar kleinere Hilfspakete versprochen – wir reden hier über umgerechnet 20 Euro pro Person pro Monat –, aber auf dem Weg zu meinem Shoppingcenter stehen die Menschen wieder an den Ampeln und am Straßenrand und betteln, knien nieder, führen ihre Hand zum Mund, als würden sie essen, falten ihre Hände und schauen flehentlich über ihre Maske. Mir bricht es das Herz, aber es sind einfach zu viele. Dem ein oder anderen reiche ich etwas aus dem Fenster, für die anderen hoffe ich, dass andere dasselbe tun.

„Ich bin nicht für die Isolation gemacht“, hat Sue gesagt. Wie wahr, wer ist das schon? Andi hatte vorgestern ihren ersten richtigen Durchhänger. Wir leben alle in der Ungewissheit, auch in der Uninformiertheit, in der Isolation, sehnen uns nach Kontakten, Gesprächen und Nähe. Der Mensch lebt eben nicht nur von Brot allein. Aber eben auch von Brot. Und das haben viele Menschen hier nun mal nicht.

Keine Supermutti

Ich fühle mich hin- und hergerissen, voller eigener innerer Gegensätze. Ich weiß genau, wie gut wir es als Familie haben, hier in der Sicherheit unserer bewachten Wohnanlage, mit dem gefüllten Kühlschrank und dem sicheren Arbeitsplatz meines Mannes. Im Angesicht der Lebenssituation anderer müsste mir eigentlich jede Klage im Halse stecken bleiben. Tut sie aber nicht. Manches kommt raus. Zu viel? Ich bin schließlich keine Supermutter, die jeden Tag aufs Neue voller Elan und Energie ihre vier Kinder beschult, das Haus putzt, weil sie so dankbar für ihr schönes Zuhause ist, und voller Überzeugung täglich stundenlang gesundes Essen kocht. Supermutti hat auch ihre persönlichen Durchhänger und Krisen, und Supermutti hat nur noch einen sehr dünnen Geduldsfaden … Und eine laute Stimme. Und Supermutti vermisst ihr Leben.

Durchhalten ist angesagt, Gegensätze aushalten. Und noch etwas zählt für mich: ausruhen bei Gott, um Kraft bitten bei Gott, um Weisheit bitten. Jeden Tag neu anfangen, dankbar sein für das Leben. Und das sonst so Selbstverständliche neu schätzen lernen. Und dankbar sein, dass ich eine Adresse „da oben“ habe, bei der ich und diese ganze verrückte Welt gut aufgehoben sind, inklusive aller Gegensätze.

Britta Nellessen, 44, lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern seit 2018 in Johannesburg, Südafrika. In ihrem deutschen Leben wäre sie Lehrerin an einem Bochumer Gymnasium. Für ihr südafrikanisches Leben hat sie ihre Elternzeit noch einmal verlängert, um das Abenteuer Familie zu meistern.

Mein Weg aus der Stressfalle

Wie Priska Lachmann gelernt hat, mit den Anforderungen ihres Alltags umzugehen.

Hättet ihr meinen Mann vor sechs Jahren nach meiner Stressresilienz gefragt, hätte der mit Sicherheit laut losgelacht. Ich war die hektischste, lauteste und genervteste Person auf diesem Planeten, sobald der Stress über mir hereinbrach. Ich war nicht zu ertragen.

Halt und Trost

In den vergangenen Jahren wurde mein Stresslevel aber nicht nur mit den Kindern immer höher. Auch das Studium, ein Hausbau und meine Freiberuflichkeit bescherten mir wachsende Ansprüche an mein Zeitmanagement, kurze Nächte und viele Momente, in denen ich sehr stress-resilient handeln musste. Ich lernte vor allem, zu atmen und lösungsorientiert zu denken. Ich atme tief ein und aus in diesen Momenten und beruhige damit meine Seele. Gleichzeitig habe ich in den vergangenen Jahren gelernt: Egal was ich in meiner charakterlichen Unzulänglichkeit an Fehlern mache, egal, was ich mir zuschulden kommen lasse, egal, was auf mich einströmt in diesem Leben – ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes liebende Hand. Punkt.

Da gibt es kein „Aber“, kein „Was wäre, wenn“. Da ist einfach nur ein liebender Vater, ein großer Gott, der mir zwar nicht versprochen hat, dass mein Leben immer golden und glitzern und glücklich verläuft, der aber mit mir durch die dunklen Täler geht. Der mich an die Hand nimmt und an dessen starke Schulter ich mich lehnen kann, wenn mir alles zu viel wird. Ich finde Halt und Trost in meinem Alltag und Stärke in dieser hoffnungsvollen Gewissheit, dass ich keine Angst haben muss.

Videokonferenz mit Kleinkind

In den letzten Wochen, als Corona unser ganzes Leben veränderte, fanden wir uns als Familie in einer gänzlich ungewohnten Situation wieder. Mein Mann und ich im Homeoffice, zwei Kinder mit Homeschooling und ein zweijähriges Kleinkind, das gerade vier Wochen vorher im Kindergarten eingewöhnt worden war. Alle zu Hause. 24/7. Immer. Die ganze Zeit. Es war herausfordernd, und wir haben glücklicherweise einen Garten. Eines Nachmittags, mein Mann hatte gerade in seinem Job als Solution Consultant eine Kundenpräsentation via Videokonferenz, wurde die Zweijährige wach vom Mittagsschlaf, stapfte halbnackt die Treppen hinunter und kuschelte sich beim Papa auf den Schoß. Der Kunde und der Vertriebler fanden das ganz süß. Und unsere Tochter entspannte sich. Mein Mann sprang plötzlich auf, mitten in seiner Präsentation, denn seine Hose war nass geworden. Schnell brachte er mir unser Kind, zog sich um und sprintete wieder zum Laptop, um seine Präsentation an unserem Esstisch zu Ende zu führen.

Diese Situation zeigte uns, dass wir inzwischen sehr resilient gegenüber Stress geworden sind. Das liegt vor allem daran, dass wir sehr lösungsorientiert denken, aber auch daran, dass wir diesen festen, unerschütterlichen Glauben haben, an dem wir uns festhalten können, wenn wir nicht mehr weiterwissen.

Priska Lachmann ist dreifache Mama, Theologin, Autorin und bloggt unter www.mamalismus.de.

Angst vor Prüfungen

„Unser Sohn hat schon immer Probleme mit Prüfungsangst. Nächstes Jahr steht das Abitur an. Wie kann er sich langfristig gut darauf vorbereiten?“

Prüfungssituationen sind grundsätzlich nicht einfach zu bewältigen. Viele Schüler und Schülerinnen kämpfen ihre ganze Schulzeit mit Nervosität bei Leistungsüberprüfungen. Ein gewisses Unbehagen vor Prüfungen ist normal. Übersteigt jedoch die Nervosität bei Ihrem Sohn ein gesundes Maß, und er leidet unter körperlichen Symptomen oder hat regelmäßig Blackouts, dann spricht man von Prüfungsangst.

URSACHEN SUCHEN
Sprechen Sie mit Ihrem Sohn über seine Ängste. Sind seine Sorgen berechtigt, weil er sich in bestimmten Schulfächern überfordert fühlt? Warum ist das so? Gibt es Wissenslücken oder versäumten Lehrstoff, den er nachholen muss? Wie können Sie ihm dabei helfen, wenn das so ist? Lernt er in der für ihn richtigen Art und Weise? Leidet er unter einer Lernschwäche? Oder aber: Kann es sein, dass Sie als Elternteil (unbewusst) Stress machen? Aus eigener Erfahrung als dreifache Mutter und Pädagogin weiß ich, wie leicht das passiert, ohne dass man das selbst bemerkt!
Wenn ihr Sohn den Schulstoff grundsätzlich gut beherrscht und dennoch vor lauter Nervosität nicht klar denken kann, stellen Sie ihm folgende Fragen:

  • Warum bist du nervös?
  • Setzt du dich selber so stark unter Druck?
  • Stressen dich Lehrer oder Mitschüler?
  • Wovor hast du konkret Angst?

PRÜFUNG SIMULIEREN
Einer generellen Angst vor Leistungsüberprüfungen kann man mit einem mentalen Training gut entgegenwirken: Bei der Vorbereitung auf eine sehr große und sehr wichtige Prüfung wie dem Abitur oder der Matura kann es hilfreich sein, die Testsituation zu simulieren. Ihr Sohn kann Prüfungen der vorangegangenen Jahre, die man mit Lösungen im Internet oder in Büchern findet, ausprobieren. Zunächst soll er eine Prüfung für sich allein durcharbeiten. Um den Stressfaktor ein wenig zu trainieren, können Sie das „Probe-Abi“ als „Prüfer“ betreuen. Stellen Sie eine Zeituhr auf, teilen Sie die Fragebögen aus, versuchen Sie Ihren Sohn ein bisschen abzulenken und zu „stören“ – einfach als Training!

Manchen Schülern hilft es, sich gedanklich auf eine Art Reise zu begeben. Ihr Sohn soll die mögliche Prüfungssituation für sich vorab mehrfach durchdenken. Beim Abitur kommt ihm dann alles bereits ein wenig vertraut vor.

Sagen Sie Ihrem Sohn, dass sie stolz auf ihn sind, dass und wie er sich immer wieder trotz seiner Ängste den Prüfungssituationen stellt. Und er ist ja schließlich bereits erfolgreich gewesen, sonst könnte er nicht im kommenden Jahr zum Abitur antreten!

Last but not least: Vergessen Sie nicht das besondere Vorrecht, dass Sie mit Ihrem Sohn gemeinsam beten und Gott um Hilfe bitten können.

Roswitha Wurm ist Förderpädagogin und Mentaltrainerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. www.lesenmitkindern.at

 

Eine Weile aufs Meer schauen

Ruhe – danach sehnen wir uns. Und suchen und genießen sie doch viel zu selten.
Ein Plädoyer für mehr Ruhe von Tomas Sjödin

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Test: Wie gestresst ist mein Kind?

  1. Wie sieht ein typisches Wochenende bei Ihnen aus?
  • Das Wochenende gehört der Familie: Meistens unternehmen wir etwas zusammen. Entweder spielen wir Fußball oder machen einen Ausflug ins Grüne. An anderen Tagen kümmern wir uns um den Haushalt oder lernen für die Schule. (2 Punkte)
  • Das sind unsere einzig freien Tage. Also wollen wir Spaß haben oder uns entspannen. Jeder darf erst einmal das tun, was er will, und dann machen wir vielleicht noch etwas zusammen. (0 Punkte)
  • Meistens läuft das Wochenende chaotisch ab, aber zusammen frühstücken muss sein! Danach erledigen wir meistens die Dinge, die in der Woche liegen geblieben sind. (4 Punkte)

 

  1. Kann Ihr Kind abends gut einschlafen?
  •  Nein, es hält mich immer lange auf Trab! (4 Punkte)
  • Ja, das funktioniert reibungslos. (0 Punkte)
  • Kinder wollen ja nie wirklich ins Bett, aber meistens hilft eine klare Ansage oder eine Gute-Nacht-Geschichte. (2 Punkte)

 

  1. Zeit für eine Zukunftsvision: Wo sehen Sie Ihr Kind in 20 Jahren?
  • Fleißig bei der Arbeit, mit einem gut gefüllten Bankkonto und einer schönen Wohnung. (4 Punkte)
  • Am Schreiben der spannenden Doktorarbeit und vielleicht sogar im Ausland. (2 Punkte)
  • Glücklich in einer tollen Beziehung und mit einem Job, der Spaß macht. (0 Punkte)

 

  1. Wie planen Sie die Sommerferien?
  •  Wir diskutieren alle Vorschläge innerhalb der Familie und dann wird abgestimmt! (2 Punkte)
  • Wir fahren – wie jedes Jahr – wieder an den See. (4 Punkte)
  • Wir teilen uns die Ferien auf: Den einen Teil verbringen wir zusammen, den anderen darf unser Kind mit den Großeltern oder Freunden verreisen. (0 Punkte)

 

  1. Angenommen, Ihr 9-jähriges Kind klagt über Bauchschmerzen und will nicht in die Schule. Was machen Sie?
  • Ich rufe in der Schule an. Mein Kind bleibt Zuhause und ich verwöhne es mit Tee und Zwieback. (0 Punkte)
  • Das kenne ich. Es will nur nicht in die Schule. Damit kommt es bei mir nicht durch. (4 Punkte)
  • Ich glaube, mein Kind hat Angst vor der Mathearbeit. Ich rede mit ihm darüber und wenn es ihm besser geht, sollte es hingehen. (2 Punkte)

 

  1. Was macht Ihr Kind nach der Schule?
  • An manchen Tagen hat es nicht viel zu tun, wohingegen es andere Tage mit vollem Programm durch Sport und Hausaufgaben gibt. (2 Punkte)
  • Meistens hat es Sport oder Musikunterricht, geht zur Nachhilfe oder hilft im Haushalt. (4 Punkte)
  • Es bleibt erst einmal für sich auf dem Zimmer und geht anschließend zum Sport oder trifft Freunde. (0 Punkte)

 

  1. Stellen Sie sich vor, ihr Kind hat es trotz Nachhilfe nur zu einer 4 in Englisch geschafft. Wie ist Ihre Reaktion?
  • Das ist ungerecht! Vielleicht suchen wir einen anderen Nachhilfelehrer? Ich bespreche das in Ruhe mit meinem Kind. (2 Punkte)
  • Ich bin schon enttäuscht und zeige es meinem Kind auch. (4 Punkte)
  • Das tut mir sehr leid, aber davon geht die Welt nicht unter. Ich tröste, denn eine 4 ist doch ok! (0 Punkte)

 

  1. Wann hatte Ihr Kind das letzte Mal Kopfschmerzen?
  •  Gerade vorhin. Der Arzt hat uns dafür Kindertabletten gegeben. (4 Punkte)
  • Das ist lange her und hing mit der Schule zusammen. (2 Punkte)
  • Ich glaube, es hatte noch nie Kopfschmerzen. (0 Punkte)

 

 

  1. Welchem Zitat würden Sie zustimmen?
  • Kennedy: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: Keine Bildung.“ (4 Punkte)
  • Goethe: „Lehre tut viel, aber Aufmunterung tut alles.“ (2 Punkte)
  • Mark Twain: „Für mich gibt es Wichtigeres im Leben als die Schule.“ (0 Punkte)

 

  1. Welcher Spruch würde am besten zu Ihrem Sprössling passen?
  • „Mit Humor geht alles besser!“ (2 Punkte)
  • „In der Ruhe liegt die Kraft!“ (0 Punkte)
  • „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ (4 Punkte)

 

 

Auswertung

0 bis 12 Punkte

Ihr Kind ist stress-immun

An Ihrem Sprössling prallt der Stress regelrecht ab: Er ist gelassen und ausgeglichen, nimmt sich genügend Zeit für sich und lässt sich durch Probleme in der Schule nicht aus der Ruhe bringen. Kopfschmerzen vor der Mathearbeit? Bauchschmerzen nach Ärger mit Freunden? Fehlanzeige! Bei Bedarf holt er sich bei Ihnen Hilfe. Und wenn Sie Ihr Kind unabsichtlich mit zu vielen Terminen oder Aufgaben überladen, zieht es eindeutige Grenzen: Bis hierhin und nicht weiter!

Wunderbar, Sie schaffen für Ihr Kind eine stressfreie Umgebung und ausreichend Qualitätszeit, in der es eigenbestimmt spielen und Dinge tun kann, die es gerne macht.

Tipp des Psychologen: Achten Sie weiterhin auf die Signale Ihres Kindes. Außerdem könnten Sie gegen zu viel Gelassenheit und Phlegma öfter probieren, Ihrem Kind auch für intensivere Gefühle Raum zu geben. Herzhaftes Lachen, Schreien oder Weinen sind die Ventile, die die Psyche langfristig gesund und stabil halten. Es sollte sie kennenlernen und ausleben dürfen.

 

10 bis 26 Punkte

Ihr Kind ist ein Stress-Manager

Ihr Nachwuchs beherrscht die Kunst, sich nur im Ernstfall aufzuregen: Bei Ungerechtigkeit in der Schule oder Ärger mit den Geschwistern. Normalerweise ist es recht ausgeglichen, wenn es aber um wirklich wichtige Dinge wie Freizeitgestaltung, Beziehungsprobleme oder unliebsame Klassenarbeiten geht, fühlt es sich gestresst und reagiert entweder aggressiv, mit Rückzug oder mit körperlichen Symptomen wie Bauch- und Kopfschmerzen. Auch das Einschlafen fällt Ihrem Kind dann schwer. Es dauert, bis man es beruhigen kann.

Aber Vorsicht: Nehmen Sie die ersten Stressanzeichen Ihres Kindes wahr und ernst, sonst können sich diese als Dauersymptome chronifizieren.

Tipp des Psychologen: Achten Sie immer darauf, dass Ihr Kind genügend Zeit für sich selbst hat und gönnen Sie ihm bewusst Freiräume, die es ohne Druck mit Musik, Hobbies und Freunden verbringen kann. Ermutigen Sie Ihren Nachwuchs, die Gefühlslage zeigen zu dürfen. So können Sie gegebenenfalls den Alltagsstress des Kindes reduzieren. Wichtig ist der Wechsel zwischen Pflicht und Spaß, damit es den Stress immer wieder abbauen kann.

 

28 bis 40 Punkte

Ihr Kind ist im Dauer-Stress

Auch wenn es nicht deutlich sichtbar ist, weil Ihr Kind meist engagiert und strebsam wirkt, so könnte es doch in dem Gefühl einer ständigen Überforderung leben. Es will Sie nicht enttäuschen, möchte in der Schule alles richtig machen und steht durch zu viele Termine und zu wenig selbstbestimmte Freizeit ständig unter Strom. Da niemand die Lage erkennt, äußert es die Probleme auch nicht.

Aber Vorsicht: Durch den Dauerstress könnte die Krankheitsanfälligkeit Ihres Kindes steigen. Vielleicht senden Körper und Seele bereits einige Notsignale in Form von Kopf- und Bauchschmerzen oder Schlafproblemen? Dann sollten Sie schnellstens etwas dagegen unternehmen.

Tipp des Psychologen: Auch wenn Sie es mit dem vollen Terminkalender Ihres Kindes nur gut meinen, verschaffen Sie ihm ab sofort Erholungsphasen, in denen es sich regelmäßig zurückziehen kann. Durchforsten Sie mit ihm zusammen den Terminkalender und werfen Sie alles raus, was nicht notwendig ist und was vor allen Dingen keinen Spaß macht. Entspannte Gespräche und Kuscheleinheiten tun nicht nur Ihrem Nachwuchs gut, sondern auch Ihnen selbst.

 

Katia Saalfranks 4 Tipps für eine stressfreie Kindheit:

  1. Überprüfen Sie Ihre eigenen Erwartungen: Oft sind diese zu hoch und lassen Eltern in Stress geraten. Reduzieren Sie Ihren eigenen Stress und lassen Sie sich in Bezug auf Bildung und Förderung Ihres Kindes nicht von Bemerkungen anderer verunsichern. Ihr Kind lernt immer, es kann gar nicht anders. Es hat sein eigenes Tempo und braucht Ihre Bestärkung. Druck führt zu Gegendruck und erstickt so die natürliche Neugier und Lernlust der Kinder.
  2. Qualitätszeit für Kinder schaffen: Seien Sie als Eltern achtsam und sensibel mit sich selbst und ihren eigenen Bedürfnissen. Nur dann können Sie auch ein Gespür dafür entwickeln, wie es Ihren Kindern geht. Denn diese brauchen die Freiräume, in der sie selbstbestimmt Dinge tun können, die ihnen Spaß machen.
  3. Mehr Autonomie für Kinder: Beziehen Sie Ihre Kinder in Ihre Planungen und Vorstellung mit ein und fragen Sie offen, wie es Ihrem Kind mit den vielen Termine und außerschulischen Aktivitäten geht – planen Sie dann gegebenenfalls gemeinsam um. Wichtig: oft ist es nicht die Anzahl der Termine die Kindern Stress macht, sondern das Gefühl, sich nicht selbst für die Termine entschieden zu haben.
  4. Schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre: Kinder brauchen eine liebevolle, stabile Beziehung. Und doch: Kinder werden unter Umständen nicht sagen, dass ihnen manche Hobbys oder Veranstaltungen zu viel sind. Achten Sie deshalb auf Signale der Kinder und Anzeichen von Überforderung: Müdigkeit, Erschöpfung, schlechte Laune, Schlafschwierigkeiten oder aggressives Verhalten. Kinder brauchen eine vertrauensvolle Atmosphäre, sie benötigen Begleitung und Unterstützung, kindgerecht und ihrem Alter entsprechend.

Quelle: Bepanthen Kinderförderung

Burnout im Kinderzimmer

Etwa jedes sechste Kind (18 Prozent) und jeder fünfte Jugendliche (19 Prozent) in Deutschland leidet unter deutlich hohem Stress. Die negativen Folgen bei Kindern und Jugendlichen sind enorm, gestresste Kinder entwickeln Depressionen und Versagensängste und haben ein erheblich erhöhtes Aggressionspotential. Wesentliche Ursache für diesen Stress ist der fehlende Freiraum für eine kindliche Selbstbestimmung, ausgelöst durch die hohen Erwartungen von Eltern an ihre Kinder. Zu diesem Ergebnis kommt die Universität Bielefeld in der aktuellen Studie „Burnout im
Kinderzimmer: Wie gestresst sind Kinder und Jugendliche in Deutschland?“ im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung. Dabei wurde Stress als Ungleichgewicht zwischen wahrgenommenen Anforderungen und der subjektiven Fähigkeit definiert, diese Anforderungen zu erfüllen.

Befragt wurden Kinder von sechs bis elf Jahren und Jugendliche von zwölf bis 16 Jahren sowie deren Eltern. Die Besonderheit der Studie ist, dass Stress aus Kindersicht erfasst wurde. Stress ist ein ernst zu nehmendes Problem für Kinder und Jugendliche und führt zu nachweisbaren, negativen Auswirkungen. Erhöhter Stress geht mit emotionalen Problematiken einher, d.h. betroffene Kinder berichten, dass sie oftmals wütend oder zornig sind. Außerdem fand die Forschungsgruppe der Universität Bielefeld heraus, dass Kinder mit hohem Stress über eine eher niedrige Problemlösungskompetenz verfügen: Nahezu jedes sechste Kind weiß nicht, wie es Probleme eigenständig bewältigen kann.

Kinder mit hohem Stress leiden außerdem unter Versagensängsten. Knapp die Hälfte der gestressten Kinder hat Angst seine Eltern zu enttäuschen, denn gestresste Kinder nehmen die an sie herangetragenen Erwartungen der Eltern viel intensiver wahr. Die Ergebnisse der psychischen Auswirkungen von Stress auf Jugendliche sind immens. 11 Prozent der Jugendlichen mit hohem Stresslevel sind depressiv verstimmt. 13,6 Prozent der Jugendlichen haben den Eindruck, ein Versager zu sein und 47,2 Prozent fühlen sich manchmal nutzlos. Dabei wählen 32,4 Prozent den freiwilligen sozialen Rückzug.

Laut Stress-Studie beeinflussen insbesondere zwei Faktoren das Stressempfinden der Kinder und Jugendlichen: die Anzahl und die eigene Entscheidung über ihre Termine. So haben 39 Prozent der 12- bis 16-Jährigen an drei oder mehr Tagen pro Woche mindestens einen festen Termin nach der Schule – wie z.B. Musik-, Fußball oder Schwimmunterricht. Zudem dürfen sie oftmals nicht eigenständig darüber entscheiden und erleben Termine und Aufgaben als Zwang und Belastung. 60,2 Prozent der gestressten Kinder geben an, nur manchmal oder nie nach ihrer Meinung gefragt zu werden und 85,6 Prozent der Kinder mit hohem Stress werden nicht in die eigene Freizeitplanung eingebunden.

Interessant ist, dass 87,3 Prozent der Eltern von gestressten Kindern nicht glauben, ihr Kind zu überfordern. Ungefähr 50 Prozent gaben an, alles dafür zu tun, um ihr Kind zu fördern. „Eltern wollen immer das Beste für ihre Kinder. Wichtig ist, dass sie dabei ein Feingefühl dafür entwickeln, was Kinder wirklich brauchen und sie nicht überfordern. Ich erlebe die Eltern selbst enorm unter gesellschaftlichen Druck. Sie wollen allen Anforderungen gerecht werden. Dies übertragen sie dann auch auf ihre Kinder. Somit entsteht eine Stressspirale, die für Kinder fatale Folgen haben kann“, so Katia Saalfrank, Schirmherrin der Bepanthen-Kinderförderung und Familienberaterin. Stress bleibt nicht ohne Folgen für die Betroffenen. „Unserer Gesellschaft bringt es nichts, wenn Kinder und Jugendliche unter Stress aufwachsen und so schon in jungen Jahren Burnout-Symptome aufweisen, zornig und aggressiv sind, weil sie überfordert und mit ihrem Leben nicht zufrieden sind. Kinder brauchen für eine gesunde Entwicklung eine stressfreie Umgebung und vertrauensvolle Atmosphäre. Sie benötigen Begleitung und Unterstützung – kindgerecht und ihrem Alter entsprechend. Umso wichtiger ist es, über dieses Thema aufzuklären. Dies sehe ich in meiner Verantwortung als Schirmherrin der Bepanthen-Kinderförderung“, verdeutlicht Katia Saalfrank.

Lesen Sie mehr zum Thema „Burnout bei Kindern“ in der aktuellen Family.

Außerdem veröffentlichen wir in Kürze hier im Blog einen Test, mit dem man herausfinden kann, wie gestresst das eigene Kind ist.