Stressfaktor Familienurlaub?! – So wird der Urlaub zur Erholung

Urlaub mit kleineren Kindern ist oft stressiger als der Alltag zuhause. Lisa-Maria Mehrkens hat Familien gefragt, was ihnen hilft, den Urlaub trotzdem zu genießen.

Für manche ist ein All-Inclusive-Strandurlaub in einer Hotelanlage der Traumurlaub, für andere ist es Wandern in den Bergen, Sightseeing und Shopping in einer großen Metropole oder auch nur ein Kurztrip in den nächsten Ort, um etwas anderes zu sehen als das eigene Zuhause. Egal, welches Wunschziel es sein soll – kommen Kinder ins Spiel, ändern sich Urlaubspläne und deren Umsetzung manchmal stark. Urlaub mit Kleinkindern bedeutet oft: Tage vor der Abreise anfangen zu packen, tonnenweise Spielzeug, Kleidung und Zubehör mitnehmen und im Urlaub die Aktivitäten größtenteils nach den Interessen der Kinder ausrichten.

Statt beim entspannten Ladenbummel, gemütlichen Kaffeetrinken, Sonnenbaden im Park oder dem Bewundern historischer Gebäude sieht man die meisten Eltern bei Städtetrips mit Kindern gehetzt von einem Spielplatz zum nächsten rennen. Nur nebenbei werfen sie einen Blick auf die Sehenswürdigkeiten und machen maximal einen Zwischenstopp in der Drogerie, weil der Nachwuchs mehr Hunger hat als gedacht. Auch die Wahl der Unterkunft ist mit Kindern anders: Statt Doppelzimmer im romantischen Wellnesshotel gibt es jetzt die familienfreundlich ausgestattete Ferienwohnung.

Sowieso anstrengend

Abhängig vom Temperament der Kinder kommen die meisten Eltern irgendwann zu der Einsicht, dass Urlaub nicht mehr so sein wird, wie er mal war. Auch schön, aber anders. Eher an den Bedürfnissen der Kleinsten ausgerichtet als an den Wünschen von Mama und Papa. Das hat auch Vorteile: „Es ist gut, den Urlaub danach auszurichten, was den Kindern gefällt. Spaß für die Kinder heißt Entspannungszeit für die Eltern. Wenn die Kinder spielen und begeistert sind, kann man sich als Eltern mal in Ruhe unterhalten“, erzählen Michèle und David, Eltern von drei Kindern zwischen 1 und 3.

Da vor allem Michèle sehr reisebegeistert ist und gern andere Länder, Kulturen und Sprachen entdeckt, haben sie als Familie schon die verschiedensten Urlaube unternommen: Camping-Urlaub, Hotelübernachtung, Aufenthalt in der Ferienwohnung, Urlaub im Nachbarbundesland, Flugreisen. „Urlaub mit Kindern ist anstrengend. Das Leben mit Kindern ist aber auch zu Hause anstrengend. Wenn es sowieso anstrengend ist, kann ich auch irgendwo hinfahren, wo es schön ist und ich neue Eindrücke von außen bekomme. Das Wichtigste ist, dass man das Reisen an sich mag. Wenn man eher der ‚Zu Hause ist es am schönsten‘-Typ ist, lohnt sich die Anstrengung wahrscheinlich nicht. Aber ich zehre das ganze Jahr von den Erlebnissen beim Reisen, das ist mir die Anstrengung wert“, erklärt Michèle.

Die Entfernung ist nicht wichtig

Nicht jeder hat so viel Fernweh. Es gibt auch Familien, die mit Urlaub in den eigenen vier Wänden, einem Besuch bei Freunden oder Verwandten oder ein paar Tagen in einer Familieneinrichtung glücklich sind. Johannes und Else sind mit ihren drei Kindern zwischen 0 und 5 Jahren bisher meist in Deutschland geblieben: „Urlaub heißt für uns, gemeinsame Zeit zu verbringen und gemeinsame Erlebnisse. Da ist die Entfernung nicht wichtig. Urlaubsfeeling bedeutet aber für uns auch, uns zumindest an einen gedeckten Tisch zu setzen.“ Deshalb übernachten sie oft in Familieneinrichtungen.

Vor Reisebeginn ist es vor allem für Else stressig, da sie alles packen muss und die Versorgung ihres Bauernhofs auch während des Urlaubs sicherstellen muss. Trotzdem erlebt sie die Familienurlaube positiv: „Es ist wundervoll zu sehen, wie die Kinder bereits einfache Ausflüge und Aktivitäten in sich aufsaugen und teilweise noch Jahre später davon schwärmen. Das zeigt mir, dass Kinder nicht übermäßig viel brauchen, sondern schöne und gemeinsam erlebte Zeit wertvoll genug ist. In diesen Situationen außerhalb des Alltags lernt man die Kinder nochmal ganz anders kennen.“ Deswegen vermissen die beiden auch nichts im Vergleich zum Urlaub ohne Kinder. „Jetzt ist eben Kinderzeit und das genießen wir. Trotzdem schauen wir, dass jeder mal Zeit für sich hat, zum Beispiel zum Lesen“, meint Else.

Mal tanzen gehen

Auch Patrizia und Georg leben auf einem Bauernhof mit Tieren und verreisen mit ihren zwei Kindern (2 und 3) und ihren zwei Hunden eher selten, nur für ein paar Tage und im Umkreis von vier Stunden Autofahrt. „Unsere Urlaube bestehen zwar ‚nur‘ aus Bekannten- und Verwandtenbesuchen, aber es tut uns als Familie sehr gut. Omas, Freunde, Tanten helfen gern mal mit den Kids. Und wir genießen es, Zeit für das Miteinander zu haben und uns an den gedeckten Tisch zu setzen. Die Kids bringen Bewegung in den Urlaub, die Verwandten und Bekannten Input, das lässt uns als Paar wieder über viele Themen ins Gespräch kommen und vom Alltag abschalten“, berichtet Patrizia. Sie freut sich darüber, auch im Urlaub sehr gut als Team mit ihrem Mann zusammenzuarbeiten. Eine Kleinigkeit vermisst sie aber doch: „Mal tanzen gehen abends wäre was, aber da würde ich sowieso eher eine Freundin oder Schwester mitnehmen.“

Mehr Zeit für die Kinder

Dorothea und Ruben waren mit ihren beiden Kindern (4 und 6) auch schon zusammen mit Freunden und Familienmitgliedern im Urlaub: „Das Praktische daran: Man hat einen Babysitter direkt mit dabei.“ Allein als Familie haben sie verschiedene Urlaubsformen nah und fern in Ferienhäusern und Familieneinrichtungen ausprobiert. Ihr Favorit: „Wir haben unsere Kurztrips mit Auto und Dachzelt sehr liebgewonnen, da wir für relativ wenig Geld sehr oft wegfahren können. Unsere Kinder genießen Urlaub immer sehr, da wir viel mehr Zeit für sie haben als zu Hause.“

Das Paar möchte Eltern mit noch sehr kleinen Kindern ermutigen, denn sie haben erlebt, dass ihre gemeinsamen Urlaube mit zunehmendem Alter der Kinder entspannter wurden. „Beim Familienurlaub richtet sich nur noch das grobe Skelett nach den Eltern. Der Inhalt wird von den Kindern gefüllt, der Alltag richtet sich sehr nach ihren Bedürfnissen. Aber es wird von Jahr zu Jahr besser und wir unternehmen inzwischen auch einiges, was eher für uns Eltern interessant ist“, sagt Dorothea.

Kurze Camping-Urlaube mit Dachzelt, weite Flugreisen in die Ferne, Aufenthalte in Familienferieneinrichtungen oder Besuche bei Freunden und Verwandten – so unterschiedlich wie die einzelnen Elternpaare und Familien selbst ist auch die Art und Weise, wie sie ihre gemeinsame Urlaubszeit ausgestalten. Familienleben ist und bleibt dynamisch, das gilt auch im Urlaub. Letztlich muss hier jede Familie immer wieder neu für sich den besten Weg finden, um die Erlebnisse und die Zeit zusammen bewusst zu erleben und genießen zu können. Denn darum geht es doch beim Familienurlaub, oder?

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

Mama, das will ich nicht wissen! – So teilen Sie Probleme mit ihren erwachsenen Kindern!

Eine Beziehung auf Augenhöhe mit den erwachsenen Kindern zu führen, bedeutet auch, offen miteinander zu reden. Aber wieviel kann man preisgeben, ohne dass es peinlich wird?

Wenn ich mit meinen erwachsenen Kindern unterwegs bin, ist es immer auch so, als wenn ich mein Leben noch einmal erleben würde. Unweigerlich werde ich an meine eigenen Herausforderungen in der Ehe, an den Druck im Job oder an Missverständnisse unter Freunden erinnert.

In Erinnerungen gefangen

Nicht selten bin ich dabei sogar mehr in meinen eigenen Erinnerungen an Emotionen und Selbstzweifeln gefangen, als bei dem Anliegen meines Gegenübers zu sein. Eine Begleitung auf Augenhöhe fordert mich heraus, bewusst wahrzunehmen, in welcher Ebene ich gerade herumtanze. Ist es meine eigene Erinnerung, die mich mit Schmerz und Hoffnung wieder einholt? Dann ist es wichtig, meine Antwort zu filtern. Ich kann von meinem Erleben erzählen, meinen Fragen und auch davon, wie ich die Entscheidung heute bewerten würde. Diese Filterfunktion meint auch: Was ist verdaulich für mein Kind?

Manchmal wird das Begleiten auf Augenhöhe aber auch missverstanden, und Eltern teilen ungefiltert ihre aktuellen Herausforderungen im Sexualleben, ihre Sorgen bezüglich des Älterwerdens, des Kontostandes oder die Probleme mit ihrer Biografie. Durch das Zumuten dieser Lebensthemen wollen sie Respekt ausdrücken. Weisheit ist gefragt, denn Kinder bleiben immer Kinder ihrer Eltern.

Fingerspitzengefühl

Wenn wir weise filtern, was wir mit unseren Kindern teilen, können wir als Eltern trotz aller Anfragen und Kritik Vorbilder bleiben. Ein Einblick in die aktuelle Herausforderung fordert daher immer ein großes Maß an Fingerspitzengefühl. Eine Krise darf gern so formuliert werden, dass Eltern auf dem Weg sind. Im Gespräch kann dann die Reaktion des erwachsenen Kindes den weiteren Verlauf beeinflussen. Die Frage nach konkreten Details zeigt: Hier ist ein harmloses und oberflächliches Gespräch nicht zufriedenstellend. Eine konkrete Frage nach dem Umgang in einem Themenfeld ist eine Einladung, auch konkreter zu antworten. Die Eltern dürfen nun auch Fragende und Suchende werden. Die erwachsenen Kinder brauchen diese Momente, in denen sie gemeinsam mit ihren Eltern auf dem Weg sind. Der Erfahrungsvorsprung im Leben bleibt, die Themen des Lebens können aber mit gemeinsam gestellten Fragen von Jung und „Alt“ sehr bereichernd bedacht werden.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

„Der Igel schläft nur…“ – Darf ich mein Kind anlügen?

Eigentlich wollen Eltern die Wahrheit sagen und Kinder zur Ehrlichkeit erziehen. Trotzdem flunkern sie im Alltag immer wieder. Wann könnte eine Lüge gerechtfertigt sein?

Schon in den Zehn Geboten heißt es: „Du sollst nicht lügen.“ Und der Volksmund weiß: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ … Ich nicke mit dem Kopf und kann das nur richtig finden. Die Wahrheit ist doch die Basis für Vertrauen, und Ehrlichkeit ist eine wichtige Tugend, die ich auch meinem Kind vorleben will. Bei uns wird nicht gelogen!

Ich nicke also vor mich hin – und wenig später höre ich mich sagen: „Der platte Igel da am Straßenrand? Ähm … Dem geht’s prima, der schläft nur.“ Oh oh. Lüge ich mein Kind etwa an? Oder ist das nur ein „altersgemäßes Flunkern“ und völlig legitim?

Lügende Kinder: Schrecklich!

Wenn es hingegen um die Kinder geht, sind die meisten Erwachsenen sich einig: Lügen ist strengstens verboten, genau wie schummeln, betrügen, schwindeln und flunkern. (Platzt ein Kind am Kindergeburtstag aber lauthals damit heraus, dass Omas Geschenk ziemlich blöd ist – finden wir das schon wieder „zu ehrlich“.) Während wir bei den ganz Kleinen also noch von ihrer brutalen Ehrlichkeit überrumpelt werden, heben wir bei den etwas Größeren schon schimpfend den Zeigefinger, wenn wir sie beim Lügen erwischen.

Nur ein paar Psychologen findet man im Internet, die dem auch etwas Positives abgewinnen können: ‚Lügen lernen‘ sei ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung, lese ich. Ganz normal ab etwa vier Jahren. Ein Ausdruck für Empathie und Selbstkontrolle – also wichtig, um im Leben erfolgreich zu sein.

Ich muss zugeben: Das nimmt mir schon mal etwas den Druck und ich bin beruhigt. Wenn mein Kleiner mich mal anflunkert und mit schokoverschmiertem Mund beteuert, dass er heute noch „überhaupt keine Sokolade gegessen“ habe – dann ist das kein Hinweis darauf, dass er später mal ein notorischer Lügner wird. Ich schimpfe also nicht, sondern gehe auf Ursachen-Suche: Wieso flunkert ein Kind? Hat es sich das irgendwo abgeschaut – vielleicht sogar von den Eltern?

Flunkernde Erwachsene: Geht klar!

Genug Gelegenheit, sich das Schwindeln bei uns Erwachsenen abzuschauen und nachzumachen, hätten unsere Kinder mit Sicherheit. Haben Sie einer Freundin zum Beispiel schon mal bestätigt, dass die schrecklichfurchtbare Shopping-Ausbeute ganz wundervoll aussieht – einfach, weil sie sich so gefreut hat und Sie ihr nicht wehtun wollten? Oder haben Sie schon mal ein Treffen abgesagt, weil Sie leider, leider andere Verpflichtungen haben – und den Abend dann gemütlich auf der Couch verbracht?

Wir Großen flunkern, lügen und nutzen Fast-Wahrheiten, dass sich die Balken biegen. Warum? Weil Lügen uns das Leben in manchen Situationen einfacher macht. Wir wollen niemanden verletzen, wir wollen nicht anecken oder Ärger bekommen – also kommen wir mit kleinen, harmlosen Halb-Wahrheiten um die Ecke und freuen uns sogar noch, weil uns spontan eine tolle Ausrede eingefallen ist.

Und unsere Kinder? Die sind nicht blöd, sondern sehr sensibel – und merken alles! Wenn wir uns als Vorbilder unserer Sprösslinge sehen, sollten wir ihnen also keine widersprüchlichen Signale senden („Man“ darf nicht lügen – Mama lügt aber doch?) oder gar die Moral-Keule in Richtung Nachwuchs schwingen. Denn: Auch wir als Mamas und Papas flunkern und lügen unsere Kleinen an. Ist uns das eigentlich bewusst?

Lügen – oder „bloß“ flunkern?

Wenn ich darüber nachdenke, dass ich den toten Igel am Straßenrand gerade als „schlafend“ bezeichnet habe, nehme ich mich natürlich gleich selbst in Schutz. Ich sage mir: Das war ja keine Lüge in dem Sinne. Da habe ich ja nur geflunkert, nicht die grausame Wahrheit ausgesprochen und dem Kleinen eine Erklärung geliefert, die seinem Alter entspricht. Aber ich habe eben auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Also: gelogen?

Ist die Igel-Lüge eine Lüge? Ich befinde mich in einem Dilemma und sage: moralisch nein, faktisch ja. Die wichtigere Frage scheint mir aber zu sein: Für wen und mit welcher Absicht wird gelogen und geflunkert? Ich glaube, genau das macht den ganz großen Unterschied: Lügen (oder flunkern) wir Eltern für oder gegen unsere Kleinen?

Das Kind schützen

Eine Lüge, die für mich grundsätzlich in Richtung „pro Kind“ geht, ist die klassische Notlüge. Wie der Name schon sagt, nutzen wir sie in Not-Situationen, wo uns die Worte, die Kraft oder das Wissen für die tatsächliche Wahrheit fehlen. Mit einem Kind anatomisch korrekt über den Tod eines lieben Menschen zu sprechen, das würde empathischen Eltern im Traum nicht einfallen. Auch eine Antwort, die dem Alter des Kindes angepasst wurde – und dadurch nicht mehr so ganz der Erwachsenen-Version der Wahrheit entspricht – gehört für mich in diese Kategorie. In Situationen, in denen die elterliche „Lüge“ mehr Nutzen als Schaden anrichtet, wird die kleine Kinderseele geschützt. Ich finde deswegen: Manchmal gibt es Situationen, da dürfen wir lügen.

Für oder gegen das Kind?

Ein bisschen kritischer ist das schon mit der anderen Art von Flunkerei: den Bequemlichkeitslügen. Wer am Ende des Tages einfach keinen Nerv mehr hat, erzählt den Kindern überzeugend, dass die Batterie vom nervtötend lauten Feuerwehrauto leider leer ist. Meine Freundin lobt ihre Große für das zauberhaft gemalte Bild, das eigentlich eher furchteinflößend aussieht. Und ich erzähle dem Kleinen mittags lang und breit, dass jetzt alle anderen auch einen Mittagsschlaf machen.

Und obwohl das alles Momente sind, in denen wirklich keine Not-Situation vorliegt – steckt nicht auch hier manchmal eine durchaus „positive Absicht“ hinter der Lüge? Ich glaube nämlich: Es gibt Bequemlichkeitslügen, die wir gegen unsere Kinder verwenden, aber eben auch solche, die wir für unsere Kinder erzählen. Meine Alle-machen-Mittagsschlaf-Lüge zum Beispiel, die nutze ich ja immerhin, um damit ein wenig Erholung und Stressabbau beim kleinen Schläfer zu erzielen. Und auch meine Freundin, die mit Komplimenten ein Papierkorb-würdiges Kunstwerk der Tochter bestaunt und beklatscht, will mit dieser Bequemlichkeitslüge ihre kleine Künstlerin positiv bestärken und ihr eine Freude machen. Gelogen: Ja. Eher aus Bequemlichkeit als aus tatsächlicher Not: Ja. Aber mit bester Absicht und eben für das Kind.

Lüge aus Bequemlichkeit

Bequemlichkeitslügen gegen das Kind? Hier wird es für mich kritisch – denn hier steht die Bequemlichkeit der Eltern so im Mittelpunkt, dass eigentlich nur die eigenen Bedürfnisse zählen und das Wohl des Kindes in den Hintergrund tritt. Wer etwa dem Nachwuchs erzählt, dass freche Kinder von der Polizei mitgenommen werden, der hat damit wohl keine positiven Ziele für das Kind im Hinterkopf. Der einzige Grund für diese Art der Lüge: Wir Erwachsenen haben gerade keine Lust, keine Zeit oder keinen Nerv für die Wahrheit. Mit solchen Drohungen schüchtern wir unsere Kinder zudem ein, um lange Diskussionen, ein am Boden liegendes Drama-Kind oder endlose Erklärungen bequem und schnell abzukürzen. Der Preis: Wir riskieren das unerschütterliche Vertrauen, das unsere Kinder in uns haben.

Der Akku vom lauten Spielgerät ist leer, in der Schokolade ist leider Alkohol oder Kaffee drin, und: „Wenn du nicht sofort kommst, dann fahren wir ohne dich los“? Alles gelogen. Ganz ehrlich: Es ist verständlich, dass uns in manchen Situationen einfach keine Kraft mehr bleibt oder uns die Zeit im Nacken sitzt und solche Lügen mal nützen. Aber: Ich finde, diese Lügen dürfen und sollten eine seltene Ausnahme bleiben. Wir sind schon „groß“ – uns sollte etwas Besseres einfallen, als dass wir aus reiner Bequemlichkeit oder Hektik unsere ganzen Moralvorstellungen von Ehrlichkeit, Vertrauen und Vorbildfunktion über Bord werfen.

Was ist die Absicht?

Gibt es also „erlaubte“ und „verbotene“ Lügen? Ich denke vielmehr, es gibt Lügen für das Kind und Lügen gegen das Kind. Notlügen sollen schützen – wir verfolgen damit positive Ziele und wollen mit der Flunkerei unseren Kleinen etwas Gutes tun oder es vor Schlechtem bewahren. Ganz ähnlich ist es übrigens für mich auch mit der Rede über Christkind und Osterhase. Wir bringen damit Kinderaugen zum Strahlen, schenken ihnen den Glauben an Wunder. Wer würde da so streng sein und von „Lüge“ sprechen wollen? Ist die Intention hinter einer Aussage positiv, gehen wir den Flunker-Weg für unser Kind. Bequemlichkeitslügen lassen sich also manchmal tatsächlich nutzen, um etwas Gutes für ein Kind zu bewirken – manchmal haben wir aber einfach keine Lust auf oder Kraft für die „ehrliche Variante“.

Und genau dabei dürfen wir uns kritisch hinterfragen: Ist es mir das wert? Ist das für mich eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, in der authentische Ehrlichkeit nur dann an der Tagesordnung ist, wenn Mama oder Papa gerade Lust dazu haben? Nehme ich für ein bisschen Zeitersparnis, Nervenschonung und aus Unlust in Kauf, dass ich mein Kind anlüge?

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrer Familie in Niederbayern.

Expertin rät: Dann macht ein Kita-Wechsel Sinn

Wenn sich ein Kind im Kindergarten nicht wohlfühlt, muss das nicht bedeuten, dass die Einrichtung nicht passt. Erzieherin Anika Schunke gibt Tipps, wie man Kindern helfen kann und ab wann ein Wechsel sinnvoll ist.

Ein Einrichtungswechsel ist immer möglich, jedoch eine heikle Sache. Denn wer weiß, wann ein Platz frei ist und ob sich das Kind in dieser Einrichtung dann wohl fühlt. Erfahrungsgemäß gibt es Kinder, die, wenn sie die Wahl haben, immer zu Hause bleiben wollen. Wann sollte also ein Wechsel in Betracht gezogen werden?

Bevor man das Prozedere „Einrichtungswechsel“ startet, sollten folgende Lösungsansätze ausgeschöpft werden:

Gespräche

Der wichtigste Schritt ist der, auf die Fachkräfte zuzugehen. Besprechen Sie Ihre Sorgen, lassen Sie sich erzählen, was Ihr Kind macht, wenn es in der Einrichtung ist. Besprechen Sie, was getan werden kann, um dem Kind das Ankommen zu erleichtern. Hierbei helfen Kuscheltiere und feste Abschiedsrituale meist am besten. Zum Beispiel können Sie selbst mit Ihrem Kind ein Puzzle machen, ihm das Frühstück auspacken helfen, Sie können von außen zum Abschied noch einmal winken, das Kind kann für Sie ein Bild malen, die Fachkräfte kümmern sich die erste Zeit etwas intensiver um das Kind oder Sie holen es früher ab. Es gibt viele Möglichkeiten, solche Situationen zu gestalten. Vielleicht kann Ihr Kind sagen, was hilft, was es braucht und möchte. Sprechen Sie mit anderen Eltern aus der Gruppe. Diese können Ihnen auch ein Bild davon geben, was das Kind macht und ob es sich wirklich nicht wohl fühlt.

Pausentag

Wenn es Ihnen möglich ist, lassen Sie Ihr Kind einen Tag zu Hause oder richten einen Opa/Oma-Tag ein. Manchmal sind fünf Tage einfach anstrengend und es hilft dem Kind, die anderen Tage zu meistern, da es sich auf diesen Tag freuen kann. Und die Tage vergehen schneller, es fällt dem Kind leichter, in der Einrichtung zu sein, und es findet immer mehr Dinge, die ihm gefallen.

Gruppenwechsel

Manchmal stimmt die Chemie einfach nicht. Da hilft vielleicht ein Gruppenwechsel. Hier hat das Kind die Chance, in dem bekannten Umfeld neue Erfahrungen zu machen, die seine Sicht auf die Dinge ändern können. Geben Sie Ihrem Kind Zeit, sich an die neuen Lösungen zu gewöhnen, diese anzunehmen und zu verinnerlichen.

Wenn das nun alles über einen längeren Zeitraum ausprobiert wurde und keinerlei Besserung bringt, dann sollten Sie den Einrichtungswechsel beginnen. Es sind prägende Jahre und diese sollten so positiv wie möglich gestaltet werden.

Anika Schunke wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Karlsruhe. Hauptberuflich ist sie als Erzieherin tätig. Darüber hinaus ist sie Autorin und Referentin mit dem Schwerpunkt Bewegung.

Stützen und loslassen: Was große Kinder von den Eltern brauchen

Jugendliche müssen ihren eigenen Weg finden. Der Pädagoge Axel Hudak erklärt, welche Unterstützung sie dabei von den Eltern brauchen und was Mutmachen mit Loslassen zu tun hat.

Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr.“ Diese abgewandelte Version des bekannten Zitats von Wilhelm Busch (der nur die Väter im Blick hatte) würden viele Eltern von Jugendlichen wohl seufzend unterschreiben. Wobei die Herausforderungen, die sich mit dem Familienzuwachs einstellen, ja nicht erst in der Pubertät beginnen. Erfahrene Eltern wissen: Die Sorgen um das Kind beginnen mit dem ersten Atemzug, manchmal – „dank“ moderner medizinischer Diagnostik – sogar bereits im Mutterleib.

So ging es uns im Sommer 2003, als die Gynäkologin meiner Frau und mir bei einem turnusmäßigen Ultraschall erklärte, dass die Nieren unseres Sohnes eine ungewöhnliche Fehlbildung aufwiesen. Ihr gut gemeinter, aber etwas lapidarer Satz: „Das müssen Sie nach der Geburt dann mal anschauen lassen“, klingt mir jetzt noch in den Ohren. Dieses Nachschauen wuchs sich zu einem jahrelangen Klinikmarathon aus, der bis heute andauert. Verständlich, dass man ein solches Kind in Watte packt und es beschützt und behütet, oder nicht?

Löweneltern ja, Helikoptereltern nein

Wir haben uns damals bewusst anders entschieden. Als Eltern mit medizinischer Erfahrung (Krankenschwester und Krankenpfleger, später dann Pflegepädagoge) waren und sind wir heute noch oft Löweneltern, wenn es in der Klinik darum geht, gemeinsam mit den behandelnden Ärzten Entscheidungen zu treffen. Löweneltern meint, dass wir zur Not auch einem Konflikt nicht aus dem Weg gehen, wenn es für das Wohl unseres Sohnes nötig ist. Und doch war uns gleichzeitig klar: Wir wollen ihm ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Und das geht nur, wenn wir nicht zu Helikoptereltern werden, sondern ihn von klein auf loslassen und ihn seine eigenen Erfahrungen machen lassen: die freudigen genauso wie die schmerzlichen.

Damit er und auch seine nachfolgenden beiden Geschwister ihre eigenen Wege finden und gestalten konnten, war uns von Anfang an klar: Wir möchten, dass unsere Kinder mündige und mutige Menschen werden, die in der Lage sind, Situationen zu überblicken, Beweggründe zu hinterfragen und fundiert eigene Standpunkte zu beziehen. Dafür brauchen sie unsere Ermutigung. Mittlerweile sind unsere beiden Großen siebzehn und neunzehn Jahre alt, und sie stehen vor neuen Herausforderungen: Was will ich mit meinem Leben nach der Schule anfangen? Wird der Beruf oder Studiengang, den ich wähle, mich wirklich mein ganzes Leben begleiten? Wie gehe ich damit um, wenn meine Entscheidungen und Aussichten eher Angst erzeugen als Vorfreude?

Entscheidungen treffen

Bei unseren Kindern, aber auch bei ihren Freunden erlebten wir in den letzten Jahren zunehmende Zukunftsängste in Bezug auf den Klimawandel und die weltpolitische Situation. Aber es ergaben sich auch persönliche Fragezeichen, in welche Richtung es denn beruflich und schulisch gehen sollte. Beide Kinder entschieden sich nach dem mittleren Schulabschluss für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ).

Diese Entscheidung, eine Art „Pausenjahr“ einzulegen, stellte sich als sehr weise und segensreich heraus. Dieses erste Hineinschnuppern in die Arbeitswelt gepaart mit der großen Entlastung, ein ganzes Jahr nicht durch Noten bemessen und bewertet zu werden, empfanden unsere Kinder als eine sehr wertvolle Erfahrung. Gleichzeitig bemerkten wir, wie sie in ihren Persönlichkeiten reiften. Beide legen eine uns Eltern völlig neue Strukturiertheit und Stringenz an den Tag, die uns verblüfft und gleichzeitig darin bestätigt, dass diese Entscheidung richtig war.

Nach der FSJ-Zeit stand für beide die nächste große Kreuzung des Lebens an: Abitur oder Ausbildung? Dieses Bild der Kreuzung im Sinne einer Weggabelung ist hier bewusst gewählt. Denn darum geht es doch bei unseren heranwachsenden, beinahe erwachsenen Kindern: Wir begleiten sie auf ihrem Lebensweg von klein auf; erst an der Hand, dann lernen wir, Stück für Stück loszulassen. Und eines Tages stehen sie an den wichtigen Gabelungen des Lebenswegs und müssen Entscheidungen treffen von einer Tragweite, die sie selbst kaum einschätzen können.

Einen Schritt zurücktreten

Ein erster, völlig natürlicher Reflex wäre es nun, ihnen mit unserer geballten Lebensweisheit zur Seite zu stehen und ihnen zu sagen, was sie unserer Meinung nach am besten tun sollten. Hier hilft es, sich bewusst zu machen: Ich kann mein Kind bis zu dieser Kreuzung begleiten. Gern darf ich gemeinsam mit ihm um die Ecke schauen und herausfinden: Was könnte passieren, wenn ich nach rechts gehe – und was, wenn ich die linke Seite nehme? Ich darf helfen, dass es eine fundierte Entscheidung wird, indem ich Informationen sammle oder meine eventuell vorhandene Expertise zum Besten gebe.

Eins ist dabei allerdings von großer Bedeutung: Ich muss es schaffen, nach diesem Ausblick einen Schritt zurückzutreten und mein Kind diese Entscheidung selbst treffen zu lassen. Es ist ein überaus wichtiger Reifeprozess-Schritt, dass es die Verantwortung für die Entscheidungen des Lebens selbst tragen lernt. „Ich an deiner Stelle würde ja …“ ist hier fehl am Platz. Denn durch diese gut gemeinten Ratschläge übernehme ich die moralische Verantwortung und bevormunde mein Kind sogar ein Stück weit. Hier ist Loslassen angesagt, auch wenn das Eltern und Kind eine Menge Mut kostet!

Fehler zulassen

Hat das Kind sich schließlich für einen der möglichen Wege entschieden, darf ich gern anbieten, mich wieder unterzuhaken und es auf dem eingeschlagenen Weg zu begleiten und auf Wunsch auch aktiv zu unterstützen. Gern gesehen sind hierbei unter anderem Sach- und Finanzspenden … Wenn ich die Entscheidungsverantwortung auf mein Kind übertrage, komme ich im Fall einer Fehlentscheidung auch nicht in die Versuchung zu kommentieren: „Ich hab’s dir ja gesagt …“, denn ich habe es ja nicht gesagt! Ganz im Gegenteil, hier habe ich die Möglichkeit, mein Kind mit offenen Armen aufzufangen, aufzubauen und gemeinsam mit ihm an eine neue, andere Weggabelung zu gehen. Auch das ist eine Form der Ermutigung: eine innerfamiliäre Fehlerkultur zu schaffen, die ein mutiges Ausprobieren erlaubt und gleichzeitig den moralischen Zeigefinger in der Hosentasche lässt. Denn Fehler gehören zum Leben, sind wichtige, lehrreiche Mosaikstücke, die das Gesamtbild Mensch erst rund werden lassen.

Den Mut-Tank auffüllen

Einen wichtigen Punkt dürfen wir bei alldem nicht außer Acht lassen: Ein Ermutiger zu sein, kostet selbst Mut und Kraft! Selbstverständlich ist es nicht leicht, das Kind um die Ecke biegen zu sehen und nicht zu wissen, was aus dieser Entscheidung wird. Wird es seinen Weg gehen? Wird es zurückkommen, und wenn ja: in welcher Verfassung? Für meine Frau und mich ist es deshalb unerlässlich, dass wir auftanken an der besten Kraftquelle, die man finden kann. Gleichzeitig dürfen wir dort all unsere Sorgen und Zweifel adressieren: Der christliche Glaube gibt uns den notwendigen Mut und die Zuversicht und das Gebet gibt uns Kraft. Natürlich verstehen wir nicht alle wege Wege – aber dass wir bei Gott unsere Sorgen abgeben und schwach sein dürfen, tut so gut und füllt unseren Mut-Tank immer wieder neu auf!

„Es steigt der Mut mit der Gelegenheit“, wusste schon Shakespeare. Trauen wir uns doch einfach, unsere Kinder zu ermutigen, indem wir ihnen die Gelegenheiten dazu schaffen – und dann für sie da zu sein, um zu feiern, wenn es gelungen ist, oder ihnen die helfende Hand zu reichen, um wieder aufzustehen.

Axel Hudak arbeitet als Pflegepädagoge an einer Berufsfachschule in Karlsruhe und als selbstständiger Erlebnispädagoge (faszinationerleben.de). Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Sex mit angezogener Handbremse? – So klappt es mit echter Verbundenheit

Wenn ein Paar miteinander intim wird, machen sich beide Partner verletzlich. Fehlende Offenheit kann guten Sex hemmen.

Florian geht beim Sex gerne auf die Wünsche seiner Frau Vanessa ein. Seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche stellt er nicht in den Vordergrund. Es kommt so gut wie nie vor, dass er sagt, was er gerne möchte. Stattdessen fragt er jeweils Vanessa, wie sie es gerne hätte. Und wenn sie ihn fragt, was ihm gefallen würde, antwortet er: „Ich kann mir alles vorstellen. Was willst du?“

Ein selbstloser Liebhaber?

Es scheint, als wäre Florian ein ausgesprochen selbstloser Liebhaber. Er stellt die Bedürfnisse seiner Frau über seine eigenen. Trotzdem sind Vanessa und Florian nicht so recht zufrieden mit ihrer Sexualität. Irgendwie ist es nicht der heiße Sex voller Leidenschaft und tiefer Verbundenheit, den sie sich wünschen.

Könnte es sein, dass das auch an Florians vermeintlicher Selbstlosigkeit liegt? Dass sein Verhalten nur ein als Selbstlosigkeit getarnter Selbstschutz ist? Dass es ihm eigentlich gar nicht darum geht, auf die Wünsche seiner Frau einzugehen, sondern viel eher darum, sich selbst nicht mit einem Vorschlag zu exponieren?

Wer offen sagt, was er oder sie im Bett will, riskiert, zurückgewiesen zu werden. Er bietet Angriffsfläche und macht sich verletzbar. Florian will das verhindern und überlässt deshalb Vanessa die Initiative. Er schützt sich, indem er nicht zu viel von sich preisgibt und sich nicht ganz zeigt.

Sag, was du dir wünschst!

Florians Verhalten gibt den Ton für den weiteren Verlauf der sexuellen Begegnung an. Auch Vanessa wird zurückhaltend sein und sich nicht exponieren. Der Sex wird sich auf dieser Ebene von viel Selbstschutz und wenig Selbstpreisgabe abspielen. Es ist Sex mit angezogener Handbremse.

Damit richtig guter Sex entstehen kann, braucht es Nähe und Intimität. Das entsteht, wenn wir etwas von uns preisgeben. Wenn wir den anderen an uns heran und unsere Schutzmauern fallen lassen. Wenn wir uns zeigen und uns dem anderen zumuten, so wie wir sind.

Florian hat erkannt, dass seine Selbstlosigkeit nur eine Tarnung ist. Er trainiert nun, seine Wünsche beim Sex einzubringen. Dabei ist sein Glaube eine wertvolle Ressource. Er glaubt an einen Gott, der ihn liebt, so wie er ist. Das gibt ihm die Sicherheit und das Rückgrat, um sich beim Liebesspiel mit Vanessa zu exponieren und verletzbar zu machen. Auf dieser Grundlage kann echte Nähe und Verbundenheit entstehen. Davon wird auch Vanessa profitieren – mehr als von einem Mann, der sich im Bett ausschließlich um ihre Bedürfnisse kümmert.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Ziemlich beste (Schwieger-)Eltern: So klappt es mit einer guten Beziehung zu erwachsenen Kindern

Auch erwachsene Kinder brauchen Liebe und Rückhalt. Zugleich bauen sie an einem eigenen Leben und entwickeln sich weiter. Wie verhalten sich Eltern da am besten? Sieben Thesen für eine gelingende Beziehung.

Von Jörg Berger

Die Sichtweisen, die ich Ihnen hier vorstelle, entwickeln sich normalerweise in einer persönlichen Begleitung. In wenigen Zeilen könnten sie wie ein Anforderungskatalog wirken, dem man kaum gerecht werden kann. Doch spüren Sie dabei in Ihr Elternherz. Ist es nicht genau das, was Sie Ihren Kindern sein und geben wollen? Wir blicken als fortgeschrittene Eltern auf eine ermutigende Erfahrung zurück: Vieles gelingt, obwohl wir nicht perfekt sind. Die Liebe zählt.

1. Erwachsene Kinder brauchen Eltern, die sich ihrer emotionalen Macht bewusst sind
Es fühlt sich oft gar nicht so an. Stattdessen fühlen wir Eltern uns verwundbar – spätestens, wenn jugendliche Kinder wütend auf uns werden, dicht machen oder hart über uns urteilen. Und eines Tages verlassen sie uns. Wir Eltern müssen loslassen. Viele – wie meine Frau und ich gerade – bleiben auch traurig zurück und überlegen, was nun unser Leben füllt. Doch in emotionaler Hinsicht üben wir unbewusst mehr Macht aus, als wir denken. Wenn Kinder heftig reagieren, tun sie das, weil sie unserer Elternmacht etwas entgegensetzen. Wir haben uns tief in ihre Seele eingeprägt, mit Wertvollem und auch mit Belastendem. Das Gefühlsleben, das Gewissen und die spontanen Gedanken unserer Kinder werden immer von uns beeinflusst bleiben, auch wenn zum Glück neue Prägungen hinzukommen.

Deshalb lösen sich auch erwachsene Kinder weiter von uns Eltern ab. Um entfalten zu können, was in ihnen steckt, müssen unsere Kinder noch das eine oder andere von uns abstoßen. Was folgt daraus? Zunächst ein weites Herz für Überreaktionen. Unsere erwachsenen Kinder dürfen und sollen auch einmal wütend werden. Sie dürfen und sollen sich auch einmal verschließen oder überkritisch sein. Denn in jeder Reaktion auf Heutiges kann eine Reaktion auf frühere Erfahrungen enthalten sein. Eltern, die solche Reaktionen nicht auf die Goldwaage legen, erleichtern ihren Kindern, sich als gleichberechtigtes Gegenüber zu fühlen. Dann klingen mit den Jahren auch die Überreaktionen ab.

2. Erwachsene Kinder schätzen Eltern, die gut mit Schuld umgehen können
Eltern werden an ihren Kindern schuldig. Je reifer Eltern mit dieser Tatsache umgehen, desto leichter machen sie es ihren Kindern. Nicht hilfreich sind übertriebene Schuldgefühle, denn dann käme ja die Botschaft an: „Ich habe bei dir versagt. Du bist ganz verkorkst.“ Unsere Kinder sind wunderbar; wir können also nicht alles falsch gemacht haben. Wenig hilfreich wäre es auch, bei unseren Kindern eine Absolution zu suchen: „Kannst du mir vergeben, was ich falsch gemacht habe?“ Kinder können Eltern nicht von Schuldgefühlen entlasten. Eine grundsätzliche Vergebung könnte es außerdem erschweren, irgendwann einmal konkret anzusprechen, was in der Vergangenheit nicht gut gelaufen ist. Denn dürfen Kinder das noch, wenn sie doch schon „alles“ vergeben haben?

Wenn Eltern die Frage nach eigener Schuld beschäftigt, rate ich ihnen: „Seien Sie einfach offen, aufmerksam und einladend, wenn Sie merken, dass Ihr Kind etwas aus der Vergangenheit beschäftigt. Wenn etwas zur Sprache kommt, können Sie Fehler eingestehen und um Vergebung bitten. Aber vielleicht ist das, wofür Sie sich gerade schuldig fühlen, gar kein Problem für Ihr Kind.“ Solange es nicht zum Thema wird, ist eine Schuld woanders besser aufgehoben: in einer Beichte, einem Seelsorgegespräch oder im vertrauten Gespräch einer Freundschaft.

3. Erwachsene Kinder staunen über korrekturbereite Eltern
Ob wir entspannt mit Fehlern der Vergangenheit umgehen können, zeigt sich auch darin, wie wir heute reagieren, wenn uns Kinder mit ihrer Reaktion zeigen, dass wir gerade unachtsam, ungerecht, zu kritisch, zu wenig feinfühlig und anderes waren. Natürlich sind auch unsere Kinder keine Heiligen. Trotzdem werbe ich im Umgang mit ihnen um eine Korrekturbereitschaft – zur Not auch einseitig: „Du hast Recht, gerade war ich wirklich … Das tut mir leid. Du musst dich … gefühlt haben.“

Ich habe schon viele Beispiele erlebt und erzählt bekommen, in denen sich dadurch eine Situation entspannt und die erwachsenen Kinder dann eingestehen: „Danke. Ich habe ja auch …“ Manchmal brauchen Eltern dazu etwas Geduld. In bestimmten Ablösungsphasen ist es Kindern einfach wichtig, nicht immer diejenigen zu sein, mit denen etwas nicht stimmt, die nicht genügen oder etwas falsch machen.

4. Erwachsene Kinder freuen sich über Diskretion
Unsere Kinder sind unser großes Projekt. Wir würden lügen, wenn wir behaupten, in unserem Stolz auf unsere Kinder läge nicht auch ein klein wenig Stolz auf uns selbst. Gleichzeitig ist das Wohl unserer Kinder unser verwundbarster Punkt. Was ihnen droht, versetzt uns in Sorge. Was sie schmerzt, geht uns an die Nieren. All das macht unsere Kinder zu einem naheliegenden Gesprächsstoff. Doch wer soll von dem erfahren, was sich im Leben unserer Kinder abspielt? Wer darf von ihnen wissen, was sie selbst nur wenigen Menschen anvertrauen? Das sollte sich an dem orientieren, womit sich unsere Kinder wohl fühlen. Wer sich für Diskretion entscheidet, wird sich manchmal auf die Zunge beißen. Doch es lohnt sich. Kinder spüren das Maß unserer Vertraulichkeit und das bestimmt das Maß ihres Vertrauens.

Bei sensiblen Themen würde ich sogar sagen: Nicht alles, was ein Vaterohr hört, ist auch für das Mutterohr bestimmt und umgekehrt. Es gibt Männerthemen und Frauenthemen. Und es gibt Themen, die man lieber mit demjenigen bespricht, der etwas Abstand zu den Dingen hat. Bei anderen Themen wäre alles andere als eine gefühlvolle Reaktion verletzend. Die wird man eher bei dem emotionaleren Elternteil suchen. Manchmal ersehnen Kinder einen klaren Maßstab, der sie auf Kurs hält. Manchmal brauchen sie ein Gegenüber, das Fünfe gerade sein lässt. Hier öffnen sich Kinder je nach Thema mal dem einen, mal dem anderen Elternteil.

Erwachsene Kinder würden sich komisch fühlen, wenn sie bitten: „Sag es lieber nicht der Mama/dem Papa.“ Doch genau das kann einmal dran sein. Das andere Elternteil kann dann vielleicht stichwortartig einbezogen werden: „Wir haben darüber gesprochen, wie es Pia gerade in der Ausbildung geht.“

Ein, zwei verschwiegene Orte würde ich dennoch allen Eltern empfehlen. Es gibt Dinge, an denen man alleine zu schwer tragen würde und die man aussprechen muss. Dazu eignen sich Personen, die den erwachsenen Kindern nicht allzu nahestehen und die für sich behalten, was man ihnen anvertraut.

5. Erwachsene Kinder brauchen glückliche Eltern
Haben wir für unsere Kinder Opfer gebracht? Hoffentlich nicht. Denn die Anstrengung, der Schlafmangel, das Pausieren persönlicher Freiheiten und ein materieller Verzicht sind mehr als aufgewogen im Glück, das wir an und mit unseren Kindern erlebt haben. Dennoch ist es möglich, dass, je nach Lebens- und Familiengeschichte, das Elternsein vielleicht ein Kampf war, der Wunden und Narben zurückgelassen hat. Dann ist es umso wichtiger, dass sich Eltern mit ihrer Geschichte versöhnen. Sie dürfen stolz auf die Wunden und Narben sein. Denn sie haben sie sich im Einsatz für etwas Wertvolles zugezogen. Eltern sollten nicht ruhen, bis sie damit glücklich sind. Vielleicht braucht es dazu Orte der Regeneration, eine Begleitung oder eine Zeit, in der eine heilsame Selbstfürsorge im Vordergrund steht.

Kaum dass wir unsere Elternaufgabe gemeistert haben, kommt außerdem die Lebensphase, die unser Glück hart angreifen kann: Zeichen des Alters, Krankheit, zerbrechende Beziehungen, Verluste, Lebensträume, die Sie nicht mehr verwirklichen werden. Doch das soll unsere erwachsenen Kinder nicht belasten. Sie sollen doch fröhlich und unbelastet in das eigene Leben starten. Darf ich so weit gehen und vertreten, dass es unsere fortgeschrittene Elternpflicht ist, glücklich zu sein?

Glück ist nicht auf gute Lebensumstände angewiesen. Das zu entdecken, fordert die eigene Entwicklung und vielleicht den eigenen Glauben heraus. Glück in der Lebensmitte verstehen nur noch wenige als ein Leben ohne Belastungen. Es heißt vielmehr: Belastungen durch Wertvolles aufwiegen, bis das Glück obenauf ist.

6. Natürlich brauchen Kinder, was Sie ohnehin tun
Es geht so viel Rückhalt davon aus, wenn Eltern helfen, sich interessieren, schenken, kochen, zu etwas einladen… Man kann es nicht hoch genug schätzen. Eben weil wir Eltern immer eine emotionale Macht behalten, geht zu Herzen, was von uns kommt. Das Wissen, auf uns zählen zu können, gibt unseren Kindern Stärke, wenn Situationen besonderen Mut erfordern.

Gleichzeitig schützt der Rückhalt im Elternhaus vor falscher Stärke, die man im Geldanhäufen, im Erfolg oder in einer Ich-brauche-niemanden-Mentalität finden könnte. Leben gelingt nur, wenn die Fähigkeit, sich verwundbar zu machen, mit Mut zusammenfindet. Das geht nur mit Rückhalt. Den kann man auch bei anderen finden. Aber es ist schön, wenn man ihn bei den Eltern hat.

7. Erwachsene Kinder schätzen ein zweites Zuhause
Schwiegerkinder finden bei ihren „neuen Eltern“ oft ein zweites Zuhause. Sie erleben eine Zugehörigkeit und eine Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft sind. Sie können etwas genießen, was die eigenen Eltern eventuell nicht so gut geben konnten, und ein Nachholbedürfnis stillen. Wo die eigenen Eltern vielleicht ernst und verantwortlich waren, genießt man in der Schwiegerfamilie Humor und Entspannung. Wo Eltern ihre Liebe nicht so offen zeigen konnten, füllt die Herzlichkeit der Schwiegerfamilie den emotionalen Tank. Es kann für Schwiegereltern sehr motivierend sein, wenn sie spüren, wie wichtig sie für Schwiegertöchter und -söhne sind. Das hilft auch, sich für das Ungewohnte zu öffnen, das mit Schwiegerkindern in die Familie kommt. Früher oder später wird man auch mal einen Konflikt mit Schwiegerkindern austragen müssen. Doch der kann von der Liebe bestimmt sein, die man für die eigenen Kinder hat, und vom Taktgefühl, das man gegenüber Gästen zeigt.

Unser emotionales Gehirn kennt übrigens kein „Schwieger-“. Dafür hat es keine Kategorie. Wo unser Verstand „Schwiegereltern“ denkt, fühlt unser Herz: „Eltern.“ Schwiegereltern können die ersten Thesen deshalb auch auf ihre Schwiegerkinder anwenden. In gewisser Hinsicht ist das sogar leichter. Denn eine Toleranz für Überreaktionen und eine Bereitschaft zur Selbstkorrektur gleichen dann aus, was andere Eltern versäumt haben.

Jörg Berger arbeitet als Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg (epaartherapie.de). Mehr zum Thema finden Sie in seinem Buch „Stachelige Eltern und Schwiegereltern. Wie Sie Frieden schließen und versöhnt leben“ (Francke).

Vom Lesemuffel zum Bücherwurm – So ermutigen Sie ihre Kinder zum Lesen

Durch das Überangebot an digitalen Medien und Videospielen geht häufig das Interesse am Lesen verloren. So können Sie ihre Kinder trotzdem zum Lesen motivieren.

Lesen ist ein komplexer Prozess. Ein Buchstabe muss in einen Laut und der Laut in einen Sinn umgewandelt werden. Das erfordert Anstrengungsbereitschaft und ohne Freude bleibt das Lesen ein notwendiges Übel im Schulalltag. Digitale Medien wie Chatnachrichten, Anweisungen in Apps und Teasertexte sind kein Ersatz für Printmedien, denn sie fördern kaum Wortschatz, Konzentration, Kreativität und Empathie.

Leseneugier wecken

Bücherwürmer sind von Neugier getrieben, daher: Finden Sie heraus, welche Themen Ihr Kind spannend findet. Sind es Sachthemen, Anime, Gaming oder Fantasywelten? Sind es aktuelle Themen wie Umweltschutz oder Menschenrechte?

Für all diese Themen gibt es wunderbare Bücher. Vor allem Graphic Novels wagen sich an schwierige Geschichten (Maus – Die Geschichte eines Überlebenden, Biografie von Sophie Scholl oder Künstlerporträts). Diese Bücher sehen wie Comics aus, haben aber komplexe Handlungen. Selbst das „Lustige Taschenbuch“ mit Donald Duck und Micky Maus ist wertvoll. Erika Fuchs war die deutsche Übersetzerin der LTBs. Ihr ist ein Museum in Nordbayern gewidmet. Vielleicht weckt ein Besuch die Leseneugier?

In den letzten Jahren wurden Kinofilme und Serien aus dem Marvel-Universum immer beliebter. Nutzen Sie Spiderman, Avengers und Co., um in diese Welt einzutauchen. Zu den Filmen gibt es Nachschlagewerke und Biografien über die Macher (DK-Verlag). Stan Lee, Gründer von Marvel, bezog sich mit seinen Figuren auf Probleme seiner Zeit. „Black Panther“ hätte es nie ohne die Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre gegeben. Es gibt Bücher, da kann man den Verlauf der Geschichte bestimmen (1.000-Gefahren-Serie) und die Jugendlichen haben das Gefühl, Teil der Handlung zu sein. Beliebt sind Bücher im Sketchnotes-Style (Tom Gates, Lotta-Leben). Die Wörter haben etwas Lautmalerisches. Die kreative Typografie erleichtert auch Teens, die wenig lesen, den Inhalt zu erfassen.

Anknüpfungspunkte finden

Ihr Kind will aber nur vor dem PC hocken und zocken? Dann lassen Sie sich die Story des Games erzählen. Es geht meistens um Gut gegen Böse und manche Jugendthriller greifen solche Themen auf („Erebos“ von Ursula Poznanski). Ihr Kind versinkt im Fifa-Spielemodus? Wie wäre es mit Zeitschriften rund um Fußball oder eine Sportlerbiografie? Auch Musik kann ein Anknüpfungspunkt zum Lesen sein. Hinter jedem Song verbirgt sich eine Geschichte. Was hat den Künstler bewegt, darüber zu singen? Das zu entdecken, kann eine große Motivation sein. Young-Adult-Literatur bietet oft die passenden Songs zu den Büchern auf Spotify an.

Werten Sie nicht, was Ihr Kind liest. Zeigen Sie Interesse. Lieben Sie selbst Bücher? Steckt Ihre Leselust an? Ein Besuch im Antiquariat, Musical, Workshop oder eine Ausstellung sind oft Türöffner in die Welt der Geschichten.

Susanne Ospelkaus lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München, bloggt unter susanne-ospelkaus.com und arbeitet als Autorin, Lektorin und Therapeutin.

Paartherapeuten: Wir brauchen mehr Offenheit, über Probleme zu sprechen!

Viele Paare geben nach außen hin ein perfektes Bild ab. Doch oft genug kriselt es hinter den Kulissen. Paartherapeuten raten zu mehr Offenheit.

Betty und Jonas (Namen geändert) sind seit fünf Jahren verheiratet und bereits am Tiefpunkt ihrer Beziehung angelangt. So hatten sie sich das nicht vorgestellt: Betty, die seit der Geburt der beiden Kinder in Elternzeit ist, ist super gern Mama. Dennoch fürchtet sie manchmal, beruflich aufs Abstellgleis zu geraten, und es belastet sie das Gefühl, dass zu Hause so vieles an ihr hängen bleibt.

Jonas treibt die Aussicht auf einen bevorstehenden Karrieresprung an. Es scheint unvermeidlich, dass er mehr Zeit in der Firma verbringt als früher. Schließlich macht er das auch für seine Familie – Betty und die Kinder sollen es gut haben und materiell abgesichert sein. Er fühlt sich von ihr nicht gesehen in seinen guten Absichten und kann die ewige Unzufriedenheit von Betty nicht mehr ertragen.

In der wenigen Zeit, in der die beiden Gelegenheit zum Reden hätten, streiten sie sich inzwischen regelmäßig. Und so pendelt die Beziehung zwischen gegenseitigen Vorhaltungen und tiefer Frustration. Aber – und das ist das Spannende – nach außen zeigen sie sich immer noch als Bilderbuchfamilie. Wenn sie zum Beispiel sonntags zum Gottesdienst in ihre Gemeinde gehen, bemühen sich Betty und Jonas, intakt zu wirken und sich nicht hinter die Fassade schauen zu lassen.

Die beiden sind keine Ausnahme. In vielen Paarbeziehungen kriselt es und die wenigsten lassen sich dabei in die Karten schauen.

Kultur der Schwäche

Warum ist es so schwer, zu seinen Schwächen zu stehen und offen über die Schwierigkeiten, die man miteinander hat, zu reden? Niemand gibt gern zu, an bestimmten Stellen das Leben nicht auf die Reihe zu bekommen. Probleme sind in unserer Kultur meist ein Ausdruck von Schwäche. Praktisch jeder hat irgendwann im Leben die Erfahrung gemacht, für Schwächen kritisiert, ausgelacht oder gar bestraft zu werden. Das tut weh und ist erniedrigend, deshalb verbergen wir sie lieber nach außen.

Allerdings ist das fatal, denn durch die vielen Paare, die nach außen eine heile Ehe-Fassade präsentieren, wirkt es auf Krisen-Paare, als seien sie die einzigen, die den oft überhöhten Maßstäben und Erwartungen nicht gerecht werden. Dabei gilt eine ganz einfache Faustformel: „Beneide niemanden um seine perfekte Ehe – du weißt ja nicht, wie es hinter deren Fassade aussieht.“

Wir brauchen hier unbedingt eine Kultur der Offenheit, in der man nicht nur über seine Siege, sondern besonders auch über Niederlagen offen redet. In der man ehrlich zugibt, wo man noch Lernbedarf hat oder in welchen Herausforderungen man als Paar steht.

In unseren Eheseminaren legen wir Wert darauf, immer auch von eigenen Schwächen zu berichten und uns nicht als perfektes Paar zu präsentieren. Wir erzählen, wie wir Phasen durchlitten haben, in denen wir am liebsten ausgebrochen wären, wie lange es gedauert hat, bis wir das mit dem Sex für beide befriedigend hingekriegt haben oder wie wir nach Jahren immer noch in dieselben Fallen tappen. Hinterher bedanken sich die Paare nicht für die gute Präsentation oder die wertvollen Inhalte, sondern sie danken uns für die Authentizität. Das baut eine Brücke, um auch eigene Probleme ansprechen zu können. Und es macht Mut: „Wenn die das hinkriegen, dann können wir es auch schaffen.“

Vier Anzeichen einer echten Krise

Konflikte, Unzufriedenheit, Gefühle der Vernachlässigung – all das gibt es gelegentlich in jeder normalen Beziehung. Vier gravierende Anzeichen, dass bei einem Paar etwas so schiefläuft, dass sie Hilfe brauchen, beschreibt der Paarpsychologe John Gottman. Er nennt sie die „Apokalyptischen Reiter der Paarbeziehung“ und meint damit Kritik, Rechtfertigung, Verachtung und Rückzug.
Kritik: Natürlich kommt es vor, dass man sich an Dingen stört, die der oder die andere macht oder vernachlässigt. Gefährlich wird es, wenn sich eine Grundstimmung des Kritisierens und Nörgelns eingestellt hat. Wenn nämlich nicht deutlich mehr Ermutigung und Dankbarkeit ausgesprochen wird, als dass kritisiert wird, ist das Grundbedürfnis, vom anderen geliebt und akzeptiert zu sein, bedroht.
Verachtung: Das ist noch eine Nummer härter, wenn nämlich einer den anderen regelrecht herabwürdigt. Das zeigt sich in sehr abfälligen Worten dem anderen gegenüber, aber auch darin, wie man schlecht über den Partner oder die Partnerin vor Dritten redet.
Rechtfertigung: Die eigene Reaktion in Schutz nehmen, weil sie angeblich ja nur die Antwort auf das schlechte Verhalten des Partners war. Wer nie Verantwortung für einen Streit übernimmt, sondern die Schuld immer dem Gegenüber zuschiebt, ist genau in diesem Verhaltensmuster gefangen.
Rückzug: Ab und zu einander aus dem Weg zu gehen oder seine Ruhe zu brauchen, ist natürlich kein Problem. Wenn aber zwei Menschen unsichtbare Mauern zwischen sich errichten und den anderen gar nicht mehr an sich heranlassen, wenn jeder sein Leben lebt und kaum noch Berührungspunkte da sind, wenn sich vielleicht sogar einer von beiden schon in eine Konkurrenzbeziehung investiert, dann hat bereits eine innere Trennung stattgefunden.

Wenn diese vier Verhaltensweisen permanent vorhanden sind, dann ist es höchste Zeit, dass sich ein Paar Hilfe sucht. Und wie könnte diese Hilfe dann aussehen?

Der Wert von Freundschaften

In Krisen zeigt sich der Wert von guten Freundschaften ganz besonders. Paare sollten daher unbedingt nicht nur einander genügen, sondern Beziehungen mit Freunden pflegen. Dort sollten sie sich um eine Kultur der Ehrlichkeit und Offenheit bemühen. Die wird am ehesten dann entstehen, wenn sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen und nicht nur berichten, was gut läuft, sondern auch über die Probleme sprechen. Eine Frau, die mit ihrem Mann in einer tiefen Krise steckte, wurde von ihrem Mann darum beneidet, dass sie so gute Freundinnen hatte, mit denen sie jetzt über vieles reden konnte. „Das war auch richtig harte Arbeit“, sagte sie ihm. „Es war nicht leicht, dranzubleiben, die Freundinnen regelmäßig zu treffen, sich zu öffnen und eigene Defizite vor den anderen zuzugeben.“

Seelsorge- und Therapieangebote

Wer merkt, dass er oder sie allein nicht weiterkommt, sollte nicht zu spät den Weg zu Seelsorge oder Paartherapie suchen. Dazu gibt es jede Menge gute Angebote. Viele Gemeinden haben Ansprechpersonen dafür. Es gibt zudem Organisationen wie C-Stab oder Team.F, die Listen von möglichen Ansprechpartnern führen. Die Seelsorgerinnen und Berater stehen immer unter Schweigepflicht und bei einem unverbindlichen Erstgespräch kann man in der Regel feststellen, ob man die geeigneten Helfer gefunden hat.

Ein junges Paar, das in einer sexuellen Problematik feststeckte und nahe daran war, zu verzweifeln, fand den Weg in eine Paartherapie. Sie brauchten nur zwei Beratungsgespräche und die Probleme waren gelöst! Wie viele Jahre des Leidens blieben ihnen dadurch erspart, weil sie sich getraut haben, sich jemandem zu öffnen!

Oft dauert es jedoch länger. Manchmal kann die Beratung allerdings nicht mehr weiterhelfen; auch das darf nicht verschwiegen werden. Eine Erfolgsgarantie wird kein seriöser Berater geben. Das liegt allerdings manchmal auch daran, dass das Paar zu lange gewartet hat, bevor es sich Hilfe geholt hat.

Eine Kultur der Ermutigung für Paare

Ein Dach deckt man, wenn die Sonne scheint. Genauso sollten Paare an ihrer Beziehung in guten Zeiten arbeiten. Deshalb ist Prophylaxe so wichtig. Praktisch jede Paarbeziehung verliert mit der Zeit an Qualität, wenn sie nicht regelmäßig gepflegt wird und beide in das Beziehungskonto einzahlen.

Zum einen kann man als Paar selbst viel dafür tun: regelmäßige Dates, Eheabende, Gesprächszeiten, für die man sich Zeit im Kalender reserviert – egal, ob morgens beim Frühstück oder auch mal abends, wenn die meiste Arbeit erledigt ist oder die Kinder schlafen. Zeit zu zweit ist so wichtig, weil damit das Gegenüber das Gefühl bekommt: „Du bist mir wirklich wichtig.“

Ein toller Weg, an der Beziehung dranzubleiben und schwierige Situationen rechtzeitig zu beackern, ist das Mentoring. Einige Gemeinden haben sich da inzwischen Programmen angeschlossen und bieten das Paaren grundsätzlich an. Ein Paar könnte sich aber auch selbst ein geeignetes anderes, erfahrenes Paar suchen, von dem sie sich begleiten lassen und mit dem sie offene Gespräche über ihre kritischen Themen führen können.

Nicht zuletzt können Paare regelmäßige Beziehungs-Updates bekommen, indem sie Seminare (zum Beispiel von Team.F oder den Alpha-Ehe-Kurs) besuchen, Beziehungsratgeber zusammen lesen oder regelmäßig nach Vortragsangeboten (auch online) Ausschau halten. Die MarriageWeek Deutschland bietet ebenfalls eine Plattform, auf der Paare immer wieder gute Angebote finden können.

Wir träumen davon, dass überall dieses Bewusstsein erwacht, wie wichtig es ist, Paare zu ermutigen, an ihrer Beziehung zu arbeiten. Denn nur eines ist selbstverständlich: dass keine Paarbeziehung perfekt ist.

Marcus und Susanne Mockler – er Journalist, sie Paartherapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende der MarriageWeek Deutschland. Gemeinsam haben sie den Eheratgeber „Das Emma*-Prinzip – Sieben Schlüssel zu einer richtig guten Ehe“ geschrieben. geliebtes-leben.de

WG der Eigenheiten – Warum wir nie allein am Tisch sitzen

Am Esstisch nehmen nicht nur die Familienmitglieder Platz. Prägungen aus früheren Generationen sind immer stille Mitbewohner. Manchmal sind es lustige Eigenheiten, manchmal dunkle Schatten, die besser in den Keller gehören. Von Sandra Geissler

Als ich vor vielen Jahren mein Herz an meinen Mann verlor, begannen wir unsere Geschichte, unsere Geschichten und unsere Mahlzeiten zu teilen. Dabei fiel mir eine kuriose Marotte des werdenden Gatten auf. Belegte er sich Brot oder Brötchen, dann schnitt er mit der Akkuratesse eines Hirnchirurgen alles Überstehende ab, bis Belag und Schnitte fein säuberlich Kante auf Kante saßen. So eine Brotbelegungstechnik hatte ich tatsächlich noch nie gesehen.

Einige Zeit später lernte ich den Cousin des Zukünftigen aus dem Norden der Republik kennen und beim Frühstück starrte ich ihn entgeistert an. Da saß er doch, beschnitt seine Käsescheibe und richtete die Gurkenscheiben aus, als wolle er einen Fliesenboden verlegen. Exakt die gleichen Handbewegungen, der gleiche hochkonzentrierte Gesichtsausdruck, die gleiche Schnitttechnik. Seither frage ich mich, welcher Vorfahr vor wie vielen hundert Jahren diese kleine Eigenheit mit ins Leben brachte und sie seither an der ein oder anderen Verästelung des Stammbaumes hervorblitzen lässt.

Dauergäste im Tarnumhang

Heiratet man einen Menschen, dann heiratet man nicht nur seine Art und Weise, ein Brot zu belegen. Man heiratet auch die Menschen seines Lebens, die Geschichte und Geschichten einer Familie, geschrieben über Generationen, ihre Werte und Rituale, ihre Seltsamkeiten und kuriosen Eigenschaften. Sie folgen unserem Lebenslauf, sind verflochten mit Begegnungen, Berufungen und Bedürfnissen. Ein Flechtwerk eingewoben in unsere Herzen, ein Netzwerk aus Prägungen, Erfahrungen und Erinnerungen. Sie sind nicht in Umzugskisten verpackt, nicht klobig sichtbar wie die alte Regalwand aus Kindertagen und werden nicht in einem Sack mit den Klamotten ins gemeinsame Heim getragen. Vielmehr sind es Dauergäste im Tarnumhang, unsichtbare Gepäckstücke des Lebens, über die man hin und wieder stolpert, weil sie an den unpassendsten Stellen im Weg rumstehen, mal klobig und sperrig, mal liebevoll, heiter und weich, wie eine Umarmung. Weil auf diese Weise jeder viele und vieles ist, ist es eine große bunte Gesellschaft, die sich schließlich zusammenfindet und immer was zu sagen hat. Diese Mitbewohner eines jeden Zuhauses zahlen keine Miete, beanspruchen keinen Schlafplatz und keinen eigenen Zahnputzbecher, aber sie gestalten und prägen das Zusammenleben der sichtbaren Menschen munter mit. Sie haben Einfluss auf unsere Art zu streiten und wie wir uns gernhaben. Sie mogeln verjährte Ungerechtigkeiten aus Kindertagen in die tagesaktuelle Schmutzwäsche, legen Reißzwecken alter Empörung aufs Sitzkissen und schaffen es so mühelos, eine kleine Meinungsverschiedenheit in einen handfesten Krach zu verwandeln.

Vorliebe für Quittengelee

Manchmal erinnern sie uns an alte Rituale, die schon immer Trost spendeten, an das Käsekuchenrezept von Tante Lise zum Essen an jedem Ostermontag, an die generationenerprobte Fähigkeit, beizeiten über sich selbst zu lachen. Vielleicht erkennst du im Lächeln deines Kindes das freundliche Gesicht deiner Oma wieder, einen Hang zum Starrsinn in deinem Handeln, weitergegeben wie Opas altes Tintenfass. Vielleicht brennt ein Feuer für Gerechtigkeit schon seit Generationen in euren Herzen, gleich neben der seltsamen Vorliebe für saure Heringe und Quittengelee.

All diese Unsichtbarkeiten leben mit uns und in uns, in unseren Kindern und Kindeskindern, mischen sich ein und mischen auf und manches Mal, wenn sie es gar zu bunt treiben, müssen sie zur Räson gebracht werden. Es ist nicht immer einfach, mit all den Gestalten und Gepäckstücken zu leben. Manche von ihnen sind so gut getarnt, dass man wirklich genau hinspüren muss, wer oder was sich da gerade zu Wort meldet. Dann stehen wir mitten im Streit, in einem Kummer oder einer scheinbaren Harmlosigkeit und wundern uns, warum unser Gegenüber, das wir zu kennen glaubten, reagiert, wie es reagiert.

Dem Schatten die Tür weisen

Es kommt nicht selten vor, dass die wunderbare bunte Truppe der Mitbewohner einige echte Störenfriede unter sich hat, Rucksäcke voll mit schwerwiegenden Erinnerungen, Trauer und Not. Die stehen nicht irgendwo im Keller des Lebens rum, sondern wiegen schwer auf den Schultern, scheuern Rücken und Seele auf und machen das Zusammenleben für alle zur Qual. Dann wird es höchste Zeit, sich zu lösen, sich freizumachen, einen neuen Ort für altes Gepäck zu suchen. Dafür darf man sich nicht nur Zeit, sondern auch Hilfe nehmen.

Wir müssen nicht jeden und alles ertragen, mit manchen lässt sich Frieden schließen und manchem Schatten muss man beherzt die Tür weisen. Manch tradierte Eigenheit ist eine Belastung, die niemand mehr tragen will. Dafür muss man sie sichtbar machen, ansprechen und aussprechen. Wenn Jähzorn schon seit Generationen in einer Familie zu Hause ist, dann darf er trotzdem nicht bleiben. Wenn Schläge die Sprache der Vorfahren waren, dann sind sie dennoch keine angebrachte Kommunikationsform mehr. Und wenn es auch ein ganz und gar undramatisches Erbstück ist, das du einfach nicht mehr haben willst, dann weg damit.

Augenzwinkern aus der Ewigkeit

Diese bunte Wohngemeinschaft des Lebens ist ein großartiges, wohldurchdachtes Netzwerk. Als Christin glaube ich, dass Gott uns nicht aus dem Nichts ins Nichts gestellt hat. Unsere Geschichte und unsere Geschichten, unsere Eigenarten und Besonderheiten sind miteinander und ineinander verflochten, eingewoben in das große Buch der Menschheitsgeschichte. Ein Netzwerk, das beflügelt und Halt gibt, das uns bereichern und bestärken kann. Es verknüpft Gegenwärtiges mit dem Vergangenen, das Diesseits mit dem Jenseits. Und plötzlich merkst du, dass die Art, wie deine Tochter sich das Haar aus der Stirn streicht, die Lachfältchen um die Augen deines Mannes und deine Begeisterung für blühende Gärten einem Augenzwinkern aus der Ewigkeit gleicht. Ein Augenzwinkern, das spricht: „Ich bin noch da, bin noch bei euch und lebe in euch weiter.“

Manchmal sitze ich beim Abendessen und beobachte mit großem Vergnügen, wie eines unserer Kinder sein Brot belegt. Mit der Akkuratesse eines Hirnchirurgen und der Genauigkeit eines Fliesenlegers, Belag auf Schnitte, Kante auf Kante.

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Nierstein am Rhein und bloggt unter 7geisslein.com.