Kunstmuffel? – So begeistern Sie Teenager für Kunst

Kunst ist etwas wunderbares. Doch wie kann man als Eltern  Jugendlichen die Kunst nahebringen? Duch Vorleben und Inspiration, meint Zeichner und Kunstpädagoge Thees Carstens.

Begeisterung für Kunst zu vermitteln, ist am einfachsten, wenn man sich auch als Eltern für Kunst begeistern lassen kann. Es ist wie mit dem Lesen von Büchern: Je selbstverständlicher Kunst am Rande im Alltag vorkommt, desto leichter fällt der Zugang. Den Zugang zu Kunst kann man passiv und aktiv finden. Passiv erleben Kinder früh die Bilder in Büchern, die man zusammen mit den Eltern ansieht und bespricht.

Selbst Kunst zu mögen, ist in jedem Fall ein guter Tipp. Auch wenn man für den eigenen Geschmack belächelt wird. „Man darf Kunst gut finden“, wird hängen bleiben. Je älter Kinder sind, desto mehr gilt: Erziehung zur Kunst kann immer nur nebenbei, durch Vorbild, durch Beobachtung und beiläufige Gespräche gelingen. Ausflüge an Orte, an denen Kunst stattfindet, können dokumentiert werden, indem man zum Beispiel ein gemeinsames Foto vor einem Bild macht und an den Kühlschrank hängt oder den Katalog kauft und im Wohnzimmer griffbereit „herumliegen“ lässt. Stifte und einen Skizzenblock kann man mit ins Kunstmuseum nehmen und etwas abzeichnen. Oder jeder fotografiert das Bild, das ihm oder ihr am besten gefallen hat, mit dem Handy, und man zeigt sich später die Bilder.

Je aktiver, desto besser

Je aktiver man sich mit Kunst vertraut machen kann, desto besser. Jugendliche lassen sich von Kunstwerken in den sozialen Medien gern zu einer eigenen Kunstproduktion inspirieren, zum Beispiel bei Pinterest und Instagram. Hier zu stöbern und sich in der Kunst zu verlieren, kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Die sollte man gewähren. Tutorials findet man auf YouTube in großen Mengen.

Die Werke der Kinder wertzuschätzen, ist in jedem Fall wichtig. Dabei ist gar nicht mal das bedingungslose Lob gefragt, sondern eher das Nachfragen: „Wie bist du auf das Motiv gekommen? Bist du zufrieden? Gibt es etwas anderes Künstlerisches, das du gern mal ausprobieren möchtest?“ Als Eltern selbst einen Stift in die Hand zu nehmen, ist sicher auch nicht verkehrt. Wir haben mal vier Leinwände für uns Eltern und unsere beiden Kinder gekauft und festgelegt, dass alle etwas mit der Farbe Grün malen. Als kleines farblich abgestimmtes Vierer-Ensemble hingen die Bilder lange an der Wand und haben uns an die schöne Familienaktion erinnert und daran, dass wir eine Familie sind, zu der Kunst gehört.

Thees Carstens hat als Comiczeichner, Autor und Illustrator gearbeitet. Seit einigen Jahren unterrichtet er Kunst und Philosophie an einem Gymnasium in Hamburg, wo er mit seiner Familie lebt.

Ferien zu Hause – So klappt das Urlaubsfeeling ohne Verreisen

Der eigentliche Urlaub ist schon rum, es regnet oder eine Reise hat in diesem Jahr nicht geklappt? Dann helfen diese Tipps für entspannte Tage mit Urlaubsfeeling in den eigenen vier Wänden.

Ferien ohne Wegfahren kann für Kinder und Eltern sehr anstrengend sein. Damit das nicht passiert, gibt es viele Möglichkeiten, die Ferne nach hause zu holen.

Länder- oder Mottotage veranstalten

Macht euch zum Beispiel einen Nordseetag mit Fisch, einen Mexikotag mit typischer Musik, Käsenachos und Tacos, einen Lieblingstiertag oder einen Märchentag mit Verkleidung. Zu dem jeweiligen Thema könnt ihr euch optimal mit einer Doku einstimmen, wissenswerte Facts recherchieren (zum Beispiel typische Tiere, Geografie, Demografie, Kultur, Besonderheiten, Entstehung, Entwicklung) und der restlichen Familie vortragen, das Haus oder einzelne Zimmer dekorieren oder themenbezogene Bastelideen auspacken.

Freizeit einfacher planen mit Kindaling

Kindaling ist eine Inspirations- und Buchungsplattform für Familienaktivitäten in Deutschland. Darauf könnt ihr Kurse für euer Kind, Ausflugsideen fürs Wochenende oder diverse Ferienangebote in eurer Nähe suchen (kindaling.de). Mit der neuen Kindaling-App lässt sich die Freizeit noch einfacher planen. Außerdem könnt ihr in der App mit wenigen Klicks personalisierte Angebote in eurer Nähe finden.

Online-Stationen-Parcours „Wir sind Familie! spielend unterwegs“

Auf spielerische Weise werden auf sechs Stationen klassische Familienthemen wie Kommunikationskultur, Teamfähigkeit, Konfliktlösung, Selbstwirksamkeit, Diversität etc. aufgegriffen – unter anderem mit Spielen wie Luftballon-Wettrennen, Schimpfwort-Generator, Geschicklichkeitsübungen, Segensgebeten und Bastelaktionen. Die Stationen stehen unter den Überschriften „Das sind wir!“, „Stell dich in die Mitte!“, „Streit gehört dazu!“, „Lachen tut gut!“, „Worauf du dich verlassen kannst“ und „Auf dich kommt’s an“. Die kostenlose Aktion auf familienweg.de ist einfach mit einem Handy umsetzbar. Das Projekt eignet sich für jegliche Familienform, besonders mit Kindern im Alter von 4-12 Jahren.

Weitere Ideen

  • Im Garten zelten
  • Mit Straßenmalkreide durch die Straßen ziehen und nette Botschaften hinterlassen
  • Durch einen nahegelegenen Park spazieren und „Souvenirs“ (besondere Steine, Blätter, abgestorbene Äste, Fotos von Blumen etc.) sammeln
  • Betten oder Zimmer tauschen für mehr Urlaubsfeeling
  • Stadtführung, Museums- oder Kulturbesuch in der Heimatstadt buchen
  • Aufs Land fahren und Sternenhimmel begutachten
  • Ein Sommer-/Urlaubstagebuch führen, zum Beispiel mit Vorlagen aus dem Internet – einfach mal suchen
  • Eine Bus- oder Bahnstrecke von der Anfangs- bis zur Endhaltestelle fahren und dort ein Eis essen
  • Eine Ferienplaylist zusammenstellen
  • Picknicken im Grünen (auf der Terrasse, dem Balkon, im Park etc.)

Helena Berger ist Voluntärin bei Family.

Anonyme Geburt: Wie die Babyklappe einem Jungen das Leben rettete

Die Babyklappe eines Berliner Krankenhauses rettete Johannes das Leben. Zu verdanken hat er das Gabriele Stangl. Sie hat dafür gekämpft, dass verzweifelte Mütter eine Möglichkeit haben, ihr Kind in gute Hände zu geben.

Johannes (Name geändert) ist regelrecht ins Leben gestürzt. Seine Mutter war alleinerziehend mit zwei Kindern, als sie ungeplant schwanger wurde. Erst verdrängte sie die Schwangerschaft, dann – als sie der Wahrheit ins Auge sehen musste – beschloss sie, ihr Kind anonym zur Welt zu bringen. Sie hatte gelesen, dass es diese Möglichkeit im Krankenhaus Waldfriede in Berlin gab. Doch lange vor dem Geburtstermin setzten die Wehen ein. „Es ist doch noch viel zu früh“, dachte die werdende Mutter panisch. Schnell schickte sie ihre Kinder zu den Nachbarn. Sie wollte die Treppe zum Schlafzimmer hochgehen, brach aber auf der Treppe zusammen. Und dort stürzte Johannes ins Leben. Er fiel einige Treppenstufen herab, dabei brach er sich – wie man später feststellte – das Becken und einen Unterschenkel.

Seine Mutter war wie in Trance. Sie suchte für das viel zu kleine Frühchen ein Puppenkleidchen, wickelte es in eine Decke und versteckte es. Erst nachdem sie etwas geschlafen und ihre beiden älteren Kinder versorgt hatte, fiel ihr wieder ein, dass da ja dieses Baby war. Ihr Baby. Der kleine Junge war kalt und still, aber er lebte. Als die Kinder schliefen, fuhr Johannes‘ Mutter mit ihm nach Berlin. Im Krankenhaus Waldfriede gab es nicht nur die Möglichkeit der anonymen Geburt, sondern auch eine Babyklappe. Sie legte das kleine Bündel dort hinein und fuhr wieder nach Hause.

Das Leben gerettet

Nur zwei Minuten lag Johannes in der Babyklappe. Dann ging der Alarm los. Da das Frühchen in einem schlechten Zustand war, wurde es sofort in die Kinderklinik gebracht. „Wir hatten große Sorge, dass er es nicht schaffen könnte“, schilderte Krankenschwester Bärbel die Situation. „Seine Temperatur war nicht mehr messbar, so kalt war er. Er wog gerade mal 2.000 Gramm.“

Gabriele Stangl, zu der Zeit Krankenhaus-Seelsorgerin in Waldfriede, war sofort in die Klinik geeilt, als sie über den Neuzugang informiert worden war. Die Babyklappe war ihre Idee gewesen. Gegen viel Widerstand hatte sie im Jahr 2000 erreicht, dass im Waldfriede die weltweit erste Babyklappe – hier „Babywiege“ genannt – in einer Klinik eingerichtet wurde. Diese Einrichtung rettete Johannes das Leben.

Schon einen Tag nach seiner Geburt war er über den Berg und stabilisierte sich zusehends. Gabriele Stangl schloss ihn in ihr Herz und besuchte ihn regelmäßig. Kurz darauf bekam sie einen Anruf von einem Polizisten. Einer Frau sei aufgefallen, dass ihre Nachbarin schwanger gewesen sei, nun sei sie wieder schlank, habe aber kein Baby. Schnell wurde klar, dass es sich hier um Johannes‘ Mutter handelte. Sie erzählte den Polizisten, dass sie ihren Sohn in die Babyklappe gelegt habe, um ihn in Sicherheit zu bringen und dass sie ihn zur Adoption freigeben wolle.

Und so kam Johannes zu Katherina und Rolf (Namen geändert), die schon lange auf ein Adoptivkind warteten. Sie waren überglücklich, als sie ihren Sohn in die Arme nehmen konnten. Sie hatten sehr viel Liebe für ihn. Drei Jahre später adoptierten sie noch ein Mädchen, das im Krankenhaus Waldfriede anonym geboren worden war.

„Mir fehlt nichts“

Johannes ist inzwischen 16 Jahre alt und spricht offen über seine Geschichte. „Seit ich denken kann, weiß ich, dass ich adoptiert bin und dass ich in die Babyklappe gegeben wurde“, erzählt er im Interview. „Ich hatte dabei nie schlechte Gefühle. Und ich habe meine leibliche Mutter auch nicht vermisst. Ich bin ja von Anfang an bei meinen Adoptiveltern aufgewachsen und hatte nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt.“ Der Gedanke, dass seine Mutter ihn nicht behalten konnte oder wollte, belastet ihn nicht: „Ich kenne ja inzwischen die Geschichte, die dahintersteckt. Und deswegen weiß ich, dass es für mich das Beste war, in dieser Familie aufgewachsen zu sein.“

Anders als die meisten Kinder aus der Babyklappe hätte Johannes sogar die Möglichkeit, Kontakt zu seiner leiblichen Mutter aufzunehmen. Aber das möchte er nicht. „Ich habe das bis jetzt noch nicht gemacht und würde das auch in näherer Zeit nicht in Betracht ziehen“, erklärt er. „Ich kann mich nicht an sie erinnern und finde gerade keinen Grund, zu ihr Kontakt aufzubauen.In meiner Familie hier lebe ich einen normalen Alltag, als wäre meine Adoptivmutter meine leibliche Mutter.“

Engere Freunde kennen seine Geschichte, ein großes Thema ist es aber nicht. Johannes wirkt vollständig versöhnt damit. Sein Ziel ist es, das Abitur zu machen und danach zu studieren. Einen Ingenieurs-Studiengang kann er sich vorstellen. Die Babyklappe hält er für eine „super Sache“: „In meinem Fall hätte es ja viel schlimmer ausgehen können, wenn meine Mutter nicht einen Ort gehabt hätte, wo sie wusste: Hier gebe ich mein Baby in gute Hände.“

Entscheidung für das Kind

So positiv wie Johannes sehen aber nicht alle das Angebot einer Babyklappe oder der anonymen Geburt. Immer wieder gibt es die Kritik, diese Angebote würden Frauen ermutigen, ihr Kind abzugeben. Doch die Frauen, die diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen, haben meist einen langen und verzweifelten Prozess hinter sich. „Die Frauen machen sich das nicht leicht“, erklärt Gabriele Stangl. Sie hat über viele Jahre werdende Mütter begleitet, die zu einer anonymen Geburt in die Klinik kamen. Und ist sehr froh darüber, dass 30 Prozent der Frauen, die ihr Kind anonym gebären und zur Adoption freigeben wollten, sich schließlich doch dafür entschieden haben, ihr Kind zu behalten.

Damit es dazu kommt, ist viel Beratungsarbeit notwendig. Die Gespräche mit den Frauen gingen oft über Wochen, bis sie endlich eine Perspektive für sich gesehen haben. „Manchmal konnten wir sie in einem Mutter-Kind-Haus unterbringen. Manche haben schließlich doch mit ihren eigenen Eltern geredet und von ihnen Unterstützung erhalten.“

Seit 2000 gab es im Krankenhaus Waldfriede etwa 250 Frauen, die eine anonyme Geburt wünschten. Zehn Prozent der abgegebenen Babys wurden in die Babyklappe gelegt. In Deutschland sind diese Angebote allerdings eine rechtliche Grauzone. Deshalb wurde 2014 die sogenannte vertrauliche Geburt als rechtssichere Variante eingeführt. Hierbei hinterlässt die Mutter ihren Namen bei einer Beratungsstelle. Das Kind hat dann ab dem Alter von 16 Jahren die Möglichkeit, den Namen der Mutter zu erfahren und gegebenenfalls Kontakt aufzunehmen. Dadurch soll das Recht des Kindes gestärkt werden, Informationen über seine Herkunft zu erhalten.

Wahrheit und Liebe

Doch wie der Fall von Johannes zeigt, ist es nicht allen Jugendlichen wichtig, das zu tun. Zudem: „Wenn Johannes nicht bei uns abgegeben worden wäre, hätte er keine Chance gehabt“, macht Gabriele Stangl deutlich. „Es war fünf vor zwölf für ihn, als er in die Babyklappe gelegt wurde.“ Deshalb findet sie es nach wie vor wichtig, dass das Angebot der Babyklappe und der anonymen Geburt erhalten bleibt. „Und wenn nur ein einziges Kind durch die Babyklappe gerettet worden wäre, hätte sich der ganze Aufwand gelohnt“, betont sie. „Denn jedes Leben ist unbezahlbar.“ Für die betroffenen Kinder ist es wichtig, dass sie von Anfang an Klarheit über ihre Geschichte haben. Spätestens im Alter von drei oder vier Jahren, wenn Fragen aufkommen wie „Bin ich auch in deinem Bauch gewachsen?“, sollten Adoptiveltern den Kindern erklären, dass es zwei Mamas hat.

Ein selbstverständlicher Umgang mit der Thematik hilft den Kindern, das als „normal“ für sich zu akzeptieren – wie es bei Johannes der Fall war. „Wahrheit und Liebe machen einen Menschen stark“, erklärt Gabriele Stangl. Und lächelnd fügt sie hinzu: „Ich habe den Krankenschwestern immer gesagt: Seid lieb zu ‚meinen‘ Kindern! Ihr wisst ja nicht, ob ihr nicht vielleicht den zukünftigen Bürgermeister von Berlin im Arm haltet.“

Bettina Wendland ist Redaktionsleiterin von Family und FamilyNEXT.

Die Wünsche des Anderen: Gemeinsam Neues wagen

Manchmal haben Partner unterschiedliche Träume. Ira wünscht sich ein Frühstück im Bett, David findet das total blöd. Als sie es doch gemeinsam wagen, machen sie eine erstaunliche Entdeckung.

Flackernde Holzdochtkerzen, glitzernde Lichterketten, heißer Tee und gemütliches Essen. All das bitte einmal abends und morgens im Bett. Der Wunsch nach solchen romantischen Speisezeiten machte sich über Jahre hinweg in mir breit. Wenn es nach mir ginge, könnte jeder Tag so laufen. Ach, und wenn ich es aussuchen könnte, natürlich noch serviert. Aber vor allem dieses verheißungsvolle Frühstücken im Bett als Paar hatte sich besonders tief in meiner Fantasiewelt eingenistet.

Freundliche Grüße aus Hollywood

Zugegebenermaßen habe ich wohl zu viele Filme als Teenie geschaut, in denen das höchst romantisch inszeniert wurde. Lichtdurchflutete Schlafzimmer, Milchschaum und intime Momente zauberten diese Bilder in meinem Kopf. Für mich stand fest: Wenn ich mal verheiratet sein sollte, will ich mich unbedingt auch an diesem fantastischen Frühstück im Bett laben. Als ich David dann heiratete, goss er mit seinen Vorstellungen eines Gaumenschmauses am frühen Morgen einen großen Krug Wasser in meinen Wein.

Er fand den Gedanken, im Bett zu frühstücken, total ungemütlich und vor allem äußerst umständlich. Er hat nämlich keinen Bock auf nervige und kratzige Brötchenkrümel, Teebecher, die umkippen, und auf das Hin- und Hergeräume von Geschirr. Meine engagierten und nicht uncharmanten Überredungskünste konnten ihn nicht umstimmen. Auch konnte ich ihn nicht auf halbe Sachen runterhandeln, wie nuuuur der Tee oder nuuuur ein Obstsalat. Also machte ich einen großen Haken hinter die Gedankenwolke aus Croissants, Chai Latte mit Zimt, Frühstückseiern und Obstspießen im Bett. Das Thema war vom Tisch. Oder besser gesagt: vom Bett.

Der Jahrestag

Völlig unverhofft überraschte mein Mann mich einige Monate später an unserem Zusammenkommenstag mit – ja genau, jetzt kommt’s – dem lang ersehnten Frühstück im Bett. Alle Köstlichkeiten, die man sich vorstellen kann, waren dabei und sie waren prachtvoll angerichtet. Aber es gab eine Besonderheit: ein kleines aufklappbares Tischlein. So konnten unerwünschte Krümellawinen verhindert werden. Ich war sprachlos. Da war er: mein kleiner Teenietraum, serviert auf dem Holztischlein. Ich sah, mit wie viel Arbeit das Frühstück verbunden war. Aber das, was für mich viel bedeutsamer war und viel tiefer mein Herz berührte, war die Überwindung, der David sich innerlich gestellt hatte. Die Überwindung und die Entscheidung. An diesem Morgen begegnete mir eine aufrichtige und liebevolle Willensbekundung. Gegen seine Neigung hat er sich auf das Experiment eingelassen. Aus dem Nichts! Nein, ich hatte das Frühstücksthema nicht mehr angesprochen. Das lag auch daran, dass ich selbst ein freiheitsliebender Mensch bin und von Mitmenschen nicht zu etwas gedrängt werden möchte. Mir ist wichtig, die Grenzen anderer zu wahren, so wie ich möchte, dass meine Grenzen respektiert werden.

Das Frühstück war ein feiner Genuss. Nur das Gemütlichkeitslevel blieb irgendwie auf der Strecke. Daher habe ich mich inzwischen zu meinem Mann ins selbe Boot gesetzt. Frühstück im Bett finde ich, seitdem wir es ausprobiert haben, gar nicht mehr so gemütlich. Es entpuppte sich als kompliziert, gleichzeitig unter der warmen Decke zu bleiben und aufzupassen, dass das Buffet nicht umstürzt.

Traum versus Realität

Manchmal entlarvt sich so ein Gedankenspiel in der Realität leider als Ernüchterung. Genau das ist, wie ich finde, ein besonderer Teil in der gemeinsamen Paarwelt. Ausprobieren und stolpern. Wünsche aussprechen, Experimente wagen, aufeinander zugehen, sich aus der Deckung wagen. Manchmal führt der Schritt aus dem Traum zu einer harten Landung in der Realität und wir müssen manche Grenzen annehmen. Wir gehen auf Sehnsüchte ein, andere lassen wir wiederum los.

Frühstück im Bett wurde also zumindest bei uns für umständlich erklärt. Dafür haben wir seit inzwischen vier Jahren ein anderes, viel besseres Ritual: Einmal im Monat machen wir etwas Besonderes: Einer von uns kauft unser Lieblingseis und das verspeisen wir dann gemeinsam abends im Bett. Also können wir schlussendlich doch ein wenig kulinarisches Vergnügen auch zwischen kuscheligen Kissen genießen.

Gemeinsam Neues wagen

Sicherlich sind wir nicht das erste Paar, das etwas gewagt hat, um dann festzustellen, dass es nicht klappt – der Traum war schön, aber die Realität dann doch nicht so. Aber das ist nicht schlimm. Wir haben uns trotzdem etwas getraut. Schade wäre, wenn man nie Neues ausprobiert. Oder wenn man sich gar nicht erst traut, Wünsche und Träume auszusprechen, weil die Angst zu groß ist, dass es nichts wird. In meinem Fall hat tatsächlich ein Traum den Realitäts-Check nicht bestanden. Aber ich habe nichts verloren, sondern zwei Dinge gewonnen: die an sich simple und nüchterne Erkenntnis, dass Frühstück im Bett für uns nicht klappt. Und darüber hinaus haben wir eine neue Tradition entdeckt, die besser zu uns passt. Also nichts verloren – dafür gemeinsam Neues entdeckt.

Ira Schneider arbeitet als psychologische Beraterin in einer Ehe-, Familienund Lebensberatungsstelle. Gemeinsam mit ihrem Mann bietet sie Paarberatungen an.

Pilgern – Eine Auszeit zum Auftanken

Pilgern ist seit Jahrhunderten Tradition und dennoch topaktuell. Melanie Schmitt, Leiterin der Pilgerstelle im Bistum Limburg, gibt Einblicke in eine  faszinierende Wanderleidenschaft.

Tage des Laufens liegen hinter uns, rauf und runter, über einen alpinen Pilgerweg in Österreich, von Kirchlein zu Kapelle, vom alten Wallfahrtsort im Tal zum Gipfelkreuz hoch oben. Am letzten Tag kostet mich jeder Schritt Kraft, die ich nicht mehr habe. Ich frage mich ernsthaft, wie ich heute die restlichen Höhenmeter nach oben schaffen soll, um dann auf der anderen Seite wieder abzusteigen. Warum mache ich das hier eigentlich? Tageund wochenlang durch die Gegend laufen, jeden Tag dasselbe. Pilgern – was soll das?

Gebahnte Wege

Seit Menschengedenken machen sich Männer und Frauen auf Reisen, bei denen es nicht allein darum geht, einen äußeren Weg zurückzulegen, sondern auch darum, sich auf einen inneren Weg zu begeben, in inneren Angelegenheiten unterwegs zu sein, auf ganzheitlicher Bewegungstour für Körper und Seele. Nicht bei jedem religiös motiviert, aber doch auf der Suche: nach sich selbst, nach anderen oder nach Gott.

Pilgern ist eine jahrhundertealte Tradition, ein Teil der spirituellen Praxis aller großen Religionen. Ob Jerusalem, Assisi, Rom, Mekka oder Santiago de Compostela – der äußere und der innere Weg verbindet alle Pilgerinnen und Pilger und ist doch gleichzeitig sehr individuell. So unterschiedlich die Anliegen und Gründe für eine Pilgerreise sein mögen – ob Abenteuerlust, Trauerbewältigung, bewusste Umkehr oder ein neuer Lebensabschnitt –, das Unterwegssein ist beim Pilgern wichtiger als das Ankommen. Und die Erlebnisse, Ereignisse und Begegnungen unterwegs machen das Besondere des Pilgerns aus.

Es ist faszinierend, auf uralten Wegen unterwegs zu sein, auf Pfaden, die Pilger schon Jahrhunderte zuvor gebahnt haben, in gesprochenen, gedachten, geatmeten und gelebten Gedanken und Gebeten, im steten Gehen und Gehen und Gehen.

Die pure Freiheit

Reduzieren, minimalisieren, daheim lassen, loslassen: Beim Pilgern geht es auch darum, die Komfortzone zu verlassen und sich nur mit leichtem Gepäck auf den Weg zu machen. Schließlich muss alles Hab und Gut getragen werden, jeden Tag, jede Minute des Weges. Ich erlebe diese Reduktion des Materiellen bei jeder Pilgertour als große Freiheit: Alles, was ich brauche, trage ich bei mir. Und das, so stelle ich jedes Mal fest, ist wirklich sehr wenig. Zumal es zum Pilgeralltag gehört, bei Ankunft in der Unterkunft die verschwitzten Klamotten mit der Hand durchzuwaschen. Drei Unterhosen und zwei Shirts reichen wochenlang.

Am Morgen ist alles schnell wieder im Rucksack verstaut. Ich brauche nicht lange zu überlegen: Das Wirrwarr auf dem Bett aus Wechselklamotten, Ladekabel, Pilgerpass, Haargummi, Tagebuch und Flip-Flops kommt einfach komplett in den Rucksack und weiter geht‘s. Alles, was ich brauche, trage ich auf dem Rücken. Ich kann gehen, wohin ich will, und habe alles Nötige bei mir. Welch unglaubliches Gefühl von Freiheit! Sich noch unterwegs von Ballast zu trennen und Teile der Ausrüstung wegzugeben, ist eine gängige Pilgererfahrung und für manchen sogar ein Ritual, verringert es doch im konkreten wie im übertragenen Sinn die Last auf den Schultern. So nehmen manche Pilgerinnen und Pilger von zu Hause einen Stein mit, der symbolisch für eine Last steht, für eine überstandene Krankheit oder eine schmerzhafte Trennung, und legen diesen Stein unterwegs ab.

Nicht nur in Sachen Gepäck ist Pilgern eine Reduzierung auf das Wesentliche: gehen – essen – schlafen. Der Pilgeralltag folgt einer erwartbaren Regelmäßigkeit.

Die reine Abhängigkeit

Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, nur mit dem Rucksack auf meinem Rücken, habe ich auf meiner Reise ausschließlich diese Dinge zur Verfügung. Keinen Fön, keine größere Lektüre, keine Spielesammlung. Zu Fuß bin ich außerdem nur in einem kleinen Radius mobil. Sollte ich am angepeilten Tagesziel keine Unterkunft finden, kann ich nicht mal eben weitere zehn Kilometer suchen gehen.

Hier beginnt nach meinem Empfinden der „Spirit“ des Pilgerns. Eben weil ich mich so bedürftig und abhängig mache, kann Gott seine Wunder-barkeiten deutlich auspacken und spielen lassen. Die Welt der Pilgernden ist voll von diesen Wundergeschichten, die Mut machen und Vertrauen schenken: Der Schuh meines Mannes ist zu eng. So kann er unmöglich weitergehen. Am Wegesrand im kleinen Dorf ist unversehens ein orthopädischer Schuhmacher, der den Schuh richtet. Oder: Beschwingten Schrittes sind wir ein ziemliches Stück dem falschen Pfad gefolgt. Nachdem wir unseren Irrtum bemerkt und ein Stück querfeldein gelaufen sind, finden wir uns plötzlich und überraschend auf unserem eigentlichen Weg wieder.

Wir erleben Geschichten des Versorgtseins und Getragenseins, aber auch Geschichten der persönlichen Herausforderungen. „Der Weg gibt dir nicht das, was du willst, sondern das, was du brauchst“, sagt man. Diese eindrücklichen Erfahrungen machen Pilgernde immer wieder. Ihr Weg ist ihnen ein Spiegel des Inneren. Der Weg schenkt uns die Kraft, ihn zu gehen, er leitet uns, sorgt für uns, führt uns über Umwege, bergauf und bergab, querfeldein und auch mal außerhalb der Karte, durch Sonne und Regen, über Asphaltwüsten und an blühenden Blumenwiesen vorbei. Vor mir sonnt sich ein Schmetterling. Er fliegt nicht davon. Ich darf ihm nahe sein, dem Schmetterling und dem Leben. So wird es beim Pilgern immer wieder vor allem um eines gehen: Bei sich zu bleiben und doch verbunden zu sein mit der Mitwelt – mit der menschlichen Mitwelt und mit der mehr-als-menschlichen Mitwelt.

Jeden Morgen neu aufmachen zum Pligern

Und so ist letztlich auch weniger die Frage der optimalen Outdoor-Ausrüstung entscheidend als vielmehr die Frage der inneren Ausrüstung: Pilgern schenkt uns viele hoch-heilige Momente. Und Pilgern verlangt Kondition und Ausdauer eher mental, denn körperlich sind viele Pilgerwege moderat im Anspruch. Doch die Herausforderung, sich jeden Morgen wieder neu aufzumachen ins Unbekannte und sich dem zu stellen, was innerlich in Bewegung gerät, verlangt Bereitschaft zur Hingabe ins Vertrauen.

Das merke ich besonders am letzten Tag in Österreich, als mich ernsthafte Zweifel überkommen, ob ich diese letzte Etappe schaffen werde. Mir fehlt die Kraft. Intensive Wandertage stecken mir in den Beinen. Wenn es mir gutgeht, fällt es mir leicht, dem Urgrund allen Seins dafür dankbar zu sein. Umgekehrt habe ich oft Mühe, um Hilfe zu bitten, wenn ich nicht allein weiterkomme, ob bei Menschen oder beim Ewigen. Hier oben in den Bergen kann mir kein Mensch beim Weitergehen helfen. Aber ich brauche Hilfe, ich brauche die Kraft zum Weiterkommen. Und ich bitte himmelhoch darum.

Nie zuvor habe ich diese Hilfe so körperlich erlebt. Es fühlt sich an, als schiebe mich eine unsichtbare Hand sanft bergauf – ich gehe und gehe und gehe. Klingt irre. Ich weiß. Fühlte sich auch irre an. Oben nehme ich mir einen kleinen glitzernden Stein mit. Er soll mich zu Hause an die unbeschreibliche Ruhe erinnern, die mit der Erkenntnis kommt, wie viel Kraft sich entfaltet, wenn ich in Verbundenheit immer weiter meinen Weg gehe.

Geht das auch etwas kürzer?

Der eigentliche Effekt des Pilgerns wird erst bei einem längeren Unterwegssein von mehreren Tagen spürbar. Und dennoch kann ich diese einmal gewonnene Erfahrung auch abrufen, wenn ich mich zu Hause einen halben Tag ausklinke und bewusst rausgehe, um zu pilgern. Mir hilft das, Anliegen zu klären. Ich erfahre die Natur als Spiegel, das Gehen als Meditation. Nicht umsonst heißt es, Pilgern sei Beten mit den Füßen. Am frühen Abend nähern wir uns unserem letzten Etappenziel, der Wallfahrtskirche von Heiligenblut. Wir können sie von weitem sehen und ich denke: Jetzt fehlt eigentlich nur noch ein Regenbogen. Kurz darauf fängt es an zu nieseln und in dem Moment, als wir die Kirche erreichen, erscheint ein Regenbogen am Himmel und bleibt aufgespannt über dem Tal stehen. Wir sind angekommen. Und ich weiß, warum ich pilgern gehe, immer wieder.

Melanie Schmitt ist begeisterte Pilgerin und hat als Leiterin der Pilgerstelle im Bistum Limburg auch beruflich sehr viel mit einer Spiritualität des Unterwegsseins zu tun.

 

WISSENSWERTES ZUM PILGERN

Nachgefragt bei Melanie Schmitt, Leiterin der Pilgerstelle im Bistum Limburg

Wie fange ich an, wenn ich Pilgern ausprobieren möchte?
Es müssen nicht gleich 800 Kilometer Jakobsweg sein. Es gibt auch in Deutschland und der Schweiz viele gut markierte Wege, wie zum Beispiel den Hildegard-von-Bingen-Weg oder den Lahn-Camino, die beide in etwa zehn Tagen gut zu bewältigen sind. Und viele regionale Pilgerwege, die zum Pilgern für einen Tag einladen. Manche Outdoor-App bietet die Vorauswahl „Pilgerweg“. Wenn man sich umschaut, entdeckt man vielleicht in der Nähe des Wohnortes Jakobsmuscheln oder andere Pilgerwegmarkierungen.

Was ist besser: allein pilgern oder in der Gruppe?
Das hängt davon ab, welches Erlebnis man sucht. Vom organisierten Kulturpilgern mit Rucksacktransport bis zur individuell gestalteten Tour ist alles möglich. Allgemein gilt: Man trifft in der Regel sehr schnell andere Pilgerinnen und Pilger und das immer wieder, weil die Wegstrecke und die Etappen oft ähnlich sind. Das ist auch so schön am Pilgern: die Gemeinschaft, die unterwegs entsteht, das gemeinsame Essen, Wäschewaschen, Blasenpflegen…

Welche Ausrüstung ist notwendig?
Ein Rucksack und gut eingelaufene Schuhe verstehen sich wahrscheinlich von selbst. Wer in Pilgerherbergen übernachten möchte, braucht einen einfachen, dünnen Schlafsack. Nicht zu vergessen: einen Pilgerpass. Auf den meisten Wegen berechtigt er zur günstigen Übernachtung in Pilgerherbergen und Klöstern und dient am Ziel als Nachweis des zurückgelegten Weges für den Erhalt einer Pilgerurkunde. Die bunte Stempelsammlung ist außerdem eine schöne Erinnerung.

Wo bekomme ich Infos?
Es gibt zahlreiche Pilgerweg-Vereine, wie die Jakobusgesellschaften, den Ökumenischen-Pilgerweg-Verein oder eben die Pilgerstellen der Bistümer. Daneben viele Regalmeter an Pilgerführern, die sehr zuverlässig sind, und natürlich die weiten Wege des Internets. Qualifizierte Pilgerbegleiterinnen und -begleiter bieten oft auch Touren zu Themen an, wie Trauerpilgern oder Fastenpilgern.

Mehr als im Haushalt helfen – Warum Mental Load das eigentliche Problem ist

Bei der Aufgabenteilung in der Beziehung geht es nicht nur darum, wer was macht, sondern wer woran denken muss. Hier liegt der Kern vieler Konflikte, aber auch eine Chance für ein ausgeglichenes Miteinander.

„Aber ich habe dir doch gesagt, dass du mir Bescheid geben kannst, wenn ich dir helfen soll“, sagt Sebastian frustriert. „Das ist es ja genau“, erwidert Katharina nach kurzem Zögern. „Was meinst du denn damit? Was ist das Problem an meiner Hilfsbereitschaft?“ Sebastian und Katharina sind einer der großen Fallen des Paaralltags auf der Spur – dem Mental Load. Beide haben ziemlich volle Kalender. Sie balancieren die Kinderbetreuung, den Haushalt, das Ehrenamt und ihren anspruchsvollen Teilzeitjob. Das alles wächst Katharina langsam über den Kopf, während sich Sebastian trotz langer Tage recht gut hält.

Frage der Verantwortung

Katharina wird das Gefühl nicht los, dass sie bei vielen gemeinsamen Aufgaben die Hauptlast trägt. Tatsächlich investiert ihr Mann aber gleich viel Zeit wie sie in die Kinder und den Haushalt. Sie haben in letzter Zeit mehrmals darüber diskutiert und sind dabei dem eigentlichen Problem immer nähergekommen. Beim Thema Abendessen ist der Groschen dann gefallen.

Abends kocht meistens Sebastian, während Katharina mit den Kindern Hausaufgaben macht. Sebastian fragt seine Frau, was er kochen soll, weil sie den Wochenplan im Kopf hat. Diese Aufteilung ist typisch für sie als Paar: Beide investieren Zeit, Katharina investiert aber zusätzlich mentale Kapazität, indem sie vorausdenkt und sich einen Plan zurechtlegt. Sie übernimmt die Verantwortung für die meisten Familienangelegenheiten. Dann delegiert sie gewisse Aufgaben an Sebastian, die er pflichtbewusst erledigt.

Sie denkt an Geburtstage und überlegt, was sie schenken könnten. Geschenke kauft er dann auf dem Nachhauseweg. Sie macht mit der Lehrerin einen Termin fürs Elterngespräch ab und organisiert einen Babysitter, er ist natürlich beim Elterngespräch dabei.

Meistens trägt Katharina den Mental Load; sie muss an alles denken. Das ist nicht per se schlecht. Aber es erklärt, weshalb Katharina an ihre Grenzen kommt. Wenn sie das ändern wollen, reicht es nicht, dass Sebastian Katharina seine Hilfe beim Erledigen der Aufgaben anbietet. Damit die Last tatsächlich anders verteilt wird, muss Sebastian die Verantwortung für einen bestimmten Bereich ganz übernehmen.

Eine faire Aufteilung

Katharina und Sebastian wagen einen Versuch. Sebastian will probeweise für ein Jahr die Verantwortung für alles übernehmen, was mit der Schule der Kinder zu tun hat. Damit verbinden sich zwei Herausforderungen: Sebastian muss sich diese Verantwortung zutrauen und sich reinknien, auch wenn seine Frau bis jetzt mehr Erfahrung damit hat und sich besser auskennt. Und Katharina muss Sebastian auf seine Art machen lassen, auch wenn sie es anders angehen würde. Sie muss loslassen und sich raushalten.

Beim Thema Mental Load geht es nicht darum, eine genaue Abrechnung zu machen. Wer seinen Einsatz ständig gegen den Einsatz des Gegenübers aufrechnet, ist auf dem Holzweg. Ein exakter Ausgleich ist weder möglich noch nötig. Eine gemeinsam abgesprochene, den individuellen Stärken entsprechende Aufteilung der Aufgaben und des Mental Load hingegen schon.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter familylife.ch/five

Pause! Wie Familien wieder auftanken können

Der Familienalltag ist oft anstrengend und hektisch. Sozialpädagogin Julia Otterbein verrät, wie Pausen individuell geplant und bewusst genutzt werden können.

Familienalltag fühlt sich manchmal wie das Durchqueren einer großen Wüste an: brütende Hitze, anstrengende Tage – und Pausen in der prallen Sonne sind keine echte Option. Zumindest lässt sich so nicht nachhaltig Kraft schöpfen für die nächste Wegstrecke. Es braucht also eine sinnvolle Routenplanung, die es ermöglicht, in regelmäßigen Abständen eine Oase aufzusuchen.

Pausen einplanen

Eltern, die immer versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen, erzeugen damit einen Familienalltag, der eng getaktet ist. Und auch die Kinder sind durch (Ganztags-)Schule und verschiedene Hobbys zeitlich eng eingebunden. Wofür dann häufig keine Zeit mehr bleibt, sind die eigentlich so wichtigen Pausen und unverplante Zeiten.

Generell hilft es, unnötigen Druck herauszunehmen, To-do-Listen zu verschlanken und wieder eine aktivere Haltung einzunehmen. „Nein“ zu sagen zum dritten verbindlichen Hobby mit entsprechend festen Terminen unter der Woche oder sogar noch am Wochenende, und stattdessen Pausenzeiten fest einzuplanen, in den Kalender einzutragen und mit der gleichen Priorität zu versehen wie einen Arzttermin.

Oasen im Familienalltag

Damit diese Pausen auch zu wirklichen Oasen werden, darfst du dir folgende Fragen stellen: Was möchte ich tun oder lassen? Was tut mir gut? Wie sieht meine persönliche Oase aus? Denn Oasen im Familienalltag sind so verschieden, wie wir Menschen verschieden sind. Vielleicht hilft dir dabei auch dieses Experiment:

Nichts tun. Nur aus dem Fenster schauen. In der Sonne sitzen und die Augen schließen. Einfach nur sein. Auf deinen Atem oder Herzschlag achten. Und dann kannst du mal deine unerfüllten Bedürfnisse erkunden: die körperlichen, sozialen und geistigen Bedürfnisse. Was fehlt dir gerade? Ist es Schlaf, Essen, Trinken, Bewegung, Entspannung, Austausch mit anderen (erwachsenen) Menschen, Inspiration?

Gemeinsam und getrennt

Im nächsten Schritt gilt es, eine passende Strategie für das Bedürfnis zu finden: Gärtnern oder lesen? Freunde treffen oder Zeit für sich haben? Musik hören oder Musik machen? Aktiv sein oder chillen? Da hat jeder so seine persönlichen Favoriten. Was allen Strategien gemeinsam ist: Jeder tut es mit Freude und Genuss.

Manche von uns laufen allerdings schon so lange durch die sprichwörtliche Wüste, dass sie nur noch eine vage Erinnerung daran haben, wie die persönliche Wohlfühloase aussieht. Daher ist es wichtig, (mal wieder) herauszufinden, was zu einem passt und was nicht. Dafür kannst du den Test in der Box nutzen (siehe unten).

Nicht selten steht man als Familie aber vor folgendem Problem: Die Strategien der einzelnen Familienmitglieder passen nicht zusammen. Was die einen entspannt, ist für die anderen eher anstrengend, zum Beispiel der Besuch eines Indoor-Spielplatzes. Da gilt es dann, individuelle Lösungen zu finden und sich vielleicht in der Familie aufzuteilen.

Gerade diejenigen, die im Alltag eine hohe Belastung durch die Übernahme von Sorgearbeit in der Familie haben, brauchen auch Zeiten, in denen sie die Verantwortung für andere Menschen abgeben und ihren eigenen Bedürfnissen ohne Einschränkungen und Kompromisse nachgehen können.

Dennoch ist es toll, wenn es das eine oder andere Familienritual gibt, das bei allen für Ruhe und Entspannung sorgt: kuschelige Vorlesezeiten, ein Familien-Heimkino-Abend, gemeinsam in Erinnerungen schwelgen…

Oder einmal im Monat einen Wochenendtag bewusst unverplant zu lassen und sich gemeinsam treiben zu lassen. Zeit zum Nichtstun oder mal wieder eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Uno“ spielen. Oft sind es gerade solche Kleinigkeiten, die zu besonderen Erinnerungen werden.

Was passt zu dir?

Vielleicht braucht es aber auch mal eine größere Oasenzeit und mehr Abstand zum Alltag, zum Beispiel auf einer Freizeit zum Auftanken oder einem Urlaub ohne die Familie. Auch eine Mutter- oder Vater-Kind-Kur oder bei älteren Kindern eine Kur allein kann dafür sorgen, mal für drei Wochen fern des Alltags Entlastung zu erleben und die Beziehung untereinander zu stärken.

Finde heraus, welche Dimension deine Oase haben soll und was zu dir passt. Erinnere dich an frühere Hobbys, die vielleicht im Trubel des Familienalltags aus dem Blick geraten sind. Wenn Strategien von früher nicht mehr funktionieren, probiere etwas Neues aus. Ausgetretene Pfade zu verlassen und kleine Abenteuer zu erleben, sorgt für Abwechslung – und schon sieht die Wüste ein bisschen lebendiger aus.

Julia Otterbein ist Diplom-Sozialpädagogin und Selbstfürsorge-Coach und lebt mit ihrer Familie in Süderbrarup/Schleswig-Holstein. familywithlove.de

 

SELBSTTEST ZUM AUFTANKEN

Introvertiert oder extrovertiert?
Während introvertierte Menschen besser regenerieren, wenn sie allein sind, können Extrovertierte im Kontakt mit anderen Menschen ihre Akkus aufladen.

Aktiv sein oder entspannen?
Brauchst du mehr Bewegung als Ausgleich zu deinem Alltag oder bewusstes Nichtstun und Ent-Spannung?

Inspiration für den Kopf oder Gedanken zur Ruhe kommen lassen?
Ermüdet dein Geist durch zu wenig oder zu viel Input? Sorge dann bewusst für das Gegenteil durch ein interessantes Buch, einen inspirierenden Podcast oder durch Stille und das Niederschreiben von Gedanken.

Raus in die Natur?
Viele Menschen halten sich viel zu oft in Innenräumen auf – da kann Zeit an der frischen Luft und außerhalb von bebauten Gebieten den nötigen Ausgleich schaffen.

Mittagsschlaf?
Gerade wenn der Nachtschlaf im Familienleben häufiger zu kurz kommt, kann ein Mittagsschlaf oder eine gemeinsam vereinbarte Mittagsruhe zu einer wohltuenden Oase werden.

Gemeinsame Familienrituale oder Zeit für sich allein?
Mal braucht es das eine und mal das andere – plant am besten beides für euch ein.

Heute schon gelacht?
Lachen ist gesund für Körper und Psyche. Es entspannt den Körper, reduziert Stress und lindert sogar Schmerzen. Probiert es mal aus!

„Ich bin gut“ – Wie wir ein positives Selbstbild entwickeln

Ein positiver Blick auf uns selbst fällt oft schwer. Aber von Kindern können wir lernen, wie das geht.

Mein Sohn Dennis war drei Jahre alt, als er mit einem einzigen Satz mein Weltbild ins Wanken brachte. Wir Eltern saßen auf dem Sofa. Dennis lief strahlend an uns vorbei, hatte den Schalk in den Augen und sprach: „Ich bin gut.“ Er sagte das mit viel Freude, ohne jeden Anflug von Zweifel, mit Selbstvertrauen und Spaß an sich selbst. Es ging ihm nicht darum, unsere Bestätigung zu bekommen. Er wollte uns diese Tatsache einfach nur mitteilen und uns an seiner Freude teilhaben lassen.

Da saßen wir pädagogisch geschulten Eltern nun, sahen uns an, und da war sie, unsere neue Aufgabe für die nächsten 15 Jahre. Wir waren uns einig, dass wir dieses wunderbare Selbstwertgefühl so gut wie möglich beschützen und auf uns selbst aufpassen wollen, damit wir es nicht zerstören.

Nicht rumziehen

Mir war der Begriff „Erziehung“ schon immer suspekt und unangenehm. Er hat für mich etwas von „geradeziehen“ oder „in eine Form ziehen“. Dieses Kind brauchte nicht „erzogen“ werden, es war gut so, wie es war. Ich habe mich also nicht mehr von pädagogischen Konzepten inspirieren lassen, wohl aber davon leiten lassen, dass es in jeder Gruppe, in jedem Zusammenleben Regeln geben muss. Diese Regeln kamen von uns Eltern, zunehmend in Absprache mit unserem Sohn. Und hin und wieder war eine klare Ansage nötig. Wir haben, wie alle Eltern, natürlich auch Fehler gemacht. Aber niemals hatte ich Zweifel an Dennis‘ Aussage „Ich bin gut“, niemals die Vorstellung, ich sollte dieses Kind irgendwie besser machen, an ihm rumziehen. Dennis hat mir mit seinen drei Jahren den Weg gewiesen.

Ich frage mich, ob wir alle so sind in diesem Alter, so eins mit uns selbst, so einverstanden mit uns – und wann es beginnt, dass sich Unsicherheit und Selbstzweifel breitmachen. In frühen Fotos meiner Kindheit habe ich geforscht, ob in meinem Gesicht, meiner Haltung auch so ein spitzbübisches Leuchten zu finden ist. Auf einem Foto habe ich es tatsächlich entdeckt.

Einverstanden mit uns selbst

Warum ändert sich das so schnell? Welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt? Ich denke, ein Elend ist die dauernde Bewertung und Benotung, denen Kinder ausgesetzt sind. Davor konnte ich auch Dennis nicht beschützen. Und ich habe den Eindruck, es wird immer schlimmer. Der Einfluss der sozialen Medien kommt in den letzten Jahren noch erschwerend hinzu.

Wäre es nicht großartig, wenn wir auch im Erwachsenenleben fröhlich und selbstbewusst „Ich bin gut“ sagen könnten oder etwas ähnlich Positives? Und wenn wir das auch dürften, würde es uns nicht schwerfallen, wäre es nicht peinlich und es würde von unseren Mitmenschen nicht als großspurig oder arrogant bewertet werden. Es wäre eine schlichte Selbstverständlichkeit und der Ausdruck unseres Einverstandenseins mit uns selbst.

Dennis kann das übrigens als erwachsener Mann immer noch: „Ich bin gut in dem, was ich mache.“ Da muss ich immer lächeln und erinnere mich an die Szene vor vielen Jahren, die mir so deutlich in Erinnerung geblieben ist und mein Denken und Handeln beeinflusst hat.

Renate Schwertel ist als Dozentin für eine Software und in der Erwachsenenbildung tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und einem ihrer Söhne im Taunus.

Getrennte Schlafzimmer – Warum sie die Beziehung retten können!

Wenn das Bett zu voll wird schlafen viele junge Paare in getrennten Betten, um die Nachtruhe zu retten. Aber es gibt noch mehr Gründe, warum Familien zu „Schlafnomaden“ werden.

Laut einer Umfrage 2019 in Großbritannien schlafen 40 Prozent der britischen Paare getrennt. In Deutschland könnten die Zahlen ähnlich sein. Aufgrund von Vorurteilen ist das Thema häufig tabu.

Doch schon genetische Unterschiede zwischen Frauen und Männern bedingen unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin leiden Frauen etwa 1,5-mal häufiger unter Schlafstörungen als Männer. „Frauen haben vor allem ab der Geburt von Kindern eher den leichten ‚Ammenschlaf‘, bei dem man alles hört. Deshalb sehen sie getrenntes Schlafen oft als Chance für (wieder) guten und erholsamen Schlaf, die Männer sehen es als Vorwand für eine Trennung“, sagt Schlafexpertin Christine Lenz.

Freiwillige Schlafscheidung

Vor allem für Familien mit (Still-)Babys und jüngeren Kindern, die nachts oft aufwachen, kann getrenntes Schlafen zumindest zeitweise praktisch sein. So erleben es zum Beispiel Marie und Viktor: „Seit der Geburt unserer Tochter (1,5 Jahre) schlafen wir immer mal wieder phasenweise getrennt. Vor allem in Schreiphasen aufgrund der Zähne oder wenn sie krank ist. Mein Mann schläft dann in seinem Büro und ich bleibe im Ehebett mit dem Kind, da nur ich stillen kann. Wir sind so nicht beide nach der Nacht völlig kaputt, mein Mann ist fit für den Arbeitsalltag und ich kann mich mittags notfalls mit hinlegen“, berichtet die Mutter.

Auch Michèle und David empfinden getrenntes Schlafen für sich und ihre drei Kinder manchmal als praktisch. „Mit dem Abstillen zogen die Kinder von unserem Schlafzimmer ins Wohnzimmer und Kinderzimmer um. Wir gehen jeden Abend als Paar gemeinsam schlafen. Unsere Kinder wachen noch mehrmals pro Nacht auf. In der Regel schläft beim wiederholten Ins-Bett-Bringen der Kinder jemand in deren Zimmer ein. Daher ist morgens noch höchstens eine Person im Schlafzimmer. Wir haben bewusst Kinderbetten angeschafft, in denen auch ein zusätzlicher Erwachsener bequem schlafen kann. Für uns als Familie ist dies momentan die beste und entspannteste Lösung“, erzählen sie.

Getrenntes Schlafen wegen der Kinder ist für das Paar häufig einfacher. „Wenn es die Umstände von außen einfach erfordern, wird man als Paar nicht in Frage gestellt. Das hat nichts mit der Qualität der Beziehung zu tun“, erklärt Paartherapeutin Christine Geschke.

Doch für jüngere Kinder kann die Entscheidung der Eltern, getrennt zu schlafen, beängstigend sein. „Das kann von den Kindern als Gefahr für eine Trennung gewertet werden. Da ist offene Kommunikation wichtig und den Kindern in Ruhe zu erklären, dass man sich vor allem gemeinsam für getrennte Schlafzimmer entschieden hat, damit jeder zur Ruhe findet und dass es nichts mit Trennung zu tun hat. Diese Angst sollte man auch transparent benennen“, so Geschke weiter.

Beziehungsretter getrennte Schlafzimmer?!

Ausreichender und erholsamer Schlaf ist eine wichtige Voraussetzung für physische und psychische Gesundheit. Das am Tag Erlebte wird verarbeitet, es finden Stoffwechselprozesse und Zellerneuerung statt. Der gesamte Organismus regeneriert sich, das stärkt die Abwehrkräfte. Laut einer Studie der Universität Berkeley von 2013 können sich unausgeschlafene Menschen zudem emotional weniger in die Perspektive ihres Partners versetzen, was zu weniger Kommunikation und vermehrten Konflikten in der Beziehung führt. „Je ausgeschlafener man ist, desto wohlwollender kann man auch mit den Schwächen des Partners umgehen. Wenn man schlecht geschlafen hat, ist man sehr intolerant und der liebevolle Blick aufeinander geht verloren“, ergänzt Geschke. Somit ist gesunder Schlaf auch wichtig für gesunde Beziehungen.

Das Nähe-Bedürfnis beim Schlafen ist individuell. „Manche Paare brauchen physische Nähe, um sich geborgen zu fühlen. Andere Paare müssen sich frei bewegen können. Man muss auf einen gemeinsamen Nenner bei der Nähe-Distanz-Gleichung kommen“, weiß Geschke.

Den Wunsch nach getrennten Betten, um ruhiger zu schlafen, sollte man wertschätzend äußern und dem Gegenüber die Angst vor einem Beziehungsende nehmen. Bei der Einrichtung getrennter Schlafplätze sollte auf die Bedürfnisse von beiden Partnern geachtet werden. Es sollten keine Ungerechtigkeiten entstehen, indem der eine im komfortablen Doppelbett und der andere auf dem Klappsofa schläft.

Unterschiedliche Schlafrhythmen oder Hobbys, denen man gern abends, wenn die Kinder schlafen, noch nachgehen möchte, stören den jeweils anderen bei getrennten Schlafplätzen weniger. Anne, die normalerweise mit Mann und der zweijährigen Tochter im Familienbett schläft, berichtet: „Mein Mann verlagert vor allem am Wochenende seine Freizeit gern auf die Nacht und genießt dann seine Ruhe auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer. Oft schläft er beim Filmeschauen dort ein. Ich sage ihm gute Nacht, bevor ich zu Bett gehe. Unter der Woche schläft er wieder bei uns im Familienbett, denn mir fehlte die körperliche Nähe in der Nacht.“

Schlafexpertin Lenz unterstreicht das: „Einsam und allein zu schlafen, ist für uns als Menschen eigentlich nicht gut. Viele schlafen besser in Gesellschaft anderer, weil sie sich dann sicherer und nicht so allein fühlen. Es ist eine Gratwanderung zwischen erholsamem und ruhigem Schlaf allein und dem emotionalen Wohlbefinden der Person damit.“

Nähe außerhalb des Schlafzimmers

Laut Experten können getrennte Schlafzimmer Sexualität manchmal wieder aufregender machen. Natürlich eher nicht, wenn der jeweils andere im Kinderzimmer schläft. Dennoch: Sex kann auch außerhalb des Ehebettes stattfinden. „Die körperliche Nähe muss nicht auf der Strecke bleiben, wenn man getrennt schläft. Vielleicht ist man nicht mehr so spontan oder hat nicht mehr sein Liebesnest wie früher, aber man muss sich auf diese Weise neu Gedanken machen, wie man Intimität auf allen Ebenen schafft“, erzählt Anne.

Um trotz getrennter Schlafplätze die körperliche und auch innerliche Verbundenheit zueinander nicht zu verlieren, können Paare durch Kleinigkeiten wie gegenseitige Nachrichten oder eine Umarmung vor dem Verlassen des Hauses im Alltag Nähe zueinander suchen. Unsere Expertinnen empfehlen feste Rituale. „Sich zum Beispiel abends oder morgens gegenseitig im Bett zu besuchen und noch ein bisschen zu kuscheln. Oder an einem festen Tag eine Verabredung mit dem Partner ausmachen. Zum Beispiel zusammen essen oder tanzen gehen und danach noch kuscheln. So wird die Beziehung nicht vergessen“, rät Christine Lenz.

Flexibel bleiben

Vor allem Familien mit jüngeren Kindern müssen sich im Alltag ständig neu anpassen. Manchmal auch im Schlaf. Lisa und Per (Namen geändert) bezeichnen sich und ihre zwei Kinder selbst als „Schlafnomaden“ und erzählen: „Unsere Wohnung hat ein Zimmer zu wenig, wir haben kein eigenes Schlafzimmer. Entsprechend hatten wir schon in verschiedensten Gruppierungen die Betten verteilt: alle im Familienbett, jeder mit einem Kind in je einem Raum, Kinder im Durchgangszimmer, Eltern im Kinderzimmer … Als die Kinder uns phasenweise viel in der Nacht brauchten, durfte ein Elternteil auch immer mal wieder Pausen machen und eine Nacht nebenan allein durchschlafen – ein Luxus und eine Liebeserklärung in Elternsprache. Wir passen uns den jeweiligen Bedürfnissen an. Unsere Kinder sind mit dieser Flexibilität vertraut. Solange wir Eltern in der Nähe sind und sie einen schönen Schlafplatz haben, ist alles gut.“

ERFAHRUNGSBERICHT JOHANNA, ZWEI KINDER (4 UND 2 JAHRE)

Als unser Sohn auf die Welt kam, schlief er bei uns und unsere Tochter schon im eigenen Zimmer. Wenn sie nachts aufwachte, kümmerte sich mein Mann um sie, doch manchmal wachten dann auch unser Sohn und ich auf. Durch das nächtliche Stillen machte für mich jedes weitere „unnötige“ Wachsein einen Unterschied. Mit der Zeit verlor ich tagsüber schneller die Nerven. So kam die Idee, unserem Schlaf Priorität zu geben und getrennt zu schlafen. Jeder kümmert sich nachts nur um ein Kind und kann sonst durchschlafen. Das entlastete mich sehr.

Unsere Ehe hat gar nicht darunter gelitten. Im Gegenteil. Wir mussten richtig kommunizieren lernen. Welche Bedürfnisse haben wir? Welche Kompromisse sind für uns machbar? Was dient uns als Familie? Sex war nochmal ein extra Thema, an dem wir bewusst gearbeitet haben. Wir lernten, wie wir unsere Liebestanks als Ehepaar trotz getrennter Schlafplätze und Kleinkindphase füllen können. Unsere Gründe waren sehr pragmatisch. Wir wollten in dieser Phase das Bestmögliche für alle rausholen. Echtes Wohlbefinden ist wichtiger als „Das gehört sich so“. Das habe ich selbst damals erst verstanden. Vorher dachte ich, wer nicht im gleichen Bett schläft, hat eine riesige Ehekrise. So ist es auf keinen Fall. Vielleicht sogar im Gegenteil.

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin. Sie lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

 

 

Wackelzahnpubertät – Worauf sich Eltern kurz vor der Einschulung einstellen müssen

Kurz vor der Einschulung erleben Kinder eine emotionale Achterbahnfahrt: die Wackelzahnpubertät. Wutanfälle und Kuschelmomente wechseln sich ab. Familienberaterin Daniela Albert erklärt, warum die Kinder so „schwierig“ sind und worauf es für die Eltern ankommt.

Ich nenne die Wackelzahnpubertät immer mit einem Augenzwinkern meinen persönlichen Endgegner, denn keine Entwicklungsphase hat mich als Mutter so gefordert wie die Zeit rund um den Schuleintritt, wenn die Kinder kognitiv riesige Sprünge machen und sich körperlich vom Kleinkind zum Großkind entwickeln. Man merkt sehr schnell: Arme und Beine werden länger und das ganze Kind scheint plötzlich überall „drüberzuhängen“, wenn man es, wie früher, zum Trösten oder Kuscheln auf den Schoß nehmen will.

Wechselspiel zwischen Nähe und Ablösung

Apropos Trösten und Kuscheln: Vielleicht ist es damit gerade auch gar nicht so einfach? Während es noch vor Kurzem normal war, dass das Kind in emotionalen Nöten zu den Eltern kam und körperliche Nähe suchte, kann es sein, dass es jetzt erst mal ein bisschen Abstand braucht, wenn die Gefühle überkochen. Die Wackelzahnphase ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Nähe und Ablösung.

Kinder durchlaufen in dieser Zeit einen wichtigen Autonomieprozess. Schon länger sind neben den Eltern andere Menschen in ihrem Leben wichtig geworden: Betreuungspersonen, Gleichaltrige und auch mediale Idole dienen nun ebenfalls als Orientierungspunkte und prägen das kindliche Universum mit. Der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit und eigenen Wegen wird größer.

Ganz und gar angenommen

Gleichzeitig sind Kinder in dieser Phase noch klein und bedürftig. So kann es sein, dass sie nachmittags selbstbewusst mit anderen Kindern um die Häuser ziehen und nicht nach uns fragen und nachts in unser Bett gekrochen kommen. Die meisten Kinder suchen ihren Wutanfällen selbst wieder die Nähe zu den Eltern und möchte eigentlich nur wissen und spüren, dass sie dort geborgen und geliebt ist. Diese innerliche Ablösung kann nur gut funktionieren, wenn unsere Kinder sich bei uns ganz und gar angenommen fühlen und immer einen Ort haben, an dem sie sich sicher wissen.

Wenn ein Kind also in emotionalen Nöten ist, machen Sie als Eltern sich bewusst, dass sich bei ihrem Kind gerade viel verändert. Schauen Sie, wann es Nähe braucht und sich mit Ihnen zusammen wieder beruhigen möchte und wann es gut ist, es erst einmal bei sich und den eigenen Gefühlen zu lassen. Besprechen Sie solche Situationen hinterher mit ihrem Kind, nicht, um es für ihren Wutanfall zu tadeln, sondern um zu verstehen, was da eigentlich in dem Kind vorgegangen ist und um  zu helfen, sich selbst besser zu begreifen.

Die Wackelzahnpubertät ist übrigens nicht nur mein persönlicher Endgegner, sondern auch meine Lieblingsphase in der kindlichen Entwicklung, denn nie wieder darf man so nah dabei sein, wenn sich eine junge Persönlichkeit entwickelt und entfaltet.

Daniela Albert ist Autorin, Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrer Familie in Kaufungen und bloggt unter: eltern-familie.de