Eltern fragen sich: Wie sollen sie den ersten Geburtstag des Kindes feiern?

Braucht ein Einjähriger schon Geschenke? Und macht eine Geburtstagsfeier in dem Alter überhaupt Sinn? Pädagogin Stefanie Diekmann gibt Antworten.

„Mein Sohn Jonas wird bald ein Jahr alt. Natürlich wollen wir seinen ersten Geburtstag feiern, aber muss das gleich mit einer Mottoparty sein? Was gibt es für Alternativen?“

Der erste Geburtstag ist der Übergang vom Baby zum Kleinkind. Unweigerlich drängen sich bei den Eltern an diesem Tag Erinnerungen an die Geburt und das erste Lebensjahr auf. Viele Eltern wollen diesen Tag bewusst mit ihrem Sprössling feiern.

Babys spüren, dass es um sie geht

Eine Party ist keinesfalls zwecklos, auch wenn sich Ihr Baby später tatsächlich nicht bewusst daran erinnern wird. Einjährige haben, anders als wir Erwachsene, noch kein Ich-Bewusstsein. Ihr Erinnerungsvermögen ist somit noch nicht ausgereift. Sie sind aber durchaus in der Lage, die Aufmerksamkeit, die ihnen durch die Feier und die Gäste zuteil wird, zu bemerken. Babys können also durchaus spüren, dass sie der Grund für die Party sind.

Ein weiterer Grund, den ersten Geburtstag zu feiern, ist, Rituale einzuführen und damit das Familienleben zu gestalten. Eltern können beispielsweise einen Geburtstagstisch mit Kerzen, Blumen und Kuchen dekorieren oder die Haustür schmücken als sichtbares Zeichen: Hier hat jemand Geburtstag! Mit einem Foto im immerselben Türrahmen kann am ersten Geburtstag begonnen werden – dies ergibt eine tolle Fotostrecke zum 18. Geburtstag.

Geschenke begrenzen

Geschenke als Ausdruck von Liebe können schnell zu einem nicht zu bewältigenden Berg werden. Aber keine Sorge: Eltern haben die Möglichkeit, Ideen zu äußern. Nützlich dafür ist eine Einladung in Kartenform oder per Mail, in der sie zum einen ihre Erwartungen an den Tag (ob sie lieber mit bunter Kaffeetafel am Tag des Geburtstages oder mit einem Frühstück am folgenden Wochenende feiern möchten) und zum anderen Geschenkideen formulieren können.

Wie wäre es, wenn Sie den Gästen vorschlagen, jedes Jahr ein Teil zu einer dadurch immer größer werdenden Sammlung beizusteuern, zum Beispiel Spieltiere, Bücher oder Holzeisenbahnschienen? Auch immaterielle Geschenke wie eine Spende für Kinder ohne Geschenke im Überfluss (zum Beispiel: geschenke-der-hoffnung.org) sind eine schöne Idee.

Gemeinsam zurückerinnern

Übrigens: Auch das Zurückerinnern an das vergangene Lebensjahr ist ein wichtiger Moment vor dem Geburtstagstrubel. Eltern können dafür (gemeinsam mit ihrem Kind) am Vorabend des Geburtstages anhand von Fotos ihren Herausforderungen und Genusssmomenten des vergangenen Lebensjahres auf die Spur kommen.

Bei allem Auswerten, eins bleibt: Es ist ein Geschenk, miteinander auf dem Weg zu sein und die Persönlichkeit des Kindes reifen zu sehen. In diesem Sinne: Happy Birthday, kleiner Schatz!

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

„Mama, ich will ein Haustier“ – Expertin verrät, ob Hund, Katze oder Maus zu Ihnen passen

Sollte Ihre Familie ein Haustier kaufen? Und wenn ja: Welches Tier kann es werden? Anika Schunke verrät, wie Sie Frust vermeiden.

„Unsere Kinder wollen unbedingt ein Haustier. Was müssen wir beachten und welches ist das richtige Tier für uns?“

In jeder Familie kommt früher oder später die Diskussion auf, ob ein Tier Teil der Familie werden soll und wenn ja, welches das richtige ist. Auch wenn das Tier in den meisten Fällen für das Kind ausgesucht wird, muss Ihnen als Eltern bewusst sein, dass Sie besonders in den ersten Monaten ebenso Zeit für die Pflege des Tieres einplanen müssen. Junge Kinder müssen hier über einen gewissen Zeitraum konstant angeleitet werden. Daher ist es unabdingbar, das Sie sich genauestens über mögliche Haustiere informieren. Mit der Zeit kann alters- und entwicklungsgerecht immer mehr Verantwortung an die Kinder abgegeben werden.

Die Klassiker der Haustiere für Kinder sind kleine Nagetiere wie Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen, oder Katzen und Hunde. Bei verschiedenen Tierarten ist es wie bei uns Menschen auch, jedes Individuum hat verschiedene Bedürfnisse. Ich würde möglichst junge Tiere aussuchen, denn diese wachsen, wie die Kinder auch, in die Situation und das Leben der Familie hinein. Wenn die Tiere von klein auf an das turbulente Familienleben gewöhnt sind, stresst sie das nicht so sehr. Darüber hinaus bleibt es spannend, denn die Aufgaben ändern sich mit dem Heranwachsen der Tiere.

Nager: Mitunter kurze Lebensdauer

Bei Hamstern und Mäusen gilt es zu bedenken, dass sie nachtaktive Tiere sind, nur eine kurze Zeit leben und meistens nicht so zahm werden wie Meerschweinchen oder Kaninchen. Meerschweinchen und Kaninchen sind in ihrer Haltung ziemlich ähnlich. Sie leben in Gruppen. Hier ist eine sorgfältige Pflege und Beschäftigung außerdem unabdingbar. Ob Kaninchen oder Meerschweinchen, ob in der Wohnung oder draußen, beide sollten einen großen Käfig und täglichen Auslauf haben.

Katzen: Auf die Rasse achten

Hier ist es sehr wichtig, ein besonderes Augenmerk auf die Rasse zu legen. Nervöse, ängstliche Katzen sind nicht für Familien mit Kindern geeignet. Je nach Wohnsituation sollten die Katzen Möglichkeiten zum Freigang haben. Wenn sie sich gegen den Freigang entscheiden, ist es wichtig, der Katze in der Wohnung verschiedene Plätze zu schaffen, an denen sie schlafen, spielen, klettern und kratzen kann. Hier ist die tägliche Beschäftigung durch den Menschen ebenfalls unabdingbar. Futter- und Such-Aufgaben sowie Jagdspiele sollten das Minimum sein.

Hunde: Echte Zeitfresser

Die Anschaffung eines Hundes muss wirklich gut durchdacht sein. Wenn Sie viel in der Natur unterwegs sind, spazieren gehen, Inliner oder Fahrrad fahren, ist das schon mal eine gute Voraussetzung. Verbringen Sie viel Zeit zu Hause, muss Ihnen klar sein, dass ein Hund einen kompletten Lebenswandel bedeutet, denn je nach Rasse muss er mindesten dreimal am Tag ca. 45 Minuten raus, bei Wind und Wetter. Hunde müssen geistig wie körperlich ausgelastet sein und fordern viel Zeit vom Menschen ein. Auch die Größe des Hundes spielt eine Rolle, denn große Hunde kosten im Unterhalt mehr als kleine.

Überstürzen Sie die Anschaffung eines Tieres nicht, sondern informieren Sie sich umfassend. Sprechen Sie mit Freunden, der Familie und Bekannten. Vielleicht können Sie auch erst mal ein Tier in Pflege nehmen (zum Beispiel, wenn jemand in den Urlaub fährt) und somit einen Probelauf starten.

Anika Schunke lebt in der Nähe von Karlsruhe, ist Erzieherin und bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an: familie-bewegt.de. Außerdem ist sie Autorin des Buchs „Kleine Räume, großer Spaß“. 

Spielen als Erwachsene: Aus diesen vier Gründen sollten Sie unbedingt Gesellschaftsspiele spielen

Spielen ist nur was für Kinder? Von wegen. Warum Spiele für Erwachsene derzeit so einen Hype erleben und wie auch Ältere vom Spielen profitieren können.

Deutschland ist im Spiele-Fieber – und das nicht nur dank Corona. Dass die Deutschen ein Gesellschaftsspiel-Völkchen sind, das ist spätestens seit „Siedler von Catan“ bekannt. Die Pandemie hat den Absatz von Spielen und Puzzles jedoch enorm erhöht, weiß PR-Managerin Katrin Seemann beim Buch- und Spielverlag Ravensburger. Denn die viele freie Zeit, die dank Lockdown, Ausgangssperre und ausfallender Veranstaltungen plötzlich zur Verfügung stand, wollte sinnvoll gefüllt werden. Spätestens, wenn Netflix leer geschaut war, mussten Gesellschaftsspiele herhalten. Besonders beliebt sind derzeit (Online-)Exit Games oder Krimidinner sowie Spiele, die man auch zu zweit gut spielen kann.

Flucht aus dem Alltag

Doch was macht das Spielen für Erwachsene so faszinierend? Insgesamt sind es vor allem vier Punkte, die Spiele auch für „große Kinder“ interessant machen. Da sei zum einen die Chance, in neue Rollen schlüpfen zu dürfen, sagt Seemann. Werwolf, Detektiv und flüchtiger Ganove – die Flucht aus dem Alltag hinein in eine abenteuerliche Fantasiewelt reißt viele Menschen mit. Wer spielt, lässt dem Kind in sich freien Raum.

„Kidult“ nennt die Spiele-Industrie Erwachsene, die sich für kindliches Spielzeug begeistern können: Nerf-Guns und Murmelbahnen zum Selberbauen sind nur zwei Beispiele hierfür. „Ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass Spielen nur etwas für Kinder ist“, sagt auch Spiele-Entwickler und Kunsthistoriker Steffen Bogen (54). Er gewann 2014 für sein Spiel „Camel Up“ den Preis für das beste Spiel des Jahres. Zwar hat er auch schon als Kind gerne gespielt – bereits mit zehn Jahren erstellte er seinen ersten Prototypen für ein eigens entwickeltes Spiel – seine Lust am Spielen hat er aber bis heute erhalten.

Spielen stärkt die Gemeinschaft

Neben dem Eintauchen in neue Welten hat Spielen weitere positive Effekte. Es stärkt die Gemeinschaft, hilft, einander und sich selbst besser kennenzulernen. Das wusste sogar schon Dichter Friedrich Schiller, der gesagt haben soll: „[…] Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Für Bogen gehört der wöchentliche Spieleabend inzwischen fest zum Alltag und er möchte die fröhliche Runde nicht mehr missen. Positiver Nebeneffekt: Seine Spiele-Erfindungen werden hier gleich von seinen Freunden getestet.

Als Drittes kann Spielen sogar Stress reduzieren. „Beim Spielen gerät man leicht in einen sogenannten ‚Flow‘“, erklärt Katrin Seemann, „einen Zustand, in dem man alles um sich herum vergisst und die Zeit wie im Flug vergeht.“ Und ganz nebenbei ist Spielen auch sehr lehrreich. Verpackt in einen spielerischen Rahmen lassen sich viel leichter auch vermeintlich unangenehme Lerninhalte wie Mathe oder Vokabeln vermitteln. Nicht nur Schülerinnen und Schüler lernen gerne beim Spiel, auch Mitarbeitende vieler Firmen dürfen sich inzwischen mithilfe von „Gamification“ (auf Deutsch etwa: Spielifizierung) fortbilden. Belohnungssysteme wie Highscores oder Fortschrittsbalken sollen dabei die Lernenden motivieren und den Wettkampf unter Kolleginnen und Kollegen befeuern.

Spielen im Museum

Dies macht sich auch Professor Bogen zunutze: In seinen Seminaren an der Uni Konstanz vereint er seine beiden Leidenschaften Spiel und Kunst. Dass Spielen, Lernen und Kunstinteresse gut zusammenpassen, zeigt beispielsweise die App „SherLOOK“, die Bogen mit seinen Studierenden in Kooperation mit dem Kunstmuseum St. Gallen (Schweiz) entwickelt und inhaltlich gestaltet hat. Die Besucher des Museums erhalten am Eingang ein Tablet mit einer Kamera, die ihnen kleine Ausschnitte aus den Gemälden der Ausstellung zeigt. Aufgabe ist es nun, das zugehörige Kunstwerk zu finden. „SherLOOK“ hält anschließend Informationen über das entsprechende Ausstellungsstück bereit.

„Spielen hilft, flexibel und kreativ zu bleiben“, ist Steffen Bogen überzeugt. Kreativität steckt in jedem Menschen. Man muss sie nur manchmal herauskitzeln. Doch es ist nicht immer leicht, das innere Kind hervorzulocken, mal wieder albern oder verspielt zu sein. Wenn Stress und Sorgen die Lust am Spielen verschüttet haben, hilft nur eins: Die Schaufel schnappen und den Spieltrieb wieder ausgraben.

Disclaimer: Die Redaktion der Family hat im Rahmen der Recherche mit der PR-Redaktion von Ravensburger telefoniert. Weitergehende Kooperationen wie Testprodukte oder Werbezahlungen waren nicht Teil dieser Zusammenarbeit.  

Text: Catharina Conrad

Unbegleiteter Flüchtling: Als Nayzgi (14) auf seine neue Familie trifft, laufen die Tränen

Maren und Rainer Koch haben 2016 Nayzgi, einem jugendlichen Flüchtling aus Eritrea, ein Zuhause gegeben. Einfach war das nicht …

Es sind zwei Sätze, die Maren und Rainer Koch im Spätsommer und Herbst 2015 immer wieder begegnen. Zwei Sätze aus der Bibel, die sie berühren und bewegen: „Vergesst nicht, Fremden Gastfreundschaft zu erweisen, denn auf diese Weise haben einige Engel beherbergt – ohne es zu merken“, aus Hebräer 13,2 lautet der eine. „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken, ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen“, lautet der andere aus Matthäus 25. Sie sehen die bewegenden Bilder von ankommenden Geflüchteten, sie hören schreckliche Fluchtgeschichten und sie lesen, dass Gastfamilien für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge gesucht werden.

Und das lässt sie nicht mehr los. Sollen sie wirklich? Sie haben schon ein volles Haus – zwei Jungs (16 und 18) und zwei Mädchen (11 und 14). Rainer ist als Referent viel unterwegs. Wird ein Leben mit vier Kindern und einem geflüchteten Jugendlichen nicht zu einer zu großen Herausforderung? „Ich hatte die Sorge: Da kommt jemand in das Innerste unseres Hauses, in unsere Familie, von dem ich nichts weiß. Wie wird das werden?“, erinnert sich Rainer. Doch die Worte aus der Bibel, denen sie immer wieder auf unterschiedliche Weise begegnen, treiben sie um. So ruft Rainer beim Jugendamt an, und sie lassen sich beraten.

Plötzlich muss alles ganz schnell gehen

Weil alles so vage ist, erzählen sie nur ihren Kindern von ihrer Idee. Die sind damit einverstanden. Sie füllen ein Antragsformular als Gastfamilie für einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling aus. Doch lange Zeit passiert nichts. Immer wieder rufen sie beim Jugendamt an, doch aktuell gäbe es keine geflüchteten Jugendlichen, so die Auskunft.

Der Winter kommt, Weihnachten, das neue Jahr 2016 beginnt. Am 7. Januar, einem Donnerstag, ruft eine Mitarbeiterin vom Jugendamt an und teilt ihnen mit, am kommenden Dienstag würden acht Jugendliche in den Landkreis Schaumburg kommen, darunter auch ein Junge namens Nayzgi aus Eritrea, mit einem christlich-orthodoxen Background. Mehr Informationen bekommt die Familie nicht. Sie müssten sich bis morgen Nachmittag entscheiden, ob sie diesen Jungen wirklich aufnehmen wollen. Und so geht auf einmal alles sehr schnell. Die zwei biblischen Sätze aus der Anfangszeit entfalten noch mal ihre ganze Wirkkraft. Das Wochenende nutzt die Familie, um im Haus umzuräumen und das Zimmer von Nayzgi herzurichten. Und sie bekommen Klarheit, Rainer nennt es geistliche Verdichtung: „Es war eine sehr klare, gemeinsame, verdichtete Erfahrung, was jetzt unsere Sendung ist. Und ich habe gespürt, ich finde die diffuse Angst vom Anfang nicht mehr wieder.“

„Uns sind allen die Tränen gelaufen“

Am Dienstag, den 11. Januar 2016, fahren Maren und Rainer in die Kreisstadt, wo sie Nayzgi in Empfang nehmen sollen. Neben ihnen steht eine andere Gastmutter, ansonsten haben sich Mitarbeiter von Jugendwohngruppen eingefunden. Acht Jugendliche, manche mehr Kinder, kommen in den Raum. Für alle ein bewegender Moment. „Ich hab zum ersten Mal verstanden, was es heißt, mutterseelenallein zu sein“, erinnert sich Rainer. „Uns sind allen die Tränen gelaufen, so emotional war dieses erste Aufeinandertreffen. Ich hatte den Eindruck, dass in diesem Moment ganz viel Liebe wie eine Welle durch uns hindurchfloss.“ Übersetzer helfen den Ankommenden und neuen Bezugspersonen, zueinanderzufinden. „Als Nayzgi hörte, dass er zu uns in die Familie kommen sollte, haben wir direkt in seinem Gesicht gesehen, dass er das auf keinen Fall wollte. Er hat später erzählt, dass ihn jemand davor gewarnt hatte, in eine Familie zu gehen. Doch in diesem Moment, ohne dieses Wissen, war es für uns schon irritierend“, denkt Maren zurück.

Nach neunmonatiger Flucht durch Äthiopien, den Sudan, Libyen und über das Mittelmeer versucht der 14-Jährige, in der neuen Welt, der neuen Umgebung anzukommen. Mit Hilfe von Händen, Füßen und Bildkarten sowie ein paar Brocken Englisch bemühen sich alle miteinander, ins Verstehen zu kommen. Doch die schwierige Kommunikation wird zur ersten großen Herausforderung. „Maren hat vieles verstanden, sie hat einen siebten Sinn dafür, eine Sprache des Herzens, während ich gar nichts verstanden habe“, erinnert sich Rainer. Einmal in der Woche kommt ein Dolmetscher, und so wird in dieser einen Stunde das Allerwichtigste geklärt und besprochen.

Kaum Menschen anderer Hautfarbe

Anfangs zieht sich Nayzgi viel in sein Zimmer zurück, macht seine traumatischen Erfahrungen während der Flucht mit sich aus – und vernetzt sich dank Facebook mit Freunden und Verwandten in der ganzen Welt. Ein Stück eritreische Heimat im deutschen Dorf. Die ersten Begegnungen mit den Menschen an ihrem Lebensort sind verhalten. „Uns ist zum ersten Mal bewusst geworden, dass es in unserem Umfeld kaum Menschen anderer Hautfarbe gibt“, erzählt Rainer. „Ich erinnere mich an eine Szene vom Anfang: Ich bin mit Nayzgi zum Fußballplatz gegangen. Als wir ankamen, merkte ich, wie er immer mehr in meinen Windschatten trat und wir vom gesamten Fußballplatz angestarrt wurden. Da hab ich das ‚Anderssein‘ richtig körperlich gespürt.“ Zum Glück reagieren enge Freunde und ihre Familien sehr positiv auf das Menschenkind, das sie als neues Familienmitglied kennenlernen. Der Fremde, der Andere hat ein Gesicht, einen Namen, eine Geschichte – und ein Zuhause.

Zwischen Freude und Frust

Die ersten Monate und Jahre waren sehr herausfordernd, berichten Maren und Rainer. Neben erfüllenden Momenten und vielen wertvollen, kulturellen Lernerfahrungen gibt es natürlich auch Konflikte und Frust. Nayzgi baut immer wieder eine Mauer um sich herum auf, reagiert abweisend und unfreundlich auf seine neue Familie. Kommunikation und Nähe fallen ihm schwer. Rainer erinnert sich: „Es war nicht leicht, herauszufinden, was an seinem Verhalten gerade Pubertätsdynamik war, was sein Charakter, was kulturell bedingt und was traumatisch.“ Sie suchen stetig nach Wegen, wie sie den Jungen gut und wohlwollend als Familie und mit Unterstützung von Freunden, Sozialarbeitern und dem Jugendamt begleiten können. Und so wird aus dem sechsmonatigen Gastaufenthalt recht schnell eine dauerhafte Lösung, ein andauerndes Lernen, „wie wir gemeinsam Zusammenleben und Familie leben“.

Als entscheidend in all den Jahren hat Maren vor allem ihre Herzenshaltung empfunden. Die echte Hingabe zu diesem Menschen, das tiefe Interesse, immer wiederkehrende Barmherzigkeit. Und auch die Erkenntnis, dass Nayzgi einen festen Platz in ihren Herzen hat, verbunden mit dem tiefen Wissen, dass er ihnen „nur“ anvertraut ist, da er Eltern in Eritrea hat, die die Familie auch würdigt. „Wir möchten achtsam auf all die Momente blicken, in denen wir beschenkt werden. Unsere Familie ist seither mit vielen eritreischen Geflüchteten freundschaftlich verbunden, hat an kultureller Sensibilität gewonnen, Fremdheitsgefühle überwunden und spürt auf eine besondere Weise, Teil der weltweiten Menschheitsfamilie zu sein“, resümiert Maren.

Noch einmal sieht Nayzgi seine Eltern

Ende 2017 reift in Maren und Rainer der Gedanke, ob sich ein Treffen von Nayzgi mit seinen Eltern arrangieren lassen könnte. Aktuelle Friedensverhandlungen zwischen Eritrea und Äthiopien würden eine Ausreise der Eltern ins Nachbarland ermöglichen, da eine Rückkehr nach Eritrea für Nayzgi nicht gefahrlos möglich ist. Als der Junge mit 13 Jahren floh, verabschiedete er sich nicht von seinen Eltern. Inzwischen ist sein Vater sehr alt, die Mutter nach wie vor voller Sorge um ihren Ältesten. Wie heilsam wäre da wohl eine reale Begegnung?

Anfang 2018 besuchen Maren, Rainer und Nayzgi dessen Eltern bei einer Cousine in Addis Abeba, Äthiopien. Endlich hat Nayzgi die Möglichkeit, sich von seinen Eltern zu verabschieden. Und seine Eltern lernen endlich die Menschen kennen, die ihrem Sohn ein Zuhause geben. Es ist eine sehr emotionale Begegnung, auch weil die Familie in Eritrea kaum Kontakt zu ihrem Sohn in Deutschland hat. Post gibt es nicht, ebenso besitzt die Familie weder einen Fernseher noch einen Computer, geschweige denn Internet. Alle paar Wochen, wenn das Mobilnetz stabil ist, telefoniert der Junge mit seinen Eltern. Dieses Zusammentreffen ist vielleicht das einzige, das Nayzgi mit seinen Eltern haben wird.

Endlich Bleiberecht

Aus dem verschlossenen Kerlchen ist mittlerweile ein starker junger Mann geworden, der seinen Platz in Deutschland gefunden hat. Nach der Realschule beginnt er eine Ausbildung, macht den Führerschein und bespielt einen eigenen YouTube-Kanal. Er hat engen Kontakt zu eritreischen Freunden und einer eritreisch-orthodoxen Gemeinde. Anfang 2021 wird – nach über fünf Jahren in Deutschland – der Aufenthaltsstatus von Nayzgi in ein dauerhaftes Bleiberecht überführt. Gefeiert hat die Familie das mit einem Lieblingsessen ihres Pflegesohns: Döner.

„Denn so haben einige von euch Engel bei euch aufgenommen.“ Oft war es nicht leicht, in dem Heranwachsenden, dem ruppigen Kerl einen Engel zu sehen, aber für Familie Koch ist Nayzgi ein Geschenk. Ein Geschenk Gottes, was sein Name übersetzt bedeutet.

Hella Thorn lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Iserlohn. Sie arbeitet als Redakteurin, Texterin und Lektorin.

Streit in der Beziehung: Diese sechs Schritte helfen, Konflikte gesund zu klären!

Streit ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Aber richtig streiten müssen Paare lernen. Vor allem auf sechs Punkte kommt es an.

„Jeder ist normal, bis du ihn kennenlernst“, so lautet der Titel eines Buches von John Ortberg. Und tatsächlich: In jeder Beziehung, sei es zu Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen oder in einer Partnerschaft, entstehen früher oder später Irritationen und Meinungsverschiedenheiten. Der erste Streit ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen, denn er zeigt, dass in der Beziehung eine gewisse Nähe entstanden ist. Solange Menschen sich noch wenig kennen und das Vertrauen gering ist, wagt es kaum jemand, den anderen wirklich zu konfrontieren. Da schleicht man eher noch vorsichtig umeinander herum und neigt dazu, sein Gegenüber mit der rosaroten Brille zu sehen – gerade in der Verliebtheitsphase, aber auch bei Freundschaften.

Streiten heißt also erst einmal: Es geht voran mit dieser Beziehung, es ist Nähe entstanden. So viel, dass wir jetzt auch Ecken und Kanten aneinander entdecken. Doch wie streitet man gesund, also so, dass Konflikte geklärt werden, ohne der Beziehung zu schaden? Dazu gibt es wertvolle Strategien, unter anderem aus der Gewaltfreien Kommunikation.

Abstand ist wichtig

1. Gefühlen in Ruhe Raum geben: Wut verführt dazu, sich in negative Gefühle hineinzusteigern, was selten zu guten Lösungen führt. Am besten ist es daher, den negativen Gefühlen zunächst eine gewisse Zeit allein Raum zu geben, bevor Sie das Gespräch suchen. Nehmen Sie sich eine Stunde, in der Sie einfach in sich hineinhorchen. Am besten schreiben Sie auf, was Sie wütend oder traurig macht.

2. Perspektivwechsel: Nachdem Sie Ihr eigenes Befinden ernst genommen haben, kommt Schwierigkeitslevel zwei: Versuchen Sie, sich in Ihr Gegenüber zu versetzen. Was könnte ein Grund für ihr/sein Verhalten sein? Wie fühlt er/sie sich womöglich gerade?

Vorwürfe schaden nur

3. Wertfrei einsteigen: Beginnen Sie nicht mit einem Vorwurf oder einer Bewertung (z. B. „Ich finde es richtig verletzend, dass …“ oder „Es nervt mich total, dass …“), denn damit treiben Sie Ihr Gegenüber schnell in eine defensive Position. Starten Sie stattdessen freundlich und vor allem sachlich. Beschreiben Sie so neutral wie möglich die Situation beziehungsweise das Anliegen, das Sie klären wollen – zum Beispiel: „Bei unseren letzten vier Unternehmungen war es so, dass du entschieden hast, was wir machen.“

4. Positives und Verständnis: Wann immer möglich, leiten Sie die Kritik mit einer wertschätzenden oder verständnisvollen Botschaft ein, beispielsweise: „Ich finde es wirklich toll, dass du so viele Ideen einbringst“ oder „Ich weiß, dass du gerade viel Stress hast“.

Bitten nicht vergessen

5. Eigene Gefühle schildern: Hier kommen die berühmten Ich-Botschaften. Versuchen Sie, Ihrem Gegenüber klarzumachen, warum die Situation für Sie schwierig ist. Versuchen Sie, dies als Ihr eigenes Gefühl darzustellen, nicht als Vorwurf – zum Beispiel: „Wenn du mich nicht in die Planung einbeziehst, fühle ich mich übergangen und ein wenig überrumpelt.“ Vielleicht erwischt die Kritik Ihr Gegenüber trotzdem auf dem falschen Fuß – dann gönnen Sie ihm ebenfalls etwas Zeit und Abstand und führen das Gespräch später weiter.

6. Bitte und Danke: Um wirklich eine Klärung herbeizuführen, überlegen Sie sich am besten schon vor dem Gespräch, was Sie sich konkret von Ihrem Gegenüber wünschen, und äußern Sie das dann als Ihre Bitte: „Bitte lass‘ uns in Zukunft gemeinsam planen, was wir unternehmen.“ Manchmal braucht es mehrere Anläufe, doch wenn Sie eine Lösung gefunden haben, erkennen Sie das an, beispielsweise so: „Danke, dass du so gut zuhörst. Wir haben das echt gut klären können, finde ich.“

Melanie Schüer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin. Sie bietet (Online-)Beratung für Eltern von Babys und Kleinkindern mit Schrei- und Schlafproblemen an (neuewege.me).

In 5 einfachen Schritten: So basteln Sie aus alten Büchern ein Lesezeichen

Ausgediente Bücher müssen nicht im Müll landen. Mit dieser simplen Upcycling-Idee entstehen aus ihnen praktische Lesezeichen.

Ich kann mich nur schwer von alten Büchern trennen. Lieblingsbücher hebe ich selbstverständlich auf und auch die, die ich einfach nur schön oder inspirierend finde. Oder Bücher, an denen Erinnerungen hängen … Eigentlich hebe ich ziemlich viele Bücher auf. Aber es gibt auch die Sorte, die sich irgendwo in Ecken oder Regalen stapeln und von denen man ganz genau weiß, dass man sie eigentlich nie wieder in die Hand nehmen, geschweige denn lesen wird.

Wohin damit? Verschenken, tauschen, auf dem Flohmarkt verkaufen ist die eine Möglichkeit. Etwas Neues daraus basteln (Neudeutsch „Upcycling“) ist die andere.

Wer es nicht übers Herz bringt, den eigenen Büchern an den Kragen zu gehen, der schaut sich auf dem Bücherflohmarkt um. In vielen Städten gibt es außerdem Tauschstationen für Bücher, wo man alte Bücher abgeben und andere Bücher mitnehmen kann.

Tipp: Wer ein sehr altes oder besonders schönes Exemplar in den Händen hält, kann online sicherheitshalber nachschauen, ob er nicht aus Versehen eine Rarität zum Bastelmaterial macht. Im Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher (zvab.de) bekommt man schnell heraus, ob man zufällig ein seltenes und kostbares Exemplar vor sich hat …

So ein schöner Rücken …

Aus Büchern mit einem schön gestalteten Buchrücken werden ganz besondere Lesezeichen. Das Kinderbuch aus den 50ern habe ich in unserem örtlichen Bücherschrank gefunden. Der geprägte Leinenrücken ist zwar schon ein bisschen mitgenommen, wird aber trotzdem ein gutes Lesezeichen abgeben.

Material:

  • altes Buch mit schönem Rücken
  • Tonkarton
  • Bastelskalpell
  • Schere
  • Klebstoff (Bastelkleber oder Klebestift)
  • Lochzange
  • buntes Garn
  • Sticker, Stifte, Stempel … zum Verzieren
Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Schritt 1

Zunächst muss der Umschlag vom Buchblock getrennt werden. Das geht mit einem Bastelskalpell, allerdings sollten diesen Schritt besser Erwachsene übernehmen. Mit dem Skalpell schneidet man den Falz zwischen Umschlag und Buchseiten auf. Das macht man auf der Vorder- und Rückseite des Buches und kann dann den Umschlag in einem Stück abnehmen.

Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Schritt 2

Den Buchrücken mit einer Schere vom Cover trennen, dabei möglichst nah an den Coverpappen entlangschneiden. Der Buchrücken hat ein eigenes Stück Karton auf der Rückseite, rechts und links davon sollte so viel Überzugsmaterial wie möglich übrig bleiben (wenn man vorsichtig schneidet, schafft man etwa 2 mm). Dieses überstehende Material klebt man auf dem rückseitigen Karton des Buchrückens fest. So erhält man ringsum saubere Kanten.

Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Schritt 3

Buchrücken ausmessen. Ein Stück Tonkarton 2 mm kürzer und schmaler als den Rücken zuschneiden und auf die Rückseite des Buchrückens kleben.

Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Schritt 4

Jetzt können Kinder (und Erwachsene) kreativ werden. Die Tonkarton-Rückseite kann ganz nach Lust und Laune gestaltet und verziert werden: mit Stiften, Stickern, Stempeln, Washi-Tapes …

Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Schritt 5

Mit der Lochzange mittig ein Loch an den unteren Rand des Lesezeichens stanzen (ca. 1-1,5 cm vom Rand entfernt). Garn fünf- bis sechsmal um die Hand wickeln und an einer Seite aufschneiden: Auf diese Weise erhält man auf unkomplizierte Weise gleich lange Fäden. Alle Fäden als Schlaufe durch das Loch fädeln, verknoten und ggf. auf eine einheitliche Länge kürzen.

Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Fertig ist das Lesezeichen.

Foto: Annegret Prause

Foto: Annegret Prause

Annegret Prause arbeitet in einem Verlag und hat (nicht nur) deswegen viele Bücher zu Hause. Die meisten behält sie, aber aus manchen entstehen auch neue Dinge. Über ihre Experimente mit Büchern (und viele andere Themen) bloggt sie unter heiterundhurtig.de.

Im Familien-Chaos? Expertin verrät: Eine gemeinsame Vision kann die Lösung sein

Beraterin Adelina Friesen hilft ratlosen Familien dabei, wieder zueinander zu finden. Sie ist überzeugt: Eine Vision kann dabei helfen.

Warum suchen Familien nach Visionen?

Der eigentliche Anlass kann sehr unterschiedlich sein. Allgemein gilt: Eine Vision kann im Alltag helfen. Wenn eine Familie ein gemeinsames Ziel hat, wenn alle zusammen überlegt haben, wer sie sein wollen, dann können sie im Alltag einfacher Entscheidungen treffen. Oft kommen Familien durch Krisen und Herausforderungen zu einer Visionssuche. Jetzt gerade durch die Pandemie ist das eingespielte Familienleben auf den Kopf gestellt, und ich erlebe häufig, dass Familien sich neu orientieren wollen: Was machen wir eigentlich mit unserer Zeit? Vor allem: Was machen wir mit unserer gemeinsamen Zeit? Was wollen wir? Wo wollen wir hin? Und wie können wir das gestalten?

Geht es nicht auch ohne Vision?

Natürlich geht es auch ohne Vision. Ich denke allerdings, dass viele Familien eine Vision und bestimmte Werte haben, auch wenn sie diese nicht direkt formuliert haben.

Visionen bringen Partner zusammen

Aber du empfiehlst Familien, eine gemeinsame Vision zu entwickeln und zu formulieren?

Ja. Es gibt eine unglaubliche Lebensqualität, zu wissen, wofür man lebt, und das auch umzusetzen. Eine Mutter von drei Kindern sagte mal im Anschluss an den Prozess: „Ich war überrascht, wie wenig ich über meine Familie wusste.“ Sie waren als Familie an einem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr zueinander finden konnten. Der Mann hat viel gearbeitet, beide waren sehr engagiert, sie waren viel unterwegs und dabei ist einiges untergegangen. Sie waren hinterher sehr dankbar, weil sie wieder Wege zueinander gefunden haben. Sie haben sogar am Ende gemeinsame Freizeitaktivitäten gefunden, was vorher problematisch war.

Was ist wichtig?

Wie läuft so eine Beratung ab?

Es ist wie ein großes Brainstorming. Einer der wichtigsten Momente in dem ganzen Prozess ist, dass man sich Zeit nimmt, jedem zuzuhören. Das hört sich einfacher an, als es in der Realität ist. Familien haben eingespielte Muster, die schnell sichtbar werden. Ich erkläre den Prozess mal am Beispiel einer Familie mit zwei Kindern: In die Mitte eines Plakates wird ein Kreis gemalt. Dann werden Kreise um diesen inneren Kreis gemalt, für jedes Familienmitglied einen. Jedes Kind und jeder Erwachsene darf dann sagen, welche Werte ihm oder ihr wichtig sind, zum Beispiel Ehrlichkeit oder Freundlichkeit oder Ruhe. Alle anderen müssen zuhören. Die Begriffe werden dann in den Kreis geschrieben, der zur betreffenden Person gehört. Anschließend wird das Plakat aufgehängt. Gemeinsam schauen wir es uns an. Dadurch, dass in dieser Phase jedem zugehört wird, entstehen sehr wertvolle Momente, weil auch die Familienmitglieder mitunter überrascht sind, was die anderen Personen wichtig finden.

Nach dieser Brainstorming-Phase wird sortiert. In den mittleren Kreis werden die gemeinsamen Werte geschrieben, die wir im Gespräch finden. Das sind die Familienwerte. Alle Familienmitglieder müssen mit ihren Vorstellungen darin vorkommen. Wichtig ist, dass diese Werte visualisiert werden. Es gibt außerdem eine sehr wichtige Regel: Der Einzelne darf nicht übergangen werden und muss in seinen Wünschen ernst genommen werden.

Wichtige Fragen

Kannst du uns Tipps geben, wie Familien selbst eine gemeinsame Vision finden können?

Man könnte zu Hause eine Art Familienkonferenz daraus machen. Wichtig ist, dass man einen Raum schafft, in dem man nicht abgelenkt wird. Folgende Fragen können ins Gespräch führen:

Was macht uns als Familie aus?
Welche Ziele haben wir?
Wie wollen wir miteinander umgehen?
Haben wir Vorbilder?
Was gefällt uns bei anderen Familien gut?

Wie kann man kleine Kinder da einbinden?

Mit Fragen wie:

Was ist deine schönste Erinnerung?
Was ist dein schönstes Erlebnis mit uns als Familie?
Was magst du an unserer Familie?
Was macht uns als Familie glücklich?

Prozess lohnt sich auch mehrmals

Und wie geht‘s dann weiter?

Indem man schaut: Welche Werte sind uns wichtig? Es kann helfen, zunächst zehn Werte zu formulieren und diese dann auf drei zu beschränken. Auch zu Hause können die Werte auf einem Plakat gesammelt werden. Mit kleinen Kindern kann diese Phase sehr chaotisch sein. Da bietet es sich an, den Prozess in Etappen zu gliedern. Je nachdem, wie festgefahren die Kommunikationsstrukturen in der Familie sind, würde ich aber einen Moderator empfehlen. Die Punkte verändern sich auch mit der Zeit. Es lohnt sich, das Gespräch über gemeinsame Werte immer wieder zu suchen.

Adelina Friesen ist Beraterin für Familien und in Ausbildung zur pastoralen Seelsorgerin.
Das Interview führte Lilli Gebhard. Sie ist Lehrerin für Geschichte und Deutsch am Gymnasium und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart.

Kommunikations-Coach: Wer lächelt, wird ein positiverer Mensch

Doro Plutte ist Moderatorin und Coach für Kommunikation. Sie erklärt, wie eine andere Körperhaltung uns zu zufriedenen Menschen machen kann.

Du hast gerade ein Buch veröffentlicht: „Wie Haltung unser Leben verändert.“ Was wäre darauf die Antwort in der Kurzfassung?

Zunächst sehe ich Haltung immer als beide Bereiche – innere und äußere Haltung. Und wenn ich sage, Haltung verändert unser Leben, meine ich, dass wir unsere Einstellung zum Leben allein schon durch unsere Körperhaltung verändern können. Die Körperhaltung hat einen Effekt darauf, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen und von ihr wahrgenommen werden. Wir haben mit unserem Körper ein machtvolles Instrument, das wir häufig nicht bewusst einsetzen.

Das andere ist der Bereich der inneren Haltung. Über eine bewusste Haltung können wir steuern, wer wir als Menschen sind und wohin wir uns entwickeln. Das ermöglicht uns, Ziele zu erreichen und dankbar zu sein – viel mehr, als wenn wir unsere Haltung unreflektiert einfach passieren lassen. Aus dem Vollen schöpfen, man selbst sein, das Leben genießen – all diese Dinge hängen für mich auch mit meiner Haltung zusammen.

Wie sieht das Zusammenspiel zwischen innerer und äußerer Haltung denn konkret aus?

Unser Gehirn glaubt unserem Körper mehr als den Informationen, die wir wahrnehmen. Wenn ich mit hängenden Schultern auf einem Stuhl sitze und sage: „Ich freue mich total“, dann wird mein Gehirn immer dem mehr glauben, was mein Körper tut, als dem, was ich sage. Es ist wichtig, dass wir ein Verständnis dafür entwickeln, welchen Einfluss unser Körper auf unser Gehirn ausübt.

Es gibt eine spannende Studie, bei der an zwei Gruppen von Probanden Stifte verteilt wurden. Die einen sollten den Stift quer in den Mund nehmen, sodass ein künstliches Lächeln entsteht, die anderen längs, sodass sich das Gesicht ernst verzieht (schnappt sich einen Stift und macht die beiden Gesichter vor). Dann wurden beiden Gruppen Comics gezeigt und man hat gemessen, wie diese Comics wahrgenommen wurden. Das Interessante war, dass die erste Gruppe die Comics als viel lustiger einstufte als die zweite. Das kommt daher, dass der Körper durch das Lächeln ein Signal ans Gehirn sendet: „Es passiert jetzt etwas Lustiges. Wir haben gerade Spaß.“ Gleiches gilt für das ernste Gesicht. Und das betrifft nicht nur den Mund oder das Lächeln, sondern den kompletten Körper.

Wer lächelt, wird ein positiverer Mensch

Wie kann ich das für mich nutzen?

Wir können mit jedem Bereich des Körpers unsere Gefühlswelt beeinflussen. Wer sich angewöhnt, regelmäßig zu lächeln, wird auf Dauer ein positiverer Mensch. Deshalb gehe ich in meinem Buch den Körper von den Füßen bis zum Kopf durch. Andersherum funktioniert das natürlich auch. Meine innere Haltung zu reflektieren und meine Denkweise bei Bedarf zu verändern, hilft mir, mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein auszustrahlen. Das sieht man mir dann auch von außen an.

Wie sieht das im Alltag aus?

In meinen Coachings sage ich den Leuten immer: „Wer selbstbewusst auftreten will, muss erst einmal sicher auftreten.“ Wenn ich in eine unsichere Situation gerate, weil ich mich im Supermarkt über den verschimmelten Käse beschweren möchte, den ich gekauft habe, sollte ich erst mal für einen sicheren Stand sorgen. Das mache ich, indem ich die Füße hüftbreit aufstelle und mir bewusst mache: Ich bin fest verwurzelt mit diesem Boden. Der trägt mich. Allein wenn wir uns solche Gedanken machen, beeinflussen wir damit schon unsere innere Stabilität und Durchsetzungsfähigkeit. Unsere Füße sind sozusagen ein Anker, der uns daran erinnert, für welche Dinge wir im Leben stehen wollen.

Wie würde ich mich verhalten, wenn ich geduldig wäre?

Wie beeinflusst die innere Haltung von Eltern das Familienleben?

Unsere Haltung beeinflusst unsere Kinder und das Familienleben permanent und wird unterbewusst auch von unseren Kindern kopiert. Deshalb ist es gut, sich in einem ruhigen Moment bewusst zu machen, wofür wir eigentlich stehen wollen. Welche Haltung will ich als Mama oder Papa leben? Für mich sind die Worte Liebe, Geduld und Klarheit dabei besonders wichtig.
Als Eltern kommen wir ja immer wieder in Situationen, die uns überfordern. Wenn meine beiden Töchter alles Mögliche gleichzeitig von mir wollen: „Können wir eine Folge gucken, kann ich noch Joghurt haben, können wir rausgehen und nebenher noch Oma anrufen?“ Oder wenn die Kleine darauf besteht, bei Minusgraden Sandalen anzuziehen.

Ich merke dann, wie ich wütend werde und einfach nur zu allem Nein sagen will. Gerade diese Momente können aber Übungsfelder sein, wenn wir sie nutzen, um uns in Erinnerung zu rufen, wofür wir stehen wollen: Liebe, Geduld und Klarheit. Manchmal hilft eine Art Brückenfrage: „Wie würde ich mich jetzt verhalten, wenn ich liebevoll, geduldig und klar wäre?“ So kann ich meine innere Haltung wieder sortieren und für meine Werte einstehen. Gleichzeitig darf ich dabei auch gnädig und liebevoll mit mir selbst sein, wenn ich hinter meinen eigenen Ansprüchen zurückgeblieben bin. Auch das ist eine Frage der Haltung.

Wie entsteht überhaupt so eine Haltung?

Da sind ganz viele Einflüsse involviert. Wer und was uns prägt, beeinflusst auch unsere Haltung – das Elternhaus, Erfahrungen, Überzeugungen und auch Glaubensüberzeugungen, die wir gelernt oder die man uns beigebracht hat. Genauso spielen die Persönlichkeit, die wir mitbringen, und der kulturelle Hintergrund eine wichtige Rolle darin, welche Haltung wir einnehmen. Das ist ein großes Geflecht. Mir geht es aber weniger darum, das aufzulösen. Ich habe eher einen Coaching-Ansatz: Ich kann in diesem Moment reflektieren, welche Haltung ich an den Tag lege, und verändern, was damit vielleicht nicht stimmt. Dafür brauche ich nicht zuerst meine ganze Vergangenheit aufzuarbeiten.

Pandemie versetzt Gesellschaft in Kampfmodus

Inwiefern ist meine innere Haltung auch für die Gesellschaft relevant?

Ich beobachte, dass viele Leute, die mit dem Status quo unzufrieden sind, entweder aus der Haltung eines Opfers oder eines Täters heraus agieren. Das macht es schwierig, die Welt zum Besseren zu verändern. Opferhaltung seufzt: „Ich armer Mensch. Andere – oder auch ich selbst – haben es verbockt. So, wie es ist, ist es blöd. Aber ich kann ja sowieso nichts ändern.“ Ich mache andere, zum Beispiel die eigenen Eltern, den Chef, die Politik, den Partner oder auch das Kind, verantwortlich für meine Gefühle. Aus dieser Haltung heraus kann ich aber keine Verantwortung für mein Leben übernehmen und nicht aktiv gestalten.

Wer sich in dieser Opferrolle nicht mehr wohlfühlt, wird irgendwann ausbrechen, ohne zu wissen, wohin. Das führt Menschen oft in die Täterrolle, sie rebellieren und formulieren Vorwürfe. Es verspricht Genugtuung, endlich mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Aber das heißt auch: Ich bleibe im Kampfmodus. Gerade während der Pandemie sehen wir das häufig, dass Leute aus der Opferrolle in die Täterrolle flüchten und negative Energie in die Welt tragen. Sie mögen ein gutes Ziel haben. Sie sind unzufrieden mit dem Ist-Zustand und denken: Da muss man doch etwas machen. Weil ihre Forderungen aber aus einer negativen Haltung heraus kommen, bleibt dieser Veränderungswunsch unfruchtbar und führt nur zu noch mehr Uneinigkeit.

Um wirklich etwas zu erreichen, brauchen wir eine neue Haltung. Dafür verwende ich gerne das Bild des CEO – „Chef der Emotionen und Orientierung“. Wie der CEO eines Unternehmens kann ich Chef über mein eigenes Leben sein. Ich übernehme die Verantwortung für das, was ich fühle. Das heißt nicht, dass alle anderen oder auch ich selbst keine Fehler gemacht haben oder ich die Dinge herunterspielen muss. Gemeint ist, dass ich darüber entscheide, was für ein Mensch ich sein will. Das sollte ich mir erst mal angucken, bevor ich meine Vorwürfe in die Welt trage.

Mensch mit „Ja-Gesicht“

Was hat Glaube mit der inneren Haltung zu tun?

Ich glaube fest, dass wir aus christlicher Sicht einen Auftrag haben, darauf zu achten, mit welcher Haltung wir durch die Welt laufen. Ich habe mich beim Schreiben meines Buches oft gefragt, wie stark ich meinen Glauben einfließen lassen möchte. In Coachings oder wenn ich als Moderatorin auf der Bühne stehe, bin ich überwiegend in einem säkularen Umfeld unterwegs. Deshalb hatte ich den Glauben zunächst ans Ende in das Kopf-Kapitel gepackt. Beim Schreiben merkte ich dann, dass das nicht geht. Denn wenn ich darüber nachdenke, wie ich meine Haltung bekommen habe, stoße ich immer wieder auf meinen Glauben. Wenn wir eine Beziehung zu Jesus haben, sind wir davon durchdrungen, und das beeinflusst alle Lebensbereiche und auch unsere Haltung stark.

Mein Glaube taucht daher immer wieder auf, unter anderem in den Kapiteln über die Knie und über das Herz. In meinem Elternhaus stand eine geschnitzte Holzfigur mit betenden Händen, darin steckte ein Papier mit den Worten: „Wer vor Gott kniet, kann vor Menschen stehen.“ Viele Coaching-Ansätze sagen: „Du bist deines eigenen Glückes Schmied, du hast es selbst in der Hand, wichtig ist nur, wie du die Dinge bewertest.“ Ich glaube, es hat viel mehr damit zu tun, zu wissen, von wem mein Leben abhängt. Denn das erfüllt meine Haltung mit Dankbarkeit.

An welcher Haltung arbeitest du gerade noch?

Ich wünsche mir, ein Mensch mit einem „Ja-Gesicht“ zu sein. Ich finde, es gibt Leute, die haben Ja-Gesichter, und welche, die haben Nein-Gesichter. Wenn ich mir vorstelle, wer ich sein will, wenn ich eine alte Frau bin, meine Kinder erwachsen sind und ich vielleicht Oma bin, will ich das mit einem Ja-Gesicht sein. Wenn ich heute manchmal emotional überfordert bin, habe ich dieses Bild im Kopf und erinnere mich, dass jeder Tag dazu beiträgt, ob mein Gesicht ein Ja- oder ein Nein-Gesicht wird. Das heißt nicht, dass ich alles erlauben, hinnehmen oder schönreden muss. Es heißt vielmehr, dass ich mich immer neu für eine positive Haltung entscheiden darf – innerlich und äußerlich. Denn wofür ich mich wieder und wieder entscheide, wird irgendwann meine Normalität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ann-Sophie Bartolomäus, Volontärin bei Family und FamilyNEXT.

Mutter fragt sich: „Will meine Tochter ein Junge sein?“ – Das rät die Expertin

Breite Hosen, Jungen-Clique und kurze Haare: Wenn sich Mädchen plötzlich wie Jungen verhalten, muss das kein Problem sein, sagt Psychologin Mara Pelt.

„Meine Tochter (10) zieht sich an wie ein Junge – breite Shirts und Hosen, Sneaker, Cap – und hängt kaum noch mit Mädchen rum. Jetzt will sie sich auch noch ihre langen Haare abschneiden lassen. Ich frage mich manchmal, ob sie kein Mädchen mehr sein will, und mache mir Sorgen. Ob ich es mal ansprechen soll?“

Ein offenes und wertschätzendes Gespräch ist immer eine sehr gute Idee! Hier würde ich Sie ermutigen, den Gedanken und Beweggründen des Verhaltens Ihrer Tochter mit viel Neugier und aufgeschlossenem Interesse zu begegnen und diese nicht zu problematisieren.

Stereotype hinterfragen

Bei Themen wie der Geschlechteridentität besteht für uns Erwachsene die große Chance, unsere eigenen Positionen und Werte immer wieder neu zu überprüfen. Wer entscheidet darüber, welche Kleidergröße oder Haarlänge weiblich oder männlich ist? Letztlich sind dies gesellschaftlich gewachsene Stereotype, die einer freiheitlichen, selbstbestimmten Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eher im Wege stehen, als diese zu fördern. Wir haben die Chance, uns zu fragen, ob es mehr unser persönlicher Wunsch ist, dass unser Kind sich in bestimmter Weise kleidet und warum das so wichtig für uns ist. Dass ein Kind oder Teenager sich nach eigener Vorstellung „gestalten“ möchte, losgelöst von den Stereotypen oder gesellschaftlichen Konventionen, kann zunächst einmal auch als Ausdruck einer selbstbewussten Haltung verstanden werden. Dabei unterstützen wir unsere Kinder dann weitergehend, indem wir uns ganz aufgeschlossen für ihre Gedanken und Ideen interessieren, ohne diese zu bewerten.

Hierbei sollten wir selbstverständlich trotzdem weiterhin wachsam für Sorgen oder mögliche Probleme der Kinder bleiben. Auch solche können Ihre Tochter zu ihren aktuellen Veränderungen veranlassen. Vielleicht treiben sie Fragen in Bezug auf die Entwicklung ihrer Weiblichkeit oder damit verbundene Sorgen um? Sie befindet sich in einem Alter, in dem auch auf der biologischen Ebene viele Veränderungen stattfinden – einige Mädchen bekommen in diesem Alter das erste Mal ihre Periode, was sehr kontroverse Gefühle auslösen kann. Ebenso gut kann es sich um ungelöste Streitigkeiten zwischen Freundinnen oder schlicht Neugier für die Interessen des männlichen Geschlechts handeln. Der Vielzahl an möglichen Anliegen sind hier keine Grenzen gesetzt.

Sie sind eine wichtige Ansprechpartnerin!

Wichtig ist bei all diesen Belangen, in einem vertrauensvollen Kontakt zu Ihrer Tochter zu stehen. Als Mutter sind Sie für Ihre Tochter erst einmal das gleichgeschlechtliche Vorbild und somit eine wichtige Ansprechpartnerin in Bezug auf Fragen zur weiblichen Entwicklung. Wenn Sie das Gefühl haben, dass es Ihrer Tochter schwerfällt, mit Ihnen direkt über dieses Thema oder ihre Sorgen zu reden und sie dennoch eine erwachsene Ansprechperson braucht, überlegen Sie, welche vertrauensvollen Alternativen es gibt. Fragen Sie beispielsweise eine gute Freundin der Familie oder eine wichtige andere weibliche Bezugsperson Ihrer Tochter, ob diese ihr in einem passenden Moment ein Gespräch oder Unterstützung anbieten kann.

Mara Pelt ist Psychologin M.Sc., systemische Beraterin und Familientherapeutin, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin i.A. und lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Facharzt: „Psychische Belastungen bei Jugendlichen sind durch die Lockdowns gestiegen“

Vor allem Depressionen und Angststörungen treten bei Jugendlichen durch die Corona-Pandemie verstärkt auf. Von einer „verlorenen Generation“ will Professor Paul Plener im Interview aber nicht sprechen.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Die Liste wird angeführt von den Angststörungen in verschiedenen Formen. Gerade im Jugendalter nehmen soziale Ängste deutlich zu, was damit zu tun hat, dass das Orientieren im Raum der gleichaltrigen sozialen Kontakte eine hohe Wertigkeit hat. Außerdem sind es im Jugendalter auch affektive Erkrankungen, Depressionen zum Beispiel. Wir sehen auch vermehrt Erkrankungen mit Substanzkonsum. Prinzipiell ist das Jugendalter aufgrund der vielen Umbauvorgänge im Gehirn eine Altersperiode, in der sich viele psychische Erkrankungen zum ersten Mal manifestieren.

Was sind Ursachen für diese Erkrankungen?

Es gibt relativ unspezifische Risikofaktoren, von denen wir wissen, dass sie das Risiko von verschiedenen psychischen Erkrankungen beeinflussen, zum Beispiel der sozioökonomische Status, also das Aufwachsen unter finanziell schwächeren Bedingungen. Auch Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnisse erhöhen bei vielen psychischen Krankheiten das Risiko. Es gibt auch einen Einfluss genetischer Faktoren. Der ist, je nach Krankheit, geringer oder deutlicher ausgeprägt. Und natürlich ist nicht zu leugnen, dass es viele Erkrankungen gibt, bei denen es einen starken soziokulturellen Einfluss gibt, etwa bei den Essstörungen, wo das zwar nicht als alleinige Ursache zu nehmen ist, er aber trotzdem auch immer mitprägt.

Wer ist schuld?

Die meisten Eltern fühlen sich schuldig, wenn ihr Kind an einer psychischen Erkrankung leidet. Zu Recht?

Wenn man als Familie betroffen ist, hat man ja oft das Gefühl, es trifft nur einen selbst. Und das ist oft begleitet von dem Stigma, dass es gegenüber psychischen Krankheiten gibt, dass man da als Eltern etwas falsch gemacht hätte. Es gibt natürlich Erkrankungen, bei denen Eltern die Verantwortung übernehmen müssen. Wenn es zum Beispiel zu einem Rosenkrieg in Folge einer Trennung gekommen ist, bei dem die Kinder massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden, oder bei Vernachlässigungs- oder Misshandlungserlebnissen. Da können sich die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern nur versuchen, sich anders zu verhalten. Aber gerade bei genetischen Ursachen oder bei Erkrankungen, die damit zu tun haben, was im Gleichaltrigen-Umfeld passiert, zum Beispiel Mobbing –was ein massiver Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist –, haben Eltern in der Ursache erst einmal wenig damit zu tun.

Eltern von Jugendlichen haben oft das Problem, dass sie sich, anders als bei jüngeren Kindern, nicht so gut mit anderen Eltern über die psychische Erkrankung ihres Kindes austauschen können, weil die Jugendlichen das nicht wollen. Wie können Eltern damit umgehen?

Ich denke, dass sich generell Eltern nur mit anderen Eltern austauschen sollten, wenn das mit den Kindern oder Jugendlichen abgesprochen ist. Es wäre angebracht, dass man das vor den Jugendlichen transparent macht und auch die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit thematisiert. Oder die eigene Belastung, die sich ergibt. Eltern können sagen: „Ich habe damit ein Problem und es ist mir wichtig, einen Austausch darüber zu haben.“ Ich finde es auch legitim, wenn die Jugendlichen nicht wollen, dass ihre Eltern im Familienkreis beispielsweise über ihre Essstörung sprechen. Aber es gibt ja auch professionelle Hilfe, an die man sich wenden kann, Familienberatungsstellen und ähnliches. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die Jugendliche akzeptieren können, weil es da eine Schweigepflicht gibt. Wichtig ist, die eigene Betroffenheit zu thematisieren und zu sagen, dass man selbst ratsuchend ist.

Wann sollte ich mir Hilfe von außen holen?

Wann sollten Eltern für ihren Jugendlichen professionelle Hilfe holen bzw. ihr erwachsenes Kind dazu motivieren?

Ich glaube, dass zunächst einmal viele Familien eigene Lösungen suchen. Und das ist auch prinzipiell gut so, dass man überlegt: Was kann ich aus dem eigenen System für Ressourcen aktivieren? Das müssen ja nicht nur die Eltern sein, das können auch Tanten, Onkel, Großeltern sein, die vielleicht gerade in einer Entwicklungsphase, in der Jugendliche mehr Konflikte mit den Eltern haben, einen besseren Zugang haben. Aber wenn man sieht, dass diese familiären Ressourcen erschöpft sind oder dass die Situation, die der Jugendliche hat, zur Belastung für die Familie wird, dann ist auch der Punkt gekommen, wo ich aus meiner Sicht sage: Da braucht es Hilfe von außen. Natürlich auch, wenn es ganz akut ist, wenn Gedanken geäußert werden, nicht mehr leben zu wollen. Da braucht es sofort eine Abklärung von außen.

Welche Auswirkungen haben die Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Es gibt mittlerweile eine relativ gute Datenlage – weltweit, aber auch aus den deutschsprachigen Ländern. Vor allem bei diesen längeren Lockdown-Bedingungen, die wir gegen Ende des letzten, Anfang diesen Jahres hatten und noch haben, sehen wir, dass es zu einer deutlichen Belastung der Jugendlichen kommt. Studien zeigen, dass die Rate der psychischen Belastungen gestiegen ist. Wir haben eine Studie unter mehreren tausend österreichischen Jugendlichen gemacht, in der wir zeigen konnten, dass mehr als die Hälfte der Befragten über mittelgradige bis schwergradige depressive Symptome berichten und etwa die Hälfte über Angststörungen. Das ist eine Auswirkung, die wir weltweit sehen. Und da ist die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen auch weltweit diejenige, die am stärksten belastet zu sein scheint.

Manche sprechen schon von einer „verlorenen“ Generation.

Das ist ein Begriff, den ich für unzulässig halte. Der kommt ein bisschen aus dieser Idee heraus: „Die haben ja alle nur zu Hause herumgesessen, und es ist nichts passiert.“ Das vermag ich so nicht zu sehen. Denn auch wenn bei den klassischen Lerninhalten weniger passiert ist, so ist doch im Lernen einiges weitergegangen. Viele Jugendliche haben fundamentale Lernerfahrungen gemacht, was digitales Lernen angeht, aber auch, was das Thema Selbstorganisation und Strukturierung angeht. Diese Themen stehen zwar nicht im Lehrplan, aber trotzdem gab es in diesem Jahr einen immensen Lernzuwachs auf vielen anderen Ebenen.

Wie kann ich Angsstörung und Depression erkennen?

Sie haben gerade gesagt, dass vor allem Depressionen und Angststörungen im Lockdown häufiger zu beobachten sind. Wie können Eltern denn erkennen, dass das ein ernstzunehmendes Problem ist?

Es geht immer um das Erkennen von Veränderungen. Das Kernkriterium der Angststörung ist, dass – oft mit großer Anstrengung – Situationen vermieden werden, vor denen die Betroffenen Angst haben, auch wenn man davor eigentlich keine Angst haben muss. Das klassische Beispiel ist die Spinnenphobie: Die Spinne wird einen nicht töten. Trotzdem verlassen Menschen beim Anblick einer Spinne panisch den Raum, wenn sie eine Spinnenphobie haben. Es wird ein Verhalten vermieden oder es kommt zu einem irrationalen Verhalten, weil wir eine Stresskaskade lostreten, die unserem Körper innewohnt. Eigentlich ist diese Reaktion für Situationen gedacht, die tatsächlich bedrohlich sind. Aber hier werden Situationen, die objektiv nicht bedrohlich sind, vom Körper und von der Psyche als bedrohlich wahrgenommen.

Bei der Depression nehmen die meisten Eltern zuerst einen sozialen Rückzug wahr. Das ist im Lockdown natürlich schwer zu erkennen, weil das Nach-draußen-Gehen ohnehin sehr stark limitiert ist. Man kann auch wahrnehmen, dass betroffene Jugendliche sich von der Familie zurückziehen, was aber natürlich auch ein tendenziell typisches Jugendverhalten ist. Aber wenn es wieder Möglichkeiten gibt, sich mit anderen zu treffen oder in die Schule zu gehen oder andere Aktivitäten auszuüben, werden diese von betroffenen Jugendlichen nicht mehr wahrgenommen. Das andere Anzeichen, das viele schildern, die an einer Depression leiden, ist ein Antriebs- oder Energieverlust. Sie schaffen es morgens nicht mehr aus dem Bett und schaffen es auch gar nicht mehr, am Distanzlernen teilzunehmen. Viele beklagen eine Konzentrationsproblematik oder Schlafstörungen. Und was wir vielfach erlebt haben im Rahmen der Corona-Pandemie, war eine komplette Entgleisung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Wer ist der richtige Ansprechpartner?

Was können Eltern denn tun, wenn sie denken, dass ihr Jugendlicher betroffen ist?

Zuerst sollte man sagen, was man selbst wahrnimmt und das als Ich-Botschaft formulieren. Das gibt dem Jugendlichen die Möglichkeit, zu sagen: „Das ist deine Perspektive, meine schaut anders aus.“ Natürlich wäre es vermessen zu glauben, dass man als Elternteil damit immer weit kommt bei Jugendlichen. Weil sie ja in einer Entwicklungsphase sind, wo die Gleichaltrigen eine höhere Wertigkeit im Austausch haben, gerade, wenn es um Probleme geht. Wenn der Jugendliche das Gespräch blockiert, kann man überlegen, wen es im familiären System gibt, der vielleicht besser geeignet ist, ein solches Gespräch zu führen. Wer wird von dem Jugendlichen eher als Gesprächspartner angenommen? Wenn auch da nichts weitergeht, kann man sagen: „Ich habe große Sorgen, ich weiß nicht weiter. Können wir uns bitte an jemanden wenden, der Profi ist? Und wenn der sagt, es ist alles in Ordnung, dann nehme ich das zur Kenntnis und dann ist es für mich auch gut. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl und hätte gern, dass wir gemeinsam zu jemandem gehen, der sich das anschaut.“

Sie betonen in Ihrem Buch „Sie brauchen uns jetzt“, dass es wichtig ist, dass Eltern sich ihrer eigenen Werte und Gefühle bewusst sind. Warum?

Wir leben in sehr herausfordernden Zeiten. In Zeiten, die eine extreme Flexibilität und Anpassung von uns fordern. Und es fällt generell Menschen leichter, sich anzupassen, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, was ihnen wichtig ist. Wenn es darauf ankommt, mich verändern zu müssen und Entscheidungen zu treffen, geht es immer auch um Priorisierungen. Ich muss abwägen: Kann ich auf das eine verzichten oder auf das andere? Und da tun sich Leute wesentlich leichter, die folgende Fragen beantworten können: Was hat in meinem Leben eine zentrale Bedeutung? Was muss ich unbedingt aufrechterhalten, damit ich mein Leben führen kann? Wo stecke ich Anstrengungen rein, um das aufrechtzuerhalten? Und wo ist es auch okay, wenn Dinge gerade nicht sein können? Das fällt natürlich Leuten leichter, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, wo ihre Prioritäten liegen.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Prof. Dr. Paul Plener studierte Medizin und absolvierte eine Facharztausbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie in Ulm. 2018 übernahm er nach leitenden Funktionen in Deutschland die Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Leitung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien/Universitätsklinikum AKH. Er ist neben vielen weiteren Funktionen Mitglied des während der Corona-Krise eingerichteten psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien.

Das Interview führte FamilyNEXT-Redakteurin Bettina Wendland.