Checkliste: 4×7 Dinge, die Ihr Kind zur Einschulung können sollte

Welche Kompetenzen sollte Ihr Kind mitbringen, wenn es in die Schule kommt? Mit dieser einfachen Checkliste sind Sie bestens auf den Schulstart vorbereitet.

Zur Einschulung muss Ihr Kind nicht rechnen, lesen oder schreiben können. Das soll es schließlich in der Schule lernen. Allerdings erleichtern gewisse motorische, soziale und sprachliche Fähigkeiten Ihrem Kind den Einstieg. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht grundlegender Kompetenzen, die von Grundschulen für den Schulstart empfohlen werden.

1. Allgemeine Entwicklung

1. zuhören können
2. in zusammenhängenden, kompletten Sätzen sprechen
3. Fragen beantworten und selbst stellen
4. sich 10 bis 20 Minuten auf eine Sache konzentrieren
5. einen Stift halten und mit einer Schere umgehen
6. mit Enttäuschungen umgehen (Frustrationstoleranz)
7. Neugierde und Spaß am Lernen

2. Selbstständigkeit

1. Schuhe zubinden
2. Alleine an- und ausziehen
3. selbstständig die Toilette benutzen und sauber wieder verlassen
4. gründliches Waschen der Hände mit Seife für ca. 30 Sekunden
5. richtiger Umgang mit Mundschutz: an den Henkeln fassen, Innenseite beim Weglegen einklappen, nicht offen liegen lassen, regelmäßig wechseln
6. seinen vollständigen Namen und seine Adresse kennen
7. seine Kleidungsstücke wiedererkennen können

Kann das Kind bis zehn zählen?

3. Soziale Kompetenzen

1. gewöhnt sein, getrennt von den Eltern in einer Gruppe mit anderen Kindern zu sein
2. Regeln einer Gruppe kennen und einhalten können
3. sich anderen Kindern mitteilen
4. um Hilfe bitten können, wenn nötig
5. anderen Kindern helfen
6. gemeinsame Aufgaben erledigen können
7. Konflikte mit Worten ausfechten

4. Kompetenzen in einzelnen Fächern

1. bis zehn vorwärts zählen können
2. allgemeines Verständnis für Zahlen haben
3. Farben und Formen unterscheiden
4. Namen in Druckschrift erkennen und ggf. auch schon schreiben können
5. mit Pinsel und Farbkasten umgehen können
6. einen Ball werfen und fangen
7. einfache Regeln für Bewegungsspiele verstehen und nachvollziehen können

Machen Sie sich keinen Druck!

Eltern, die diese Liste sehen und sich nun besorgt die Haare raufen, können sich wieder entspannen: Sie müssen nicht jeden Punkt auf der Liste abhaken können. Die grundsätzliche Eignung Ihres Kindes für den Schuleintritt wurde ja wahrscheinlich schon bei der medizinischen Schuluntersuchung überprüft. Individuelle Unterschiede bei Schulanfängern sind normal und sollten von den Lehrerinnen und Lehrern berücksichtigt werden. Einige Sachen (wie Schuhe zubinden oder alleine an- und ausziehen) können Sie mit Ihrem Kind sicherlich noch üben, bevor die Schule beginnt. Die Buchstaben und Zahlen lernt es dann im Unterricht.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

Mehr Bücher als Tassen im Schrank: Ein Plädoyer für das Lesen

Jennifer Zimmermann liebt es zu lesen – und ihren Kindern vorzulesen. Auch wegen der Krummeluspillen …

Ich habe eine Lieblingsgeschichte. Sie spielt in einer kleinen schwedischen Stadt in einem großen, bunten, vielleicht etwas maroden Haus, auf dessen Veranda manchmal ein Pferd steht. Hier präsentiert Pippi Langstrumpf ihren staunenden Freunden Tommy und Annika etwas, das aussieht wie drei gelbe Erbsen: „Krummeluspillen“. Wer sie im Dunkeln schlucke und dazu „Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß!“ sage, der werde fast ganz bestimmt nicht erwachsen. Denn Erwachsene, da sind sich die drei Freunde einig, wissen nicht mehr, wie man spielt und trauen sich vor lauter Aberglauben nicht mal mehr, das Messer abzulecken.

Astrid Lindgren vermittelt Hoffnung

Astrid Lindgrens Weisheit in dieser Geschichte beeindruckt mich nicht nur, sie bewegt mein Herz. Sie lässt mich lächeln, selbst wenn draußen der Matsch steht und der Nebel tief zwischen den Ästen festhängt. Es ist eine unbeschwerte Hoffnung, von der sie erzählt. Eine Hoffnung, die es für möglich hält, dass jeder von uns sich mindestens ein paar Krümel vom kindlichen Lebensfreudekuchen aufheben kann. Eine Hoffnung, die weiß, dass es kleine und ein paar große Menschen gibt, denen man den Genuss des Augenblicks nicht erst in langwierigen Achtsamkeitsübungen wieder beibringen muss. Es sind Lieblingsgeschichten wie diese, wegen denen ich meinen Kindern so gern vorlese.

Sie vermitteln eine Botschaft, die ohne die Hilfe der Erzählung, ohne die Erschaffung einer einprägsamen Figur wie Pippi Langstrumpf, kaum so zu Herzen gehen würde.

Lesen ist Kurzurlaub

Worte faszinieren mich, seit ich lesen kann. Dieselben Buchstaben, die sachlich beschreiben, wie eine Blume aufgebaut ist, können uns an dem Gefühl teilhaben lassen, das der Autor hatte, als er im Sommer mitten in einer Blumenwiese saß. Sie fangen die Sichtweise eines wertvollen Menschen Gottes ein und zeigen uns die Welt aus seiner Sicht. Wenn wir lesen, schnuppern wir die Lebensluft des Autors, und das kann sich anfühlen wie ein Kurzurlaub. Ein Tapetenwechsel. Manchmal finden wir dann Botschaften, die die Unbeschwertheit in Person hereinlassen, die mit ihren roten Zöpfen auf einem Pferd in den manchmal grauen Erwachsenenalltag reitet. Manchmal erkennen wir auch Anteile von uns selbst wieder in den Geschichten und finden neue Worte für das, was uns beschäftigt. Wir lernen, was es für andere heißt, wütend zu sein. Ängstlich. Traurig. Verliebt. Geschichten, die mit Liebe und Feingefühl erzählt werden, machen diese Welt zu einem besseren Ort.

Es gibt fast nichts, was ich mit meinen Kindern lieber tue, als ihnen vorzulesen, weil ich ahne, dass ich einen Funken Faszination für die unendlichen Möglichkeiten des geschriebenen Wortes weitergebe. Wie ein Kind tauche ich dann selbst wieder in die alten und neuen Geschichten ein. Plötzlich ist es leicht, den Moment zu genießen und all das, was in meinem Gehirn so unheimlich wichtig tut, für eine Weile stumm zu schalten. Man muss wirklich mehr Bücher als Tassen im Schrank haben, finde ich. Oder „Krummeluspillen“.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg.

„Windelfrei“ ab dem ersten Tag: Fünffache Mutter erzählt, wie das funktionieren kann

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Im Interview erzählt die fünffache Mutter Jessica Schmidt, wie sie das schafft.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Nicht unter Druck setzen

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte

Mit 5 Tipps zum perfekten Schulranzen: Auf Material und Gewicht kommt es an

Mit der Einschulung kommt die Frage nach der richtigen Schultasche auf. Wer diese fünf Punkte beachtet, findet leicht das passende Modell.

Zukünftige Schulkinder können es mittlerweile kaum noch erwarten: Bald geht für sie die Schule zum ersten Mal los. Für den Schulstart muss so einiges angeschafft werden, das Wichtigste ist natürlich der Schulranzen. Ein guter Schulrucksack sollte nicht nur cool aussehen, sondern auch den Rücken der Kinder schonen und ihnen Sicherheit bieten. Mit diesen fünf Tipps fällen Sie beim Tornister die richtige Wahl:

1. Die Optik: „Kletties“ liegen im Trend

Ihr Kind wird sich wahrscheinlich vor allem für das Aussehen des Schulranzens interessieren. Im Trend liegen gerade individualisierbare Rucksäcke, die zum Beispiel durch austauschbare Klett-Buttons („Kletties“) oder Magnete persönlich gestaltet werden können. Die aktuellen Modelle sind farblich eher schlicht gehalten, dafür kann der Ranzen zusätzlich mit Pferden, Dinosauriern, Dschungeltieren oder auch dem eigenen Namen bestückt werden.

2. Nicht zu schwer beladen

Schönheit hin oder her: Viele Eltern wünschen sich einen möglichst leichten Schulrucksack für ihr Kind. Die Aktion Gesunder Rücken empfiehlt, dass der leere Schulranzen nicht schwerer als 1,5 kg sein sollte. Doch auch das Gesamtgewicht sollten Sie im Blick behalten. Laut der DIN-Norm 58124 für Schulranzen sollte der Ranzen 10 bis 12,5 Prozent des Körpergewichtes Ihres Kindes nicht überschreiten. Allerdings gibt es mittlerweile auch Studien, die das widerlegen. Durchschnittlich fitte Kinder sind wohl auch bei einem Tragegewicht von 20 Prozent ihres Körpergewichtes nicht überfordert. Achten Sie trotzdem darauf, dass Ihr Kind nur das in die Schule mitnimmt, was es wirklich braucht.

3. Gewicht optimal verteilen

Fast noch wichtiger als das eigentliche Gewicht ist, dass es nicht nur auf den Schultern Ihres Kindes liegt, sondern über den ganzen Rücken verteilt wird. Dazu braucht der Rucksack einen verstellbaren und weich gepolsterten Becken- oder Hüftgurt und einen längen- und höhenverstellbarer Brustgurt. Die Tragegurte sollten mindestens vier Zentimeter breit und ausreichend gepolstert sein, so die Aktion Gesunder Rücken. Und auch das richtige Tragen des Rucksacks ist von Bedeutung: Liegt er eng am Körper an? Sitzt er nicht zu hoch und nicht zu niedrig? Die schweren Inhalte wie zum Beispiel dicke Bücher sollten in körpernahen Fächern verstaut werden.

4. Material: reflektierend und wasserabweisend

Kinder pfeffern ihre Schulranzen gerne auch mal einfach so in die Ecke. Deswegen sollten die Tornister möglichst stabil sein. Achten Sie zum Beispiel darauf, dass die Nähte gut verarbeitet sind. Auch sollte der Ranzen keine scharfen Ecken und Kanten haben und für gute Sichtbarkeit im Straßenverkehr sorgen. Laut der DIN-Norm müssen mindestens 20 Prozent der sichtbaren Flächen aus fluoreszierendem Material bestehen. Das sorgt dafür, dass Autofahrer den Rucksack in der Dämmerung oder bei Nebel trotzdem sehen können. Der Schulrucksack sollte zudem wasserabweisend und möglichst schadstofffrei sein. Mittlerweile setzen immer mehr Hersteller auch auf den Einsatz nachhaltiger Materialien, indem sie zum Beispiel recyceltes Plastik bei der Herstellung verwenden.

5. Extras wie Tragegriff und Seitentaschen sind hilfreich

Damit Ihr Kind den Ranzen für kurze Wege schnell in die Hand nehmen kann, ist ein Tragegriff von Vorteil. Außen- oder Seitentaschen helfen, die Brotdose oder Trinkflasche schnell griffbereit zu haben. Die Verschlüsse sollten für Ihr Kind außerdem leicht zu öffnen und zu schließen sein.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

Mutter Carolin erzählt: Mit diesen 5 Tipps wird der Urlaub mit Kindern zum Highlight

Jahrelang war der Familienurlaub für Carolin Nesgaard mehr Frust als Freude. Doch mit ihrer Reise nach Norwegen änderte sich alles.

„Das machen wir nie wieder!“ Wie oft haben mein Mann und ich uns nach einem Familienurlaub angeschaut und diesen Satz ausgesprochen? Die Liste der Urlaubsmisserfolge ist lang: als einzige Familie im Dunkeln und in der Kälte morgens um sechs Uhr am Campingplatz frühstücken, in der Nacht im Auto sitzen wegen Gewitter am Campingplatz, ein Programm nach dem nächsten organisieren beim Urlaub in einer Ferienwohnung …

Nach dem Urlaub erschöpfter als vorher

Danach fühlte ich mich nicht selten krank. Jedenfalls erschöpfter als vorher. Oft hatte ich den Eindruck, dass wir allein mit unseren Eskapaden waren. Alle anderen Familien schienen entspannte und erholsame Urlaube zu verleben. Nur wir kamen jedes Mal mit oben zitiertem Satz nach Hause anstatt mit begeisterter Miene. Was machten wir nur falsch? Sind unsere Bedürfnisse zu verschieden? Da gibt’s den hyperaktiven Mann, der ständig in Bewegung sein muss und dem es schnell zu heiß ist. Die hochsensible Tochter, die am liebsten nur Natur um sich hat. Die introvertierte Mutter, die möglichst wenig Ansprache möchte. Die extrovertierte Tochter, die ständig Action will, ohne sich anzustrengen. Und die Tochter, der Baden am wichtigsten ist und die Schlösser am meisten interessieren. Fünf Personen, und keine gleicht der anderen.

Nun stand 2020 in Corona-Zeiten wieder der Sommerurlaub vor der Tür – nicht gerade die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Urlaub. Den ursprünglich nach Stockholm gebuchten Flug tauschten wir in einen Voucher um und beobachteten die Corona-Lage. Als Norwegen Mitte Juli die Türen für deutsche und andere europäische Touristen öffnete, buchten wir kurzfristig nach Oslo um. 18 Jahre nach unserer Hochzeitsreise wollten wir das Land mit unseren Kindern besuchen, die durch ihren halbdänischen Papa mit der skandinavischen Kultur verbunden sind. Die Erwartungen an den Urlaub waren meinerseits kleiner denn je und die Erschöpfung vorher größer denn je. Keine gute Kombi.

Bestens ausgerüstet

Und trotz allem wussten mein Mann Thomas und ich, dass wir als Familie nach all den vielen Einschränkungen in der Corona-Zeit und der Streichung unseres Pfingsturlaubs unbedingt einen Tapetenwechsel brauchten. Monate im Voraus (damals noch mit Schweden als Ziel) hatten wir angefangen, unsere Outdoor-Ausrüstung aufzustocken, damit der Urlaub gelingen konnte: Jedes Mädchen hatte einen Trekking-Rucksack zum Geburtstag bekommen. Isolierjacken wurden für die zu erwartenden kühlen Abende gekauft. Wanderhosen und Quick-Dry-T-Shirts haben wir ebenfalls besorgt. Die Wanderstiefel kamen erst am Abend vor unserem Abflug an (Gott ist nie zu spät, aber oft auch nicht zu früh). Ein Drei-Mann-Zelt hatten wir bereits, das war aber auch schon 16 Jahre alt. Ein Freund überließ uns sein 17 Jahre altes Zwei-Mann-Zelt.

Beide Zelte wurden in der ersten Nacht in Oslo am Campingplatz einem großen Test unterzogen: schon wieder eine Gewitternacht! Über eine Stunde verbrachten wir im Waschhaus und hofften, dass die Zelte den über uns brausenden Donnern, hell aufleuchtenden Blitzen und dem Starkregen standhalten würden. Die Erleichterung war groß, als alles im Wesentlichen trocken geblieben zu sein schien.

Unglaublich schöne Erlebnisse

Nach diesen und anderen Anlaufschwierigkeiten kam der Urlaub für uns so richtig in Fahrt, als es mit dem Zug gen Nordwesten zum Fjordland ging. Als Familie spielten wir uns immer besser ein: Zelt aufbauen, Zelt abbauen (insgesamt viermal), die Kinder spülen jeweils zu zweit im Wechsel ab, Wäsche wird von Hand gewaschen, Rucksäcke werden gepackt und auch mal ein paar Kilometer weit zur Bus- oder Zugstation getragen (beim letzten Mal sogar ohne Protest unserer Jüngsten). Aber das Schönste war, so viel unberührte Natur zu sehen, auf Berge zu wandern und unglaublich schöne Aussichten über den Fjord oder das Meer zu bestaunen. Im vom Schmelzwasser gespeisten Fluss und im 15 Grad kalten Meer zu baden – wie belebend! Verwunschene Wanderwege zu entdecken, die in keinem Reiseführer stehen. Eine letzte Nacht in einer urgemütlichen Jugendherberge zu verbringen.

Es war ein wundervoller Urlaub trotz zwei gebrochener Zeltstangen (Materialermüdung nach 16 Jahren) und Zeltabbau im Regen inklusive der Feststellung, dass der Zeltboden auch nicht mehr dicht war. Und da war sie endlich wieder, oder vielleicht sogar zum ersten Mal: die Überzeugung für einen Familienurlaub, der uns allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Fünf Tipps für glückliche Erinnerungen

Den Ausdruck „Creating memories“ hörte ich zum ersten Mal vor 15 Jahren. Als Hauseltern an einem internationalen, christlichen Internat in Indien wurde uns damals der Hinweis gegeben, dass man glückliche Erinnerungen nicht dadurch schafft, dass man zusammen Filme guckt. Das kann auch mal nett sein. Glückliche Erinnerungen sind jedoch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Der dänische Glücksforscher Meik Wiking hat ein ganzes Buch zu dem Thema geschrieben. Einige seiner Tipps daraus haben wir umgesetzt:

1. Erste und außerordentliche Erlebnisse werden in der Erinnerung besser

Unsere Kinder waren zum ersten Mal in Norwegen, haben zum ersten Mal von oben in einen Fjord heruntergeschaut, zum ersten Mal im zehn Grad kalten Fluss gebadet …

2. Mit allen Sinnen erleben und Aufmerksamkeit investieren

Das ist sozusagen das Gegenteil zur digitalen Welt. Smartphones sind zu unseren „Weapons of mass distraction“ (Massenablenkungswaffen) geworden. Um mich zu erinnern, brauche ich die volle Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, auf Geruch, Geschmack, Geräusch, Gefühl, Blick aufs Detail. Die einzigen digitalen Medien, die von unseren Kindern im Urlaub genutzt wurden, waren daher E-Readers und Fotokameras. Wir Eltern hatten Smartphones dabei, was zur Organisation und Planung unerlässlich war. Dafür habe ich mir bewusst die Facebook-App vom Handy genommen und war in der Zeit kein einziges Mal in diesem sozialen Medium unterwegs. Wir haben immer wieder versucht, unsere Kinder zum Staunen zu bringen und das Besondere zu betonen: egal, ob das mit der Sprache, der Kultur oder der Geografie zu tun hatte. Unsere Kinder haben dadurch zum ersten Mal eine Flussmündung mit Gezeiten entdeckt.

Anstrengung kann positiv sein

3. Bedeutungsvolle Momente schaffen und Gipfelerlebnisse ermöglichen

Für uns war es definitiv ein Meilenstein, dass jeder sein eigenes Gepäck getragen und zum Gelingen des Urlaubs beigesteuert hat. Wir Eltern waren nicht die Unterhalter vom Dienst, die für das nächste Highlight gesorgt haben. Das mussten sich die Kinder selbst erarbeiten, zum Beispiel durch die Wanderungen mit den beeindruckenden Aussichtspunkten. Denn die Erinnerungen an Höhepunkte bleiben in deutlich besserer Erinnerung, wenn sie unter Anstrengung erreicht wurden.

4. Emotionale Verankerung

Erlebnisse, die starke Emotionen hervorrufen (positiv oder negativ), bleiben positiver in Erinnerung. Das Schild auf der Toilette eines Campingplatzes hat dies wunderbar zusammengefasst: „Life begins at the end of your comfort zone.“ Unsere Kinder wurden nicht von einem Ort bequem zum anderen geschippert. Auch die Unterkunft im Zelt war sehr einfach, genauso wie die Campinggerichte. Es war alles andere als ein Rundum-sorglos-Paket. Unlust-Gefühle mussten immer wieder überwunden werden.

5. Erinnerungen bewahren

Jeden Abend saßen wir gemeinsam am Tisch (wenn es einen gab) oder auf der Isomatte vor dem Zelt und haben jeweils in unser Tagebuch geschrieben (außer unsere Jüngste, die ab und zu etwas in ihres gemalt hat), um die Erlebnisse festzuhalten. Zu Hause durfte sich jedes Mädchen ein kleines Fotoalbum und Fotos aus dem Urlaub aussuchen, die ausgedruckt an diese besondere Zeit erinnern.

„Das machen wir wieder“

Wozu eigentlich der ganze Aufwand? Wieso sind glückliche Erinnerungen denn so wichtig? Negatives erleben wir, ob wir wollen oder nicht, und es bleibt aufgrund unserer Hirnphysiologie besonders gut in Erinnerung. Positives können wir dagegen bewusst gestalten und so einen Gegenpol dazu setzen. Denn die Glücksforschung zeigt, so Meik Wiking, dass Menschen mit ihrem Leben generell zufriedener sind, wenn sie positive Erinnerungen haben. Sie neigen dadurch sogar weniger zu Depressionen. Glückliche Erinnerungen stärken außerdem das Selbstwertgefühl und das Gefühl, geliebt zu werden. Wenn wir als Familie schöne Erinnerungen schaffen, fördern wir die Verbundenheit und stärken die Familienzugehörigkeit. Sie werden Teil unserer Identität.

Stressfrei war der Urlaub nicht. Wir haben uns und unseren Kindern einiges zugemutet, aber zum ersten Mal fühlte ich mich erfrischt und glücklich danach. Und zum ersten Mal schauten Thomas und ich uns nach einem Familienurlaub in die Augen und sagten: „Das machen wir wieder!“ Natürlich in einem anderen Land und mit einem anderen Fortbewegungsmittel (Rad?) – ihr versteht schon – um neue glückliche Erinnerungen zu schaffen …

Carolin Nesgaard lebt mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern (8, 12 und 14 Jahre) in München. Sie ist systemische Beraterin und Sprachheilpädagogin M.A.

Medienpädagogin meint: „Im Handy schnüffeln ist wie Tagebuch lesen“

Der heimliche Blick ins Smartphone der Kinder ist ein No-Go, sagt Medienpädagogin Iren Schulz vom Medienratgeber ‚Schau hin!‘. Im Interview verrät sie, wie Eltern ihre Schützlinge trotzdem vor Mobbing und Kettenbriefen schützen können.

Dürfen Eltern Chats ihrer Kinder kontrollieren?

Dass Eltern wissen wollen, mit wem und über was ihr Kind übers Handy kommuniziert, ist grundsätzlich nachvollziehbar, da dahinter immer die Frage steckt: Geht’s meinen Kindern gut? Man muss sich trotzdem bewusst machen, dass heimlich im Handy zu schnüffeln nichts anderes ist, als das Tagebuch des Kindes zu lesen oder seine Briefe zu öffnen. Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre und sollen auch in ihren Räumen frei kommunizieren können. Dies findet seine Grenzen, wenn es um das Alter der Kinder geht. Dass die beliebtesten und weitverbreitetsten Messenger-Apps ab 16 sind – obwohl das jenseits unserer Realität liegt –, hat seine Gründe und zeigt, dass ihre Nutzung nicht ohne ist. Stichwort Datenschutz, Kettenbriefe, Cybergrooming, pornografische Fotos oder Videos, Mobbing. Diese Dinge kann man nicht einfach nur kontrollieren, indem man abends einmal Handykontrolle macht und alle Chatverläufe durchscrollt, sondern sollte im Gespräch miteinander bleiben und von Anfang an gute Regeln aufstellen.

Keine privaten Profilfotos!

Was für Regeln empfehlen Sie?

Begleiten Sie Ihr Kind bei den ersten Schritten mit den Messengern und richten Sie sein Profil gemeinsam und so sicher wie möglich ein: kein privates Profilfoto, den Status eingrenzen, einstellen, dass niemand Fremdes Kontakt aufnehmen kann. Auch Regeln sind wichtig, etwa keine privaten Infos wie Anschrift, Telefonnummer oder Fotos zu teilen, Bescheid zu sagen, wenn man Kettenbriefe oder doch mal Nachrichten von Fremden bekommt, reduzierte Bildschirmzeiten, fairer Umgang in Gruppenchats. Leben Sie einen guten Umgang vor! Die Kinder gucken sich viel bei ihren Eltern ab und wenn Sie die ganze Zeit mit Messengern verbringen und dort frank und frei alles Mögliche teilen, dann wird Ihr Kind diese Handlungsweise übernehmen.

Wenn mein Kind Opfer von Cybergrooming geworden ist oder ein Pornovideo bekommen hat, was muss ich unternehmen?

Ich empfehle, alles so gut wie möglich zu dokumentieren, indem man Screenshots von den Chatverläufen macht, damit man, sollte man sich beraten lassen oder sogar zur Polizei gehen und Anzeige erstatten, etwas in der Hand hat. Die Polizei ist da inzwischen gut aufgestellt. Man kann sich auch an Erziehungsberatungsstellen und das Jugendschutznetz wenden. Melden Sie dem Anbieter das Profil, der es dann sperren kann. Wichtig ist: Das Kind gut mitnehmen und mit ihm die Schritte besprechen.

Beratungsstellen helfen bei Mobbing

Und wenn es um Mobbing geht?

Da ist es gut, Täter und Opfer und auch die Eltern an einen Tisch zu setzen, miteinander zu sprechen und es erst mal zwischenmenschlich zu klären. Es geht darum, die Opfer zu schützen und zu stärken. Aber es geht auch darum, zu gucken, was den anderen Jugendlichen oder das Kind dazu gebracht hat, jemand anderen so fertigzumachen. Da stehen oftmals auch Verletzungen und Ängste dahinter. In manchen Schulen gibt es Sozialarbeiter oder aber Beratungsstellen, die dabei unterstützen können, sowie gute Deeskalationsprogramme.

Interview: Ruth Korte

„Ich habe mein Kind verkorkst!“ – Welche Erziehungsfehler Sabine heute bedauert

Sabines* Tochter ist viel zu unselbstständig. Die Schuld sieht Sabine bei sich und ihrem Mann. Dann entscheidet sie: Es muss sich etwas ändern.

„Ich habe mein Kind verkorkst!“ – Als Sabine diesen Satz ausgesprochen hat, schaut sie mich erschrocken an. Schnell schiebt sie hinterher: „Eigentlich ist mein Mann schuld. Puh, das klingt auch so hart. Er hatte bei unseren Kindern viel Angst und ich habe unter seinem Druck dafür gesorgt, dass kein Weg zum Volleyballtraining oder Musikunterricht ohne meine Begleitung passiert. Und dass sie nur mit ausgewählten Kindern spielen. Die ständigen Diskussionen mit ihm über die möglichen Gefahren haben mich mürbe gemacht. Das sehe ich jetzt. Und jetzt ist es zu spät. Hannah* ist nun 17 Jahre alt – und irgendwie verkorkst.“ Sabine ringt um Worte. Sie tastet sich an dieses fast unaussprechliche Gefühl heran.

Hannah wirkt auf Außenstehende sanft und klug. Zu Hause nehmen ihre Eltern sie aber als unausgeglichen und missgelaunt wahr. Schon immer haben ihre Hände besonders besitzergreifend nach Sabine gegriffen und sie gefordert. Ganz anders als die Kleinkinder ihrer Bekannten hatte sie viele Probleme: Schlafen nur auf dem Bauch der Eltern, Essensverweigerung, wenig Sprachentwicklung. Wenn Sabine von einer schweren Nacht mit ihr berichtete, kommentierten die anderen im Spielkreis nicht selten: „Na, was hat Hannah denn diesmal?“ Eigentlich nichts, und doch ließ Sabine sie immer wieder vom Kinderarzt durchchecken: Sie war und ist kerngesund. Vielleicht gibt es so etwas wie „alltagskompliziert“?

Selbst das Einlegen der CD machte Probleme

Als Grundschülerin war Hannah in vielen alltäglichen Dingen hilflos. Kleinigkeiten wie das Einlegen der CD in den Kinder-CD-Spieler wurden zu einem Problem. Ihre jüngere Schwester hatte diese Hürde bereits genommen, aber Hannah stand immer noch jammernd neben der Mutter und brauchte Hilfe. Auch die Hausaufgaben waren während der kompletten Schulzeit ein Bereich voller Emotionen und Kämpfe. Sabine hat unzählige Stunden mit ihr am Esstisch verbracht. „Keine Idee meiner Freundinnen half, um sie zum eigenständigen Arbeiten zu motivieren. Sie jammerte und brauchte ständig meine Hilfe.“

Aber immer, wenn Sabine eine Idee für eine Loslösung hatte und umsetzen wollte, kam ihr Mann mit seinen Sorgen und Bedenken dazwischen. Hannah allein auf die Klassenfahrt schicken? Niemals! Also fuhr sie als Betreuerin mit. Hannah allein in den Schwimmverein lassen? Niemals. Also schwamm sie neben dem Trainingsbecken im Kinderbecken herum. Je älter Hannah wurde, desto unsicherer und unselbstständiger wurde die Jugendliche. Sie begann, leise und undeutlich zu sprechen und ihre Schultern nach vorn zu ziehen. Mit dieser angespannten Grundhaltung gelang es ihr nicht, Freundinnen zu finden.

Immer genervter auf ihre Tochter

Natürlich hat Sabine sich Gedanken gemacht über ihr Verhalten. Sie hatte wohltuende Gespräche mit dem Kirchenseelsorger. Sie spürte aber, dass eine wirkliche Veränderung Kraft kosten würde. Sabine erinnert sich, dass sie sich von ihrem Alltag zwischen Kindern, Minijob und Kirchenmitarbeit so eingespannt fühlte, dass sie für das Thema „Hannah“ ganz kraftlos war. Sie zog sich immer mehr zurück. Sie half Senioren und anderen Familien mit praktischer Unterstützung, aber Hannah und den möglichen Lösungsideen für ihre Situation ging sie aus dem Weg.

Stattdessen wurde sie immer sensibler und genervter in Bezug auf ihre Tochter. Sie konnte schon an Hannahs Seufzen erkennen, dass diese keinen einzigen Waffelteig im ganzen Internet finden konnte. „Um diese Alltagshürden nicht miterleben zu müssen, habe ich fix den Waffelteig selbst gemacht. Das Drama darum hat mich so genervt.“ Die Aggressionen in Sabine wachsen, je älter Hannah wird. Eine Jugendliche, deren Alltag scheinbar nur aus Hürden besteht und die ständig jammert, kostet Kraft. Dieser Kreislauf der Kraftlosigkeit hat Hannah in einen Kokon aus Überregulierung eingesponnen. Beide Eltern haben ihr immer weniger zugetraut und zugemutet.

Der Wendepunkt ist ein Satz des Seelsorgers

Mit etwas Abstand und zunehmender Kraftlosigkeit wuchs bei Sabine das Gefühl, „falsch“ zu sein: als Mutter, als Familie, als Lebensraum für Hannah. „Ich spüre mein Versagen. Dass ich mich der Verantwortung entziehe. Wir brauchen einen Wendepunkt.“ Im Nachdenken erinnert sie sich an die Gespräche mit dem Seelsorger: Der Wert eines Menschen bleibt in Gottes Augen hoch – unabhängig von seinem Verhalten, so verspricht es der christliche Glaube. Was sich für die Eltern als „verkorkst“ anfühlt, kann zu einem Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung werden. Das will Sabine angehen. Ab heute. Für jeden aus der Familie.

Während Hannah zu einem Personal Trainer geht, um ihre Körperpräsenz zu verbessern und an ihrem Stimmvolumen zu arbeiten, stehen auch Sabine und ihr Mann vor Entwicklungsaufgaben. Seinen Ängsten will Sabines Mann mit der Hilfe eines Facharztes die Stirn bieten. Warum er erst jetzt den Mut dazu hat, ist Sabine nicht klar. Vielleicht, weil sie sich bewusster positioniert und ihrem Mann zumutet, die Last seiner Ängste allein zu tragen. Sie will nicht mehr Sprachrohr seiner Sorgen sein. Sabine sucht ihren eigenen Standpunkt und wird in diesen ersten Schritten durch eine Kleingruppe der Kirche bestärkt. Täglich formuliert sie ein Gebet, um die Verantwortung für ihre Familie an Gott zurückzugeben. „Ich bin dadurch eher bereit, hinzusehen und mich nicht wegzuducken“, erklärt sie. Freundinnen haben Sabine immer wieder ermutigt, Hannah mehr zuzutrauen. Wahrzunehmen, was Hannah gelingt. Sabine beginnt zu strahlen, als sie von Hannahs erstem kleinen Job erzählt. Ein Mutlächeln erleuchtet ihr Gesicht. Sie wird ihre Tochter begleiten und ihr ins Leben helfen. Auch wenn das gesamte Internet wieder mal leer ist, wenn Hannah Waffeln backen will.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. 

Trotz Corona – Familienberaterin ist überzeugt: „Eltern tun ziemlich viel Heldenhaftes“

Fehler machen gehört für die Eltern- und Familienberaterin Daniela Albert zum Elternsein dazu. Warum Eltern sich trotzdem als Heldinnen und Helden fühlen dürfen, erklärt sie im Interview.

Das letzte Jahr war für viele Eltern sehr anstrengend. Was waren deinem Eindruck nach die größten Herausforderungen?

Eltern mussten Rollen einnehmen, die nicht ihre sind. Gerade im ersten Lockdown, als viele Schulen noch keine digitalen Formate hatten, mussten sie im Homeschooling Lehrerrollen übernehmen. Das oft zusätzlich zur eigenen Berufstätigkeit, vielleicht noch zur Betreuung von kleineren Kindern. Herausfordernd war auch, dass dabei viele verschiedene Rollen gleichzeitig ausgefüllt werden mussten.

Haben sich die Beratungsanfragen von Eltern an dich von denen vor Corona unterschieden?

Es werden keine anderen Fragen gestellt. Es sind schon immer ähnliche Themen. Sie sind aber zugespitzter, sie sind drängender. Wenn vorher schon eine Situation in der Familie schwierig war, dann ist es durch Corona wie durch ein Brennglas extremer geworden. Oder die Kräfte sind einfach weniger da, um es selbst zu Hause zu steuern.

Notendruck rausnehmen

Was brauchen Eltern jetzt am dringendsten?

Sie brauchen Entlastung von den verschiedenen Rollen. Auf der einen Seite finde ich es gut, dass es jetzt vermehrt digitale Formate gibt und auch Möglichkeiten, Kinder im Wechselunterricht in die Schule zu schicken, sodass Eltern aus der Lehrerrolle herauskommen. Es ist auch weiterhin wichtig, dass Eltern Befreiungsmöglichkeiten haben, zusätzliche Urlaubstage und Möglichkeiten, sich im Job zurückzunehmen, um nicht in diese starke Überlastung zu kommen. Und was Familien auch bräuchten: Dass man den Druck herausnimmt – natürlich da, wo es geht. Es ist mir klar, dass man bei jemandem, der kurz vor dem Schulabschluss steht, nicht sagen kann: Wir machen nichts mehr. Aber überall, wo es geht, würde ich mich freuen, wenn man den Notendruck und den Versetzungsdruck herunterfahren könnte.

„Ich glaube schon, dass meine Eltern Helden sind. Sie kümmern sich um mich und sind immer für mich da, wenn ich sie brauche oder eine Frage habe. Besonders jetzt in der Corona-Zeit ist das wichtig für mich, weil ich mich nicht so viel mit Freunden treffen kann. Meine Eltern versuchen, mir so viel, wie es geht, zu ermöglichen, damit es mir trotzdem gut geht.“
Johanna (10)

Wir finden, dass viele Eltern Heldenhaftes leisten – nicht nur, aber besonders in Corona-Zeiten. Viele Eltern sehen sich selbst aber nicht als Heldinnen und Helden …

Das ist traurig. Ich glaube, das liegt daran, dass sie ihren eigenen Ansprüchen oft nicht gerecht werden können. Und weil sie das Gefühl haben, sie machen das nicht richtig oder sie machen das nicht gut genug. Aber es ist jetzt wichtig, dass Eltern einen realistischen Blick auf die Situation und sich selbst werfen und sehen, dass sie viel und Großartiges leisten und dass sie ihre Rolle nicht daran festmachen dürfen, dass alles so klappt, wie sie es idealtypisch gern hätten. Die Eltern, die ihre Kinder durch die Pandemie begleiten und ihnen Stabilität geben, tun ziemlich viel Heldenhaftes.

„Ich finde, dass meine Eltern Helden sind, weil sie sich, obwohl sie so viel arbeiten müssen, gut um meine Schwestern und mich kümmern. Sie gehen auch immer mit uns nach draußen.“
Adam (10)

Du hast erwähnt, dass viele Eltern hohe Ansprüche an sich haben. Wie geht man damit um, wenn man ihnen nicht gerecht wird?

Ich finde es wichtig zu überlegen: Wo kommen die Ansprüche her? Warum glaube ich, dass ich das so und so gut machen muss? Warum glaube ich, dass mein Kind nur dann gut ins Leben kommt, wenn ich das mache, was ich mir als idealtypisch vorgenommen habe oder was man auf Instagram sieht oder in Büchern liest? Es ist wichtig, genau zu gucken, was hinter diesem Anspruch steckt. Und sich klarzumachen, dass sehr viel schieflaufen darf und anders laufen darf, als man das eigentlich gern hätte. Und dass trotzdem kein bleibender Schaden entsteht. Viele Ideale sind gut und wichtig, aber das heißt nicht, dass man sie zu 100 Prozent leben muss. Es reicht auch, wenn man sie zu 50 Prozent oder in Krisenzeiten auch nur zu 20 Prozent lebt.

In den allermeisten Familien läuft es gut

Du hast gerade den Begriff „Schaden“ benutzt. Das ist ja eine Angst, die Eltern haben. Aber welchen Schaden können Kinder nehmen, wenn Eltern etwas falsch machen?

Natürlich gibt es Sachen, die können richtig schieflaufen, und die können auch Spuren hinterlassen. Eine von Gewalt oder sehr wenig Zuneigung geprägte Erziehung hinterlässt Spuren. Und sie hinterlässt Schäden. Nur ist das in den allermeisten Familien ja gar nicht der Fall. In den allermeisten Familien läuft es aus dieser Sicht recht gut, und es sind eher die Kleinigkeiten, die mal schiefgehen. Oder es sind Phasen, in denen die Bedürfnisse der Kinder vielleicht nicht gut erfüllt werden können, wie jetzt in der Pandemie, wo sicher auch etwas hinten runterfällt.

Und wenn viel hinten runterfällt und es längerfristig ist, kann es natürlich dazu kommen, dass ein Ungleichgewicht und eine Auffälligkeit auf Seiten der Kinder entsteht. Oder dass die Kinder Probleme bekommen, auch psychischer Natur. Nur ist auch das nicht in Stein gemeißelt für das weitere Leben. Wir haben ja gerade als die Eltern, die nah an ihren Kindern dran sind, die viel Zuneigung leben und sich Mühe geben, das Familienleben instandzuhalten, immer noch Möglichkeiten, einzugreifen. Wir schreiben keine Geschichte, die wir für immer festschreiben und die dann so bleibt.

„Meine Eltern sind stark! Sie beschützen mich, und sie helfen mir immer.“
Aurelia (8)

Wann sollten sich Eltern externe Hilfe holen?

Wenn man bei seinem Kind merkt, dass ein totaler Rückzug stattfindet – nicht ein pubertätstypischer Rückzug. Wenn man gar nicht mehr ans Kind herankommt, wenn das Kind nicht mehr ansprechbar ist oder gar nicht mehr bereit ist, zu kommunizieren. Wenn es sich zurückzieht und alltägliche Dinge nicht mehr schafft. Ein Punkt, sich Hilfe zu suchen, ist immer, wenn man individuell feststellt: Ich beherrsche es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr weiter und bin in einer Situation, wo ich dermaßen schwimme, dass es für alle Beteiligten belastend ist. Da ist es immer gut, jemanden von außen draufgucken zu lassen. Das heißt ja nicht sofort, dass man eine Therapie anfangen muss. Manchmal reicht es auch, dass einer von außen mal schaut und sagt: So und so könnte es gehen.

Keine Gefühle runterspielen!

Was ist deiner Meinung und Erfahrung nach das Wichtigste, das Eltern in herausfordernden Zeiten wie diesen tun sollten?

Aufmerksam sein! Ohne die Kinder total zu bedrängen und gerade bei größeren Kindern ständig zu gucken, was sie machen. Aber aufmerksam sein für die Signale, die Kinder senden. Und es ernst nehmen und nicht herunterspielen, wenn ein Kind sagt: „Mir geht es total schlecht.“ Oder: „Ich bin so traurig.“ Wir neigen manchmal dazu, das zu relativieren: „So schlimm ist es doch gar nicht. Du hast noch so viel im Vergleich zu anderen.“ Was objektiv stimmt, die Kinder aber subjektiv nicht weiterbringt. Wir sollten es aushalten, dass wir das als Eltern gerade nicht ändern können. Und wir sollten auf jeden Fall einen Raum geben, wo Gefühle Platz haben.

„Meine Eltern machen ganz viel für mich: alles im Haushalt, Frühstück und so weiter. Sie unterstützen mich beim Lernen. Sie machen auch besondere Sachen mit mir, zum Beispiel in Freizeitparks gehen.“
Moritz (9)

Und was sollten Eltern lassen?

Wie ich schon gesagt habe, dieses Herunterspielen von Gefühlen. Ich finde aber auch wichtig, dass wir nicht unnötig Probleme an die Kinder herantragen. Je nach Alter der Kinder finde ich es auch gut, sie vor zu vielen Informationen zu schützen. Sie sollten zwar grundsätzlich Bescheid wissen, was in der Welt passiert, aber sie müssen nicht jede neue Studie kennen und jede neue Horrormeldung. Und mit älteren Kindern, die eigene Handys oder Tablets haben, sollte man darüber sprechen, dass es zwar viele schreckliche Meldungen gibt, aber dass schlechte Nachrichten eher publiziert werden als gute Nachrichten.

Weg von der Strenge

Du hast gerade ein Buch für Eltern geschrieben: „Unperfekt, aber echt“. Was möchtest du damit erreichen?

Ich hoffe, dass Eltern durch dieses Buch ermutigt werden, sich weniger unter Druck zu setzen und es weniger perfekt machen zu wollen. Dass sie sich selbst und anderen gegenüber fehlertoleranter werden und ein Vergebungsmanagement sich selbst und ihrer Familie gegenüber etablieren. Und wirklich mal von den hohen Ansprüchen wegkommen, mit denen viele Eltern durch die Welt gehen.

„Mama und Papa erlauben mir manchmal, Filme zu gucken. Sie machen mir was zu essen. Bei den Schulaufgaben unterstützen sie mich. Für mich sind sie Helden!“
Leon (9)

Was hast du für dich in den letzten Monaten gelernt?

Ich habe für mich gelernt, dass das, was ich schon immer theoretisch geglaubt habe, wirklich okay ist. Dass es okay ist, im Familienalltag unperfekt zu sein und als Eltern Schwächen zu zeigen, übers Ziel hinauszuschießen, Fragen nicht beantworten zu können oder Fehler zu machen. Und dass es auch keinen Schaden anrichtet. Ich habe das in dieser Corona-Phase ganz besonders von meinen großen Kindern gespiegelt bekommen. Sowohl was schiefgelaufen ist und blöd war – gerade unser großes Kind ist da sehr ehrlich – als auch, dass es okay ist. Und das finde ich wunderbar, auch in dieser schwierigen Zeit so eine Rückmeldung zu bekommen und zu merken: Ich weiß nicht nur theoretisch, dass es gut ist und dazugehört, Fehler zu machen, sondern ich darf es gerade auch praktisch erleben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT.

Sexologin: Gleichberechtigung sorgt für besseren Sex

Wenn sich Paare im Alltag auf Augenhöhe begegnen, hat das auch positive Auswirkungen im Bett. Sexologin Veronika Schmidt erklärt, wie das zusammenhängt.

Je gleichgestellter ein Paar ist, desto größer ist die Chance auf ein erfülltes Sexleben. Das ist nicht einfach eine Behauptung, sondern gut untersucht. So fand eine Studie der Universität von Alberta heraus, dass Männer, die angaben, sich auf faire Weise an der Hausarbeit zu beteiligen und Verantwortung in der Kinderbetreuung zu übernehmen, auch mehr Sex hatten und zufriedener damit waren. Der Umkehrschluss: Je gleichgestellter sich Frauen erleben und Gleichberechtigung verhandeln, desto eher übernehmen sie andererseits Verantwortung für ihr eigenes und das gemeinsame Sexerleben. Das Schlüsselwort ist „Verantwortung“.

Sexentzug hat oft mit Machtkämpfen zu tun

Das Sexleben verweist oft auf Paarmechanismen außerhalb des Bettes. Da sind die offenen oder versteckten Machtkämpfe, die sich durch den Beziehungsalltag ziehen und im Bett zum Ausdruck kommen. Das kann dann bedeuten, dass man Sex oder bestimmte Praktiken dominant einfordert oder demonstrativ beleidigt ist, wenn es nicht so funktioniert, wie geplant. Häufig entziehen sich Ehepartner einander. Dabei ist der Sexentzug einfach eine Spielvariante des Liebesentzugs. Wer sich dem Sex und somit dem Partner oder der Partnerin verweigert, übt Macht aus. Meist geht es hier um eine Macht, von der man glaubt, sie sonst nicht zu besitzen. Macht auszuüben ist die Kehrseite der Ohnmacht. Ohnmacht wiederum gründet in der Annahme, auf sein eigenes Leben keinen Einfluss nehmen zu können.

Weshalb verweigern Frauen (und manchmal Männer) Sex? Weil sie es nicht besser wissen! Sie wissen nicht und nehmen nicht wahr, wie wichtig Sex für die Paarbeziehung ist. Keinen Sex wollen, heißt, sich der Verantwortung gegenüber der Paarbeziehung zu entziehen. Gleichzeitig muss dazugesagt werden, dass es kein Recht auf Sex gibt! Sex einzufordern, ist genauso verantwortungslos. Sex kann nicht eingeklagt werden. Aber Sex ist ein Akt der Freundlichkeit und Verantwortung. Deshalb sagt Paulus Paaren in der Bibel: „Entzieht euch einander nicht.“ (1. Korinther 7,5) Und er stellt diese Aussage ganz deutlich in den erweiterten Zusammenhang der bedingungslosen Gleichberechtigung, in etwas Wechselseitiges, sich Bedingendes.

Der Alltag lässt die Erotik vergessen

Häufig geht eine Flaute im Ehebett zurück auf die Unlust der Frau, aber nicht nur. Auch Männer können für eine Sexflaute verantwortlich sein, und auch da ist es eine Frage des eigenen Selbstverständnisses. Nehme ich das einfach so hin oder bin ich überzeugt, dass es Veränderungsmöglichkeiten gibt?

Ein sexloses Leben wird oft so lange ignoriert, bis sich die Angst einstellt, den Partner zu verlieren. Dabei hat nicht selten zu Beginn der Beziehung der Sex sogar beiden Spaß gemacht. Doch dann passiert das Leben, die Erotik wird vergessen oder sie passt nicht mehr in den Alltag.

Gerade die Lebensabschnitte, in denen die Rollen neu definiert werden müssen, sind besonders sensible Phasen für die Intimität. Jeder Lebensabschnitt bringt dabei seine eigenen neuen Herausforderungen. Zum Beispiel, wenn es gilt, von der unbeschwerten jungen Liebesbeziehung in die oft auch stressige und verantwortungsvolle Alltagsbeziehung zu wechseln.

Kinder ändern das Sexleben

Ganz entscheidend für den Sex ist die Phase des Kinderkriegens, wenn sich das Liebespaar zum Elternpaar entwickelt. Es kommt darauf an, wie das Paar mit dieser Rollenerweiterung umgeht. Besonders Frauen ringen oft damit, den Spagat zwischen Muttersein und Liebhaberin hinzubekommen, weil sie ununterbrochen an andere denken und für sich selbst dann nicht mehr existieren. Um Lust zu entwickeln, muss eine Frau aber Zeit haben, an sich selbst denken zu können. Und manche Männer kämpfen damit, die Mutter ihrer Kinder noch als erotisch begehrenswertes Gegenüber zu sehen.

Manche stellen auch Probleme in ihrem Sexleben fest, wenn sich das Nest leert und die Kinder ausziehen. In vielen Fällen ist das Liebespaar irgendwann auf der Strecke geblieben und man hat sich verloren. Man wollte es aber jahrelang nicht bemerken. Dabei können Paare aber nicht nur an sich selbst scheitern, sondern auch an den gesellschaftlichen und religiösen Rollenerwartungen, denen sie entsprechen wollen oder meinen, entsprechen zu müssen.

Gleichberechtigung schafft freien Sex

Zuallererst müssen wir begreifen, was mit den Rollenbildern und der Sexualität im Laufe der Geschichte geschehen ist und was diese Tatsache mit uns allen immer noch macht. Ich habe den Zusammenhang von Gleichberechtigung und glücklichem oder unglücklichem Sexleben gründlich studiert und in meinem Buch „Endlich gleich!“ dokumentiert. Und ich bin zum Schluss gekommen: Ohne grundsätzliche Freiheit der Frau, also ihrer bedingungslosen Gleichstellung in der Beziehung, in der Gesellschaft und in der Religion, gibt es keine Freiheit der weiblichen Sexualität. Und damit auch keine eigenverantwortliche weibliche Sexualität. Es geht dabei nicht einfach um fortschrittliche Rollenbilder versus traditionelle. Sondern darum, wie reflektiert, selbstbestimmt, ebenbürtig und solidarisch das gewählte Lebensmodell zustande kommt. Entscheidend ist, was für das einzelne Paar stimmt.

Eine Frau kam in die Beratung, um einen Orgasmus zu lernen. Oder Freude am Sex überhaupt. Sie war seit über zwanzig Jahren verheiratet und in einer streng religiösen, traditionellen Glaubensgemeinschaft aufgewachsen, zu der sie immer noch gehörte. Durch die Beratung begann eine Entwicklung in ihr, die nicht nur in Kleidung und Frisur zum Ausdruck kam, sondern auch in ihrem ganzen Wesen und Auftreten. Das blieb in ihrer Umgebung nicht unbemerkt, doch sie lernte sich darin zu behaupten. Sie traute sich Aufgaben und Einfluss zu und packte eine Ausbildung an. Am meisten Freude daran hatte ihr Mann. Das ist überhaupt meine Erfahrung. Viele Männer begrüßen eine emanzipatorische Entwicklung ihrer Frau und sind positiv überrascht, auch wenn sie dies zuvor gar nicht hätten ausdrücken können. Es wäre ihnen nicht möglich gewesen, zu benennen, dass es das ist, was ihnen als Paar fehlt. Solche grundlegenden Veränderungen zu erleben, gehört zum Schönsten in meiner Beratungstätigkeit.

Auf das Selbstbewusstsein kommt es an

Eine Sexualität, die als erfüllend erlebt wird, hat viel mit Selbstwert und Selbstbewusstsein zu tun. Sexualität, die als lustvoll erlebt wird, stärkt nicht nur den Selbstwert und das Selbstbewusstsein, sondern auch die eigene Identität als Frau und Mann. Das hat auch Auswirkungen auf andere Bereiche des Lebens. Selbstbewusstsein ist allerdings auch Voraussetzung dafür, sich im Bett emanzipiert geben zu können und selbstverantwortlich mit der eigenen Lust umzugehen.

Erst wenn Frauen (und einige Männer) die Flaute im Ehebett nicht mehr hinnehmen, weil sie erkennen, dadurch etwas Schönes und Bereicherndes zu verpassen, werden sie sich ganzheitlich emanzipieren können.

Partner sollten wissen, was sich gut anfühlt

Ein emanzipiertes und gestärktes Selbstbewusstsein verändert die Beziehung positiv. Je klarer Frauen dabei werden, je besser sie für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse einstehen können, desto mehr können sich im Gegenzug Männer erlauben, weicher zu sein. Und umso eher können Männer über ihre Bedürfnisse und Gefühle sprechen. Letztlich werden sie genau dadurch stärker und männlicher und wiederum für die Frauen attraktiver.

Diese Zusammenhänge müssen auch unsere Körper „begreifen“ – im ganz wörtlichen Sinn, nämlich im Anfassen. Oft bedeutet dies, erstmals Selbsterfahrungen zu machen, die man dann mit in die Paarsexualität einbringen kann. Wer den Weg zu seinem Gipfel nicht kennt, kann auch nicht erwarten, dass der Partner oder die Partnerin ihn findet. Für meine Lust bin ich selbst verantwortlich. Damit Frauen und Männer Sex genießen können, müssen sie ihren Körper kennen. Und dabei geht es nicht darum, „wie es aussieht“, sondern „wie es sich anfühlt“. Es geht darum, das Anfühlen selbst zu steuern. Und Sex verändert sich mit den Jahren, ebenso die Bedürfnisse. Deshalb muss man immer wieder herausfinden, was stimmt und geht, und es kommunizieren.
Da sind Männer genauso herausgefordert wie Frauen. Denn viele Männer „konsumieren“ Sex, sie wecken ihn nicht aus sich selbst heraus. Deshalb beklagen manchmal Frauen, die keine Lust haben, dass ihre Männer keine guten Liebhaber sind.

Sex hat viele Gesichter

Was macht einen Mann zum schlechten Liebhaber? Er ist darauf fixiert, was er im Sex von der Frau geboten bekommt, statt darauf, was er selbst in seinem Körper an erotischem Erleben auslösen kann. Die meistgehörten Klagen wiederum von Männern in Bezug auf das Sexleben sind: „Sie will keinen Sex.“, „Sie ist nicht oder nicht leidenschaftlich dabei.“, „Sie erlebt nichts oder will nichts dabei erleben.“, „Sie lässt sich nicht auf Experimente ein.“

Es gibt eine große Bandbreite an Sexualität zu entdecken: schnell und wild, ganz zärtlich oder hochemotional, mit und ohne Orgasmus, mit und ohne Penetration. Ein ganzes Orchester. Dazu gehören auch passiv und aktiv, dominant und unterwerfend. Doch gerade Letzteres, das „Machtgefälle in der Sexualität“, kann nur gesund gelebt werden, wenn es eine selbstbestimmte und selbstgewählte Spielvariante ist. Dann aber hat diese ihren ganz eigenen Reiz, die in der Sexualität lustvoll ausgelebt werden kann – Nehmen und Genommenwerden.

Veronika Schmidt ist Sexologin, systemische Beraterin und Autorin. Das Thema „Gleichberechtigung“ hat sie in ihrem Buch „Endlich gleich!“ (SCM Hänssler) untersucht. In ihrem Buch „Alltagslust“ (SCM Hänssler) erläutert sie, wie man die eigenen erotischen Fähigkeiten entwickeln kann.

Morbus Hirschsprung: Christines gerade geborener Sohn entgeht knapp dem Tod

Eigentlich wollen Christine und ihr Mann sich nur über das neue Familienglück freuen. Doch dann wird bei ihrem Sohn eine lebensgefährliche Darmkrankheit diagnostiziert.

Stuhlgang ist kein Thema, über das man gerne nachdenkt, spricht, schreibt oder liest. Es ist ein Thema, über das freche Kinder am Tisch Witze machen und Eltern sagen, es gehöre nicht dorthin. So natürlich Stuhlgang ist, so unnatürlich fühlt es sich an, darüber zu reden. Und doch beschäftigt uns seit der Geburt unseres Kindes kein Thema mehr als das. Denn unser Sohn hatte keinen Stuhlgang und wäre daran fast gestorben.

Was ist Morbus Hirschsprung?

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit Morbus Hirschsprung zur Welt kommt, liegt bei eins zu 5.000. Bei der Krankheit handelt es sich um eine Fehlbildung im Darm, die am Schließmuskel beginnt und sich von dort unterschiedlich weit den Dickdarm hochzieht. In dem betroffenen Teil fehlen die Nervenzellen, die verantwortlich sind, den Stuhl zu transportieren. Die Nahrung staut sich also vor dem kranken Teil des Darms und kann gar nicht oder nur zu kleinen Teilen ausgeschieden werden. In Deutschland werden jedes Jahr ungefähr 140 Kinder mit dieser Krankheit geboren, Jungen sind vier Mal so häufig betroffen wie Mädchen. Und eines davon war unser Erstgeborenes.

Anfangs scheint alles normal

Nach einer unkomplizierten Schwangerschaft und Geburt war ich überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass mit unserem Kleinen etwas nicht stimmen könnte. Als Frischlings-Mama konnte ich die Anzeichen nach der Geburt kaum deuten. Unser Sohn spuckte viel und wollte am zweiten Tag nicht mehr trinken. Das Personal in der Klinik beruhigte mich. Das sei völlig normal. Dass der erste Stuhlgang, das Kindspech, nicht kam, verwunderte sie mehr. Aber es klingelte immer noch keine Alarmglocke. Und als frischgebackene Familie sehnten wir uns danach, nach Hause zu kommen, den neuen Lebensabschnitt einzuläuten, die Ruhe zu genießen. Familie und Freunde an unserem Glück teilhaben zu lassen. Und so wurden wir entlassen.

„In der Nacht tat ich kein Auge zu“

Um zuhause den Stuhlgang anzuregen, nahmen wir das Thermometer als Hilfsmittel, drückten mit, massierten den Bauch – alles ohne Erfolg. Der Kleine spuckte immer mehr, die Farbe wechselte von weiß zu gelb. Ich legte ihn nachts ins Beistellbett neben mich und brachte ihn in die stabile Seitenlage. In der Nacht tat ich kein Auge zu. Viel zu viel Angst hatte ich, dass unser neugeborener Sohn ersticken könnte. Aus dem Spucken wurde Würgen. Das war doch nicht normal, oder?

Unsere Nachsorge-Hebamme schickte uns am nächsten Tag in die Kinderklinik. Wir gingen davon aus, dass der Kleine eine hartnäckige Verstopfung hat, die mit einer Spülung beseitigt werden könnte. Damit würden sich die anderen Probleme von selbst lösen. Eine vorwurfsvolle Kinderärztin in der Notfallambulanz wies unseren Sohn in die Klinik ein. Das war ein Schock für uns.

Quälende Ungewissheit

Auf Station bekam der Kleine erst eine Infusion, danach wurde sein Darm mehrmals gespült, bis das elende Kindspech endlich komplett draußen war. Es sei höchste Zeit gewesen, dass wir gekommen sind, gab uns der Arzt zu verstehen. Mein Mann und ich waren überfordert von den heftigen Gefühlswellen, die sich überschlugen: Der Schock, dass unser Kind hätte sterben können, wenn die Hebamme nicht gewesen wäre, die Sorge, wie es nun weitergehen würde, die Angst, der Verantwortung nicht gewachsen zu sein. Und dazwischen zerriss unser Herz, als wir das schrille Weinen unseres Sohnes während der Behandlung hörten.

Wir verabschiedeten uns abends unter Tränen von unserem Neugeborenen, fuhren aus der Klinik nach Hause, heulten dort weiter und kamen am nächsten Tag zurück. Und am Tag darauf. Und am Tag darauf. Nie wissend, was uns in der Klinik erwarten würde. Wie geht es dem Kleinen? Wissen die Ärzte mittlerweile, was ihm fehlt? Wann können wir endlich mit ihm nach Hause? Mein Mann und ich machten uns gegenseitig Mut daran festzuhalten, dass es sich um keine Krankheit handeln muss. Vielleicht war es einfach eine fiese Verstopfung.

Plötzlich spricht der Arzt von Lebenserwartung

Die Ärzte machten Tests, um herauszufinden, warum unser Sohn das Kindspech nicht ausscheiden konnte. Ihr erster Verdacht war die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose. Die Krankheit lässt sich über den Salzgehalt im Schweiß feststellen. Das Testergebnis unseres Sohnes lag im Graubereich, die Ärzte wollten die Krankheit weder ausschließen noch sich darauf festlegen. Unser Kleiner musste noch einmal zum Test. Und dann noch einmal. Und immer lag das Ergebnis im Graubereich.

Wir kannten die Krankheit bis zu diesem Zeitpunkt nur vom Namen her, aber als der Oberarzt uns zu sich bat und mutmachend sagte, die Lebenserwartung sei Dank neuster Medizin nicht so kurz wie früher, mussten mein Mann und ich schlucken. Wir wollten es nicht glauben und nicht hören. Wir sprachen über die Lebenserwartung unseres Sohnes, dessen Leben gerade erst so richtig begonnen hatte?

Zurück in die Krankenstation

Währenddessen kämpfte unser Kleiner weiter und nach einer Weile schaffte er es endlich, selbstständig zu trinken. Als der Stuhlgang nach dem Spülen regelmäßig kam, wurden wir entlassen – mit einem Termin für einen weiteren Test. Zuhause ging der Horror wieder von vorne los und nach vier Tagen waren wir zurück auf der Krankenstation. Trotz Spülung hat sich dieses Mal der Zustand unseres Sohnes kaum verbessert. Er wurde schwächer und schwächer. Sein Puls war viel zu hoch, die Entzündungswerte gingen fast durch die Decke.

Ein anderer Arzt kam und mit ihm eine neue Verdachtsdiagnose: Morbus Hirschsprung. Die Kinderchirurgie wurde einbezogen, wir darüber informiert, dass unser Sohn operiert werden müsse. Der Chirurg erklärte uns, was gemacht werden muss, aber er wolle eine zweite Meinung hören und bis zum nächsten Tag warten.

„Hatte das Gefühl, ihn beim schleichenden Tod zuzusehen“

Diese Nacht war die schlimmste meines Lebens. Dem Kleinen ging es immer schlechter. Er stöhnte im Schlaf und bekam mehr und mehr Schmerzmittel. Ich hatte das Gefühl, ihn beim schleichenden Tod zusehen zu müssen. Am nächsten Tag bat der Oberarzt meinen Mann und mich in das Besprechungszimmer. Unser Sohn würde jetzt operiert werden. Der Darm sei gerissen. Ein künstlicher Darmausgang müsse gelegt werden. Der Kinderchirurg kam. Die OP finde sofort statt. Es herrsche Lebensgefahr. Ich hielt die Hand meines Mannes. Tränen liefen mir ununterbrochen über das Gesicht.

Abschied an der OP-Schleuse

Seit der Geburt unseres Sohnes fühlte sich alles an wie ein Albtraum. Die Vorstellung, wie der Start ins Familienleben sein würde und was wir tatsächlich erlebten, klaffte unendlich weit auseinander. Wir brachten unseren Sohn mit dem Arzt und zwei Schwestern zur OP-Schleuse. „Verabschieden Sie sich jetzt von Ihrem Sohn“, sagte jemand. „Bis später“, flüsterte ich ihm unter Tränen zu und streichelte seinen Kopf. Hand in Hand und unter Schluchzen gingen mein Mann und ich zurück zur Station und warteten.

Eine Stunde. Ich packte meine Sachen zusammen und pumpte Milch ab. Zwei Stunden. Ich schrieb Nachrichten an Familie und Freude: „Bitte betet für uns.“ Drei Stunden. Da kam der Kinderchirurg und sagte, die OP sei gut verlaufen. Der Darm sei nicht gerissen, auch wenn es auf dem Röntgenbild so aussah. Aber die Darmwand sei so beschädigt, dass Bakterien aus dem Darm in den Bauchraum gekommen seien und eine Infektion ausgelöst hätten. Der künstliche Darmausgang funktioniere gut, jetzt müsse sich der Kleine nur noch erholen.

Ein kleiner Schatten seiner selbst

Als wir endlich zu unserem Sohn konnten, flossen die Tränen – wieder oder immer noch, ich weiß es nicht mehr. Dankbar dafür, dass er noch lebte, ängstlich und in Sorge, ob er die kommende Nacht überstehen würde. Ganz blass lag er im Brutkasten, stöhnte im Schlaf, zuckte unkontrolliert, überall waren Schläuche und Kabel. Er war ein noch kleinerer Schatten seiner selbst.

Am nächsten Tag zeigte man uns zum ersten Mal den künstlichen Darmausgang. Ich hatte noch nie einen gesehen und keine Vorstellung davon, was uns erwarten würde. Als ich das aufgeschnittene und aufgeklappte Stück Dickdarm am Bauch unseres zarten Jungen sah, wurden meine Augen weit. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich ekelte mich. Was für eine Mutter war ich, die sich vor ihrem eigenen Sohn ekeln konnte?

Der künstliche Darmausgang ist eine Herausforderung

Unser Sohn konnte eine Woche später entlassen werden, ein Termin zur Biopsie stand einen Monat später an. Aus der Klinik rauszukommen, fühlte sich gut an. Eine Brise Normalität. Doch sich zuhause um den künstlichen Darmausgang zu kümmern, überforderte uns in der ersten Zeit. Ständig löste sich die Platte, die um den Ausgang herum am Bauch klebte und an der ein Beutel befestigt war. Ständig war unser Sohn komplett mit seinen Exkrementen beschmiert. Ständig musste er unter lautem Protest auf den Wickeltisch. Sein Schreien sorgte dafür, dass der Darm arbeitete wie verrückt. Stuhl floss regelrecht aus dem Darm und mein Mann und ich versuchten verzweifelt den Bauch sauber zu machen, damit die nächste Platte besser kleben würde. Schweißgebadet waren wir die ersten Male nach etwa 20 Minuten fertig.

Eine neue OP steht an

Doch der „Luxus“, dass wir uns gemeinsam um die Pflege kümmern konnten, würde bald aufhören. Die Elternzeit meines Mannes neigte sich dem Ende zu. Unsere Kinderärztin fragte mich: „Wie wollen Sie das denn in Zukunft handhaben?“ „Ich werde die Beutel alleine wechseln“, antwortete ich. „Das können Sie nicht schaffen. Alleine geht das nicht“, sagte die Ärztin bestimmt. Falls ich eine helfende Hand bräuchte, könnte ich jederzeit in die Praxis kommen. Als wir auf dem Parkplatz standen, fing ich an zu weinen. Wie sollte ich den Alltag mit unserem Sohn bloß bewältigen?

Wir arbeiteten uns immer mehr in das Thema ein, nicht nur, was den künstlichen Darmausgang betraf. Wir wechselten in eine Spezialklinik. Die Biopsie bestätigte den Verdacht: Unser Sohn hatte die Hirschsprung-Krankheit. Ein Termin zur Operation wurde vereinbart. Der kranke Teil des Darms sollte entfernt werden, eventuell der künstliche Darmausgang schon rückverlegt. In den Wochen vor dem Klinikaufenthalt graute mir vor dem, was auf uns zukommen würde. Es hafteten noch die schlimmen Erlebnisse aus den vergangenen Wochen an mir. Unkontrolliert brach ich manchmal unter der Dusche zusammen, ließ das Wasser mein Schluchzen wegspülen.

An Schlaf ist nicht zu denken

Der Tag der Operation kam. Wieder zur OP-Schleuse, wieder den Kleinen in die Hände der Ärzte geben. Der Warteraum vor dem OP-Saal wurde zu dem Vorhof meiner persönlichen Hölle. Irgendwie hatten mein Mann und ich es geschafft, die fast sechs Stunden rumzukriegen, die unser Sohn im OP lag. Der Anruf kam: Es lief alles gut. Wir kamen aufs Zimmer. Da der Darm so kurz nach dem Eingriff noch nicht arbeiten kann, durfte der Kleine keine Milch trinken. Infusion, Wasser, Tee – all das reichte ihm nicht. „Irgendwann geben alle nach und trinken Wasser“, wollte die Krankenschwester uns beruhigen. Unser Sohn nicht. Er schrie und schrie, mal vor Hunger, mal vor Schmerzen. Nachts war an Schlaf nicht zu denken.

Eine dritte Operation steht an

Die Visite am nächsten Tag zeigte, dass etwas nicht in Ordnung war. Ein Tag sollte abgewartet werden. Wieder eine Nacht des Grauens. Und am nächsten Morgen machte der Chirurg ein ernstes Gesicht. „Ihr Sohn muss noch einmal operiert werden. Von außen können wir nicht sehen, was nicht stimmt. Im Notfall muss ihm erneut ein künstlicher Darmausgang gelegt werden“, informierte er mich. Ich schrieb meinem Mann eine Nachricht, er soll sofort kommen. Und wieder mussten wir zur OP-Schleuse. Der Eingriff zeigte, dass eine Naht sich gelöst hatte. Es wurde noch einmal genäht, der Heilungsprozess musste wieder von vorn beginnen.

40 Mal Stuhlgang am Tag

Nach zwei Wochen konnten wir die Klinik endlich verlassen. Glücklich darüber, wieder vereint zuhause sein zu können. Dass unser Sohn in den ersten Wochen täglich bis zu 30 oder 40 Mal Stuhlgang haben könnte, vermieste unsere Laune nicht. Nach all dem, was wir schon erlebt hatten, kam uns dieses Problem nicht so groß vor. Doch es wurde groß und immer größer. Nicht nur sammelten sich riesige Windelberge vor unserer Wohnung, sondern der Stuhlgang wurde nicht weniger. Nicht nach einem, nach zwei, drei, vier oder fünf Monaten. Es blieb.

Unser Sohn begann erst Brei, dann vom Tisch zu essen. Und damit begannen starke Schmerzen. Nicht nur ein dauerhaft wund-blutiger Po, sondern heftige Schmerzen beim Stuhlgang selbst. Ganz plötzlich beginnt er zu schreien, ballt seine kleinen Hände zu Fäusten und zittert am ganzen Körper. Und füllt die Windel. Wieder und immer wieder, bis zu 30 Mal am Tag.

Warum schweigt Gott?

In der Nachsorge sagte der Chirurg, dass die Phase mit dem häufigen Stuhlgang bei einem guten Verlauf schon abgeschlossen wäre. Das war keine Überraschung für uns – die „beschissene“ Phase war längst schmerzlicher Alltag geworden. Fragen brennen uns aus auf der Seele, die kein Mensch beantworten kann und zu denen Gott bisher geschwiegen hat. Wann wird es unserem Sohn endlich besser gehen? Wann fängt ein neuer Lebensabschnitt für uns drei an? Schaffen wir es, bis dahin durchzuhalten?

Zwischen den Fragen machen sich bei mir manchmal Zukunftsängste und Horrorszenarien breit. Wie steht es um die Gesundheit unseres Sohnes, wenn er in den Kindergarten kommt? Wird er sich noch in die Hose machen, wenn er zur Schule geht? Gehört er zu den wenigen Betroffenen, bei denen Morbus Hirschsprung zur Inkontinenz führt? Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber es gibt sie. Genauso wie die Wahrscheinlichkeit, dass wenn mein Mann und ich uns für ein zweites Kind entscheiden würden, es dieselbe Krankheit hätte.

Narben, die bleiben

Ein Jahr nach der Geburt unseres Sohnes leiden wir immer noch. Wir leiden darunter, dass unser schutzbedürftiger Junge jeden Tag körperliche Qualen erleiden muss, die wir ihm nicht abnehmen können. Wir leiden darunter, dass unser Start ins Familienleben mit kräfteraubenden Klinikaufenthalten und Operationen verbunden war. Wir leiden darunter, dass unser Sohn nie die unbeschwerte Kindheit haben wird, die andere Kinder haben können.

Aber in all dem Leid sehen wir einen Jungen, der seine Schmerzen mit dem Moment vergisst, in dem sie aufhören. Der fröhlich ist, viel lacht und erzählt, schnell krabbeln gelernt hat und mittlerweile seine ersten Schritte geht. Der Alltag für uns ist und bleibt in der kommenden Zeit ein Kampf zwischen Leid und der Hoffnung, dass es eines Tages besser wird. Ich bin sicher, dass der Kampf sich lohnt – auch wenn Narben zurückbleiben werden. Und das werden sie – wie die zwei großen Narben am Bauch unseres Sohnes, hinter denen diese ganze Geschichte steckt.

Betroffene von Morbus Hirschsprung oder ähnlichen Krankheiten finden bei SoMA e. V. Hilfe: soma-ev.de.