Als beim knapp 18-jährigen Marius Skoliose diagnostiziert wird, ist seine Mutter zum Nichtstun verdammt

Marius ist fast volljährig, als bei ihm eine Krümmung der Wirbelsäule festgestellt wird. Die Entscheidung für oder gegen eine OP muss er eigenständig treffen. Für seine Mutter heißt das: loslassen.

Tag 1 nach der Operation meines 20-jährigen Sohnes: Ich stehe in der Intensivstation und sehe den erst wenige Stunden aus der Narkose zurückgeholten Marius. Es ist der Moment, den ich seit Monaten gefürchtet und doch auch herbeigewünscht habe, um die Anspannung des Ungewissen hinter mir lassen zu können. Marius’ Gesicht und Extremitäten sind geschwollen von Medikamenten. Er hat Schmerzen und hängt an Schläuchen und Geräten. Doch die mehr als siebenstündige OP ist der Beginn eines neuen Lebensabschnittes unseres Sohnes: ein harter, schmerzhafter Einschnitt, für den er sich selbst entscheiden musste.

Was ist Skoliose?

Gut zweieinhalb Jahre zuvor war bei Marius eine deutliche Skoliose festgestellt worden. Dabei handelt es sich um eine Wachstumsstörung, bei der sich die Wirbelsäule krümmt. Je nach Ausmaß dieser Fehlbildung können die inneren Organe in Mitleidenschaft gezogen werden. Zudem hat die Fehlhaltung Auswirkungen auf die gesamte Körperhaltung mit diversen Folgeproblemen. Marius stand bei Diagnosestellung kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag und seinem Abitur. Fachärzte rieten zur Operation.

Er muss sich selbst entscheiden

Ein Schock für uns als Eltern: Hätten wir nicht früher aufmerksam werden müssen auf diese Fehlentwicklung? Und natürlich erst recht ein Schock für unseren Sohn: Er hatte sich bisher „normal“ gefühlt und galt plötzlich als behandlungsbedürftig. Seine Wirbelsäule sollte in einer OP aufgerichtet und mit Titanstäben in dieser Form gehalten werden. Im Verlauf eines Jahres würden die Wirbel über die aufgerichtete Strecke hin verknöchern, also unbeweglich werden. Zu einer Entscheidung für die Operation konnte Marius sich zunächst nicht durchringen. Als Eltern drängten wir anfangs, verstanden aber mit der Zeit: Er muss sich entscheiden, er muss mit den Folgen leben, auch mit einem – im schlimmsten Fall – misslungenen Eingriff.

Gerade noch minderjährig, jetzt Patient

Die Situation war für uns alle neu: Marius war volljährig. Das hieß einerseits: Als Eltern haben wir weder das Recht noch die Pflicht, eine Entscheidung zu forcieren, geschweige denn sie zu treffen. Andererseits war Marius überfordert mit der Situation: Gerade noch war er ein minderjähriger Schüler. Jetzt war er zum Patienten geworden, der Entscheidungen über Arztbesuche treffen und lange Fragebögen zu seiner Gesundheit ausfüllen musste. Ich konnte diese für uns alle neue Situation im Lauf der Zeit auch als Entlastung sehen: Ich bin nicht verantwortlich für die Konsequenzen jener Entschlüsse, die er trifft. Ich kann und will meinem Sohn aber auf seinem Weg mit der Skoliose zur Seite stehen. Und ich kann um Weisheit und Beistand für uns Eltern und für unseren Sohn beten.

Ein Mensch mit Fehlern und Schwächen

Mein anfängliches Drängen auf eine OP hatte etwas damit zu tun, dass ich alles wieder richten wollte: mein Versagen, die Fehlbildung schon früher zu erkennen. Und den Schmerz, dass mein gesund geborenes und sich zunächst normal entwickelndes Kind scheinbar plötzlich unter einer gravierenden Fehlbildung litt.

Nach und nach versuchte ich, diese Entwicklung zu akzeptieren. Ja, bei anderen Jugendlichen wird eine Skoliose früher entdeckt, und sie haben so die Chance, sie durch Tragen einer Orthese zu therapieren. Ja, auch ein gesund geborenes Kind kann Behinderungen und Krankheiten entwickeln. Ich trage als Mutter einen Teil der Verantwortung für die Entwicklung. Ich bin aber auch „nur“ ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Mich in Schuldgefühlen zu vergraben, würde weder Marius noch mir helfen. Entscheidend war, was in der konkreten Situation zu tun war. Das hieß für mich und für meinen Mann: sich informieren, Marius beraten, Arzttermine ausmachen, zu den Terminen begleiten und den Ärzten Fragen stellen, die Marius nicht in den Sinn kamen.

Die Situation verschlimmert sich

Anfangs musste ich mich zur Gelassenheit zwingen, später konnte ich sie zu einem gewissen Grad finden. Ich sprach das Thema der OP nur gelegentlich an. Ich nahm Kontakt zu einer Skoliose-Selbsthilfegruppe auf. Meine dort gewonnenen Informationen wollte Marius für sich aber nicht annehmen. Erschreckend für uns war, dass sich innerhalb der zwei Jahre seit der ersten Röntgenaufnahme der Zustand seines Rückens noch einmal massiv verschlechtert hatte. Bei schlechterer Ausgangslage sind auch die Korrekturmöglichkeiten weniger optimal. Allerdings hatte Marius nun auch öfter Rückenschmerzen und war dadurch mehr motiviert, die OP in Angriff zu nehmen. Wieder kamen bei mir Schuldgefühle auf: Hätte ich, hätten wir ihn doch mehr drängen sollen?

Marius hat uns Eltern nie dafür verantwortlich gemacht, dass seine Skoliose erst so spät erkannt wurde. Er ist ein Pragmatiker, der seine Lebensaufgaben möglichst ressourcensparend angeht. Über Gefühle spricht er kaum, Schmerzen werden erst im Nachhinein erwähnt. So erfuhren wir zum Teil erst nach der Operation, wie eingeschränkt er zuvor war.

Mit Kummer in der Kirche

Im Sommer 2019 fiel schließlich der Entschluss zur OP. Im November sollte der Termin sein. Erneut war ich emotional sehr mitgenommen. Meine Gebete wurden sehr intensiv. Oft betrat ich im Vorbeigehen eine der Kirchen unserer Stadt, um meine Sorgen und Ängste vor Jesus zu bringen. Ich rang dabei um die rechte Haltung: Ich wollte und durfte Gott meinen Kummer, meine Ängste und Sehnsüchte vor die Füße legen. Zugleich aber wollte ich Gott nicht beschwören: „Du musst doch, wenn ich so bitte!“ – Nein, musste er nicht!

In den Händen des OP-Teams

Die Zeit bis zum Eingriff schien sich ewig hinzuziehen. Ich war nervös, schlief schlecht und wollte doch meinem Sohn eine Stütze sein. Dieser brauchte Hilfe, war deswegen aber auch genervt. Er, der doch seinen Kram sonst allein macht und kein Kind mehr ist, wird nun wieder mit allerlei Ratschlägen belästigt.

Schließlich mussten wir unseren Sohn in die Hände eines OP-Teams übergeben, wohl wissend, dass er letztlich in Gottes Hand liegt. Marius’ fast acht Stunden dauernder OP schloss sich eine Nacht in Narkose an. Die diensthabende Ärztin der Intensivstation sprach am späten Abend sehr empathisch zu uns: „Er ist noch in Narkose, es geht ihm gut, versuchen sie zu schlafen.“ Ich fand es sehr einfühlsam von ihr, uns damit die „Erlaubnis“ zum Schlafen zu geben: Wir konnten im Moment nichts für ihn tun, würden unsere Kräfte noch brauchen.

Schwere Tage

Marius verbrachte drei Tage auf der Intensivstation und eine Woche auf der Normalstation. Es war schwer für mich zu sehen, dass er Schmerzen hatte. Und es war schwer, das endgültige Ergebnis der OP wegen des langen Heilungsprozesses noch nicht wissen zu können.

Aber Marius hatte – mit Gottes Hilfe – diesen großen Eingriff hinter sich gebracht und wir mit ihm. Und nachdem wir uns erst nicht vorstellen konnten, wie er zu Hause zurechtkommen sollte, so eingeschränkt wie er war, erlebten wir es wie ein Wunder, als alle Drainagen und Infusionen und Katheter nach einigen Tagen entfernt worden waren, wie er – zwar mühevoll – allein zur Toilette ging und ein paar Schritte den Flur auf und ab gehen konnte. Am Tag der Entlassung schließlich brauchte er im Bad, beim Anziehen und Essen keine Hilfe mehr.

Corona wird zum Glücksfall

Zu Hause ging es langsam, aber stetig aufwärts. Marius schaffte es pragmatisch – wie es seine Art ist –, nach und nach von den schweren Schmerzmitteln loszukommen und den Alltag zu bewältigen. Die Nachuntersuchung nach drei Monaten verlief zufriedenstellend. Marius klinkte sich im Sommersemester wieder in das für ein Semester unterbrochene Studium der Verfahrenstechnik ein. Er gehörte zu den „Corona-Gewinnern“: Die Veranstaltungen fanden online statt, Marius konnte sie vom bequemen Stuhl am heimischen Schreibtisch aus verfolgen.

Ich bin dabei zu lernen, die Behinderung meines erwachsenen Sohnes endgültig in seine Verantwortung zu übergeben. Und zu respektieren, dass er mit Erfahrungen anders umgeht als ich. Wo ich reflektiere, schreibe, Lehren zu ziehen versuche, sagt er, auf möglicherweise gewonnene Erfahrungsschätze aus dem Krankenhausaufenthalt angesprochen: „Das war ’ne Scheißzeit, was soll ich da viel drüber nachdenken.“

Keine „Skoliose-Mutter“

Und so erlebe ich nach wie vor die Unsicherheit darüber, was dieser Sohn von mir braucht. Wahrscheinlich bräuchte er so manches, aber ich bin oft nicht (mehr) die, die es ihm geben kann. Er ist erwachsen und muss auch hier seinen Weg gehen und gegebenenfalls Wegbegleiter finden. Nach der Corona-Zeit will ich die Skoliose-Selbsthilfegruppe noch einmal besuchen, um von unseren OP-Erfahrungen zu berichten. Das werde ich gern tun, mich dann aber dort verabschieden. Mein Sohn ist erwachsen, er braucht keine „Skoliose-Mutter“, die seine Gesundheit zu ihrem Problem macht. Aber eine Mutter, die für ihn betet und ihm – wo nötig – zuhört, möchte ich ihm noch lange sein.

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Wie erkläre ich meinem Kind, dass es nicht mit Fremden mitgehen darf? 6 Regeln helfen

Kinder im Vorschulalter sollten wissen, dass nicht jeder Mensch Gutes im Sinn hat. Wie können Eltern ihnen das beibringen? Familienberaterin Daniela Albert weiß Rat.

„Ich will, dass meine Tochter (4) versteht, dass nicht alle Menschen nett sind und man bei Fremden vorsichtig sein soll. Ich möchte ihr aber auch keine Angst machen oder ihr Vertrauen in andere Menschen zerstören. Ab wann und wie kann ich sie aufklären?“

Vorweg sei gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihrem Kind auf diese Art Leid zugefügt wird, ist sehr gering, doch durch die Präsenz solcher Themen in den Medien haben wir einen anderen Eindruck.

Dennoch ist es richtig, das Augenmerk auch auf Fremde und von ihnen ausgehende Gefahren zu legen. Wichtig ist, nicht von „bösen Menschen“ zu sprechen, da Kindesentführer meistens ziemlich nett und freundlich sind und Kinder zum Beispiel mit netten Versprechungen locken. Sprechen Sie von Menschen, die etwas Böses tun wollen.

Ab wann spreche ich mit meinem Kind über Missbrauch?

Ihre Tochter ist noch sehr jung und ich vermute, dass sie sich noch nicht wirklich weit von Erwachsenen entfernt, die ihr vertraut sind. Ein solches Gespräch könnte sie im Moment noch mehr verstören, als es hilft. Das ändert sich etwa im Vorschulalter. Dann ist es gut, sie langsam damit zu konfrontieren, dass es draußen in der Welt auch Gefahren gibt. Sie können Bilderbücher zu diesem Thema vorlesen und anregen, dass es auch im Kindergarten besprochen wird.

Wenn Sie mit Ihrer Tochter unterwegs sind, können Sie Menschen beobachten und ihr zeigen, wer zwar fremd ist, aber trotzdem angesprochen werden darf. Denn es kann ja für unsere Kinder auch wichtig sein, sich an für sie fremde Erwachsene zu wenden. Meine Kinder wissen, dass sie in jeden Laden, der zwischen ihrer Schule und ihrem Zuhause liegt, gehen können, um nach Hilfe zu fragen. Auch die Polizei oder die Feuerwehr sind vertrauenswürdig.

Diese Regeln können helfen

Zusätzlich helfen diese sechs Verhaltensregeln, dem Kind Sicherheit zu geben:

  • Nur vorher festgelegte Personen dürfen Ihre Tochter abholen. Mit jemandem, auf den das nicht zutrifft, geht sie nicht mit. Auch nicht mit ihr bekannten Menschen.
  • Manche Eltern vereinbaren hier ein Codewort mit ihren Kindern, falls es kurzfristig wirklich dazu kommt, dass jemand anderes es abholen muss. Kennt er dieses Wort, darf er das Kind mitnehmen. Wenn nicht, haben ihn nicht die Eltern geschickt.
  • Wenn Erwachsene Ihr Kind nach Hilfe fragen, immer andere Erwachsene holen und niemals mitgehen, um selbst zu helfen.
  • Fremde immer mit Sie anreden und dabei so laut sprechen, dass Umstehende es hören.
  • Wenn das Kind angesprochen wird, immer ans andere Ende des Gehweges gehen, also weit weg vom Auto und niemals einsteigen.
  • Egal, ob nach der Schule oder dem Besuch bei Freunden – das Kind muss hinterher auf direktem Weg nach Hause kommen. Wenn es noch etwas anderes unternehmen möchte, muss es um Erlaubnis fragen.

Doch genauso wie die festen Regeln helfen, ist es wichtig, dass Ihr Kind daheim liebevoll aufgenommen wird, wenn es einmal nicht geschafft hat, sich daran zu halten. Schließlich wollen Sie ja, dass es zu Ihnen kommt und sich Ihnen anvertraut, falls wirklich mal etwas schiefgelaufen ist. Strafen Sie Ihre Tochter in so einem Fall nicht, sondern erinnern Sie noch einmal eindrücklich daran, warum Ihnen diese Punkte wichtig sind.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin, Eltern- und Familienberaterin und lebt mit ihrer Familie bei Kassel (eltern-familie.de). 

Homeschooling: Jetzt machen die Öffentlich-Rechtlichen Bildungsfernsehen – aber gucken die Schüler das überhaupt?

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ihr Bildungsprogramm erweitert, um Familien während der Schulschließungen zu unterstützen. Dabei machen sie jedoch einen entscheidenden Fehler.

Seit Montag (11. Januar) bieten ARD und ZDF ein erweitertes Fernsehprogramm an. Der Bildungskanal ARD-alpha sendet zum Beispiel wochentags von 9- 12 Uhr das Programm „Schule daheim“, der Kinderkanal KiKa reagiert mit einer Sonderprogrammierung, das ZDF erweitert sein Angebot »Terra X plus Schule« in der Mediathek und auf YouTube. Doch erreichen die Sendungen die Zielgruppe?

Simon ist 16 Jahre alt und geht in die zehnte Klasse einer privaten Gesamtschule. Über die Frage, wann er sich das letzte Mal eine öffentlich-rechtliche Informationssendung angeschaut hat, muss er länger nachdenken. „Bei Terra X habe ich schon öfter mal reingeguckt, wenn ich irgendwelche Fragen zum Unterricht habe. Das ist aber extrem selten“, sagt er dann. Den Fernseher schaltet er eigentlich nur an, wenn er Sportsendungen schauen möchte. Dass für ihn extra das Bildungsprogramm im Fernsehen erweitert wurde, interessiert ihn relativ wenig. Und selbst bei Interesse könnte er es gar nicht gucken, da er vormittags Videokonferenzen hat und für die Schule ansprechbar sein muss.

Klassisches Fernsehen kann sinnvoll sein

Gibt es also überhaupt Kinder oder Jugendliche, die von einem erweiterten linearen Bildungsfernsehen profitieren? „Ja“, sagt Markus Sindermann, Geschäftsführer der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW: „Auch im Jahr 2021 gibt es noch Haushalte, die über keinen oder lediglich über einen eingeschränkten Internetzugang verfügen.“ Zudem könne es an technischen Geräten fehlen, wenn es zum Beispiel nur einen Laptop im Haushalt gebe, aber mehrere schulpflichtige Kinder und Eltern, die parallel im Homeoffice arbeiten müssten. „Die Nutzungszahlen sprechen dafür, dass die linearen Angebote genutzt werden“, sagt auch die Medienwissenschaftlerin Maya Götz. Gerade Kinder und Preteens profitierten davon, denn auch im zweiten Lockdown könnten viele Schulen besonders für die Jüngeren nicht genügend Angebote auf die Beine stellen.

Wirklich gut nutzen lässt sich das klassische Fernsehprogramm allerdings nur, wenn es pädagogisch begleitet wird. Indem Eltern oder Lehrerende zum Beispiel einzelne Sendungen auswählen, die zur individuellen Lernsituation des Kindes passen. „Insbesondere bei jüngeren Kindern ist eine Begleitung durch einen Elternteil wichtig, damit über die gezeigten Inhalte gesprochen werden kann“, erklärt Markus Sindermann. Damit das Fernsehprogramm auch einen langfristigen Lerneffekt hat, sollten die Formate im Idealfall zum Mit- oder Nachmachen aufrufen.

Jugendliche nutzen vor allem Online-Videos

Je älter die Kinder werden, desto uninteressanter wird das lineare Bildungs-Fernsehen allerdings für sie. „Bei den Älteren […] wird es schon kniffeliger. Denn für den Unterricht sind die Angebote dann sinnvoll, wenn sie den ganz konkreten Lernstoff betreffen“, sagt Maya Götz. Die Chancen, dass ein Schüler in drei Stunden „Schule daheim“ den passenden Input für das anstehende Deutschreferat oder den nächsten Englisch-Test bekommt, sind jedoch verschwindend gering.

In einem der seltenen Fälle, in denen Simon Terra X guckt, schaut er es nicht im Fernsehen, sondern auf YouTube. Das Videoportal nutzt er auch, wenn er etwas für die Schule recherchieren muss. Geschichtliche Fragen lässt er sich gerne von MrWissen2go erklären, bei Problemen in Mathe schaut er sich ein Video vom YouTuber Lehrerschmidt an. Auch die Eltern von jüngeren Kindern erzählen, dass ihre Kinder vor allem auf Online-Videos zurückgreifen, wenn sie öffentlich-rechtliche Formate wie Checker Tobi oder Anna und die wilden Tiere nutzen. Umso wichtiger also, dass die Inhalte des Fernsehprogramms auch online verfügbar und gut über Suchmaschinen auffindbar sind. So kann das Wissen dann abgerufen werden, wenn es benötigt wird.

Angebote sind kaum zu finden

Zwar bauen die öffentlichen Fernsehsender ihre Online-Angebote gerade aus, aber leider wird einem die Suche nicht immer leicht gemacht. Jede Bundesanstalt hat eigene Angebote. Die meisten sind nach Themen sortiert, allerdings nur grob nach Alter. Wer gezielt nach Videos für den Matheunterricht in der 7. Klasse sucht, wird hier wahrscheinlich nicht fündig. Am übersichtlichsten strukturiert ist da noch das Lernangebot der BR-Mediathek „Schule Daheim“. Und leider ist auch die Auffindbarkeit durch die Suchmaschinen noch nicht optimal, berichtet Maya Götz: „Hier sind die Wissensinfluencer*innen und kommerziellen Anbieter den öffentlich-rechtlichen Anbietern in Sachen Suchmaschinenoptimierung zurzeit etwas voraus, sodass deren Angebote schneller gefunden werden.“

Grundsätzlich ist der Ausbau der Bildungsangebote von ARD und ZDF, vor allem der ihrer Online-Mediatheken, ein tolles Angebot mit viel Potential – auch für die Zeit nach Corona. Simon lernt gerne mit Videos: „Videos gucken ist tatsächlich oft einfacher. Wenn ich nach acht Stunden aus der Schule komme, dann hab ich nicht mehr Bock, zuhause auch noch zu lesen.“ Jetzt müssen diese Angebote nur noch besser gefunden werden.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

Eine Übersicht zu allen Bildungsprogrammen der ARD gibt es auf einer extra Seite.

Veronika hält nichts von Minimalismus-Star Marie Kondo – und bewahrt sogar einen Plastikbecher auf

Mutter Veronika Smoor ist ein Fan des Ausmistens. Mit zu starren Wegschmeißregeln kann sie allerdings nichts anfangen.

Ich halte rosa Pumps mit lächerlich schmalen und hohen Absätzen in der Hand. Sie sind hoffnungslos aus der Mode. Vor 15 Jahren trug ich sie an meinen Füßen während unserer standesamtlichen Trauung. Und seitdem habe ich sie nie mehr getragen. Alle Kratzer am Absatz stammen von dem Kopfsteinpflaster vor dem Bamberger Rathaus, als Freunde Luftballons in den Himmel steigen ließen und ich fünf Minuten zuvor zum ersten Mal in meinem Leben hinter meinen Vornamen den Nachnamen meines Geliebten setzte.

Wir sehnen uns nach dem Weniger

Die Pumps stehen in meinem Kleiderschrank neben drei weiteren Paar High Heels, die ich wohl lange nicht mehr anziehen werde angesichts einer Pandemie, die mir das Ausgehen verleidet hat. Fast wären die rosa Treter in der Altkleidersammlung gelandet, vor fünf Jahren, als ich „Magic Cleaning“ von Marie Kondo las – der gehypte Aufräumratgeber des neuen Jahrtausends. Der weltweite Bestseller hängte sich an den Minimalismus-Trend, der schon einige Jahre zuvor an Momentum gewonnen hatte: die Sehnsucht unserer westlichen übersättigten Gesellschaft nach weniger, mitten im Konsumkollaps. Nach lichtdurchfluteten Wohnungen, eingerichtet mit schnörkellosen Mid-Century-Stücken aus Pinienholz, skandinavischem Understatement und einer einsamen, keramik-ummantelten Topfpflanze in der Ecke. Nirgendwo Papierkram oder Werbekugelschreiber oder halbfertige Bastelarbeiten oder zerlesene Bücherstapel.

Marie Kondo ist mit Kindern kaum anwendbar

Ich erhoffte mir Erleuchtung seitens der Lektüre, so wie wir alle die ultimative Offenbarung beim Griff nach dem nächsten angesagten Selbsthilfe-Buch erwarten. Aber sie blieb aus. Irgendwo zwischen meinem 38. und 42. Lebensjahr war ich der Appelle, mein Leben zu ändern, müde geworden. Ich identifizierte mich mit den Grundaspekten des Minimalismus, aber Marie Kondos Aufräumgesetze in einem Alltag mit Kindern waren praktisch kaum anwendbar. Laut ihrer Methode mistet man über einen Zeitraum von sechs Monaten nach Kategorien aus. Man nimmt jeden Gegenstand in die Hand und fragt sich: Bringt mir dieser Freude? Wenn die Antwort Nein lautet: weg damit. Jeder Gegenstand bekommt seinen festen Platz. Kleidungsstücke werden nach der KonMari-Methode gefaltet. Alles, „was man irgendwann nochmal brauchen könnte“, wird ebenfalls ausgemustert. Soweit der grobe Überblick. Wenn du dich an all diese Punkte hältst, musst du nie mehr ausmisten, so lautet das Versprechen des Buches. Bei dieser gewagten Aussage legte ich das Buch zur Seite, ärgerte mich drei Tage lang und verschenkte es dann an eine Freundin.

Das Leben ändert sich nunmal

Das Leben besitzt nun mal die lästige Eigenschaft, dass es sich ändert. Das, was wir vor fünf Jahren brauchten, steht heute nutzlos in der Ecke. Wie zum Beispiel der Windeleimer. Oder 93 Duplosteine. Oder Autokindersitze. Und das, was wir heute benötigen, werde ich ebenfalls in einigen Jahren wieder aussortieren: Schulrucksäcke, Turnbeutel, Wörterbücher und selbstgebaute Schleichpferde-Bauernhöfe. Die T-Shirts meines Mannes halten nicht ewig, genauso wenig wie meine BHs – ja, auch wenn wir qualitativ hochwertig einkaufen. Der Vorschlaghammer steht an 364 Tagen des Jahres ungenutzt im Keller, aber im Juni hole ich ihn raus, um Tomatenpflöcke in den Boden zu rammen. Es passierte mir, dass ich im Eifer des Gefechts meine „Flotte Lotte“ ausmusterte und drei Tage später dringend gekochte Himbeeren passieren musste. Mein Mann kann ein Lied von verschwundenen Kabeln und Ordnern und Schraubenziehern und Levi’s Jeans singen.

Ein Plastikbecher als Erinnerung

Viele Dinge in unserem Haushalt entfachen keine ekstatischen Freudefunken, manche benötige ich nur alle Schaltjahre. Wie zum Beispiel die drei Schränke, in denen ich unser Archiv angelegt habe. Darin sind Dinge enthalten, die laut Marie Kondo entsorgt werden müssten: Glückwunschkarten, Tagebücher von anno dazumal, Dias, Jahrbücher, Foto-Negative. Ich bin eine Bewahrerin und Geschichtensucherin, und dieses anti-minimalistische Archiv ist eine Quelle sinnloser Freuden. Erst vorgestern erzählte ich am Abendbrottisch von meinem verrückten Lateinlehrer, der einst Mäusegedichte schrieb und diese zusammen mit Schnappschüssen von Schülerinnen im Eigenverlag veröffentlichte. Ich musste nur fünf Schritte gehen, den Schrank öffnen, ein bisschen wühlen und meinen ungläubigen Kindern das Beweisstück liefern. Und wenn sie mich nach dem staubigen Plastikbecher neben den Tagebüchern fragen? Ha! Daraus hat Sting auf einem Flug von Florenz nach Paris sein stilles Wasser getrunken, als ich ihn damals bediente. Ich hebe ihn auf (den Becher, nicht Sting). Gegen jeden Protest meines Mannes und trotz der Frage meiner Kinder: Wer ist Sting?

Ich glaube, wir müssen uns bei den Dingen, die wir behalten wollen, fragen: Erzählen sie uns gute Geschichten? So wie avantgardistische Mäusegedichtbände und rosa Hochzeitspumps. Es ist eine fast schon unbarmherzige Haltung, so finde ich, Dinge auszumisten, die nicht ständig von Nutzen und Freude sind. Wenn wir den Gedanken konsequent weiterspinnen, enden wir beim Menschen. Und was machen wir mit den Menschen in unserem Leben, die uns nicht nützen?

Die Frage nach dem Ausmisten ist auch eine nach Konsum

Wenn du mich kennst, dann weißt du, dass ich ein Fan des Ausmistens bin. Aber ich pflege die pragmatisch-realistische Haltung, dass Ausmisten ein andauernder Prozess ist. In diesem Herbst wirst du mich auf meinem Hofflohmarkt finden, auf dem ich Duplosteine und unnütze Stilettos und Autokindersitze und selbstgebackene Zimtschnecken anpreise. Sind wir ehrlich: Die Tipps des milliardenschweren Marie-Kondo-Unternehmens, das in seinem Webshop Dinge wie gefilzte Ananas-Buchstützen und Ordnungsboxen verkauft, entzaubern sich bei näherer Betrachtung als gesunder Menschenverstand.

Auch ohne den Erwerb von Aufräumratgebern wissen wir instinktiv, wie wir unseren Besitz ordnen und minimieren können. Und zum gesunden Menschenverstand gehört noch mehr. Wenn wir ihn anwenden wollen, dann müssen wir uns noch vor allen Ausmist-Methoden nach unserem Konsumverhalten fragen. Alles, was wir nicht ins Haus tragen, müssen wir auch nicht mehr hinaustragen. Und glaubt mir, ich lerne diese Lektion immer noch. Der Spontankauf der niedlichen Bambus-Kaffee-Thermobecher? Hab ich bereut, da sich jene als gesundheitsschädlich erwiesen.

Kataloge kommen ungesehen in die Papiertonne

Zu Beginn des Jahres überprüfte ich mein Online-Einkaufsverhalten. Ich ging die letzten Jahre durch und war schockiert, welche Einkäufe eigentlich völlig unnötig waren. Ich setzte mir zum Ziel, meine Online-Einkäufe um zwei Drittel zu reduzieren und bisher läuft das prima. Mir hilft mein Leitsatz: Brauche ich oder möchte ich das? Um es mir einfacher zu machen, lasse ich alle Werbeprospekte und Kataloge ungesehen in die Papiertonne wandern und streiche Stadtbummel von der Liste meiner Freizeitaktivitäten.

Am Ende ist doch immer alles eine Frage der gesunden Balance jenseits vom hysterischen Ausmist-Zeitgeist. Von den einst 30 Paar Schuhen, die ich mal besaß, sind 7 Paar übriggeblieben. Plus ein paar rosa Pumps, die mir eine richtig gute Geschichte erzählen von einem Tag im Mai 2005, als ich mit diesen über das Kopfsteinpflaster stöckelte, die eine Hand hielt die meines Mannes, die andere den Brautstrauß. Der liegt übrigens getrocknet auf unserem Kleiderschrank. Staubig und grau. Demnächst miste ich ihn aus.

Veronika Smoor aus Obersulm ist Autorin, Referentin und zweifache Mutter. Sie bloggt unter veronikasmoor.com – ein Treffpunkt für alle, die sich nach greifbarer Alltagsspiritualität sehnen.

Plötzlicher Kindstod: Was tun, wenn die Sorge ums Baby zu groß wird?

Angst um das eigene Kind ist vollkommen normal, sagt Hebamme Martina Parrish. Doch ab einem gewissen Punkt sollten Mütter reagieren.

„Seit meiner Schwangerschaft, aber besonders seit mein Baby auf der Welt ist, habe ich ständig Angst, dass es stirbt – am plötzlichen Kindstod zum Beispiel oder bei einem Unfall. Ist das normal? Und wie gehe ich mit der Angst um?“

Oh, wie gut kann ich mich an diese Zeit erinnern: die ersten Monate mit dem ersten Kind – eine ganz besondere Zeit im Leben. Zum einen spürt man die absolute Faszination für das Wesen, das im eigenen Körper gewachsen ist, und das Staunen über die Perfektion dieses kleinen Menschleins. Zum anderen gibt es enorm viele Fragen, Herausforderungen, Unsicherheiten und eben auch Ängste.

Alles wird zur potenziellen Gefahr

Oft werden alltägliche Dinge zu gefühlten Bedrohungen: stark parfümierte Besucher, die mein Kind auf den Arm nehmen wollen, eine laute Umgebung und erst recht der erste Schnupfen. Alles bekommt eine intensive Bedeutung und wird aus dem Blickwinkel heraus betrachtet, was die jeweilige Situation für mein Kind bedeutet und inwiefern es ihm schaden könnte. Wenn sich dann sogar der plötzliche Kindstod oder eventuell auftretende Unfälle in die Gedanken der jungen Mutter schleichen, dann kann das so manche von ihnen kaum aushalten und es entwickeln sich echte Ängste.

Wenn die Ängste zu stark werden

Viele Eltern kennen diese Ängste und bis zu einem gewissen Grad halte ich sie für normal. Die Verantwortung für ein so kleines Lebewesen zu tragen, ist eine große Herausforderung. Und gerade beim ersten Kind weiß man vieles noch nicht und ist in vielen Fragen entsprechend unsicher. Wenn diese Ängste mich jedoch in meinem Alltag zu sehr einschränken, lähmen und mir die Freude am unbeschwerten Umgang mit meinem Kind nehmen, dann ist es an der Zeit, sich mit diesen Ängsten intensiver auseinanderzusetzen und zu fragen, woher sie kommen.

Oft ist es in solchen Situationen hilfreich, sich Unterstützung zu suchen, zum Beispiel bei der Wochenbetthebamme oder der behandelnden Frauenärztin. Sprechen Sie offen über Ihre Gefühle und haben Sie keine Hemmungen, die Situation so zu schildern, wie Sie sie empfinden. Eine andere Möglichkeit wäre es, sich mit dem Verein „Schatten und Licht“ in Verbindung zu setzen, der sich auf psychische Probleme rund um die Geburt spezialisiert hat.

Mit anderen Müttern sprechen

Manchen Müttern hilft auch ein einfacher Realitätscheck: Wie häufig passiert das, wovor ich mich fürchte? Und was sind die häufigsten Auslöser? Was kann ich also durch einen aufmerksamen Umgang mit meinem Kind vermeiden?

Für viele Mütter ist auch das Gespräch mit Frauen in der gleichen Lebenssituation das, was ihnen aus dem Grübeln und ihren Ängsten hinaushilft. Gehen Sie mit Müttern aus Ihrem Rückbildungskurs oder Krabbelkurs gemeinsam spazieren oder eine Tasse Kaffee trinken und tauschen sich über dieses neue Universum „Muttersein“ aus. Sie werden staunen, wie viele Frauen ähnlich empfinden wie Sie.

Martina Parrish ist Hebamme, Stillberaterin, Mutter, dreifache Oma und lebt in Berlin.

„Habt Orgasmen!“ Mutter fordert von Frauen mehr Selbstbewusstsein beim Sex

Nur 44 Prozent aller Frauen erkennen auf Fotos ihre eigene Vagina. Das muss sich ändern, findet Priska Lachmann. 

„Ich bräuchte eigentlich gar keinen Sex mehr. Ich bin abends viel zu müde dafür“, „Er fasst mich die ganze Zeit an, wenn er mehr von mir will, das setzt mich unter Druck“, „Ich vermisse Sex furchtbar, ich habe das Gefühl, mein Mann sieht mich gar nicht mehr als Frau“, „Jedes Mal, wenn wir Sex haben, habe ich eigentlich gar keine wirkliche Lust dazu“, „Seit der Geburt meines Kindes möchte ich nicht mehr berührt werden“, „Ich fühle mich so unwohl in meinem Körper, dass ich überhaupt nicht in Stimmung komme“ – diese Liste könnte man ewig fort­setzten. Habt ihr euch in einer der Aussagen wiederfinden können?

Sex nach Schwangerschaft ist kompliziert

Das Thema Sex ist in den meisten Fällen kein unbelastetes und nicht selten mit seelischen Schmerzen verbunden. Oftmals reden wir deshalb entweder gar nicht darüber oder aber viel zu viel, jedoch ohne dabei wirklich in die Tiefe zu gehen. Den Fall, dass wir unser Sexleben als unkompliziert empfinden, es frei genießen und völlig zufrieden damit sind, gibt es zwar, aber leider nur selten. Nach einer Geburt fühlt sich das erste Mal Sex wie beim allerersten Mal an. Gerade, wenn es Geburtsverletzungen gab, fühlt man sich verwundet. „Hoffentlich tut es nicht zu sehr weh!“, denkt man dann und ist viel zu vorsichtig und ängstlich, um es genießen zu können. Vielleicht muss man nach einer längeren Pause, bedingt durch die Schwanger­schaft, die Intimität mit dem Partner tatsächlich erst wieder neu erlernen. Wenn alter, seelischer Schmerz zu diesem Thema hin­zukommt, seien es Verletzungen aus der Vergangenheit, zu hohe Erwartungen an den Partner oder unerfüllte Wünsche, die nicht ausgesprochen wurden und dann über Jahre hinweg zu einer emotionalen Distanz geführt haben, wird es zusätzlich schwierig. Vor allem, wenn man nicht gemeinsam daran arbeitet.

Lust ist erlernbar

Vielleicht fühlt ihr euch auch nicht (mehr) wohl in eurem Körper nach eurer Schwangerschaft, schämt euch und habt das Gefühl, nicht mehr begehrenswert zu sein. Oder vielleicht gehört ihr zu den Frauen, die das Gefühl haben, dass ihr Mann sie nicht mehr wirklich als Frau sieht, und ihr sehnt euch nach Wertschätzung, Aufmerk­samkeit und liebevollen Komplimenten, aber euer Mann scheint innerlich meilenweit von euch entfernt zu sein? Die Sexualtherapeutin Veronika Schmidt spricht auf ihrem Blog „liebesbegehren“ und in ihren Büchern „Alltags­lust“ und „Liebeslust“ genau über dieses Thema. Sie ist der Überzeugung, dass fehlende Lust zwar manchmal hormonell bedingt sein kann, doch viel häufiger sei fehlende Lust etwas, wogegen man aktiv etwas tun könne – denn Lust sei erlernbar!

Frauen verneinen oft ihre Sexualität

Sex bedeutet nicht nur Stressabbau, ausgelöst durch Or­gasmen, und dadurch die Förderung unserer körperlichen und mentalen Gesundheit, sondern vor allem eben auch: Nähe. Zärtlichkeit. Wärme. Aufmerksamkeit. Sex erschafft das Gefühl von Einheit und Verbundenheit und ist deshalb essentiell für eine Liebesbeziehung. Ich komme aus einem konservativ christlichen Eltern­haus und habe es geschafft, nicht mal zu wissen, wohin ich meinen Tampon stecken musste, als ich 14 Jahre alt war. Frauen neigen oft dazu, die eigene Sexualität zu ver­neinen. Es gibt eine Studie, bei der 1.000 Frauen Fotos von ihrer Vagina gezeigt wurden. Nur 44 Prozent konnten ihre eigene Vagina erkennen und nur 60 Prozent die Vulva identifizieren. Habt ihr euch eure Vagina schon mal mit einem Spiegel an­geschaut? Sie ist ein Teil von uns, ein sehr wichtiger sogar, deshalb sollten wir uns nicht für sie schämen.

Nur Sex, damit der Mann keine Pornos schaut?

Wenn wir als Frauen unsere eigene Sexualität verneinen, wenn wir uns nicht mal schamlos im Spiegel anschauen und bejahen können, ohne all die tollen, scheinbar perfekten Werbemodels im Kopf zu haben, wie sollen wir dann eine erfüllte Sexualität haben? Kann es sein, dass wir selbst so unzufrieden mit uns sind und uns selbst nur noch so wenig als Frau und so sehr als Mutter fühlen, dass wir uns vernachlässigen und uns nicht mal mehr nette Unterwäsche kaufen? Und kann es sein, dass wir vielleicht so verletzt und sexuell unerfüllt sind, dass wir das nicht mal unseren Männern kommunizieren können und lieber nur mit uns selbst ausmachen? Oder kann es sein, dass wir uns nicht trauen, unsere unerfüllten Sehnsüchte anzusprechen, weil wir – vielleicht auch nur unterbewusst – der Lüge glauben, dass es beim Sex ohnehin nur um die Bedürfnisbefriedigung der Männer geht? Aber sollten Frauen tatsächlich nur Sex haben, damit ihr angetrauter Mann keine Pornos schaut oder ihnen fremd­geht? Frauen sollten doch ebenfalls Freude an Sex haben, und vor allem: Lust dabei empfinden.

Sex braucht Zeit

Nein, mit dem Mann zu schlafen ohne Lust darauf zu haben, ist für keinen Betei­ligten erfüllend. Wie also entfachen wir unsere Lust wieder neu? Veronika Schmidt spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kultur der Verführung“, die wir (wieder) erlernen müssen. Wenn wir nach einem anstrengenden Tag bis 23 Uhr online sind, wenn wir nicht mal am Wochenende, wenn die Kinder schon schlafen, zusammen ins Bett gehen und stattdessen vorm Fernseher auf der Couch versacken, dann werden wir wohl nie Sex haben. Denn Sex braucht Zeit. Freizeit. Wir brauchen eine Kultur des Verführens und ein Einplanen von festen Zeiten, in denen wir diese Kultur ausleben können. Denn wenn man nie Sex hat, ver­liert man auch die Übung darin – und vergisst, wie auf­regend und schön es sein kann. Die meisten Frauen brauchen vor allem zwei Sachen, damit sie Lust entfachen können.

Plant die Zweisamkeit

Erstens: Vorlaufzeit. Frauen können nicht von jetzt auf gleich Sex haben, wenn sie noch die Schulbrote schmieren, die Schuhe putzen und der Freundin eine WhatsApp­Nachricht schreiben wollen. Sie könnten aber Lust ent­wickeln, wenn sie sich schon morgens emotional darauf vorbereiten können. Wir können dann schöne Unter­wäsche anziehen und dem Mann schon tagsüber eine verführerische Nachricht schicken. Später packt er dann selbstverständlich im Haushalt mit an. Er schmiert die Schulbrote und arbeitet Hand in Hand mit seiner Frau, damit sie später nicht halbtot ins Bett fällt und eigentlich nur noch schlafen will.

Entdeckt euch!

Zweitens:  Selbstannahme. Liebt euch selbst. Entdeckt euch. Lernt kennen, was euch guttut, was euch Freude macht. Und kommuniziert das, wenn euer Partner nicht selbst da­rauf kommt. Vergleicht euch nicht. Auch nicht mit den eventuell vorhandenen früheren Sexualpartnerinnen eures Mannes oder mit euren eigenen früheren Se­xualpartnern. Das ist Vergangenheit und gehört nicht ins gemeinsame Bett. Habt Spaß und seid frei. Und bitte, habt Or­gasmen. Sagt nicht „Ist schon okay, ich brauche keinen Orgasmus.“ Es ist nicht okay. Orgasmen sind wichtig, allein schon für die Gesundheit, vor allem aber für eure Lust. Wenn ihr bisher keine Orgasmen hattet, dann ver­sucht mit eurem Partner herauszufinden, wie ihr welche bekommen könnt. Es macht unendlich viel Spaß.

Dieser Artikel ist zuerst in dem Buch „Mama. Frau. Königstochter“ (Gerth Medien) erschienen. Autorin Priska Lachmann ist selbst dreifache Mama, Theologin und freie Redakteurin.

Weihnachten ohne Kinder – Die Feiertage zu zweit müssen nicht einsam sein

Wenn die Kinder erwachsen werden, ändert sich auch Heiligabend. Aber daraus kann etwas Neues entstehen.

„Unsere Kinder feiern dieses Jahr zum ersten Mal Weihnachten nicht mit uns. Unsere Tochter ist im Ausland, und unser Sohn feiert das Fest mit der Familie seiner Frau. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf die Weihnachtstage freue. Wie komme ich damit zurecht?“

Es weihnachtet: Plätzchen backen, Weihnachtsbaum schmücken, Weihnachtsessen planen und die Vorfreude auf fröhliche Gesichter – so kennen und lieben wir das Weihnachtsfest; besonders den Heiligen Abend. Aber die Kinder werden flügge, haben das Elternhaus verlassen, und plötzlich sitzt man mit dem Ehepartner allein unter dem Weihnachtsbaum.

Bloße Erinnerungen sind ein Garant für inhaltsleere Weihnachten

Uns übermannt eine gewisse Trostlosigkeit, und selbst der alljährliche Weihnachtsstress ist auf einmal erstrebenswerter, als nur ein Essen zu zweit zu planen. Doch wenn wir jetzt in diesen Erinnerungen haften bleiben oder ein gelungenes Weihnachtsfest nur von den Kindern abhängig machen, ist dies eine Garantie für einen traurigen und inhaltsleeren Weihnachtsabend. So möchten wir jedoch nicht das „schönste Fest des Jahres“ verbringen! „Plötzlich zu zweit“ bietet die Perspektive, Weihnachten neu zu entdecken und zu erleben.

Vielleicht laden wir Freunde ein, denen es ebenso geht wie uns, und gestalten ein Weihnachtsdinner mit allem Drum und Dran: ein tolles Essen, zu dem jeder etwas beiträgt. Oder man entschließt sich, die Zweisamkeit an diesen Feiertagen besonders zu genießen: Der Wecker bleibt aus, das Abendessen wird vorgekocht, man liest endlich wieder ausgiebig Zeitung oder die ungelesenen Bücher und verbringt einen Pyjama-Tag, an dem Weihnachten abseits von großartigem Essen und Abendkleidung zelebriert wird.

Raum für neue Traditionen

Weihnachten hat viele Aspekte – auch ohne Kinder, ohne liebgewonnene Traditionen. Letztlich ist jedes Weihnachtsfest auch die Chance, sich vielleicht ganz neu bewusst zu machen, wen und was wir feiern, und darauf den Fokus zu setzen. Und vielleicht wird uns dann auch deutlich, dass – wenn sich unsere Leben ändern – neue Traditionen entstehen können, die das Weihnachtsfest anders gestalten, aber nicht schlechter.

Ute Sinn ist verheiratet mit Martin, hat drei erwachsene Kinder und lebt und arbeitet als Seelsorgerin und Künstlerin in Wetter/Ruhr.

Paartherapeut: Schon zehn Minuten pro Tag helfen der Beziehung

Im Alltagsstress bleibt oft keine Zeit für viel Zweisamkeit. Aber Paartherapeut Jörg Berger ist überzeugt: Es reichen auch die kleinen Gewohnheiten.

Drei Megatrends lenken uns von dem ab, was unsere Liebe aufbaut. Wir haben uns an sie gewöhnt und doch beeinflussen sie unser Leben:

Gestiegene Anforderungen. Manchmal führe ich mir vor Augen, was meine Eltern leisten mussten, um gegenüber der Schule und dem Sportverein als „gute Eltern“ dazustehen. Ich würde sagen, meine Frau und ich müssten heute das Dreifache leisten, um die Erwartungen in gleicher Weise zu erfüllen. Ich werde neidisch, wenn ich höre, wie ältere Kollegen vor 30 Jahren gearbeitet haben, und höre ähnliche Geschichten von Menschen in anderen Berufen. Natürlich ist heute auch vieles besser. Gleichzeitig führen wir unser Leben in einem Tempo, für das wir nicht geschaffen sind.

Höhere Ansprüche. Produkte und Erlebnisse treffen heute jeden Geschmack. Noch mehr als die Produktpalette hat sich aber unsere Möglichkeit verbessert, uns zu informieren und genau das zu finden, was zu uns passt. Der Urlaub wird perfekt, wenn wir nicht ins Reisebüro gehen, sondern ihn nach einer tagelangen Internetrecherche zusammenstellen. Gleichzeitig nimmt unsere Fähigkeit ab, mit einem durchschnittlichen Erlebnis glücklich zu sein. Wir sind beinahe gezwungen, den Aufwand zu betreiben, der zu dem Produkt oder Erlebnis führt, das wirklich zu uns passt.

Google und Facebook fressen Stunden unseres Lebens

Die Macht der Aufmerksamkeitsindustrie. Warum noch mal sind Unternehmen wie Google und Facebook Milliarden wert? Ja, sie wollen unsere Daten. Doch letztlich bezahlen wir mit unserer Aufmerksamkeit, nämlich jener, die wir der Werbung widmen. Je länger uns digitale Unternehmen an ihre Anwendungen binden, desto besser funktioniert ihr Geschäftsmodell. Die Nutzungsstatistiken von Facebook, WhatsApp oder YouTube zeigen, wie gut das gelingt: Stunden unserer Aufmerksamkeit schenken wir digitalen Medien. So nützlich viele Anwendungen sind, verlieren wir durch sie doch Zeit für unser übriges Leben.

Zwar gibt es längst Gegentrends der Vereinfachung und digitaler Enthaltsamkeit. Doch die meisten von uns finden sich in einem Leben vor, das mehr Zeit und Aufmerksamkeit bindet, als wir eigentlich haben. Hier setzen die sogenannten Mini Habits an: Sie beginnen so bescheiden, dass ein guter Vorsatz auch in einem Alltag voller Ablenkungen bestehen kann.

Ein Beispiel: Zehn Minuten können reichen

Markus hat Lisa versprochen, den Eheabend wieder aufleben zu lassen, der nach ihrer Hochzeit so gut funktioniert hat. In manchen Wochen hat er schlicht nicht daran gedacht, weil so unglaublich viel los war. In anderen Wochen hat er ihn sich fest vorgenommen. Doch als er abends das Wichtigste erledigt hatte, war es für beide schon zu spät.
„Dann nehmen wir uns einen ganzen Nachmittag am Wochenende“, will Markus schon vertrösten, aber Lisa rollt nur mit den Augen. „Ok“, gesteht Markus ein, „ist vielleicht unrealistisch an diesem Wochenende.“ Markus hat von den Mini Habits in einem Gespräch mit einem Freund gehört. Was könnte das für einen Eheabend heißen? Eine ganz kleine Gewohnheit? Vielleicht Lisa jeden Tag zehn Minuten mit voller Aufmerksamkeit zuhören und ihr dann in ein paar Sätzen Anteil geben, was ihn beschäftigt?

Das hat geklappt. Markus hat eine leere Seite in seinem Kalender als Habit Tracker gestaltet und freut sich, wenn er seinen Mini-Erfolg abhaken kann. Natürlich sind aus den zehn Minuten auch schon fünfzehn oder zwanzig geworden, einmal sogar ein langes Gespräch, das durchaus als Eheabend hätte durchgehen können. Trotzdem ist es ein gutes Gefühl, wenn zehn Minuten reichen. Weil er Lisa nicht schon wieder zu viel versprechen wollte, hat Markus nichts von den Mini Habits erzählt. Vielleicht merkt sie gar nichts von seinem Einsatz? „Wie unaufmerksam“, hat Markus erst gedacht. Aber Lisa ist gerade zufriedener und zärtlicher. Sie hat sich seither nicht beklagt, dass sie gemeinsame Zeit vermisst.

Für mehr ist oft nicht die Zeit

Manchem wird dieser Ansatz wie eine Vertröstung vorkommen: Mit zehn Minuten kann sich ein Partner von seinem schlechten Gewissen freikaufen und von seiner Verantwortung, wirklich in die Beziehung zu investieren. Das beabsichtige ich natürlich nicht. Ich biete auch Ehewochenenden an mit viel, viel Zeit füreinander. Doch freitags in der Vorstellungsrunde höre ich oft Sätze wie diesen: „Wir haben schon tolle Ehewochenenden besucht. Das letzte ist allerdings 15 Jahre her – wir haben es einfach nicht mehr geschafft.“ Wo Sie trotz Ablenkungen Zeit füreinander finden: Bitte keine Mini Habits daraus machen! Aber wo Sie die Erfahrung lähmt, es einfach nicht zu schaffen, da beginnen Sie doch klein.

Eine Berührung am Tag schenken

Manches lässt sich leicht in Mini Habits verwandeln: Umarmungen und andere Alltagszärtlichkeiten; wertschätzende Worte; kleine Zeichen von Ermutigung, wenn der andere im Stress ist, zum Beispiel ein paar liebe Zeilen, mal aufs Kopfkissen, mal auf den Schreibtisch, mal auf den Frühstückstisch; treu eine ungeliebte Aufgabe erledigen, etwa den Müll rausbringen; bei einem Kind beharrlich an einem Erziehungsziel dranbleiben (ihr Kind ist froh, wenn das Gespräch darüber nicht länger als fünf Minuten dauert); eine persönliche Macke abstellen (fünf Minuten Selbstbetrachtung – „Habe ich sie heute ausreden lassen?“ – und ein Stoßgebet).

Sophia zum Beispiel stellt Nähe eher über Gespräch und gemeinsame Unternehmungen, weniger über Zärtlichkeit. Aber Lars braucht einfach Berührungen. Eine Umarmung oder ein kurzes Schmusen würde einen großen Unterschied machen, aber weil es nicht ihre Liebessprache ist, vergisst Sophia es oft. Sie kann sich vornehmen, Lars einmal am Tag eine Berührung zu schenken. Ihre Liste zum Abhaken, ihren Habit Tracker, legt sie in die Gute-Nacht-Lektüre am Bett. Dann kann sie die kleine neue Gewohnheit entweder abhaken oder noch nachholen.

Sex in fünf Minuten?

Aber was ist mit größeren Dingen? Sex oder ein Spaziergang in fünf Minuten? Auch das geht, aber es geht kaum, ohne mit dem Partner darüber zu reden. Für manche Paare funktioniert zum Beispiel eine Verabredung zu fünf Minuten erotischem Kuscheln am Abend, das mehr werden kann, aber nicht muss. Für andere wäre es schwer erträglich, Lust zu bekommen oder zu machen, ihr dann aber nicht immer Raum zu geben. Wenn das nicht geht, wo liegt dann ein noch kleineres erotisches Ritual, das nicht mehr weckt, als nach fünf Minuten wieder wegzuatmen wäre? Da findet sich etwas, man muss nur offen und geduldig darüber reden. (Das Beispiel geht von einer Situation aus, in der sich einer mehr sexuelle Nähe wünscht und der andere sie schon fast wie eine Pflicht empfindet.)

Ein Spaziergang könnte verkleinert werden auf fünf gemeinsame Minuten auf dem Balkon oder der Terrasse oder die kleinstmögliche Runde durchs Viertel, die dann vielleicht zehn Minuten dauert. Gespräch ist nötig, weil nicht jede Verkleinerung für jeden passt. Vielleicht muss man die kleine Gewohnheit auch als Notlösung, Übergangslösung oder behutsamen Neubeginn verstehen, damit sie Freude weckt und nicht die Sorge, abgespeist zu werden.

Liebevolle Kreativität

Leider gibt es mehr innere Widerstände und praktische Komplikationen, als wir erwarten: Eine Frau schätzt vielleicht nur bestimmte Blumen, während ihr andere entschieden nicht gefallen. Außerdem wünscht sie sich nicht in erster Linie die Blumen, sondern vor allem den romantischen Moment, mit Blumen überrascht zu werden. Für ihren Mann wird aus der einfachen Aufgabe ein komplizierter Auftrag: „Was kaufe ich, wenn es keine Tulpen gibt? Was mache ich, wenn mir die romantischen Gefühle fehlen? Und was geschieht, wenn sie nicht zu Hause ist und ich mit den Blumen komme?“

Die kleine Gewohnheit könnte dann darin bestehen, jeden Tag fünf Minuten Kreativität aufzuwenden, um die Liebesmission einen Schritt voranzubringen. Tag 1: Brainstorming – wer könnte wissen, welche Blumen Karen noch gefallen?; Tag 2: WhatsApps an zwei Freundinnen von Karen schreiben; Tag 3: Überlegen: Wann wäre die nächsten Tage ein guter romantischer Moment? Plan A, B und C aufschreiben; Tag 4: Blumen kaufen und überreichen im Kalender fixieren: übermorgen; Tag 5: romantische Gefühle wecken: Hochzeitsalbum ansehen, die Top 3 zärtlicher Momente des letzten Jahres in Erinnerung rufen; Tag 6: Blumen kaufen und überreichen; Tag 7: ausführlich stolz auf sich sein und den schönen Moment in der Erinnerung nachklingen lassen. Fünf Minuten liebevolle Kreativität machen auch da kleine neue Gewohnheiten möglich, wo wir zunächst auf Hindernisse stoßen.

Große Ziele sind oft nicht zu schaffen

Wenn mir Paare ihre gemeinsamen Ziele nennen, muss ich oft sagen: „Es tut mir leid. Das schaffen Sie in dieser Lebensphase nicht.“ Viele Paare kommen nämlich in einer Zeit zu mir, in der sie beruflich und familiär sehr beansprucht sind. Nach dem ersten Schreck ist das Paar aber auch erleichtert, wir einigen uns auf bescheidenere Ziele. Der Erfolg einer Paartherapie steht und fällt mit den Anfangserfolgen. Stellen sie sich ein, steigt die Motivation und auch der Mut, Dinge auszuprobieren. Bleiben die Erfolge aus, weckt das Zweifel und Entmutigung. So geht es uns auch in unserem Liebesalltag – wir setzen uns gerne ein, aber nur, wenn wir dabei auch Erfolg haben. Das gelingt besser, wenn wir ernst nehmen, wie beansprucht und abgelenkt wir in unserem Alltag sind. Es bleibt oft nur Raum für Kleines, das aber einen großen Unterschied macht.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg.

Generation Maybe: Wieso sich Jugendliche oft nicht mehr entscheiden können

Jungen Erwachsenen fällt es oft schwer, sich festzulegen. Roswitha Wurm nervt das. Aber ein bisschen maybe ist sie auch …

Vor ein paar Jahren verkündete meine Tochter wenige Wochen vor ihrem Geburtstag: „Ich feiere diesmal im Freien mit einem Picknick mit meinen acht besten Freunden!“ Wir planten gemeinsam die Location und das Essen. Zumindest zwei Tage lang. Denn dann beschloss meine Tochter, ihren Geburtstag „doch nicht mit Freunden, sondern nur mit der Familie“ zu verbringen. In den nächsten Tagen änderte sie wieder ihre Meinung. Nun wollte sie bei uns zu Hause eine Party geben, aber „nur für 12 Freunde“. In den zwei Wochen bis zum Geburtstag sagten einige Freunde zu und einige wieder ab.

Schließlich kamen 18 junge Menschen, von denen ursprünglich nur acht eingeladen waren. Mein Mann und ich verbrachten den Abend auswärts und überließen den jungen Leuten unsere Wohnung. Alles ging gut und alle waren glücklich. Nur ich fühlte mich überfordert. Ähnliches erlebte ich bei Gruppen, Familienfeiern und anderen Festen. Zusagen und Absagen von den (jungen) Besuchern in der letzten Minute, weil sich irgendetwas anderes Interessantes angeboten hatte. Mich verwirrte und verunsicherte dieses Hin und Her!

Alles ist möglich

Zum Glück klärte mich ein Buch von Oliver Jeges auf. Der in Wien geborene Journalist, Jahrgang 1982, outete sich: „Ich bin ein Maybe. Meine Freunde sind Maybes. Ich wäre zwar gern keiner, aber es ist nun mal so. Ich habe kein ADHS, dennoch tue ich mich schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich festzulegen. Mich einer Sache intensiv zu widmen. Ich bin entscheidungsschwach. Ich sehe all die Optionen vor mir, die Verlockungen einer ultramodernen Welt, in der alles möglich ist.“

Unendlich viele Wahlmöglichkeiten

Die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden im digitalen Zeitalter sozialisiert. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt vom immer stärker werdenden Einfluss von Social Media. Wer täglich über die verschiedenen Kanäle erfährt, was sich so alles tut im Leben seiner Bekannten, ist überzeugt: Ich habe unendlich viele Wahlmöglichkeiten. Vergleichbar ist das mit dem Gefühl, wenn man im Eisladen vor 25 Eissorten steht und sich für zwei entscheiden muss. Die verärgerte Menschenschlange hinter einem wird länger, während man unentschlossen, zaudernd und zögernd abwartet, bis man sich sicher ist, ob es Weiße Schokolade oder doch lieber Melonensorbet sein soll.

„Bis dass der Tod euch scheidet“ weicht „Solange es nicht zu kompliziert ist“

„Maybes“ tun sich zum Leidwesen ihrer Mitmenschen schwer, Entscheidungen zu treffen und Wort zu halten. Flexibilität und Bereitschaft, spontan etwas Neues zu wagen, sind die Schlagwörter dieser Generation. Wenn es sein muss, auch auf Kosten anderer. Die Generation der Maybes ist mitunter auch überzeugt davon, dass sie die Freiheit hat zu wählen, ob sie einen schwierigen Weg geht oder nicht. Die Frage ist jedoch, ob uns die vielen Wahlmöglichkeiten wirklich frei machen. Wir können vor Schwierigkeiten davonlaufen. Jeder findet das in Ordnung und hat Verständnis dafür. Schließlich muss jeder „auf seine Art glücklich werden“. Wir können Beziehungen, die uns nerven oder zu schwierig sind, einfach beenden. Wenn es uns zu schwerfällt, dem anderen dabei in die Augen zu schauen, sogar einfach per WhatsApp. „Bis dass der Tod euch scheidet“ ist einem „Solange es nicht zu kompliziert ist“ oder einem „Bis ich etwas scheinbar Besseres für mich gefunden habe“ gewichen.

Unentschlossenheit bringt Stress

Diese scheinbare unendliche Freiheit bringt in vielen Fällen innere Leere und Orientierungslosigkeit mit sich, die eine ganze Generation zu befallen scheint. Oliver Jeges schreibt: „Wir sind die Generation, die nichts mit sich anzufangen weiß und sich permanent fragt: Leben – wie geht das? Wir wollen tun, worauf wir Lust haben, wollen nur Erlebnis, aber nie Alltag. Ist das vielleicht die Lebenslüge unserer Generation? Uns alle eint die Sorge, nicht dahin zu gelangen, wo wir uns in unseren Vorstellungen sehen. Die Sorge, dass wir vielleicht die falschen Entscheidungen treffen. Wir wollen unsere Träume wahr werden lassen, haben aber nie gelernt, was zu tun ist, wenn das nicht klappen sollte.“

So sehr wir uns als Über-Fünfunddreißigjährige auch an der Unschlüssigkeit und der Unverbindlichkeit der Jungen stoßen, vergessen wir nicht: Es ist für die Maybes gar nicht so angenehm, sich nicht entscheiden zu können. Schließlich verpasst man dann auch vieles, zum Beispiel Beziehungen, die bereits in jungen Jahren beginnen und ein Leben lang halten. Oder Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten ohne langes Zaudern anzunehmen. Auch auf das Wagnis hin, dass man erst nach und nach in etwas hineinwächst, wenn man wagt, es zu tun. Stattdessen ist da die Angst, man würde etwas verpassen, wenn man sich festlegt.

„Schauen wir mal“

Da ich nicht nur Mutter dreier Kinder der Maybe-Generation bin, sondern auch beruflich viel mit jungen Leuten zu tun habe, sind mir Aktionen wie die variable Geburtstagsfestplanung nichts Neues. Und ehrlich gesagt: Wir sind von der Generation Maybe vielleicht mehr beeinflusst, als uns lieb ist. Auch wir Eltern sind uns in der Fülle aller Angebote nicht immer sicher, wofür wir uns entscheiden sollen. In der Stadt, in der ich lebe, gibt es ein geflügeltes Wort: „Schauen wir mal!“

Wenn uns jemand fragt: „Wollen wir uns treffen?“, antworten wir gern mit diesem Satz. Ich ertappe mich auch immer wieder, dass ich mit „Schauen wir mal!“ antworte, wenn ich mich nicht festlegen möchte. Im Grunde genommen warte ich dann darauf, ob noch „etwas Besseres“ für dieses Datum in mein Leben kommt. Dabei bin doch gerade ich eine Verfechterin des wichtigen Bibelwortes: „Euer Ja sei ein Ja! Euer Nein ein Nein!“ (Matthäus 5,37). Das zitiere ich gern den lieben Maybes in meinem Leben.

Zusammenleben mit Maybes

Diese Erkenntnis hat mich den Maybes gegenüber verständnisvoller gestimmt. Es fällt tatsächlich schwer, aus dem riesigen Angebot zu wählen, das uns heute allerorts geboten wird.

Ich will Verständnis haben für die jungen Menschen, die so viel mehr Möglichkeiten vor Augen haben, als wir das in unserer vordigitalen Zeit hatten. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Verabredungen oder Familienfeiern nicht eingehalten werden können. Für uns als Familie haben wir eine Lösung gefunden, die meist alle glücklich macht. Wir sprechen uns am Sonntag jeder Woche ab: Wie ist der ungefähre Plan aller für die kommende Woche? Welche Termine, die uns alle betreffen, sind wirklich wichtig für jeden Einzelnen von uns? Es klappt manchmal gut, manchmal weniger gut. Aber seit wir darüber reden und mitunter lachen können, fällt es auch uns „Oldies“ leichter, mit der scheinbaren Unverbindlichkeit umzugehen. Nicht selten kommt ein Anruf unserer Kinder, die mit einem humorvollen Unterton meinen: „Mama, du weißt, hier spricht dein Maybe … Wegen Mittwochabend …“

Corona kann auch Segen sein

Unsere Maybe-Generation macht gerade eine schwere Zeit durch: Corona hat sie in die Knie gezwungen. Plötzlich sind die Möglichkeiten beschränkt. Es ist für uns alle eine harte, eine gute Schule. Ein Kurs im Dankbarsein für das, was wir trotz allem noch haben. Minimalismus im Angebot kann für geraume Zeit ein Segen sein. Jedenfalls habe ich unsere Maybes selten so entspannt erlebt wie in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen: „Endlich muss ich mich für nichts entscheiden, weil es nur eine Sache zu tun gibt!“

Einmal Maybe, immer Maybe?

Neulich fragte mich unser ältester Sohn per WhatsApp, ob wir an einem bestimmten Feiertag auf seine Kinder aufpassen könnten. Ich wollte mich zuerst mit meinem Mann absprechen. Dann vergaß ich es, und als es mir wieder einfiel, hatte ich gerade zu tun und dachte, vielleicht hat sich das Ganze ja schon erledigt und ich könnte an diesem Tag etwas mit Freunden unternehmen. Drei Tage vor dem Termin fragte mein Sohn nach: „Wisst ihr bereits, ob ihr das übernehmen könnt?“ Ich zögerte. Höflich wie er ist, fragte er nicht laut: „Mama, bist du jetzt auch ein Maybe?“ Aber im Unterton seiner Stimme meinte ich, genau das zu hören!

Tja, unsere Maybe-Kinder sind erwachsen geworden. Spätestens wenn sie selbst Eltern sind und Verantwortung tragen, weicht das Zaudern und Zögern einer Erkenntnis: Manchmal gibt es keine Wahlmöglichkeit! Es gilt vielmehr, den eingeschlagenen Weg mit der Hilfe Gottes zu bewältigen. Dann weicht dem „Vielleicht“ ein „So ist es“.

Roswitha Wurm ist Förderpädagogin und Kinderbuchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Ihre Webseite ist lesenmitkindern.at

Videospiele unterm Weihnachtsbaum: 5 Dinge sollten Eltern beachten

Je älter Kinder werden, desto angesagter sind Computerspiele. Diese fünf Tipps schützen vor gefährlichen Inhalten oder versteckten Käufen, sagt Mediencoach Kristin Langer.

Für Kinder das richtige Videospiel zu Weihnachten zu finden, ist gar nicht schwer, findet Mediencoach Kristin Langer von der Initiative Schau Hin! Was Dein Kind mit Medien macht. Die Schenkenden sollten nur ein paar Dinge beachten:

1. Bis zum Grundschulalter warten

Kinder brauchen für Computerspiele eine manuelle Geschicklichkeit. Zum Beispiel sollten sie schon die unterschiedlichen Schalter an der Spielekonsole bedienen können. Auch müssen sie schon komplexe Zusammenhänge überschauen können. Deswegen sollten Eltern mit dem Kauf eines Computerspiels warten, bis ihr Kind in der Grundschule ist, rät Mediencoach Kristin Langer.

2. Auf die Bedürfnisse des Kindes achten

Findet ein Kind das Thema des Spiels toll und hat Interesse daran, ist der erste Schritt getan. Zudem sollten die Herausforderungen im Spiel auch zu bewältigen sein. Nicht jedes Spiel ist automatisch auch für jedes Kind geeignet, selbst wenn es „altersgerecht“ ist. Hat ein Kind zum Beispiel ein Problem mit Zeitlimits, weil es sich davon schnell unter Druck gesetzt fühlt? Dann suchen Eltern oder Großeltern besser Spiele aus, die frei in der Zeitgestaltung sind. Kann das Kind schon gut Enttäuschungen einstecken? Falls nicht, sollte das Spiel keinen ausgeprägten Wettbewerbscharakter haben. Um einschätzen zu können, ob das ausgesuchte Spiel auch gut zum Kind passt, sollten Eltern gerade zu Anfang gemeinsam mit ihm spielen. Wichtig ist dabei die Frage: Wie reagiert das Kind beim Spielen?

3. An Altersangaben und pädagogischen Empfehlungen orientieren

Altersangaben, die von den App Stores oder Spieleanbietern selbst festgesetzt werden, sind wenig verlässlich, erklärt Kristin Langer: „Diese Einstufung hat in erster Linie mit der Zielgruppe zu tun, an die verkauft werden kann.“ Bei Computerspielen, die Eltern als Datenträger im Handel kaufen, sollten sie sich nach der dort aufgedruckten gesetzlichen Alterseinstufung durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) richten. Teilweise werden auch Online-Spiele und Apps nach diesen Kriterien eingestuft, jedoch längst nicht alle. Die USK-Kriterien fragen danach, ob die Inhalte im Spiel sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Wie bedrohend ist das Spiel? Wieviel Gewalt wird eingesetzt? Ist das Setting glaubwürdig?

Es gibt Altersfreigaben ab 0, 6, 12 und 16 Jahren. „Als Eltern wissen wir aber auch: Zwischen sechs und zwölf passiert eine ganze Menge“, merkt Kristin Langer an. Daher ist es hilfreich, wenn die Schenkenden, ergänzend zu der USK-Freigabe, auch pädagogische Altersempfehlungen zu Rate ziehen. Auf spielbar.de oder spieleratgeber-nrw.de finden sie zum Beispiel pädagogische Bewertungen und Alterseinschätzungen für Computerspiele. Das Deutsche Jugendinstitut bewertet Kinder-Apps. Auf der umfangreichen Datenbank „Apps für Kinder“ können Interessierte gezielt nach Spielen für das Alter des Kindes (zum Beispiel Schulanfänger) und auch nach gewünschten Genres (zum Beispiel Lernspiel, Kinderbuch-App) suchen.

4. Vorsicht vor versteckten Käufen

Gerade bei kostenlosen Spielen versuchen die Hersteller, ihre Entwicklungskosten über In-Game-Käufe wieder einzuspielen. Mit diesen Käufen im Spiel kann das Kind weitere Spielfunktionen oder höhere Level freischalten kann. Der Kauf von kostenpflichtigen Spielen kann eine erste wirkungsvolle Schutzmaßnahme dagegen sein. Doch auch bei gekauften Spielen können Kinder in Bezahlfallen tappen. Die Schenkenden sollten bei der Wahl des Spiels darauf achten, dass keine Lootboxen gekauft werden können. Lootboxen sind virtuelle Kisten, die verschiedene Gegenstände wie extra Rohstoffe, bessere Waffen oder neue Charaktere beinhalten. Die Boxen können im Spiel freigespielt oder mit einer fiktiven Währung gekauft werden. Oft lassen sie sich aber auch für echtes Geld kaufen. „Diese Boxen haben eine Art Glücksspielcharakter. Man weiß nicht, was man für sein Geld bekommt“, sagt Kristin Langer.

Auch in Spielen für Spielekonsolen wie zum Beispiel der Playstation, der Xbox oder der Nintendo Switch ist es möglich, über den Shop In-Game-Käufe zu tätigen. Das kann schnell schiefgehen: „Ich bekomme häufig Zuschriften von Eltern, die berichten, dass ihre 12- oder 13-jährigen Kinder viel Geld im Spiel ausgegeben haben. Da kommen meist unbeabsichtigt hohe Summen zustande. Eine anstrengende Situation für Eltern und Kind“, berichtet Kristin Langer. Um dem vorzubeugen, können Eltern auf den Spielekonsolen ein extra Kinderkonto einrichten, das keine Käufe erlaubt. Auf dem Smartphone können In-App-Käufe in den Einstellungen eingeschränkt werden. So ist das Kind vor Spontankäufen geschützt. Falls es schon älter ist und die Eltern ihm erlauben, sein Taschengeld dafür einzusetzen, sollten diese mit ihm über diese Stolperfallen sprechen und Geld-Limits verabreden.

5. Den Datenschutz im Blick behalten

Gerne wird in digitalen Spielen dazu aufgefordert, seine Erfolge mit Freunden auf sozialen Medien zu teilen oder sie zum Spiel einzuladen. Zur Belohnung gibt es dann zum Beispiel Sonderpunkte. Das ist für Kinder attraktiv, sie wollen gerne ihren Freunden zeigen, was sie geschafft haben. Sie wissen nicht, dass diese Spiele darauf ausgelegt sind, die Daten von anderen zu sammeln. Wenn das Kind noch jünger ist, sollten Schenkende auf solche Spiele verzichten. „Das ist im Grundschulalter absolut ausgeschlossen. Kinder sollten soziale Medien nicht mit eigenen Accounts und ohne Begleitung nutzen, solange sie nicht 13 Jahre alt sind“, erklärt Kristin Langer.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.