Hochsensibilität bei Kindern: Wie Eltern es herausfinden und was sie beachten müssen

Hochsensible Kinder nehmen Eindrücke intensiver wahr. Dadurch sind sie schneller gestresst oder ängstlicher. Melanie Vita erklärt, was Eltern und Kinder entlastet.

Wenn Kinder sich anders entwickeln, als ihre Eltern das erwartet haben, kann es zu Enttäuschungen kommen. Ein mögliches Szenario: Jan hat beobachtet, dass sein Sohn Tim irgendwie anders ist. „Ich hatte mir ausgemalt, was ich alles mit meinem Sohn unternehmen werde: Abenteuer erleben, Fußball spielen, raufen … Und dann stelle ich fest, dass all dies gar nicht dem Naturell meines Kindes entspricht, dass mein Kind vorsichtig, wenig spontan, feinfühlig ist. Da gerät die Welt ins Wanken.“

Eine andere mögliche Variante: Marie, Mutter von Lea, wird immer wieder auf ihren Erziehungsstil angesprochen. „Dein Kind traut sich nicht allein zum Bäcker? Das müsste in dem Alter aber längst drin sein. Du bist viel zu nachlässig.“ − „Was treibt dein Kind beim Essen für Spielchen mit dir? Was auf den Tisch kommt, wird gegessen! Du lässt Lea alles durchgehen. Würde sie bei mir groß werden, wäre sie längst nicht so ängstlich.“

Hochsensibilität kann eine Erklärung sein

Was Jan und Marie beschäftigt, ist die Andersartigkeit ihrer Kinder. Entspricht der Nachwuchs nicht der Norm, machen sich Eltern verständlicherweise Gedanken: Was steckt hinter dem Verhalten meines Kindes? Habe ich Fehler gemacht? Wie kann ich mein Kind seinen Gaben entsprechend fördern und dafür sorgen, dass es stark und selbstsicher wird?

Auf der Suche nach Antworten stoßen etliche Eltern auf das Thema Hochsensibilität. In vielen Fällen machen die Reaktionen der Kinder plötzlich Sinn. Schnell wird klar, dass bestimmte Verhaltensweisen weder aufgrund eines Erziehungsfehlers noch aufgrund von Marotten des Kindes auftauchen, sondern ihre Ursache in der besonderen Wahrnehmungsverarbeitung zu suchen ist.

Was ist Hochsensibilität?

Laut E. Aron ist die Hochsensibilität ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal. Hochsensible Kinder haben von Geburt an ein empfindsameres Nervensystem. Sie nehmen Sinneseindrücke viel intensiver wahr als andere. Kaum etwas prallt an ihnen ab. Was sie beobachten, spüren und wahrnehmen, wollen sie verarbeiten, durchdenken, verstehen. Sie nehmen viel mehr Details auf als andere Kinder und denken intensiver über alles nach. Verständlich, dass ihnen schnell alles zu viel wird. Die Menge an Eindrücken – Stimmungen von Mitmenschen, Geräusche, Gerüche… – sorgt dafür, dass die Kinder viel Zeit brauchen, um Geschehnisse zu verarbeiten.

Strömen zu viele Eindrücke auf diese Kinder ein, kann es zu einer Reizüberflutung kommen. Sie fühlen sich erschöpft, geraten unter Stress, möchten sich von der Außenwelt abschirmen oder sind gereizt. Sie beginnen zu weinen oder signalisieren durch Wutausbrüche, dass ihnen alles zu viel ist. Auch Schlafprobleme, Kopf- und Bauchschmerzen können Warnsignale für eine Überreizung sein. Neuen Situationen stehen hochsensible Kinder vorsichtig und beobachtend gegenüber. Sie durchdenken alle Risiken. Erst wenn sie sich sicher fühlen, werden sie aktiv und handeln.

Wie erkenne ich Hochsensibilität?

E. Aron benennt vier wesentliche Merkmale, die in ihrer Gesamtheit bei hochsensiblen Kindern zu finden sind. Anhand von Lea und Tim lassen sich die Eigenschaften gut erläutern:

Verarbeitungstiefe
Lea und Tim haben eine sehr hohe Beobachtungsgabe. Während sie manches Mal passiv oder träumend wirken, arbeitet ihr Gehirn auf Hochtouren, um viele Details aufzunehmen. Sie sind wissbegierig und haben eine schnelle Auffassungsgabe. Schwer fallen ihnen hingegen spontane Aktionen oder Situationswechsel. Für Antworten, Entscheidungen und Anweisungen benötigen sie viel Zeit, weil sie ihre Aufgaben korrekt machen wollen.

Überreizung
Lea und Tim durchleben den Alltag sehr intensiv, haben ihre Antennen durchgängig auf Empfang, sind mit all ihren Sinnen präsent. Dies führt schnell zu einer Überreizung. Wie sich diese zeigt, ist unterschiedlich. Lea zieht sich eher zurück und wird weinerlich. Tim lädt seine Gefühle bei seinen Mitmenschen ab, geht also mit seinem Stress nach außen. Beide benötigen mehr Rückzugs- und Ruhephasen als andere Kinder, um im Gleichgewicht zu bleiben.

Emotionale Intensität
Lea zeigt ihre Gefühle nur sehr spärlich. Konflikte und Missverständnisse machen sie betroffen. Streiten andere Kinder, fühlt sie mit und gerät selbst unter Stress. Deswegen ist Lea Harmonie sehr wichtig. Dafür würde sie auch ein Nein zur Abgrenzung lieber verschweigen. Tim zeigt seine Gefühle direkt. Er ist mitfühlend und hilfsbereit. Empfindet er Situationen aber als ungerecht, zeigen sich explosive Gefühle. Egal, welche Emotion er durchlebt, jede ist intensiv.

Sensorische Feinfühligkeit
Lea wirkt manchmal gestresst. Es sind dann Klagen zu hören wie „Der Pulli kratzt“ oder „Die Jeans ist viel zu sperrig“. Tim wiederum ist es im Klassenzimmer zu laut und auf dem Pausenhof zu viel Tumult. Was sich anhört wie eine Marotte, ist in Wirklichkeit neurologisch erklärbar. Hochsensible Kinder nehmen Sinneswahrnehmungen wie durch einen Verstärker wahr, wodurch Stress ausgelöst werden kann.

Das Stop-and-go-System oder Ampelsystem
Zusätzlich zu den vier Hauptmerkmalen gibt es einen weiteren Hinweis, ob ein Kind hochsensibel ist. Wie bereits geschildert, kann es sein, dass Kinder in unbekannten, neuen Situationen nur beobachten oder für sich sein wollen. Diese Reaktion hat einen bedeutenden Sinn, den es zu verstehen gilt: Ein hochsensibles Kind hat ein ausgeprägtes Sicherheitssystem. Es sieht sich so lange vor einer roten Ampel, bis es weiß, was die Regeln und Erwartungen sind, und bis es sich verstanden fühlt. Erst wenn das Kind das Gefühl hat, dass es die Situation meistern kann, wird es aktiv: Die Ampel springt auf Grün.

Worauf sind Stärken und Herausforderungen?

Hochsensible Kinder haben viele wertvolle Fähigkeiten. Dazu gehören ein gutes Einfühlungsvermögen, ein starkes Gerechtigkeitsempfinden, Verlässlichkeit und Kreativität. Eigenschaften, die für eine Gruppe bereichernd sind. Durch die hohe sensorische Wahrnehmung zeigen sich oft musische oder künstlerische Begabungen. Um diese Stärken zu fördern, ist es wichtig, sie zu erkennen und ihnen Raum zu geben. Zeigen Kinder Fürsorge gegenüber Spielkameraden, trösten sie diese bei kleineren Unfällen oder sind sie im Spiel entgegenkommend, kann dies positiv bestärkt werden. Gleichzeitig haben auch die anderen Kinder dadurch die Chance, Toleranz und Rücksichtnahme zu lernen. Damit sich dieses Potenzial entfalten kann, ist es notwendig, den Kindern Ruhephasen zu ermöglichen und ihr Bedürfnis nach Rückzug ernst zu nehmen. Auf diese Weise können sie Geschehnisse und Informationen verarbeiten.

Hochsensible Kinder zeigen meist dann schwieriges Verhalten, wenn sie durch Stress und Hektik aus dem Gleichgewicht kommen. Neue Situationen und unvorhergesehene Aktivitäten lösen bei ihnen Stress aus. Werden Stresssignale wie Jammern, emotionale Ausbrüche, Boykottieren von Aktivitäten oder auch Trödeleien nicht als solche erkannt, kommt es zu Missdeutungen. Ein Ernstnehmen und Beachten des Energielevels der Kinder hilft, Stress zu minimieren.

Was können Eltern bei Hochsensibilität tun?

Ob ein Kind seine Hochsensibilität als Stärke oder Schwäche, Gabe oder Last empfindet, hängt sehr stark von seinen Erfahrungen ab. Grundsätzlich ist es wichtig, dem Kind Verständnis entgegenzubringen, es in seiner Eigenart anzunehmen und zu akzeptieren. Das Abwägen zwischen den Bedürfnissen des Kindes und den gesellschaftlichen Anforderungen kann für Eltern sehr herausfordernd sein. Neue Situationen sollten mit hochsensiblen Kindern durch Gespräche, Rollenspiele etc. vorbereitet werden. Jedes Gespräch, jeder Hinweis und jede zusätzliche Information über das, was die Kinder erwartet, bedeutet für Hochsensible mehr Sicherheit und damit weniger Grund zur Angst. Je mehr Zeit in die Vorbereitung einer neuen Situation investiert wird, umso gelassener kann das Kind auf die unbekannte Situation zugehen.

Da hochsensible Kinder schnell überfordert, gestresst und reizüberflutet sind, benötigen sie kontinuierlich Ruhephasen und Rückzugsmöglichkeiten. Dies heißt unter Umständen, Freizeitaktivitäten zu reduzieren und aktivitätsfreie Zeiten einzuplanen. Auch Familienrituale und ein strukturierter Alltag sind förderlich. Hochsensible Kinder sind selbstkritisch, haben hohe Ansprüche an sich und sind damit beschäftigt, es allen recht zu machen. Umso wichtiger ist es, dass Eltern Milde walten lassen, wenn Fehler gemacht werden oder die Kinder es nicht schaffen, über ihren Schatten zu springen. Damit erfahren hochsensible Kinder eine Entlastung und lernen, dass sie geliebt und angenommen sind.

Nicht auf Hochsensibilität reduzieren!

Das Wissen um die Hochsensibilität des eigenen Kindes ermöglicht es, Verhaltensweisen besser beurteilen zu können. Gleichzeitig ist es wichtig, das Kind nicht ausschließlich auf die Hochsensibilität zu reduzieren, sondern den vielen weiteren Facetten der Persönlichkeit Raum zu geben. Ein Kind ist nicht nur zurückhaltend, sondern vielleicht auch interessiert, mutig, anpackend. Diese Ressourcen gilt es zu ergreifen und das Kind auf diese Weise in der Entwicklung zu unterstützen. In kurzen Worten gesagt: annehmen, was ist, aber auch Wachstum ermöglichen. Raus aus dem „Die ist halt so“ hin zu „Da geht noch was“.

Melanie Vita ist Diplomsozialpädagogin, Lerntherapeutin und Buchautorin. Sie berät hochsensible Kinder, Jugendliche, Eltern und Erwachsene in ihrer Privatpraxis „Hochsensibel leben“. hochsensibel-leben.de

Franziska lebt am Existenzminimum: „Hoffnung habe ich keine“

Wie ist es, in diesen Tagen als alleinerziehende Mutter von Hartz IV zu leben? Franziska* weiß das nur zu gut.

Zu Besuch in Plauen, Sachsen. Die im Tal liegende Innenstadt beeindruckt mit ihrer Schönheit. Neubau-Villen, breite Straßen und das viele Grün passen eigentlich nicht ins Bild. Denn in dieser Stadt wohnt auch Franziska* [Name von der Redaktion geändert] mit ihren beiden Kindern – am Existenzminimum. Im zweiten Stock eines schlichten, gelben Mietshauses hat sie eine Bleibe gefunden.

Franziska ist Mitte 30 und hat lange, dunkle Haare. Ihre Augen sind groß und leuchten. Wenn sie lacht, lachen zwei Grübchen in ihren Mundwinkeln gleich mit. Die Sächsin wohnt allein mit ihren zwei Kindern (6 und 13 Jahre) in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Aufgeteilt ist diese in zwei Kinderzimmer und ein Wohnzimmer. Franziska schläft in Letzterem. Nachts klappt sie das Sofa auf. „Manchmal ist mir das unangenehm, wenn fremde Menschen mich besuchen kommen. Aber es ist mir wichtiger, dass es meinen Kindern gut geht und sie ein eigenes Zimmer haben.“

Dass es den Kindern gut geht, ist Franziska in allen Lebensbereichen das Wichtigste. Doch da sie Hartz IV bekommt, muss sie dafür kreativ werden. Früher schon, doch jetzt aufgrund der steigenden Kosten noch mehr. Ihren Kindern soll es an nichts mangeln. Franziska erzieht bindungsorientiert und auf Augenhöhe und achtet darauf, dass sie den Kids ihre Wünsche erfüllen kann. Oftmals muss sie dabei trotzdem verzichten.

Ausgewogene Ernährung? Fehlanzeige!

Zum Beispiel darauf, den Kindern eine ausgewogene, biologische und nachhaltige Ernährung bieten zu können. Stattdessen kauft sie das billige Fleisch und die abgepackte Wurst. Die letzten zehn Tage des Monats sind immer finanziell schwierig. Normalerweise backt sie dann Eierkuchen oder versucht, Nudeln in allen möglichen Varianten zu kochen. Im vergangenen Monat ging dafür ihr letztes Sonnenblumenöl zur Neige. In diesem Monat sind Nudeln so teuer geworden, dass Franziska sich neue Essensvariationen einfallen lassen muss, die ihre Kinder auch gern essen.

„Das Geld rinnt mir durch die Hände“

Auch Kleidung für die Kinder und Schuhe kauft die Mutter gebraucht. Franziska sucht lange, bis sie schöne Kleidung für die Kinder findet. Das macht sie online über eine App. Bewusst sucht sie nach Menschen, die mehrere Teile verkaufen. So spart sie Porto.

Damit die Mittdreißigerin weiß, welche Schuhe ihren Kindern passen, geht sie mit ihnen vorher zum Anprobieren in einen Schuhladen. Gefallen den Kindern Schuhe, sucht sie nach genau nach diesen Exemplaren gebraucht online. Es ist umständlich, aber gar nicht anders möglich bei dem knappen Budget, das Franziska hat. Die dringend benötigten Fußballschuhe müssen aktuell warten, denn da gab es bisher Second Hand keine, die gepasst hätten. „Ich frage mich immer, wie andere Eltern das machen. Ich kann gut mit meinem Geld umgehen, aber aktuell steigen die Kosten und es rinnt mir durch die Hände.“

Drogenabsturz mit Crystal

Franziska gießt Kaffee mit aufgeschäumter Milch in stilvolle Gläser, die sie vor zwei Jahren im Resterampenverkauf erworben hat. In ihrer Küche ist nicht zu erkennen, dass die Familie unter der Armutsgrenze leben muss. Ebenso im Rest der Wohnung: Die Kinderzimmer sind gefüllt mit Spielzeug, liebevoll und gemütlich eingerichtet. Das Wohnzimmer ist stilvoll und alles ist sauber und aufgeräumt.

Beim Kaffee erzählt die Mutter von ihrer Vergangenheit: Franziska hat nach ihrem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht. In dieser Zeit stürzte sie mit Drogen ab und nahm Crystal. In keinem anderen Bundesland lässt sich diese Droge so günstig erwerben wie in Sachsen. Und nirgendwo sonst wird so viel Crystal im Abwasser gefunden wie hier. Hergestellt in tschechischen Laboren, gelangt es über die Grenze zwischen Erzgebirge und sächsischer Schweiz auf den deutschen Markt.

„Ich habe mich für ein Leben in Armut entschieden“

Aufgrund ihrer Abhängigkeit wurde Franziska nach der Ausbildung nicht übernommen und hangelte sich in den folgenden Jahren von Minijob zu Minijob, immer mit dem Spagat, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen und sich eine Zukunft aufzubauen.

Ihre zwei Kinder waren nicht geplant. Sie nicht zu bekommen, stand für Franziska aus ethischen Gründen nicht zur Debatte. Trotzdem fragt sie sich manchmal, „ob es nicht besser gewesen wäre, erst Karriere zu machen und Geld zu verdienen, als zuerst die Kinder zu bekommen. Ich habe mich damit für meine Kinder, die ich über alles liebe, und für ein Leben in Armut entschieden“, sagt sie – und zuckt dabei resigniert mit ihren Achseln.

Luxusgut Döner

Als die Pandemie begann, hatte Franziska gerade eine Ausbildung begonnen. Dann kam der Lockdown und sie verbrachte 14 Stunden am Tag am Laptop und musste, wie so viele andere Eltern, gleichzeitig auf ihre Kinder achten. Nach einem Jahr konnte sie diesen Spagat nicht mehr aushalten, hatte das Gefühl, auszubrennen. Sie brach die Ausbildung mit guten Noten ab, um gesund zu bleiben und für ihre Kinder da sein zu können. Heute arbeitet sie nun wenige Stunden als Essenslieferantin für Kindergärten und Schulen. Vom Trinkgeld kann sie ihren Kindern freitags endlich mal einen Döner kaufen oder den Wunsch eines Pullovers für zehn Euro realisieren.

Stromnachzahlung bedeutet Mahnung

Trotzdem: Franziskas Ausgaben müssen genau abgestimmt sein. Nichts darf dazwischenkommen, damit die Haushaltskasse ausgeglichen bleibt. Passiert etwas Unvorhergesehenes, zum Beispiel durch eine Stromnachzahlung oder durch neue Fußballschuhe, dann kommt Franziska aus der Misere nicht mehr heraus und muss Rechnungen wochenlang schieben und Mahnungen in Kauf nehmen. Franziska zahlt aktuell 95 Euro für Strom und bangt jetzt schon vor der nächsten Erhöhung. Wie sie diese bezahlen soll, weiß sie nicht.

Der Bremer Erwerbslosenverband warnt in einem Beitrag der NDR Sendung „buten un binnen“ vor genau diesen sozialen Folgen. Wenn die Menschen ihre Rechnungen nicht gleich zahlen können, zieht das immer weitere Schulden nach sich. Laut Expertinnen und Experten reichte das Geld von Empfängerinnen und Empfängern von Hartz IV schon vorher nicht für eine gesunde Ernährung. 155, 82 Euro bekommt eine alleinstehende Person im Monat für Lebensmittel überwiesen.

Sexarbeit ist keine Lösung

„Manchmal bin ich so verzweifelt, dass ich mir nachts überlege, getragene Unterwäsche von mir zu verkaufen, Telefonsex anzubieten oder zu OnlyFans [eine Online-Plattform, bei der unter anderem Nacktbilder verkauft werden, Anm. d. Red.] zu gehen. Aber wie soll ich das den Kindern erklären, wenn das jemals rauskommen würde?“, sagt Franziska: „Ohne Geld kommt man aus der Lage nicht heraus. Ich kann nicht mal wegziehen aus Plauen. Würde ich woanders anfangen mit dem wenigen Geld, das ich habe, würde ich in einer teureren Stadt vielleicht noch weniger haben oder noch schlechter wohnen.“

Plauen liegt im Südwesten von Sachsen, im Vogtland. Es ist die fünftgrößte Stadt des Landes. Trotzdem fühlt sich Franziska abgehängt in der sächsisch grünen Idylle. Immerhin werden nun zwei neue Spielplätze gebaut. Die Mieten sind günstig. 75 Quadratmeter gibt es schon für 375 Euro kalt.

„Hoffnung habe ich keine“

Es gibt kein Entkommen aus der Situation ohne Netzwerk und ohne ausreichend Geld. Franziska hat depressive Tage, wartet dann nur darauf, dass das wacklige Kartenhaus zusammenbricht. Sollte das passieren, hofft sie, dass sie irgendwoher Hilfe bekommt. „Hoffnung habe ich keine. Meine Kinder sind diejenigen, für die ich jeden Morgen aufstehe und weiterlebe“, sagt die Mutter mit ernster Stimme.

Und sie fügt hinzu: „Ich sehe uns trotzdem nicht als typische Hartz-IV-Familie mit all den Vorurteilen, die damit einhergehen. Bei uns ist es sauber, meinen Kindern geht es gut. Ich spreche in der Öffentlichkeit nicht über unsere Armut, damit wir in keine Schublade gesteckt und die Kinder nicht gemobbt werden. Mit einer Vorabmeinung über uns hätten wir noch weniger Chancen.“

Auto ist das große Glück

Vor zwei Jahren hat sie ein altes Auto geschenkt bekommen, das war ihr großes Glück. Damit konnte sie den Kindern etwas Bildung ermöglichen und fuhr in die nächsten Ortschaften, an Seen, in ein Spaßbad. Damit konnte sie ihnen etwas geben, was es in Plauen nicht gibt. Nun wird das Benzin teuer und diese Option fällt damit weg.

Was sie sich wünschen würde, wenn ihr alle Möglichkeiten offenstehen würden? Wie aus der Pistole geschossen sagt Franziska: „Ich würde als Erstes einmal mit meinen Kindern in den Urlaub fahren, ein neues Auto kaufen, was nicht gleich kaputt geht, eine größere Wohnung mit einem Schlafzimmer für mich und Kleidung für die Kinder. Und ich würde einmal mit ihnen ins Restaurant gehen.“ Franziskas größter Wunsch ist, dass ihre Kinder es besser machen als sie und schaffen, aus Plauen wegzukommen. Sie wünscht ihnen, dass sie nicht auf die falsche Bahn geraten.

Von Priska Lachmann

Als Ruth das Sorgerecht für ihren Sohn verliert, bricht für sie eine Welt zusammen

Ruth Krüger* und ihr Mann trennen sich, als ihr Sohn Pascal* vier Jahre alt ist. Beim Kampf ums Sorgerecht herrscht Krieg.

Als die Ehe von Ruth Krüger* [Alle Namen geändert] und ihrem Mann zerbrach, waren beide zu jeweils 75 Prozent berufstätig. Allerdings war es überwiegend die Mutter, die sich um Pascal kümmerte: ihn zur Kita brachte und abholte, mit ihm zum Kinderarzt ging … Für Ruth war deshalb klar, dass ihr Sohn nach der Trennung bei ihr leben würde. Doch kurz nach der Trennung kündigte sein Vater an, „bis aufs Blut“ dafür zu kämpfen, dass sein Sohn bei ihm wohnt. Nach einem halben Jahr beantragte er das alleinige Sorgerecht für Pascal. Das Jugendamt stellte aber fest: Beide Eltern sind erziehungsfähig. Wo sollte das Kind also hin?

Pascals großer Wunsch: Beim Vater leben

Die Sache nahm eine unerwartete Wendung, als der vierjährige Pascal äußerte, er wolle mit der Familienrichterin sprechen. Daraufhin lud sie ihn und seinen Vater zum Gespräch ein. Darin stellte sie Pascal die Frage: „Wenn eine gute Fee kommen würde, was wären deine drei Wünsche?“ Pascal antwortete: „Den Weltfrieden, dass ich immer Computer spielen kann und dass ich bei meinem Vater leben kann.“ Damit war die Sache für die Richterin klar. Zu dieser Zeit – kurz nach der Kindschaftsrechtsreform 1998 – gab es gerade den Trend, beim Sorgerecht auch den Willen von kleinen Kindern zu berücksichtigen. Deshalb entschied die Richterin, dass Pascal für vier Wochen hauptsächlich bei seinem Vater leben sollte. Danach könne noch einmal neu entschieden werden.

„Doch im Grunde war das Thema damit entschieden“, erinnert sich Ruth Krüger. „Es wurden Tatsachen geschaffen.“ Als die vier Wochen um waren, war es kurz vor Weihnachten. Die Richterin schlug vor, dass Pascal bis zur endgültigen Entscheidung bei seinem Vater bleiben sollte. Ruth Krüger willigte schweren Herzens ein. Es fiel ihr nicht leicht, Pascal nur einen Nachmittag mit Übernachtung pro Woche und alle 14 Tage am Wochenende zu sehen.

Sohn leidet unter dem Sorgerecht-Verfahren

Dass Pascal sich damals dafür entschieden hat, bei seinem Papa zu wohnen, erklärt sich Ruth Krüger damit, dass er sich der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewusst war. Immerhin war er erst vier. „Er dachte, mit der Entscheidung, bei seinem Papa zu leben, hätte er mehr Zeit mit ihm. Und die Zeit, die er mit mir hätte, würde so bleiben. Er konnte das nicht absehen, dass viele Sachen, die er mit mir hatte, wegfallen würden.“

Gegen die Entscheidung des Gerichts hätte Ruth Krüger Einspruch erheben können. Aber das wollte sie nicht: „Ich habe gesehen, wie sehr mein Sohn unter dem Verfahren gelitten hat. Ich habe darauf verzichtet, um ihn zu schonen.“ Gut ging es ihr damit nicht: „Mein Kind hat mir gefehlt“, bekennt sie.

Spekulationen: „Das hat mich sehr verletzt“

Als Pascal in der Schule war, drängte sein Vater darauf, den Mama-Nachmittag plus Übernachtung aufzugeben, und setzte das auch gegen Ruth Krügers Willen gerichtlich durch. Sie litt darunter, dass es häufig als Makel angesehen wird, wenn ein Kind nach der Trennung nicht bei der Mutter lebt. „Ich bin offen damit umgegangen und habe das auf der Arbeit und in meiner Gemeinde erzählt.“ Die meisten Menschen aus ihrem Umfeld gingen gut damit um. „Aber einmal hat eine Kollegin gesagt: ‚Na, das wird schon seinen Grund haben, warum dein Sohn bei seinem Vater lebt.‘ Das hat mich sehr verletzt“, gibt Ruth Krüger zu. Und sie kritisiert: „Wenn das Kind überwiegend bei der Mutter lebt, überlegt niemand, warum das so ist. Aber wenn es beim Vater lebt, wird spekuliert, was wohl der Grund ist.“

Inzwischen ist Pascal erwachsen. Mutter und Sohn haben sich offen ausgetauscht. Und Ruth Krüger musste feststellen, dass Pascal manches anders erlebt hat als sie: „Er meint, wir beide hätten ein distanziertes Verhältnis gehabt. Das habe ich nicht so wahrgenommen. Ich habe einen Jungen abgeholt, der sich gefreut hat, dass ich ihn abhole und der unsere gemeinsame Zeit genießt. Ich hatte auch den Eindruck, dass er emotional etwas nachholen muss, weil er meine körperliche Nähe gesucht und viel mit mir gekuschelt hat. Aber er hat das anders wahrgenommen.“

Drei Monate ohne das eigene Kind

Pascal hat seiner Mutter inzwischen erzählt, dass sein Vater ihm verboten hatte, über die Mutter zu reden. Außerdem wurden Päckchen, die Ruth ihrem Sohn schickte, vom Vater schlechtgemacht. Und er verhinderte immer stärker den Kontakt zur Mutter. „Als Pascal elfeinhalb war, habe ich ihn schließlich nur noch in den Ferien bei mir gehabt. Da gab es dann auch schon mal drei Monate, in denen ich ihn gar nicht sehen konnte.“

Ruth Krüger hätte vielleicht durch weitere Verfahren vor dem Familiengericht etwas an der Situation ändern können. Aber sie wollte ihrem Sohn diesen Druck nicht zumuten. „Pascal sieht es inzwischen auch so, dass er ganz schön viel zu tragen hatte. Er hat eigentlich alles mit sich selbst abgemacht. In vielen Dingen konnte er sich mir gegenüber nicht öffnen, weil sein Vater ihm verboten hatte, Dinge aus dessen neuer Familie zu erzählen. Und auch seinem Vater gegenüber konnte Pascal sich nicht wirklich öffnen. Daran hat er heute noch zu tragen“, stellt Ruth Krüger fest.

Kontakt zum Vater abgebrochen

Heute hat sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Sohn: „Mit erwachsenen Kindern ist es ja so, dass man sich oft lange nicht sieht. Aber wenn wir uns sehen, dann ist es sehr schön, sehr vertraut.“ Zu seinem Vater hat Pascal nur noch wenig Kontakt. Dass er sich damals dazu entschieden hat, bei seinem Vater zu leben, verursacht ihm noch heute ein schlechtes Gewissen.

Die Frage, ob sie mit ihrem Ex-Mann ein grundsätzliches Gespräch über diese ganze Situation habe führen können, verneint Ruth Krüger. „Das ist nicht möglich. Er hat den Kontakt zu mir komplett abgebrochen.“ Aber sie möchte ihre Geschichte erzählen, um anderen Eltern in Trennungssituationen deutlich zu machen: „Vergesst nie, dass ihr euer ganzes Leben lang Eltern bleibt, auch wenn ihr euch als Paar trennt! Versucht, euren Kindern gemeinsam Eltern zu sein und gemeinsam Entscheidungen für sie zu treffen. Denkt an eure Kinder und nicht an euch und euer vermeintliches Lebensglück!“

Bettina Wendland ist Redaktionsleiterin von Family und FamilyNEXT. Sie lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Tochter (4) zofft sich im Kindergarten – So werden Eltern wieder Herr der Lage

Das Kind hat keine Lust auf die KiTa, weil es sich dort andauernd streitet? Expertin Daniela Albert sagt: Dem sollten Eltern auf den Grund gehen.

„Meine Tochter (4) streitet sich ständig mit einem Mädchen in ihrem Kindergarten. Laut der Erzieherin handelt es sich dabei um Lappalien, etwa, dass beide zur gleichen Zeit dasselbe Spielzeug haben oder in dieselbe Rolle schlüpfen wollen. Nun setzt es ihr so zu, dass sie manchmal gar nicht in den Kindergarten gehen will. Wie kann ich ihr helfen?“

Zunächst finde ich es wichtig, dass die Gefühle Ihrer Tochter ernst genommen werden. Es mag sein, dass ein Streit um dasselbe Spielzeug oder die Frage danach, wer welche Rolle im gemeinsamen Spiel haben darf, für Erwachsene nach einer Lappalie klingt. Für Kinder in diesem Alter sind solche Fragen aber sehr wichtig. Miteinander spielen und interagieren ist ja die Hauptaufgabe unserer Kinder im Kindergarten. Außerdem verbringen sie dort einen großen Teil ihres Tages. Wenn es immer wieder zu Konflikten mit demselben Kind kommt, dann ist es normal, dass ihre Tochter wenig Lust hat, sich dieser Situation auszusetzen.

Wie laufen die Streitereien ab?

Sie können noch einmal das Gespräch mit den Erzieherinnen suchen und etwas mehr über die Streitereien zwischen den Mädchen in Erfahrung bringen: Interessant wäre zu wissen, wie diese ablaufen. Finden die beiden gemeinsam Kompromisse oder gibt es ein Ungleichgewicht bei der Frage, wer zurückstecken muss? Welche Rolle nehmen die Erzieherinnen in diesen Konflikten ein? Wie wird zwischen den beiden Mädchen vermittelt? Welche anderen Spieloptionen hat Ihre Tochter im Kindergarten, wenn das Zusammensein mit diesem Mädchen so schwierig für sie ist?

Es kann zum Beispiel sein, dass es Ihrer Tochter schwerer fällt, ihren Standpunkt zu vertreten, weil das andere Mädchen besser in der Lage ist, zu argumentieren. Die Spanne der sprachlichen Fähigkeiten geht in diesem Alter weit auseinander. Gerade deshalb werden Konflikte oft auch noch körperlich ausgetragen, was entweder dazu führt, dass Ihre Tochter sich häufig unterlegen fühlt oder aber, dass sie die Stärkere ist und deswegen mit ihr häufiger geschimpft oder sie bestraft wird. In diesem Fall wäre gar nicht der Streit mit dem anderen Mädchen das eigentliche Problem, sondern die Reaktionen der Erwachsenen.

Diskutieren üben

Daneben können Sie Ihre Tochter aber auch zu Hause im Alltag unterstützen: Bei Konflikten zwischen Kindern in diesem Alter geht es ja immer auch um das Erlernen von Verhandeln und von Kompromissbereitschaft. Beides können Sie gut mit Ihrer Tochter üben. Wenn Sie beide unterschiedlicher Meinung über Dinge im Familienalltag sind, ermutigen Sie Ihre Tochter ruhig einmal, ihren Standpunkt auszudrücken und schenken Sie ihr Gehör. Gerade bei Dingen, die Ihnen nicht ganz so wichtig sind, lassen Sie sie auch einmal die Erfahrung machen, dass ihre Worte etwas bewirken können.

Ebenso können Sie Situationen, die im Kindergarten mit dem anderen Mädchen auftreten, zu Hause nachbesprechen. Und Sie können mit Ihrer Tochter zusammen überlegen, welche Kompromisse Ihnen zu den jeweiligen Themen einfallen. So bekommt sie Lösungsideen, auf die sie im Kindergarten zurückgreifen kann.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern– und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen. 

Großer Tag – kleiner Fußabdruck: 5 Tipps für eine nachhaltige Hochzeit

Eine Hochzeit nachhaltig zu gestalten, ist gar nicht schwer. Als Merksatz dient ein amerikanisches Sprichwort.

Wer an seiner Hochzeit die Umwelt und ganz nebenbei auch noch den Geldbeutel schonen möchte, kann sich einfach an einer alten amerikanischen Tradition orientieren, wonach eine Braut an ihrer Hochzeit fünf Dinge braucht: „Something old, something new, something borrowed and something blue. And a silver sixpence in her shoe.“

1. Something old (Etwas Altes)

Es ist nicht nötig, für die Hochzeit alles neu anzuschaffen. Vasen und Kerzenständer können Feiernde günstig gebraucht kaufen. „Alte“ Blumen in Form von Trockenblumen erleben derzeit ihren zweiten Frühling und geben eine wunderschöne Boho-Deko ab. Und heruntergekommenes Mobiliar oder verkratzte Tischplatten können mithilfe von Stuhlhussen und Tischdecken in neuem Glanz erstrahlen. Stofftischtücher sind natürlich besonders umweltschonend.

Auch beim Essen tut es „etwas Altes“, und zwar im übertragenen Sinne: „Iss nichts, was nicht auch deine Großmutter gegessen hätte“, rät Ernährungsberaterin Lynn Hoefer in Hinblick auf eine ganzheitliche, gesunde Ernährung. Das bedeutet: Bei der Speiseauswahl kann das Hochzeitspaar die dann herrschende Saison im Blick behalten und regionale Lebensmittel auf dem Buffet anbieten.

Ein ganz besonderer Hingucker ist es, wenn Omas altes Brautkleid noch im Schrank hängt und von einer kundigen Schneiderin zu einem neuen, modernen Kleid umgearbeitet werden kann.

2. Something new (Etwas Neues)

Natürlich sollte es auf einer nachhaltigen Hochzeit so wenig Wegwerfprodukte wie möglich geben. Wer jedoch auf Strohhalme und den Luftballonstart nicht verzichten möchte, kann sich zumindest um einen nachhaltigen Ersatz bemühen. Inzwischen gibt es viele ökologisch wertvolle Alternativen zu herkömmlichen Produkten, so zum Beispiel Luftballons aus Naturlatex. Überschüssige Glas- oder Stahlröhrchen kann das Brautpaar nach der Feier an die Gäste verschenken, welche sie dann zuhause weiterverwenden.

Beim Upcycling entsteht etwas ganz Neues aus einem ehemals alten Produkt: Teelichte leuchten in einem alten Marmeladenglas, das mit einer Buchseite aus einem ausrangierten Buch umwickelt ist. Vasen können aus Altglas, Konservendosen und sogar Tetrapacks gebastelt werden. Und aus zerknitterten Servietten aus Mutters Krims-Krams-Schublade lassen sich wunderschöne Blumengirlanden und Pompoms zaubern, die von der Decke baumeln. Sogar der Ehering lässt sich aus recyceltem Edelmetall fertigen.

3. Something borrowed (Etwas Geliehenes)

Hochzeitsdeko und Blumenschmuck, ja sogar Brautkleider kann man heutzutage leihen und nach der Feier problemlos zurückgeben. Gleiches gilt für Getränke, die Feiernde beim Getränkehändler auf Kommission erwerben können. Das spart Ressourcen und Geld.

Übrig gebliebenes Essen kann das Brautpaar zwar nicht zurückgeben, aber zumindest den Gästen mitgeben. Daher am Hochzeitstag an Verpackungsmaterial aus biologisch abbaubaren Materialien wie Papier oder Bienenwachstücher denken und auf die gute alte Alufolie beziehungsweise den Plastikgefrierbeutel nach Möglichkeit verzichten.

4. Something blue (Etwas Blaues)

Blau ist, wer auf der Hochzeit zu tief ins Glas geschaut hat. Auch beim Thema Getränkekonsum lässt sich auf Nachhaltigkeit achten: Wenn die Gäste mehrere Bier aus demselben Glas trinken, lassen sich Spülgänge einsparen. Statt Plastikflaschen lieber Glasflaschen kaufen und die Getränke immer in Gläsern, nie in Papp- oder gar Plastikbechern ausschenken. Das macht den ökologischen Fußabdruck gleich kleiner!

5. And a silver Sixpence in her shoe (Und ein Ein-Cent-Stück in ihrem Schuh)

Ganz von allein spart das Brautpaar bei einer nachhaltigen Hochzeit Geld. Den Blick sollte das Paar jedoch nicht darauf richten, worauf es bei einer nachhaltigen Hochzeit verzichten muss, sondern was es dadurch gewinnt: Die Kreativität wird angeregt beim Ausdenken upgecycelter Dekoelemente, das Essen ist lecker und dabei noch gesund, das Ambiente umso schöner. Und es bleibt sogar mehr Geld übrig für die Flitterwochen. Und immer dran denken: Worauf es bei einer Hochzeit wirklich ankommt, gibt es sowieso in keinem Laden der Welt zu kaufen!

Catharina Bihr lebt mit ihrem Mann in Stuttgart und arbeitet in der Erwachsenenbildung.

„Ich will nicht ins Heim!“ – So meistern Sie Demenz in der Familie

Menschen mit Demenz zu pflegen, ist für Angehörige oft eine große Belastung. Expertin Susanne Maußner über Herausforderungen und Grenzen.

Das Zusammenleben mit einem Menschen, der an einer Demenz erkrankt ist, stellt die Angehörigen vor große Herausforderungen. Am Beginn der Erkrankung kann Organisatorisches noch gemeinsam besprochen werden. Merkhilfen können zum Einsatz kommen, und der oder die Betroffene kann bei alltäglichen Verrichtungen mithelfen. Im Fortschreiten der Erkrankung wird die Planung und Durchführung von Alltagstätigkeiten, wie Einkaufen oder Termine vereinbaren, immer schwieriger, bis die Organisation des Tagesablaufs vollständig von den Angehörigen übernommen werden muss. Zu einer großen Belastung wird es, wenn der oder die Betroffene auch bei grundlegenden Tätigkeiten wie der Körperpflege nicht mehr allein zurechtkommt, zum Essen und Trinken motiviert werden muss, die Toilette nicht mehr findet und kontinuierlich begleitet werden muss. Kommt eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus hinzu, ist auch für die betreuenden Angehörigen nicht mehr ausreichend Schlaf möglich, und es kommt schnell zu körperlicher Überforderung.

Auch die emotionale Belastung wird unterschätzt. An Demenz Erkrankte sind sich lange ihrer Verluste und Einschränkungen bewusst. Durch die Auseinandersetzung mit der Erkrankung, Angst vor Abhängigkeit, Scham oder Trauer kann es bei den Betroffenen zu Persönlichkeitsveränderungen kommen, die bis zum vollständigen sozialen Rückzug führen können. Diesen Prozess zu begleiten, ist für nahe Angehörige oftmals mit genauso tiefen Emotionen verbunden wie für die Betroffenen selbst. Auch sie erleben mit, wie der geliebte Mensch sich verändert und nach und nach das Wissen und die Erinnerung an alles, was im Leben erlernt und aufgebaut wurde, verliert.

Auflehnung und Abweisung

Im Fortschreiten der Erkrankung werden die eigenen Defizite nur noch teilweise wahrgenommen. Die Einsicht, auf Hilfe angewiesen zu sein, verliert sich. Es kann zu Auflehnung und Abweisung kommen. Gut gemeinte Ratschläge und Hinweise, wie zum Beispiel dem Wetter angepasste Kleidung zu wählen, können zu Streit führen, da die Betroffenen sich durch Ermahnungen in ihrer Eigenständigkeit eingeschränkt fühlen. In manchen Fällen kann es sogar zu körperlichem Abwehrverhalten kommen. Es ist für die Betreuenden schwer, solche Konfrontationen nicht persönlich zu nehmen.

Betroffene brauchen zu ihrem Wohlbefinden ein Gefühl der Sicherheit und der Wertschätzung in gewohnter Umgebung mit vertrauten Menschen. Das bietet in der Regel das Leben in der Familie. Um die Erkrankten lange Zeit zu Hause begleiten zu können, ist es notwendig, dass die Angehörigen sich bewusst machen: Die Begleitung von Demenzkranken ist nur zu bewältigen, wenn die betreuenden Familienangehörigen ihre Kräfte einteilen und auch für das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden sorgen. Im Alltag der stets wachsenden Verantwortung und der Übernahme von Alltagstätigkeiten verlieren sie häufig ihre eigenen Bedürfnisse und Belastungsgrenzen aus den Augen. Hier eine Balance zu finden, ist für die Pflege und Betreuung von großer Wichtigkeit.

Freunde informieren

Wird man mit der Demenzerkrankung eines Angehörigen konfrontiert, ist es empfehlenswert, vorausschauend zu planen. Ein erster Schritt ist, sich regelmäßig Zeit zur Erholung zu nehmen und für Aktivitäten, die Freude bringen. Um sich dies zu ermöglichen, ist es nötig, sich Unterstützung zu organisieren, wenn der oder die Betroffene nicht mehr allein bleiben kann.

Für alle Beteiligten ist es gut, mit der Erkrankung offensiv umzugehen. Nachbarn, Freunde und auch der weitere Umkreis sollten über die Krankheit, den Umgang mit den Betroffenen und die Belastung für die Angehörigen informiert sein. So wird es einfacher, um Hilfe zu bitten oder Hilfe anzubieten. Hilfreich kann auch ein Austausch mit Menschen sein, die sich in derselben Situation befinden. An vielen Orten gibt es dazu Selbsthilfegruppen.

Ein weiterer Schritt ist, sich über die Krankheit zu informieren, um zu wissen, was auf die Familie zukommen kann und welche Hilfen in Anspruch genommen werden können. Es ist für alle Beteiligten gut, frühzeitig zu planen und gemeinsam zu besprechen, was im individuellen Fall sinnvoll ist. Wenn die Betreuung zur Belastung wird, fehlt den Angehörigen häufig die Kraft, sich um organisatorische Dinge zu kümmern.

Frühzeitig Pflegeheim suchen

Gibt es am Ort das Angebot der Nachbarschaftshilfe? Gibt es einen Pflegedienst, der häusliche Betreuung anbietet? Oder die Möglichkeit der Tagespflege? Welche Pflegeheime sind auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz eingerichtet? Der Gedanke an diesen Schritt wird meist weggeschoben. Es ist jedoch sinnvoll, frühzeitig im Kreis der Familie zu besprechen, was geschehen soll, wenn die Pflege und Begleitung nicht mehr zu bewältigen ist. In vielen Fällen wird dieser Schritt im Verlauf der Erkrankung nötig, um die pflegenden Angehörigen vor einer gesundheitsbelastenden Überforderung zu schützen und auch den Erkrankten vor den Konsequenzen dieser Überforderung.

Im Anfangsstadium kann dabei der oder die an Demenz Erkrankte miteinbezogen werden. In dieser Zeit sind die Betroffenen noch in der Lage, die Belastung der Pflege einzuschätzen und zu überlegen, welche Hilfen für sie in Frage kommen. Man kann gemeinsam verschiedene Angebote besuchen und sich bei passenden Einrichtungen auf die Warteliste setzen lassen. Häusliche Hilfen oder Tagespflegen, die schon im Anfangsstadium einer Demenz kennengelernt werden, werden später besser akzeptiert.

Fremde Personen führen zu Verunsicherung

Im Fortschreiten der Erkrankung fühlen die Betroffenen sich durch unbekannte Menschen, Orte und Situationen unsicher und verängstigt. Häufig lehnen sie Unbekanntes ab. Fremde Personen in der Wohnung werden nicht als Hilfe angenommen. Zum Besuch einer Tagespflege oder zum Umzug in ein Pflegeheim lassen sie sich kaum überreden. Die Überlastung ihrer Angehörigen können sie nicht mehr einschätzen. Sie reagieren mit Vorwürfen auf die Suche nach Unterstützung. Das löst vor allem bei Ehepartnern ein schlechtes Gewissen aus und lässt sie lange versuchen, allein zurechtzukommen.

Erkrankten, die allein leben, kann eine Tagespflege oder ein Umzug ins Pflegeheim in positivem Licht aufgezeigt werden. Sie leiden unter dem Alltag, der nicht mehr bewältigt werden kann, und unter dem vielen Alleinsein. Ihnen kann die vollständige Versorgung im Pflegeheim vor Augen geführt werden sowie der tägliche Kontakt mit Menschen und das Beschäftigungsprogramm. Manchmal helfen diese Bilder, dem Umzug zuzustimmen. Wenn jedoch im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz die Defizite im Alltag nicht mehr realistisch eingeschätzt werden, finden Hinweise auf Hilfe und Kontakte oft keine Zustimmung.

Besondere Herausforderung: Partnerschaft mit Demenz

Bei Ehepaaren ist die Situation schwieriger. Die oder der Betroffene klammert sich an die Partnerin oder den Partner, die bzw. der Halt und Orientierung bietet. Ein Umzug ins Heim wird als Abschieben empfunden in einer Situation, in der dieser Mensch besonders auf Nähe und Unterstützung angewiesen ist. Und vielen ist nach jahrelanger Gemeinschaft das Versprechen, in guten wie in schlechten Tagen füreinander da zu sein, ein ernstgenommener Vorsatz.

Aber auch als betreuende Person hat man ein Recht auf Wertschätzung und Fürsorge. Da Demenzkranken dies nicht mehr möglich ist, müssen Betreuende sich in Selbstfürsorge üben und sich auch bewusst machen, dass Erkrankte der Selbstaufgabe und Überforderung ihres Gegenübers wohl nicht zustimmen würden.

Unterstützen als Kind

Wenn erwachsene Kinder die Demenzerkrankung eines Elternteiles erleben, ist es wichtig, den pflegenden Elternteil in der Betreuung zu unterstützen und die emotionale und körperliche Belastung sensibel zu beobachten. Es kann nötig werden, auf eine beobachtete Überlastung, gereizte Stimmung oder Ähnliches aufmerksam zu machen und behutsam auf mögliche Hilfen hinzuweisen. Hat der betreuende Elternteil den schweren Entschluss gefasst, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen oder gar den Umzug in ein Pflegeheim zu vollziehen, sollten Kinder dies nicht zum Vorwurf machen, sondern die Entscheidung unterstützen und mittragen. Ein solcher Entschluss wird in der Regel nur schweren Herzens gefasst.

Im Rahmen meiner Arbeit in einer Akutklinik erlebe ich immer wieder, dass pflegende Angehörige weit über ihre Kräfte hinausgehen, bis sie selbst mit einem Zusammenbruch in die Klinik kommen. Für Demenzerkrankte muss dann akut ein Pflegeheim gefunden werden, was selten zufriedenstellend ist.

Umzug trotz Widerstand

Ist bei Pflegenden die Belastungsgrenze überschritten, beobachte ich oft eine gereizte, ungeduldige Stimmung der Angehörigen und die verstörten Reaktionen der Betroffenen. In manchen Fällen kommt es sogar zu körperlichen Übergriffen gegenüber den Erkrankten. In der Regel ist das begleitet von einem zutiefst schlechten Gewissen der Angehörigen. Sie wissen, dass ihr Verhalten nicht angemessen ist. In solchen Fällen kommt es beiden Parteien zugute, den Umzug ins Heim auch gegen anfänglichen Widerstand umzusetzen.

Auch in meiner Familie habe ich mehrfach erlebt, dass der Umzug in ein Pflegeheim notwendig wurde. Meine Großmutter, die nicht dement, aber blind und pflegebedürftig war, hatte sich immer gegen einen Umzug ins Heim gewehrt. In ihren letzten Lebensjahren, die sie dann doch im Heim verbrachte, hat sie immer wieder erzählt, wie schön es sei, sich um nichts mehr kümmern zu müssen. Vor allem den Kontakt mit anderen hat sie sehr genossen. Dieselbe Erfahrung konnten wir bei der an Demenz erkrankten Mutter meines Lebenspartners machen. Es gab immer wieder Dinge, über die sie sich beschwert hat. Aber wir konnten beobachten, wie sie Ängste verlor, die sie allein in ihrer Wohnung hatte. Sie genoss das Umsorgtwerden und die ständige Ansprache – und vor allem den täglichen Kuchen zum Mittagskaffee.

Das Pflegeheim kann Erlösung sein

Weitaus schwerer war der Umzug meines Vaters auf eine geschlossene Demenzstation. Sehr lange hat sich meine Mutter zu Hause um ihn gekümmert. Die Unterstützung von uns Kindern, den Enkeln und Freunden war zwar eine Entlastung. Sie reichte aber nicht mehr aus, als mein Vater nicht mehr sprechen konnte und voll versorgt werden musste, aber körperlich so agil war, dass er keine Minute alleingelassen werden konnte. In der offenen Tagespflege musste ständig auf ihn geachtet werden, da er jede Gelegenheit zur Flucht nutzte.

Meine Mutter hat sich lange gegen den Umzug gewehrt. Sie wollte sich nicht auf diese Weise von ihrem Mann trennen. Aber es war spürbar, dass ihre Kraft und Geduld am Ende waren. Als deutlich wurde, dass ihre Gesundheit massiv angegriffen war, gab es keinen anderen Weg mehr. Die ersten beiden Wochen im Heim waren für alle Beteiligten schwer, auch für das Pflegepersonal. Dann hat mein Vater sich langsam eingelebt. Er hat in den zwei Jahren dort an den meisten Tagen einen zufriedenen Eindruck gemacht.

Mehr Geduld und Liebe möglich

Ich konnte die Erfahrung machen, dass das Vergessen des früheren Lebens in der letzten Phase der Demenz auch positive Seiten haben kann. Mein Vater schien das Heim als sein Zuhause anzusehen. Auch bei Spaziergängen außerhalb des Heimes war das Zurückkehren in seine Gruppe für ihn etwas spürbar Vertrautes. Zu vielen Pflegekräften hat er Vertrauen gefasst, hat sie als Kontaktpersonen angenommen. Meine Mutter hat ihn täglich besucht. Sie konnte ihm wieder mit Geduld und sehr liebevoll begegnen. Und er hat sich sichtbar gefreut, wenn sie zu Besuch kam. So kann manchmal der Besuch einer Tagespflege oder ein Umzug ins Pflegeheim von allen Beteiligten angenommen werden und das gestörte Miteinander in einer überforderten Situation wieder entspannen.

Susanne Maußner ist Krankenschwester, Aromapraktikerin nach AiDA und Demenzbeauftragte an einer Klinik in Aalen. Sie hat zwei erwachsene Söhne.

Buchtipp:
Susan Scheibe: Ratgeber Demenz. Praktische Hilfen für Angehörige (Verbraucherzentrale)

„Mein Zuhause ist dein Zuhause“ – Fünffach-Mama Tabea teilt ihr Haus mit geflüchteten Ukrainern

Die Familie von Tabea Gruhn lässt zwei ukrainische Geflüchtete bei sich wohnen. Jetzt erzählt die Mutter von Freudenmomenten und Herausforderungen.

Seit dem Einmarsch Putins in die Ukraine und den damit verbundenen Bildern flüchtender Menschen war mir klar, dass wir unser Haus und unser Familienleben für die öffnen würden, die uns brauchen. Der Gedanke, Menschen aus der Ukraine bei uns im Haus zu haben, bereitete keinem unserer fünf Kinder Sorgen. Es schien für sie selbstverständlich zu sein. Jeden Tag fragten sie: Sind sie schon da? Wann kommen sie? Wer kommt überhaupt?

Am 17. März kam schließlich der Anruf vom Christlichen Integrationszentrum in Augsburg: Natalia und ihr Sohn Mikita (13) waren gerade nach vier Tagen Reise angekommen, erschöpft, ohne Familien- oder Verwandtenanschluss. Natalias Mann und ihr 18-jähriger Sohn waren noch in der Ukraine. Wann ich zum Abholen kommen könnte? Ich sprang ins Auto, holte unsere Kleinste vom Kindergarten ab und fuhr in die Stadt. Nach einer kurzen Begrüßung und ein paar Hinweisen waren wir wieder auf dem Weg nach Hause. Unsere Kinder hatten in der Zwischenzeit das blaugelb angemalte Kalenderblatt mit kyrillischem „Willkommen“ an die Haustür geklebt.

Einstand bei der Eishockey-Mannschaft

Unser Leben hat nun einen neuen Alltag, den wir inzwischen meistens „normal“ leben. Anfangs haben unsere 9- und 11-jährigen Jungs fast ausschließlich mit Mikita gespielt. Inzwischen verbringen sie ihre Zeit auch wieder mit Schulkameraden und Freunden. Wenn unsere Kinder in der Schule sind, bekommt Mikita Online-Unterricht aus der Ukraine. Die Nachmittage verbringt jeder mal für sich, mal miteinander. Mikita, ein passionierter Eishockey-Spieler, durfte schon bei den Augsburger Panthern vorspielen, wo er einen richtig guten Einstand hatte. Natalia hat angefangen, online Deutsch zu lernen und schreibt fleißig Vokabelkärtchen. Die Kinder lieben ihre Pfannkuchen, ich freue mich über zusammengelegte Wäsche und weggesaugte Spinnweben und unsere zwei jüngsten Mädchen über Basteleinheiten. In der Verwaltung des Integrationszentrums hat Natalia im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes eine Stelle bekommen, wozu auch ein Sprachkurs gehört.

Im Großen und Ganzen ist es leicht

Es hört sich vielleicht an, als wäre es zu schön und zu leicht, um wahr zu sein. Aber im Großen und Ganzen ist es das tatsächlich. Ich habe mich inzwischen schon oft gefreut, dass Gott uns (erst mal) nur zwei Personen anvertraut hat – und nicht mehr. Denn mehr – und kleinere Gäste – wären vielleicht zu viel Belastung geworden. Zudem habe ich das Glück, meinen Hauptarbeitsplatz – meine Familie – zu Hause zu haben. Daneben bin ich an einem oder zwei Vormittagen pro Woche im Büro meines Mannes eingeplant. Es ist hilfreich, dass ich viel Zeit zu Hause habe. Denn Registrierung, Anmeldung beim Meldeamt, bei der Asylbehörde und das Ausdrucken und Ausfüllen von Formularen brauchen Zeit und Einsatz. Und die Bereitschaft, manches zu Hause liegen zu lassen.

Mein Kopf ist noch voller als sonst. Ich habe noch mehr auf meinen To-do-Listen stehen und bin vergesslicher. Vor allem am Anfang war es viel Arbeit, unsere Strukturen, Familienregeln und jedes unserer Kinder im Blick zu behalten. Und mich selbst auch nicht zu verlieren. Ich habe deutlich gemerkt, wie wichtig Ruhezeiten für mich sind. Zehn Minuten nur für mich. Keine Kinderfragen, keine Übersetzungs-App. Luft holen, Stille atmen, gar nichts denken.

Familienregeln werden beibehalten

Wirklich wichtig – und in der Anfangszeit manchmal schwierig – fand ich, das eigene Familienleben beizubehalten. Der, der hinzukommt, muss sich anpassen. Denn unsere Familienregeln tragen durch unseren Alltag. Und dann ist es egal, ob Gäste komisch schauen, wenn wir am Anfang des Essens singen und am Ende nicht jeder aufsteht, wie er will. Auch dass sich mittags jeder selbst um seinen Hunger kümmert, hat sich bei uns bewährt. Unsere Mitbewohner haben sich damit arrangiert. Bei so einer Familienvergrößerung auf unbestimmte Zeit hat man keine Gäste, sondern Lebensbegleiter. Das heißt, dass wir unser Leben normal weiterleben und uns nicht im ständigen Ausnahmezustand befinden.

Die ersten zwei Wochen haben das Besuchsgefühl und somit ein Ausnahmezustand bei den Kindern angedauert. Jetzt bringen sich alle wieder in die gewohnten Bahnen – oder werden von uns daran erinnert. Nur so sind wir die Familie, die wir sind und die bereit war, jemanden aufzunehmen. Wir haben aber auch „einfache“ Gäste, die sich selbst beschäftigen und fähig und willig sind, mit Bus und Straßenbahn zu fahren. Zwei, mit denen wir schon viel gelacht und geredet haben.

„Wer nicht mit seiner Schwiegermutter leben kann, kommt auch nicht mit Fremden zurecht“

Vor der Aufnahme hatte ich mir wenige Gedanken über mögliche Probleme gemacht. Ich sehe mich deshalb nicht als naiv an. Eher bin ich ein Typ, der vom Guten ausgeht. Mir war wichtig, von Anfang an die Selbstständigkeit der Geflüchteten zu erhalten. Die beiden haben einen Hausschlüssel bekommen, und es liegt ein kleiner Geldbeutel bereit, für den Fall, dass sie sich etwas kaufen wollen, während ich unterwegs bin. Es gilt: Mein Zuhause ist dein Zuhause. Mein Haushalt ist jetzt unser Haushalt. „Wer nicht mit seiner Schwiegermutter leben kann, kommt auch nicht mit Fremden zurecht“, meint Natalia. Und da ist wohl etwas Wahres dran …

Schwierige Kriegserlebnisse waren bisher selten Thema. Auf meine wenigen Fragen bekam ich aber ehrliche Antworten. Wie sehr die Trennung von Ehemann und Sohn Natalia belastet, wie stark sich Erlebnisse auf der Flucht bei ihr eingegraben haben und ob die Sorge um Freunde, Familie und eine ungewisse Zukunft sie innerlich traurig macht, vermag ich nicht zu sagen. Ich bin niemand, der nachbohrt. Eher warte ich, bis jemand von selbst redet. Kleine Funken der inneren Schwierigkeiten habe ich wahrgenommen, als über unser Wohngebiet laute Flugzeuge oder ein Hubschrauber flogen. Auch laute Geräusche wie Müllautos und Kirchenglocken führten zu angespannten Blicken.

Ich bin Gott dankbar für die Gelassenheit, die ich in vielen Bereichen habe. Das ermöglicht es mir, ein Zusammenleben auf Zeit nicht nur zu „überleben“, sondern gern zu leben.

Tabea Gruhn lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern zwischen 4 und 13 Jahren in Augsburg.

Sommerferien: Mit diesen 3 spaßigen Spielen können Sie jetzt Lernlücken schließen

Im Sommer wollen Kinder vor allem Spaß haben. Mit diesen Übungen bleibt der Schulstoff trotzdem spielend leicht im Kopf.

Jedes Kind freut sich auf die Sommerferien. Einfach nichts tun, sich mit Freundinnen und Freunden treffen, den Hobbys nachgehen – das ist ganz wichtig! Kinder brauchen eine Auszeit, um vom stressigen Schulalltag abzuschalten. Nur so tanken sie Kraft fürs neue Schuljahr. Dennoch kann es für manche hilfreich sein, Lernlücken aufzuarbeiten.

Gerade in der Grundschulzeit ist es wichtig, den Lernprozess bestmöglich zu unterstützen. Vor allem in den Ferien sind Kinder aber verständlicherweise nur schwer zu motivieren, wenn es um Schule geht. Jetzt ist spielerisches Lernen angesagt, das für Erfolgserlebnisse sorgt! Spaß beim Lernen ist das A und O für ein angenehmes Lernklima und einen geringen Stresspegel. In den Ferien stehen die Kinder nicht unter Leistungsdruck und können gute Lernerfolge erzielen. Denn gelernt wird in der schulfreien Zeit nur ungern, gespielt dafür umso mehr! Hier drei Lernspiel-Ideen an der frischen Luft:

Lernidee 1: Wasser Marsch

Material: Wasserpistole/Wasserbomben, Kreide
So geht’s:
 Malt mit Kreide Kreise auf den Boden. Sie sollten nicht zu weit voneinander entfernt sein, um sie mit der Wasserpistole/den Wasserbomben zu treffen. In jeden Kreis schreibt ihr je nach Fach zum Beispiel Ergebnisse von Rechenaufgaben, Wörter zum Vorlesen, Antworten zu Fragen etc. Wenn ihr Rechenaufgaben (1×1) üben wollt, kommt in jeden Kreis die Lösung einer Aufgabe. Dann stellt ihr dem Kind eine Aufgabe. Mit der Wasserpistole/ einer Wasserbombe muss jetzt der richtige Kreis getroffen werden.

Lernidee 2: Schatzsuche

Material: Papier, Stift, Schere & kleiner Schatz (z. B. ein Bonbon)
So geht’s:
 Schneidet ein Blatt in zehn Teile. Danach beschreibt ihr jeden Zettel je nach Fach mit Rechenaufgaben, Lese- oder Schreibübungen. Zudem notiert ihr auf jedem Zettel, wo das Kind den „nächsten Hinweis“ suchen muss, wie: „Jetzt beginnt die Schatzsuche. Den ersten Hinweis findest du bei der Schaukel!“ Auf dem letzten Zettel steht, wo das Kind den Schatz suchen muss. Vor der Schatzsuche versteckt ihr alle Hinweise – außer den Startzettel – an den jeweiligen Orten. Nach Erledigung der Aufgaben wird der nächste Zettel gesucht.

Lernidee 3: Bleib fit!

Material: Papier, Stift
So geht’s: Auf ein Blatt schreibt ihr die Zahlen 1 bis 10. Neben jede Zahl ergänzt ihr eine Bewegung (Hampelmann springen, auf einem Bein hüpfen, hinknien, klatschen etc.). Nun stellt ihr dem Kind eine Aufgabe, zum Beispiel 32:8. Das Kind sagt die Lösung (4) und führt die Bewegung neben der Zahl 4 aus. Das Lernspiel eignet sich auch für Vokabeln, Fragen, Begriffszuordnungen etc. Statt Zahlen schreibt ihr die jeweiligen Lösungen neben die Bewegungen.

Katharina Hilberg ist Diplompädagogin mit über 18 Jahren Erfahrung als Nachhilfelehrerin sowie in der Kinder- und Jugendarbeit und bloggt auf lernenmitspielundspass.de.

„Mein Kind ist ständig traurig“ – Checkliste, wann sie reagieren sollten

Ist mein Kind depressiv? Acht Anzeichen können Eltern bei der Entscheidung helfen, ob ihr Sohn oder ihre Tochter professionelle Hilfe brauchen.

Wenn Kinder ständig niedergeschlagen wirken, dann besorgt das die meisten Eltern – zurecht! Denn Kinder sind grundsätzlich eher fröhlich und entdeckungsfreudig, auch wenn es natürlich Unterschiede im Naturell gibt, so wie bei Erwachsenen auch. Wenn Ihr Kind Ihnen ungewöhnlich traurig erscheint, sollten Sie genauer hinschauen. Denn auch Kinder können eine Depression entwickeln. Folgende Checkliste hilft Ihnen bei der Einschätzung des Problems:

  • Wie lange ist das schon so? Wenn die Stimmung zwei Wochen oder länger schlechter ist als sonst, dann wird es ernst.
  • Gibt es bestimmte Stressfaktoren, die kurz vor dem Stimmungstief aufgetreten sind, und lassen sich diese eventuell mildern? Werden sie sehr bald von selbst enden (zum Beispiel in der Prüfungsphase), sodass eine Besserung realistisch ist? Wenn das der Fall ist und Sie keine akute Gefährdung sehen, kann es sich lohnen, ein bis zwei Wochen abzuwarten.

Schlafprobleme und Schmerzen?

  • Zeigt Ihr Kind zusätzliche körperliche Auffälligkeiten wie weniger oder mehr Appetit, Schlafprobleme, Müdigkeit, Schmerzen …? Auch das können Anzeichen einer Depression sein.
  • Hat Ihr Kind das Interesse an Aktivitäten oder Themen verloren, für die es sich sonst begeistert hat?
  • Zieht sich Ihr Kind zunehmend zurück und vermeidet Kontakte? Auch das ist ein wichtiges Alarmzeichen für eine Depression.

Spricht es vom Wunsch zu sterben?

  • Ist Ihr Kind neben der Betrübtheit auch gereizt oder genervt?
  • Spricht Ihr Kind sehr schlecht über sich selbst, zeigt es Probleme im Selbstbewusstsein?
  • Benennt es vielleicht sogar den Wunsch, lieber tot zu sein? Wenn das der Fall ist, sollten Sie sofort handeln und sich an die nächste Kinder- und Jugendpsychiatrie wenden (notfalls auch erfragen unter der Telefonnummer 112).

Erziehungsberatungsstellen können helfen

Wenn ein oder mehrere Kriterien erfüllt sind, dann sollten Sie besonnen, aber entschlossen reagieren. Erklären Sie Ihrem Kind, dass Sie sich Sorgen machen, weil Sie spüren, dass es ihm nicht gut geht. Und dass Sie wollen, dass es ihm besser geht und sich deswegen um Hilfe kümmern.

Holen Sie professionelle Hilfe zum Beispiel bei einer Erziehungsberatungsstelle (Adressen finden Sie unter dajeb.de) oder einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychotherapie. Dort gibt es meist lange Wartelisten, man kann die Wartezeit aber gut mit Terminen in einer Erziehungsberatungsstelle überbrücken. Dort gibt es Angebote sowohl für das Kind allein als auch für die Eltern oder die ganze Familie, je nachdem, was sich als passend herausstellt.

Melanie Schüer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin (neuewege.me).

Psychologin: Diese Kindheitserfahrung beeinflusst unsere Beziehungen heute

Fehlende Sicherheit als Kind sorgt dafür, dass wir als Paare anders streiten. Doch das kann durchbrochen werden, sagt Monika Ringleb.

Rums! Krachend fällt die Haustür hinter Marcus ins Schloss. Susanne, die zurückbleibt, lässt den Tränen freien Lauf, die sich in der heftigen Diskussion angestaut haben. Sie ist stocksauer auf ihren Mann, der sie einfach nicht zu verstehen scheint. Warum sieht Marcus nicht, wie schlecht es ihr damit geht, dass er immer wieder so spät von der Arbeit kommt? Dass sie sich alleingelassen fühlt mit den Kindern und der Alltagsorganisation? Sie hat es ihm schon so oft gesagt, doch ihre verzweifelte Botschaft, dass sie sich von ihm im Stich gelassen fühlt, scheint nicht zu Marcus durchzudringen.

Szenenwechsel zu Marcus: Er sitzt im Auto und fährt ziellos durch die Gegend. Sein Puls beruhigt sich nur langsam. Warum muss Susanne ihm immer wieder Vorwürfe machen? Warum sieht sie seine Bemühungen nicht, ihr ein guter Partner zu sein? Er tut doch so viel für sie! Da ist es wieder, dieses hochbelastende Gefühl, Susanne nicht zu genügen. Der Druck ist wieder so unerträglich, dass er rausmusste, einfach nur weg von ihren Vorwürfen. Warum schafft er es nicht, die Frau, die er liebt, glücklich zu machen? Minderwertigkeitsgefühle und Scham überfluten ihn.

Ohnmächtig im Streit

Susanne und Marcus sind ein fiktives Paar, aber Paare wie die beiden begegnen mir immer wieder: Obwohl sie sich um eine gute Kommunikation bemühen und Strategien aus Paar-Ratgebern befolgen, finden sie einfach keine Lösung für den ständigen zehrenden Streit. Sie fühlen sich der zerstörerischen Macht des Konflikts ohnmächtig ausgeliefert, obwohl sie in anderen Lebensbereichen und Beziehungen gut zurechtkommen. Vor allem, wenn ein Partner oder sogar beide in vergangenen Beziehungen Traumatisierungen erlebt haben, ist die Gefahr groß.

Warum ist es für betroffene Paare so schwer, aus dem Streitmuster auszubrechen? Weil sie oft in einer unsicheren Bindung feststecken. Um zu verstehen, was das bedeutet, werfen wir einen kurzen Blick in die Bindungstheorie: Babys sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern feinfühlig erspüren, was ihnen fehlt, da sie sich selbst nicht anders als über ihre Stimme oder Körperbewegungen äußern können. Wenn Eltern in ausreichendem Maße in der Lage sind, die körperlichen und emotionalen Bedürfnisse ihres Babys sensibel wahrzunehmen und sie zu erfüllen, kann das Kind das Vertrauen entwickeln, dass andere Menschen verlässlich sind. Psychologen würden sagen, das Kind ist sicher an seine Eltern gebunden.

Jedoch sind nicht alle Eltern – aus verschiedenen Gründen und oft unverschuldet – in der Lage, feinfühlig wahrzunehmen, was ein Baby braucht oder ihm dies auch zu geben. Kinder solcher Eltern erleben nicht, dass die Bezugspersonen sich zuverlässig um ihre Bedürfnisse kümmern und bilden eher die Erwartung aus, dass niemand für sie da ist. Sie sind unsicher gebunden.

Kindheit beeinflusst Beziehungen als Erwachsene

Wir Menschen bewegen uns ein Leben lang in Beziehungen, in denen wir uns nach Sicherheit sehnen. Was wir über die Verlässlichkeit anderer Menschen gelernt haben, nehmen wir mit in unsere Beziehungen als Erwachsene. Entsprechend können sich unsere Paarbeziehungen zu unsicheren oder sicheren Bindungen entwickeln.

Vermutlich hat Susanne die Erfahrung gemacht, von wichtigen Bezugspersonen verlassen worden zu sein. Sei es durch eine reale Trennung oder dadurch, dass ihr emotionale Zuwendung verwehrt geblieben ist. Deshalb ist es für Susanne so schmerzhaft, wenn sie sich von Marcus alleingelassen fühlt. Marcus dagegen kennt es sicher, dass er nicht genügt und dass sich wichtige Menschen deswegen von ihm abwenden. Vielleicht konnte er von klein auf nicht den Erwartungen seines Vaters entsprechen, der sich enttäuscht von seinem Sohn zurückgezogen hat. So wird verständlich, warum Susannes Kritik für ihn unerträglich ist.

Angst dominiert

Beide haben also in der Vergangenheit Beziehungen erlebt, in denen sie nicht bekommen haben, was sie brauchten, um sich emotional sicher zu fühlen: das Gefühl, dass jemand da ist für Susanne, und für Marcus die Gewissheit, dass er so, wie er ist, geliebt ist. Aufgrund dieser Prägungen sind beide der Gefahr ausgesetzt, dass sich auch in ihrer Partnerschaft ein unsicheres Bindungsmuster etabliert.

In unsicheren Paarbindungen dominieren Angst und Unsicherheit anstelle von Sicherheit und Geborgenheit, weil der Streit ständig wiederkehrt. Susanne und Marcus erleben sich nicht als emotional verlässlich, fühlen sich voneinander nicht verstanden und aufgefangen, sondern eher das Gegenteil: Der andere wird als gleichgültig („Ihm ist egal, wie es mir geht!“) oder sogar feindselig („Sie macht mich absichtlich nieder!“) wahrgenommen.

Gefährlicher Teufelskreis

Häufig nimmt der eine Teil wie Susanne eine eher verfolgende Position ein. Dass sie sich allein fühlt, macht ihr große Angst und so versucht sie, an Marcus heranzukommen. Ihre Vorwürfe sind ein Bemühen, Marcus zu erreichen, um ihre emotionale Not zu lindern. Das Tragische ist jedoch, dass sie mit diesem Verhalten bei Marcus das Gegenteil von dem auslöst, was sie möchte. Denn Marcus, der eher eine Rückzüglerposition einnimmt, fühlt sich von Susannes verzweifelten Versuchen, zu ihm durchzudringen, stark unter Druck gesetzt. Gleichzeitig erlebt er sich als unfähig und schämt sich, dass er sie nicht zufriedenstellen kann. Auch er hat Angst: Dass Susanne ihn deswegen verlassen wird. Diese belastenden Gefühle behält er für sich, was den Druck so stark ansteigen lässt, dass er raus muss aus der Streitsituation. Damit jedoch entfernt er sich auch von Susanne, die sich in ihrer Verlassenheit bestätigt sieht – der Beginn einer weiteren Runde im Streitmuster.

Erlernte Muster lassen sich ändern

Es gibt jedoch eine gute Nachricht: Bindungsmuster sind veränderbar! Das macht sich zum Beispiel die Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT) nach Sue Johnson zu Nutze. Diese zählt zu den am besten erforschten und effektivsten paartherapeutischen Verfahren. Ziel ist es, beiden Partnern zu einer sicheren Bindung zu verhelfen. Dazu wird das Streitmuster genau erforscht und mit ihm tiefer liegende schlimme Gefühle sowie Rückzug oder Verfolgung als Möglichkeiten, mit diesen Gefühlen umzugehen. So erleben sich die Partner von einer neuen Seite: Der wütende Verfolger wird plötzlich sichtbar als jemand, der große Angst hat – wie ein Kind, das sich nach Beruhigung sehnt.

Und auf Seiten des Rückzüglers wird deutlich, dass er an sich zweifelt und dringend die Zusage braucht, dass er geliebt ist. Die Partner erleben sich also in ihrer Bedürftigkeit und Verletzlichkeit. Wenn sie spüren, dass ihr Gegenüber sie sieht und sie in ihrem emotionalen Bedürfnis abholt, entstehen tief berührende Momente von emotionaler Sicherheit. Bei wiederholten sicheren Erfahrungen gewinnt die Beziehung insgesamt an Sicherheit und destruktive Streitmuster können sich auflösen.

Nicht der Partner ist das Problem

Paare, die in unsicheren Bindungen feststecken, können jedoch auch selbst etwas dafür tun, mehr Sicherheit zu erleben. Dazu ist es wichtig, dass Sie Folgendes erkennen: Nicht Ihr Partner und sein Verhalten ist das Problem – das Problem ist das Streitmuster zwischen Ihnen! Es ergibt mehr Sinn, dass Sie sich als Paar gegen das Muster verbünden, als sich gegenseitig anzugehen! Auch wenn das Verhalten Ihres Partners Sie verständlicherweise verletzt, zeigt er dies nicht in böser Absicht, sondern als Strategie, mit seinen schlimmen Gefühlen umzugehen. Machen Sie sich bewusst, dass Sie beide in Not sind, wenn das Muster im Gange ist. Die Not Ihres Partners sieht anders aus als Ihre, aber er ist auch sehr belastet!

Der Weg zu einem sicheren Bindungsmuster führt über sichere Bindungserfahrungen – über das Erleben von Momenten, in denen Sie von Ihrem Partner das bekommen, was Sie emotional brauchen. Schaffen Sie sich gegenseitig diese Momente!

Monika Ringleb ist Psychologin und Theologin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin und EFT- Therapeutin i.A. Dieser Artikel stützt sich auf Erkenntnisse aus der Forschung zur Emotionsfokussierten Paartherapie sowie der Bindungswissenschaft.